MATTHIAS HORNSCHUH, deutscher Filmkomponist und Sprecher der Kreativen der deutschen Initiative Urheberrecht, warnt eindringlich vor den Auswirkungen ungeregelter KI auf Kunst und Gesellschaft. Markus Deisenberger sprach mit ihm über den Minimal-Konsens des AI-Acts und den drohenden Gesamtverlust. Ein Gespräch, das um die zentralen Fragen kreist: Wie bedrohlich ist KI für Urheber:innen? Wie adaptieren wir uns? Oder müssen wir ihr etwas entgegensetzten, und wenn ja, was genau? Auf Teil 1 folgt nun Teil 2 über Marktversagen, die Zerschlagung von Tech-Konzernen und darüber, ob Journalist:innen und andere Berufsgruppen um ihre Jobs fürchten müssen.
Lassen Sie uns über das Marktversagen sprechen. Es gibt ja schon deutliche Anzeichen dafür, dass der Markt versagt angesichts der aberwitzigen Masse an Werken, die in ihn reingespült wird.
Matthias Hornschuh: Sie sagen es. Wir haben im Bereich Musik im Jahr 2022 noch ungefähr 70.000 neu veröffentlichte Tracks pro Tag gehabt. Global. Das allein ist schon atemberaubend. Spotify hat ungefähr 200 Millionen Aufnahmen in seinem Repertoire. Nach aktuellem Stand kommen inzwischen ca. 100.000 und 120.000 mehr dazu – pro Tag. Das bedeutet, dass immer mehr Anspruch auf Teile dieses Kuchens angemeldet wird.
„Dass wir es uns leisten können, weniger nachgefragtes, aber dafür hochwertiges, avantgardistisches Material zu unterstützen, liegt nur daran, dass wir die Liquidität dafür haben.“
Erklärt sich der Mengenzuwachs durch KI-erzeugtes Material?
Matthias Hornschuh: Nicht nur. Produktionsmittel sind inzwischen so niederschwellig verfügbar wie Vertriebskanäle. Das ist das, was immer mit dem Begriff der Demokratisierung verbunden wird.
Musikschaffende stehen vor dem Dilemma, dass sie eine heikle Balance zwischen Live- und Recorded-Einnahmen herstellen müssen. Aber wir haben keine Tragfähigkeit mehr für recorded Music, sobald sie mal online ist. Es kauft kaum noch jemand CDs, viel zu wenige kaufen Vinyl. Wir haben bei Film, Foto, Grafik und Illustration ganz ähnliche Situationen. Im Bereich der Fotografie ist es unheimlich schwierig, noch davon gut leben zu können, weil die Anzahl von Bildern so immens gewachsen ist. Und jetzt kommt noch „Promptography“ hinzu: Auf Knopfdruck kann KI Bilder von Ereignissen herstellen, die nie stattgefunden haben, deshalb nicht belichtet werden und nicht Fotografie sein können.
Was die Politik nicht versteht und die Öffentlichkeit noch viel weniger, das ist, dass es nicht egal ist, sondern ausgesprochen heikel, wenn der niederschwellige Massenmarkt ins Wackeln gerät, denn auf dem ruht die Liquidität des Gesamtsystems.
Als Komponist lebe ich fast ausschließlich von GEMA-Tantiemen, also von Nutzungsvergütungen aus dem Urheberrecht, die über eine Verwertungsgesellschaft abgerechnet werden. Die GEMA in Deutschland – und das ist bei der AKM in Österreich nicht anders – kann sich als Verein und Treuhänder unserer Gelder nur dann wirtschaftlich tragen, wenn sie Pauschaleinnahmen hat, die niemandem individuell zugeordnet sind. Mit denen wird ein Stück der Verwaltungskosten und des Overheads einfach abgefedert. Wenn die Liquidität, die durch solche nicht personenbezogenen Pauschaleinnahmen generiert wird, wegbricht, kann man plötzlich nicht mehr gestalten. Man kann sich etwa nicht mehr erlauben, die Einnahmen in den Bereichen nutzungsbezogen zu verteilen, in denen der Nutzungsbezug nur teuer zu ermitteln ist. Das sind Probleme hoher Komplexität.
