Akustische Blicke in bedrohte Lebensräume. Der Komponist Wolfram Schurig im Porträt

Ein hochgiftiger Frosch ist der Ausgangspunkt für das neueste Werk von WOLFRAM SCHURIG. Inspiriert wurde Wolfram Schurig durch die indigene Stammesgemeinschaft der Emberá in Kolumbien und deren Schutz für den bedrohten Blattsteigerfrosch, den sie Kokoi nennen. Zusammen sind sie zum Symbol für das bedrohte ökosoziale System geworden. Im Rahmen des Festivals WIEN MODERN wird „kokoí“ für Oboe und Ensemble erstmals präsentiert [Phace plant, das Konzert auf Video zu produzieren und zum angekündigten Konzerttermin kostenlos über Stream zugänglich zu machen, Anm.]. Eine langjährige Zusammenarbeit verbindet WOLFRAM SCHURIG mit dem Wiener Ensemble PHACE, das bereits mehrere Werke zur Uraufführung gebracht hat. Im Laufe der nächsten Monate produziert das Ensemble ein Album mit Kompositionen von WOLFRAM SCHURIG. Welche Überlegungen ihn von ethnologischen Beobachtungen und seinem Faible für Amphibien zu seiner neuen Komposition geführt haben, über die langjährige Zusammenarbeit mit dem Ensemble PHACE und seine Liebe zu Instrumenten und deren spezifischen Klänge, erzählt WOLFRAM SCHURIG im Gespräch mit Silvia Thurner.

Dein neues Werk „kokoí“ nimmt Bezug auf den knallgelben und hochgiftigen Blattsteigerfrosch. Wie bist du auf die Idee gekommen, das nun vorliegende Werk zu komponieren?

Wolfram Schurig: Ich habe eine Affinität zu Amphibien und züchte auch selbst Frösche. Der Pfeilgiftfrosch kommt in Kolumbien vor, doch der Lebensraum wird den Fröschen von allen Seiten her streitig gemacht. Die kolumbianischen Ureinwohner, die Emberá, nutzten früher das Gift der Frösche, um Giftpfeile anzufertigen. Inzwischen sind die Menschen jedoch mindestens so bedroht wie die Frösche. Nun haben es sich die Emberá zur Aufgabe gemacht, die Frösche zu schützen.

Das komplexe Gefüge von Abhängigkeiten habe ich als Ausgangspunkt genommen, um die verschiedenen Formen von Koexistenzen in einem akustischen Rahmen zu thematisieren. Ich habe mir überlegt, wie ich das hörbar machen könnte.

Langjährige Zusammenarbeit

Die Lautäußerung des Blattsteigerfrosches klingt wie ein sehr greller Triller. Hat sich für dieses Stück deshalb die Oboe angeboten?

Wolfram Schurig: Der Oboist Markus Sepperer hat schon öfters bei Aufführungen meiner Werke mitgespielt. Er ist der ideale Interpret für dieses Stück. Meine Idee war, dass der Klang der Oboe so wie dieser Froschtriller im Urwald über allem schwirrt. Der Triller des Frosches dient als musikalischer Ausgangspunkt und ist als Metapher zu verstehen.

Das Ensemble Phace hat bereits mehrere Werke von dir zur Uraufführung gebracht. Den „Tintoretto Zyklus“ im Rahmen der Klangspuren 2011, „die gesänge aus der peripherie“ bei den Bludenzer Tagen zeitgemäßer Musik 2013 und das Violinkonzert mit Ivanka Pristasova bei Wien Modern 2016. Sind weitere Projekte geplant?

Wolfram Schurig: Die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Phace ist sehr gut. Nach der Uraufführung werden wir im Studio Aufnahmen machen und zusammen mit bereits vorhandenen Livemitschnitten eine CD publizieren, die nächstes Jahr erscheinen soll.

