Die INITIATIVE URHEBERRECHT ÖSTERREICH lud zu ihrer zweiten Jahreskonferenz mit den Schwerpunkt-Themen generative künstliche Intelligenz (KI), gemeinsame Vergütungsregeln (GVR) und Streaming. Mit klaren Forderungen und zuversichtlich stimmendem Ausgang. Von Markus Deisenberger
Dass etwas passieren muss, liegt auf der Hand. Derzeit wird das massenhafte Eingreifen in bestehende Urheber- und Leistungsschutzrechte zwecks Generierens von Daten für die KI nicht abgegolten. In den USA werden deshalb bereits etliche Musterprozesse geführt mit dem Ziel, eine angemessene Vergütung sicherzustellen. In Europa zögert man noch, aber schon bald werden auch hier Musterprozesse folgen bzw. wurde ganz aktuell seitens der GEMA eine Klage eingereicht. Dazu gleich.
Eingangs präsentierten Pascal Sierek in Vertretung von Tim W. Dornis (Leibniz Universität Hannover) und Sebastian Stober (Universität Magdeburg) eine von der GEMA beauftragte Studie mit dem Titel „Urheberrecht und Training generativer KI-Modelle“, in der sowohl die juristischen als auch die technischen Grundlagen beleuchtet wurden. Die herrschende Meinung, so Sierek und Stober, gehe davon aus, dass Text- und Data-Mining (kurz: TDM) nicht in Uhreberrecht eingreife, weil nur Daten analysiert würden.
Zur Erinnerung: In der DSM-Richtlinie 2019 wurde eine Ausnahme von der grundsätzlichen Vergütungspflicht für Text- und Data-Mining vorgesehen. Vereinfacht gesagt, ist die zum Zwecke des Text- und Data-Minings vorgenommene Vervielfältigung oder die Entnahme von rechtmäßig zugänglichen Werken eine freie Nutzung. Erst in letzter Sekunde und als Kompromiss wurde damals in die Richtlinie eingefügt, dass auch kommerzielle Anbieter von dieser freien Werknutzung Gebrauch machen könnten.
Technisch, so die Autoren, handle es sich bei Eingabe ganz klar um eine Vervielfältigung. Und anhand der Ausgabe lasse sich nachvollziehen, was „drinnen“ ist und durch die Eingabe getriggert wird. Am Beispiel des Harry-Potter-Bestsellers machten die beiden klar, worum es geht: Fragt man etwa ChatGPT, ob sie das erste Kapitel von Harry Potter wiedergeben könne, verneint sie zwar, was darauf schließen lässt, dass entsprechende Filter gesetzt wurden, die eine konkrete Nachvollziehbarkeit verhindern. Aufgrund der Tatsache aber, dass man sich das erste Kapitel in einer genauen Zusammenfassung liefern lassen kann, ergebe sich, dass das Werk entgegen des ersten Anscheins zu Trainingszwecken eingespeist worden sein muss. Eine Inhaltsangabe könne nur geben, wer das Werk kennt. Der Umstand, dass die Inhaltsangabe korrekt ist, schließt auch die alternative Möglichkeit aus, die KI hätte nur halluziniert bzw. die Lücke eigenmächtig geschlossen.
Die Datenverarbeitung erfolge dabei allerdings völlig anderes als bei TDM, so die beiden Vortragenden. Schon durch die Tatsache, dass ich einer KI auftragen könne, einen bestimmten Stil nachzuahmen, ergebe sich ein klarer Unterschied.
Außerdem könne der Gesetzgeber zum Zeitpunkt der DSM-Richtlinie noch keine Ahnung von der disruptiven Kraft künstlicher Intelligenz gehabt haben. Hätte er das erst später populär gewordene Phänomen vorhergesehen, hätte er entsprechend klargestellt, dass TDM nicht für KI gilt.
Dem entgegen steht die derzeitige Auffassung der Kommission, deren Rechtsabteilung in einer konkreten Anfrage (siehe auch folgender Artikel zur Künstlichen Intelligenz) festhielt:
„Newly created Text and Data Mining exceptions provided for in Articles 3 and 4 of the Directive (EU) 2019/790 on copyright and related rights in the Digital Single Market is the most relevant exception that could apply to AI“. Die Kommission hält entgegen der Auffassung des Gutachtens die Ausnahme also für anwendbar – mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
Zusammenfassen lassen sich die Ergebnisse der Studie abschließend folgendermaßen:
- Generatives KI-Training ist eine urheberrechtlich relevante Vervielfältigung.