Dass wir es uns leisten können, weniger nachgefragtes, aber dafür hochwertiges, avantgardistisches Material zu unterstützen, liegt nur daran, dass wir die Liquidität dafür haben.
Das heißt, die Diversität steht direkt auf dem Prüfstand?
Matthias Hornschuh: Absolut. Diese Entwicklungen haben direkte Konsequenzen für kulturelle und mediale Vielfalt, für Ausdrucks- und Meinungsvielfalt.
Gernot Schödl (Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft VdFS und Vorstand der Initiative Urheberrecht Österreich) hat in seinem Vortrag von Marginalisierung und Bagatellisierung von Kunst als gesellschaftlichem Phänomen gesprochen.
Matthias Hornschuh: Ich fand schön, dass er das gesagt hat und wie er es gesagt hat. Ich hätte es vielleicht sogar noch drastischer formuliert. Ich neige eher zum Begriff Vulgarisierung. Ein Begriff, bei dem ich schnell Schaum vor dem Mund kriege, ist etwa „AI-Art“. Eine Dose kann keine Kunst machen. Die will nichts, die kennt nichts, die mag nichts, die hasst nichts. Die hat keine Bauchschmerzen und auch keine Gänsehaut. Die hat sich in ihrem ganzen Leben über nichts gefreut. Was also soll ich mir von ihr erzählen lassen? Worüber?
Jetzt kann man einwenden: Menschen halten das aber womöglich für Kunst. Stimmt. Doch darauf würde ich erwidern: Wir müssen die Ebenen von Produktion und Rezeption unterscheiden. Ganz grundsätzlich. Ob Menschen im Zuge der Rezeption für sich entscheiden, etwas schön zu finden, hat keine Bedeutung für die Betrachtung und Bewertung der Produktionsprozesse.
Auch da haben wir ein diskursives Problem: Offensichtlich sind Teile der Gesellschaft nicht mehr bereit anzuerkennen, dass Kunst zu schaffen etwas mit Arbeit zu tun hat und damit, etwas zu leisten und nicht zuletzt: etwas zu meinen. Dass Kunst zu schaffen Sinnstiftung bedeutet und etwas qua Definition Menschliches ist.
In vielen juristischen Vorträgen der letzten Monate bekam ich das Pissoir von Duchamp und die „Fettecke“ von Beuys präsentiert. Hier in Wien hieß es, das sei „Anschaffen, nicht Schaffen“. Das ist eine Vulgarisierung von Kunst, die Reduktion auf ihre Oberfläche, weil die Kontextualisierung und das Herstellen eines Moments der Reflexion, das Prägen eines Diskurses schlichtweg ignoriert wird. Warum reden wir denn heute noch über Beuys und Duchamp? Weil sie Bedeutung und Sinn für die Gesellschaft gestiftet haben und nicht, weil sie irgendwo ein Klo hingelegt haben.
Die Vulgarisierung passiert dann, wenn wir die Kunst auf das rein Materielle herunterbrechen?
Matthias Hornschuh: Ja, weil sie nie das rein Materielle ist. Und das hat übrigens überhaupt nichts mit der Frage nach Schönheit zu tun.
Sie haben mehrfach gesagt, man müsse die Tech-Konzerne zerschlagen. Warum?
Matthias Hornschuh: „Big-Tech muss weg“ lautet der Titel eines Buches von Martin Andree, das sich mit den monopolistischen Strukturen von Technologie-Großkonzernen befasst, die die öffentlichen Räume der Gesellschaft unterhalten ohne sich deren Regeln zu unterwerfen.