Performative Kunst als Modeerscheinung

Das Festival Wien Modern steht in diesem Jahr unter dem Motto „Stimmung“. Wie bei allen internationalen Festivals ist auch aus dem aktuellen Festivalprogramm ersichtlich, dass sich die Musikszene ausweitet, beispielsweise hin zum experimentellen Instrumentenbau oder zur Verwandlung des kunsthistorischen Museums in ein begehbares Klangobjekt. Reizen dich derlei Projekt auch für deine kompositorische Arbeit?

Wolfram Schurig: Es gibt Produktionen, die sind interessant, aber mich als Komponisten reizen derlei Projekte nicht. Mich interessiert immer noch das Abarbeiten eines Kunst- und Werkbegriffs. Ich finde das kulturell extrem wichtig und eigentlich umso wichtiger, je mehr sich alles diversifiziert. Auch dieser momentane Wahn des Performativen geht mir auf die Nerven. Beispielsweise wenn jemand eine Geige nimmt und damit Geräusche macht, die man mit einer Schuhschachtel auch fabrizieren könnte. Ich sehe darin keine Dialektik, das ist für mich eine Beleidigung für eine kulturelle Leistung. Ich für mich muss einen Standpunkt definieren und den kann ich nicht dadurch finden, indem ich mich permanent „entgrenze“.

Derlei Spiele mit dem Klang und der Entgrenzung des Klanges sind derzeit im Musikbusiness aber en vogue.

Wolfram Schurig: Diese Dinge können sehr schlau ausgedacht sein, sie müssen keineswegs langweilig sein, aber sie sind wie Bulldozer und missachten Jahrhunderte von Know-how aus der Kunst des Instrumentenbaus. Ich liebe die Instrumente, für die ich schreibe, auch wenn ich sie selbst nicht spiele und ich behandle sie auch so. Das gilt auch für die Spieler. Vielleicht empfinden sie das manchmal nicht gleich so, aber meistens schaffe ich es, sie davon zu überzeugen. Deshalb freue ich mich auch über die langfristige Zusammenarbeit mit Musikern und Ensembles.

Singen als kunstvolle Form des Sprechens

Du hast schon öfters betont, dass dich vermehrt die Vokalmusik interessiert. Was fasziniert dich an der menschlichen Stimme und welche Pläne hast du?

Wolfram Schurig: Das, was bei mir als Komponist im Kopf brodelt und bis zu dem Moment der Aufführung immer abstrakt ist, erlebt noch einmal eine Steigerung an Intensität, wenn es gesungen wird. Mich fasziniert die Vokalmusik, das merke ich immer mehr, das Singen an sich und keine Art von Stimmakrobatik. Das Singen ist eine kunstvolle Form des Sprechens, ich komme aus der Alten Musik, wo das Sprechende auch in einem rhetorischen Sinne verstanden wird.

Welche Rolle spielen zugrundeliegende Textinhalte dabei?

Wolfram Schurig: Der Text bietet weitere Inhalte, die nicht von mir kommen. Dass ich mich nicht nur an meinen eigenen Gedanken und Vorstellungen reibe, sondern auch an einem Text, den ich interpretiere, reizt mich.

Hast du auch schon daran gedacht, Lieder zu komponieren?

Wolfram Schurig: Für mich wäre die Komposition eines Liedes eine gute Möglichkeit, mich mit der solistischen Männerstimme auseinander zu setzen. Da hätte ich ein Büschel an Gedichten auf Lager, die keine Frau singen kann, weil so nur ein Mann denkt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Termin:

Freitag, 27. November 2020, 19:30 Uhr
Wien modern, Wiener Konzerthaus
Phace plant, das Konzert auf Video zu produzieren und zum angekündigten Konzerttermin kostenlos über Stream zugänglich zu machen.
Ensemble Phace, Nacho de Paz (Dirigent), Markus Sepperer (Oboe)
Werke von J.M. Staud, W. Schurig, K. Saariaho, I. Schiphorst und F. Bedrossian

Link:
Wolfram Schurig (Musikdokumentation Vorarlberg)