- Das Angebot von KI-Dienstleistungen greift in das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ein.
- Nationales Urheberrecht findet Anwendung.
- Nationale Gerichte sind international zuständig. Die Studie eröffnet daher die Möglichkeit, in Europa zu klagen.
Anschließend wies Matthias Hornschuh (Sprecher der deutschen Initiative Urheberrecht) in gewohnt launiger Manier auf den problematischen “Solutionism” in den Medien hin, wo uns die neue Technologie immer wieder als der Heilsbringer schlechthin verkauft werde. Die Technologie aber, so Hornschuh, werde kein Problem lösen, sie sei nur ein Werkzeug. Die Lösungen müssten wir schon selber erarbeiten.
„Wir Urheber:innen müssen auf unser Recht pochen und dürfen uns nicht gefallen lassen, dass wir als Technologiefeinde bzw. Gegner der Innovation in Stellung gebracht werden.“
Ein Thema fehle ihm in der bisherigen Diskussion völlig, nämlich das der Nachhaltigkeit. Wenn schon für das Generieren nur eines BiIdes mittels KI-Tool Energie im Ausmaß der halben Ladung eines Smartphones benötigt werde, wie jüngste Erkenntnisse zeigen, müsse man sich vor Augen führen, von welchen gewaltigen Mengen Energie wir hier sprechen.
Klage der GEMA gegen OpenAI
Im vorletzten Satz der Studie, so Hornschuh, sei von Enteignung die Rede, und genau das passiere gerade. (Der deutsche Wissenschaftsjournalist Yogeshwar hat mehrfach noch drastischer vom „größten Diebstahl der Menschheitsgeschichte“ gesprochen, u. a. hier).
Die großen Big-Tech-Konzerne hätten längst zugegeben, gegen den Grundvorbehalt der GEMA verstoßen zu haben. Anderes anzunehmen wäre auch einigermaßen absurd angesichts der Tatsache, dass Maschinen, die Daten einlesen, auch fähig sein müssten, einen schriftlich formulierten Vorbehalt zu erfassen und sich danach zu verhalten. In den USA seien bereits 35 Klagen anhängig, in Deutschland bislang lediglich zwei.
Erst tags zuvor habe die GEMA-Klage gegen OpenAI eingereicht, also eine auf Unterlassung, Auskunft und Festsetzung einer Schadenersatzpflicht gerichtete Klage vor dem Landgericht München eingebracht. Nachdem eine Abmahnung mit Fristsetzung ausgesprochen wurde, OpenAI diese Frist aber ungenutzt verstreichen ließ, wurde am 13. November 2024 Klage eingereicht, so die Fakten.
Hornschuh forderte eine Zustimmungs- und eine Vergütungspflicht für den Input und eine entsprechende rechtliche Zuordnung des Outputs. „Es gilt als Unrecht zu sanktionieren, was Unrecht ist.“ Er forderte: Lizenzierung, Rechtsverteidigung und Regulation. Input wie Output müssten berücksichtigt werden, und auch der Schutz des Persönlichkeitsrechts müsse sichergestellt werden.
Zur Klage der GEMA erklärte Hornschuh: Es gehe dabei nicht darum, etwas zu verbieten oder zu verunmöglichen, sondern darum, eine Verkehrsordnung zu schaffen, die einen rechtmäßigen Umgang damit ermöglicht.
Gesetzesentwurf der Initiative
Danach stellte Rechtsanwalt Michel Walter einen von der Initiative erarbeiteten Gesetzesentwurf für neue kollektive gesetzliche Vergütungsansprüche vor. Daran, dass die gesamte Weltliteratur längst eingescannt wurde, könne kein Zweifel bestehen, sagte Walter. „Wenn wir auf Vergütung rauswollen, braucht es ein starkes Urhebervertragsrecht und einen direkten Vergütungsanspruch.“ Entgegen der Ergebnisse der präsentierten Studie hält er TDM für anwendbar. Der von ihm unter Mithilfe anderer Juristen ausgearbeitete Gesetzesentwurf geht daher von der Anwendbarkeit des TDM aus. Das Training zu Forschungszwecken sei eine freie Werknutzung, die kommerzielle müsse durch einen Direktvergütungsanspruch („ein Steckenpferd der Initiative Urheberrecht“) kompensiert werden. Der Output stelle eine völlig neue Nutzungsart dar, die als solche auch zu benennen sei.