Ich selber habe vor einigen Jahren einen Aufsatz über die digitale Feudalisierung kulturellen Schaffens geschrieben. Da geht es genau um dieses Thema: Was geschieht, wenn Marktteilnehmer:innen zu Marktanbietern werden, was, wenn wir Unternehmen aus der Haftung raushalten. Angesichts der Tatsache, dass wir es bei generativer KI mit einer Technologie zu tun haben, die Desinformations-Tools für jede:n demokratisiert, halte ich die Haftungsprivilegierung der Diensteanbieter für fatal und extrem folgenreich.
Auch beim AI-Act sind aber wieder Privilegierungen vorgesehen. Es gibt generative Systeme im Open-Source-Bereich, die außerordentlich gut dazu in der Lage sind, Kinderpornografie herzustellen, ohne Kinder zu missbrauchen. Das klingt zynisch, aber rechtlich ist das so zu bewerten. Wer eine entsprechende Neigung hat, kann plötzlich seinen Neigungen nachgehen, ohne sich strafbar zu machen. Das resultierende Problem ist nun ein handfestes: Das Netz wird gerade geflutet mit solchen Inhalten. Die werden in einer solchen Quantität ins Netz reingedrückt, dass die Ermittlungsbehörden mit ihren automatisierten Systemen zur Erkennung strafbarer Inhalte scheitern. Plötzlich kann man die Straftaten nicht mehr ermitteln, weil man sie in der Flut der Inhalte nicht mehr entdecken kann. Wir haben viele solche Themen, und immer wieder wird uns gesagt, wir sollen uns nicht so anstellen und nicht so dystopisch sein. Ich bin aber gar nicht dystopisch. Mir geht es darum, was heute geschieht. Wir beschreiben einfach nur, was da ist. Was es gibt. Wir wollen keine Fahrverbote, sondern eine Verkehrsordnung. Darauf hat Robert Habeck übrigens geantwortet: „Wenn man das überreguliert, haben wir die besten Verkehrsvorschriften, aber keinen Verkehr auf der Straße.“ Was er verkennt, ist: Man baut keine Straßen, um Straßen oder Verkehr als Selbstzweck zu haben, sondern um Menschen und Güter, die irgendwohin wollen oder sollen, zu ihrem Ziel zu bringen. Und das möglichst unversehrt. Es muss immer um die Menschen gehen.
Martin Andree sagt, wir müssen die großen Plattformen zerschlagen, denn die diktieren uns über AGB die Bedingungen unserer öffentlichen Räume. Das sage ich seit Jahren in meinen Vorträgen, und die Leute rollen mit den Augen, weil sie das so abstrakt finden. Das ist überhaupt nicht abstrakt. Man hätte sich vor dreihundert Jahren einmal auf den Marktplatz stellen sollen und dort gestohlenes Zeug verkaufen oder eine politische Rede halten, ohne eine Genehmigung dafür zu haben. Oder gehen Sie heute einmal Ihren Geschäften auf dem Markt nach, ohne die Standgebühr zu bezahlen. Auch das wird nicht gutgehen: Öffentliche Räume sind reguliert. Nicht zuletzt deshalb, weil man so Meinungsfreiheit und -vielfalt gewährleistet. Noch einmal: Es geht nicht darum, etwas zu verbieten, sondern etwas zu bewahren, das bewahrenswert ist.
Google, Microsoft und Co. sind Unternehmen, die über Vertriebsstrukturen verfügen, die aber auch selbst Inhalte produzieren. Dadurch können sie irgendwann die lizenzierten Inhalte rausdrängen und den Markt übernehmen. Das kann man nicht wollen. Denn es widerspricht allen Vielfalts- und Wettbewerbsvorgaben. Das sieht man jetzt und da könnte man etwas dagegen tun. Wenn man das laufen lässt, ist es irgendwann zu spät, weil die Disruption längst erfolgt ist.
Welche Politiker:innen erreichen Sie mit diesen Argumenten?
Matthias Hornschuh: Unionspolitiker sind dafür eigentlich ganz gut zu haben, weil sie an die Idee von Wettbewerb und Wettbewerbsrecht glauben. Ich tue mich mittlerweile aber schwer damit, festzustellen, welche Partei kunstnah oder -fern ist, weil ich gelernt habe, dass es in fast allen Parteien, mit denen wir reden, Expert:innen gibt, die uns verstehen und uns ernst nehmen. Die Fachpolitiker:innen, die sich mit Kultur und Medien auseinandersetzen, haben aber Probleme damit, ihre Fraktionen auf Linie zu bringen.