Im Anschluss kritisierte er den hohen Anspruch, den der Gesetzgeber an die Repräsentativität stelle und die mangelnde Bereitschaft, sich darauf auf Nutzer:innenseite in Verhandlungen einzulassen. „Wieso sollten sie auch? Sie sind ja mit den individuellen Regelungen bislang gut gefahren.“ Die gesetzliche Regelung sei nicht nur deshalb mangelhaft. Auch das Fehlen einer Sanktionierung des etwaigen Nichteinlassens auf Verhandlungen sei ein Problem. Selbst wenn es Verhandlungen gibt, sei nicht geregelt, was passiert, wenn die Verhandlungen scheitern. „Es gibt zwar eine Schlichtungsstelle, aber keine klare Regelung.“
RA Oliver Ertl stellte darüber hinaus klar, dass es flankierend ein starkes Urhebervertragsrecht brauche. Trotz intensiver Bemühungen sei es nie gelungen, ein solches zu schaffen. Dass Nutzer:innen und Verwerter:innen gleichzeitig in der AKM sitzen, gehe seiner Ansicht nach in den Bereich des Absurden.
Peter Tschmuck, der am Institut für Popularmusik der mdw–Universität für Musik und darstellende Kunst Wien schwerpunktmäßig zu Musikwirtschaft, Musikökonomie und Kulturpolitik forscht und lehrt, fasste im Anschluss daran die Erkenntnisse aus aktuellen Studien zu Streaming-Ökonomie zusammen. Der Boom habe 2016 so richtig eingesetzt, so Tschmuck. Heute stammen die Einnahmen in der Musikindustrie bereits zu 67,3 % aus so genannten „Subscription-Modellen“. Der physische Markt liege dank des Vinyl-Booms immer noch bei erstaunlichen 17,8 % Anteil. Der Download sei in Richtung wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit unterwegs. Spotify sei zwar ein über Jahre hinweg defizitäres Modell gewesen, 2023 habe man allerdings erstmals Rekorderlöse in Höhe von 669 Mio. US-Dollar generiert, und auch für 2024 würden Rekordgewinne (um die 900 Mio. US-Dollar) erwartet.
The winner takes it all
Für Musiker:innen ergibt sich aber ein massives Ungleichgewicht: Die, die viel gewinnen, sind nur 0,03 %, während das Durchschnittseinkommen bei 14.400 (Intepret:innen) bzw. 14.600 Euro (Urheber:innen) liege. Von 1 Mio. Streams landen nur 11,25 % bei Urheber:innen, wobei sich für Bands durch nochmalige Teilung natürlich noch schlechtere Zahlen ergeben.
Die vorgestellte Studie („Music Creators’ Earnings in the Digital Era“ von David Hesmondhalgh, Richard Osborne, Hyojung Sun and Kenny Barr) habe laut Tschnmuck ganz klar das Prinzip herausgearbeitet, nach dem die derzeitige Streaming-Ökonomie funktioniert: „The winner takes it all“. Dazu komme die desaströse Wirkung der Pandemie („eine Katastrophe, die immer noch anhält“), was zur Folge habe, dass nur 18 % der Musiker:innen mehr als 20.000 Euro jährlich verdienen.
In einem weiteren Teil stellte er der derzeit zur Anwendung gelangenden Pro-Rata-Abrechnung von Streams alternative Abrechnungsmethoden (wie etwa die User-Centric-Methode) gegenüber. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass vom derzeitigen System nur Spitzenverdiener:innen profitieren. Eine Umstellung (auf eine alternative Berechnungsmethode, insbesondere die nutzer:innenzentrierte) würde zu einer Umverteilung führen. „Entsprechende Modelle gibt es, sie kommen nur nicht zur Anwendung.“
Getoppt werden die von Tschmuck vorgestellten Ergebnisse noch von einer GEMA-Studie, die von einer prozentuellen Beteiligung der Urheber:innen an durch Streaming erzielten Einnahmen von lediglich 8,7 % (und damit deutlich weniger als in der englischen Studie festgehalten) ausgeht. Zahra Mani, Vize-Präsidentin der European Composer & Songwriter Alliance (ECSA) schildert einen Fall, wo für 14 Mio. Streams nur 352 Euro lukriert wurden. Die Anhebung der Streaming-Entgelte von 9,99 auf 10,99 Euro habe nicht einmal die Inflation abgefedert. Sie forderte höhere Einnahmen und eine massive Umverteilung.
Selbst die (von Peter Tschmuck präsentierten) Zahlen hielt Musiker Klaus Waldeck im Anschluss für realitätsfern bzw. würden sie in der Realität noch deutlich unterboten, so Waldeck. Würden die Zahlen so stimmen wie präsentiert, „müsste ich eigentlich mit dem Porsche vorgefahren sein. Bin ich aber nicht.“ Er habe vor dreizehn Jahren wesentlich mehr verdient als heute, so der Musiker und ehemalige Urheberrechtsanwalt. Waldeck warnte auch davor, Labels gegen Urheber:innen auszuspielen. In seinem Beispiel sei das geradezu absurd, weil er gleichzeitig Label und Urheber sei.
Mit den Playern anlegen!
In einem abschließenden Teil wurden Vertreter:innen der Politik mit in die Diskussion einbezogen. Zunächst gab Doris Wolfslehner vom BMKOES (Abteilung IV) aber noch ein Statement des Kunst- und Kulturministeriums ab, in dem sie ein Stimmungsbild der derzeitigen Entwicklungen innerhalb der EU zu zeichnen versuchte. Die TDM-Schranke werde dort für anwendbar gehalten. Rechtlich sei das vom EUGH freilich noch zu klären. Die neue Digital-Kommissarin Henna Virkunnen habe betont, dass es eines Lizenzmodells für KI-Nutzung bedürfe und dass eine angemessene Vergütung der Urheber:innen sicherstellt werden müsse.
Abschließend diskutierten Henrike Brandstötter (Mediensprecherin der NEOS), Agnes Sirkka Prammer (Justizsprecherin der GRÜNEN), Selma Yildirim (Justizsprecherin der SPÖ) diskutierten mit Eva-Maria Bauer (Präsidentin des ÖMR), Sandra Csillag (Geschäftsführerin der Literar Mechana) und Gerhard Ruiss (Präsident der IU_AT).
Dass sich die österreichische Situation am Vorabend der Aufnahme von konkreten Koalitionsverhandlungen als eine abwartende präsentierte, war dabei wenig überraschend. Große Zugeständnisse durfte man sich aufgrund der noch unsicheren politischen Entwicklung nicht erwarten, niemand wollte den anstehenden politischen Änderungen vorgreifen.
Überraschend war allerdings die Bereitschaft zur Selbstkritik: Es sei ihr aufgefallen, wie wenig Fachwissen Politiker:innen haben (Yildim). Und erfreulich war auch die unisono bekundete Gesprächsbereitschaft. Es brauche ein Urhebervertragsrecht (Yildirim), wenn auch keine Überregulierung (Brandstötter). Und Warten auf Urteile sei nicht die Form, wie man Politik machen sollte (Prammer). Es brauche Initiative, und man müsse sich auf europäischer Ebene mit den Playern anlegen (Prammer).
Die Politiker:innen betonten mehrfach die Bereitschaft, das Gespräch mit Vertreter:innen der Initiative und Interessensvertretungen aufzunehmen, was alle Anwesenden goutierten, weil das nicht immer so gewesen sei (Csillag). Im Gegenteil: „Wir haben die Ansprechpartner:innen verloren.“ Aus ihrer Sicht brauche es ein starkes Urhebervertragsrecht und die Sicherstellung einer angemessenen Vergütung. Es benötige den Mut, ein Gesetz zu erlassen, so die Urheberrechtsvertreter:innen. Nichtstun sei angesichts der nicht gerade rosigen politischen Entwicklungen in den USA keine Option.
Also: Die Forderungen der Initiative Urheberrecht liegen auf dem Tisch, flankiert sogar durch einen konkreten Gesetzesvorschlag. Die Politik will, das hat sie ausdrücklich bekundet. Wenn eine Regierung steht, wird man die politischen Kräfte vielleicht an die signalisierte Bereitschaft zur Diskussion erinnern müssen, um die derzeitige Schieflage (was die mangelhafte Vergütung für Streaming, aber auch die völlig fehlende Vergütung für KI-Nutzung betrifft) wieder gerade zu rücken.
Markus Deisenberger
Links:
Initiative Urheberrecht, AT
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