Ein Problem ist auch die Mandats- und Ressorttrennung. Digitale Entwicklungen sind konvergent, doch wir bleiben den alten Zuständigkeiten und Ressorts verhaftet.
Dieses Granularitätsproblem gibt es übrigens auch beim politischen Umgang mit Kunst und Kultur. Wenn wir den Bereich genau benennen wollten, der zum Opfer des KI-Trainings wird, müssten wir über Kreativwirtschaft sprechen, über die Kultur im engeren Sinne, und schließlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Diese drei Systeme werden nie in einer gemeinsamen Empirie abgebildet. Deshalb reden wir auch nie über den Gesamtverlust, der droht.
Doch allein die kreativwirtschaftlichen Kennzahlen zeigen uns in Deutschland über 170 Milliarden Bruttowertschöpfung, zwei Millionen Beschäftigte und damit eine der drei größten Teilbranchen der Gesamtwirtschaft. Da ist, wie gesagt, die institutionelle Kultur noch gar nicht dabei und der öffentliche Rundfunk ebenso wenig. Und übrigens müsste man darüber nachdenken, ob nicht auch die Wissenschaft zu den Opfern gehört. Wie kann es dann sein, dass eine Bundesregierung nicht begreifen will, dass uns ans Messer zu liefern nicht nachhaltig sein kann?
Das lässt sich analog auf die österreichische Situation anwenden.
Matthias Hornschuh: Ganz klar, ja.
„In dem Zuge wird sich unsere Gesellschaft fundamental verändern.“
Was braucht es in Zukunft für ein tragfähiges System? Und was wird realistischerweise in den nächsten Jahren passieren?
Matthias Hornschuh: Nun, was es braucht, weiß ich, was passieren wird, hingegen nicht, weil wir nicht wissen, wer ins EU-Parlament gewählt wird, ob noch alle dabei sind, die wir kennen und denen wir trauen. Wer sich mit uns abgibt, läuft ja Gefahr, nicht wiedergewählt zu werden oder auf einem niedrigen Listenplatz zu landen. Das haben wir leider oft genug erlebt. Wir bräuchten jetzt ein Bekenntnis dazu, dass wir uns aus volkswirtschaftlichen, aber auch aus anderen Gründen bei der Markteinführung von künstlicher Intelligenz, insbesondere generativer KI, keinen Wild-West-Moment leisten können. Was wir uns auch nicht leisten können, ist auf KI zu verzichten, also einen KI-freien Raum zu etablieren. Das hat auch noch niemand gefordert, das wird nur immer unterstellt.
Wir werden einen Umgang mit KI finden, egal was kommt. Die Transformation wird uns unendlich viel kosten, etwa im Bereich Beschäftigung, das heißt, der Preis für die Substitution wird hoch sein, und sie wird einen Kulturwandel vorantreiben, der Tendenzen zur Stereotypisierung und Geringschätzung von Kunst aufweist. In dem Zuge wird sich unsere Gesellschaft fundamental verändern.
Und da haben wir noch gar nicht über Journalismus und die Verständigung darüber gesprochen, was (noch) Wahrheit ist und dass Urheberschaft automatisch und unabtretbar bedeutet, dass man für die Inhalte haftet, die man geschaffen hat. Jetzt haben wir aber die Situation, dass wir generierte Bilder aus Kriegsgebieten auf den Tisch kriegen und nicht im ersten Moment intuitiv wissen, was ein Fake ist und was nicht, weil nicht jedes dargestellte Opfer sechs Finger hat. Es stellen sich Fragen, die wir bislang nicht kannten. Wir befinden uns mitten in einem Transformationsprozess, der sich gewaschen hat, und ich bin nicht sicher, wie schnell das politische System lern- und adaptionsfähig ist. Wir haben in Europa auch mit relativ vielen rechtspopulistischen Regierungen zu tun, die oft gar nicht so viel Interesse haben, dass jemand unbequeme Wahrheiten verbreitet und die durchaus autoritäre Zugriffswünsche haben. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass gerade generative KI diesen Tendenzen in die Hände spielt. Was wir brauchen? Wir müssen einpreisen. Das ist im Vergleich zu allen hochfliegenden Gedanken natürlich trivial, aber: Preisschilder drankleben!
„Wir befinden uns mitten in einem Transformationsprozess, der sich gewaschen hat, und ich bin nicht sicher, wie schnell das politische System lern- und adaptionsfähig ist.“
Wir haben bei der KI ja drei Bereiche: Einmal werden Werke zu Trainingszwecken einverleibt. Das ist sehr wahrscheinlich eine Vervielfältigung im urheberrechtlichen Sinne. Dann haben wir eine Black Box, wie Sie es nennen, einen Vorgang, der mit Wahrscheinlichkeit zu tun hat, mit Statistik etc. Und als dritten Schritt haben wir einen generativen Prozess, eine Nachahmung. Wieso eigentlich nur entweder an der einen oder an der anderen Stelle andocken und einpreisen? Wieso nicht an mindestens zwei Stellen: An der Vervielfältigung und bei der Nachahmung?
Matthias Hornschuh: Ganz genau das sollten wir tun.
Kann uns ein bedingungsloses Grundeinkommen helfen?
Matthias Hornschuh: Wir haben in Europa, insbesondere in Deutschland intensive Debatten über ein bedingungsloses Grundeinkommen gehabt. Ich habe diese Diskussionen immer als problematisch empfunden, sobald sie im Umfeld der Kultur geführt wurden. Immer wieder waren Leute dabei, die sagten: „Hört doch mit dem Urheberrecht auf und gebt uns lieber ein bedingungsloses Grundeinkommen!“ Das Bekenntnis zu dieser Idee war bei vielen Künstler:innen also oft mit der Bereitschaft verbunden, von einem Rechtsanspruch auf eine Vergütung für geleistete Arbeit bzw. Werknutzungen zurückzutreten. An der Stelle werde ich sehr rigide. Da muss ich sagen: Diskutiert das woanders, nicht auf einer Kulturveranstaltung.
Wieso?
Matthias Hornschuh: Weil das eine Diskussion ist, die wir gesamtgesellschaftlich führen müssen und nicht in einem Teilbereich, der sich damit automatisch aus dem Erwerbsleben schießt und sich selbst aufgibt. Hier ist die Menschenwürde tangiert. Der erste Satz des deutschen Grundgesetzes lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich bin nicht der Einzige, der der festen Überzeugung ist, dass auf Vergütungsansprüche zu verzichten und damit seine Erwerbsvergütung abzugeben, eine Aufgabe des eigenen Anspruchs auf Menschenwürde ist. Im kulturpolitischen Zusammenhang hat das keinen Platz. Im gesamtgesellschaftlichen können wir das diskutieren.
Gerade aus Silicon Valley wird immer wieder ins Spiel gebracht, ob wir nicht ein bedingungsloses Grundeinkommen bräuchten, weil doch immer mehr automatisiert wird und möglicherweise irgendwann der Zeitpunkt erreicht sein könnte, an dem gar nicht mehr genug Erwerbsarbeit vorhanden ist, um die Menschen durch Arbeit ernähren zu können. Selbst Sam Altman [CEO von OpenAI, Anm.] hat vor einiger Zeit darüber geschrieben und eine solche Idee propagiert.
Was genau hat er gesagt?
Matthias Hornschuh: Er hat sinngemäß gesagt, dass wir über die Automatisierungsfortschritte durch KI so viel Overhead haben müssten, dass wir es uns doch leisten können, jedem Menschen ein Grundeinkommen zu zahlen. Und plötzlich ist die Technologie da, aber die Debatten sind verstummt. Wir haben aufgehört darüber nachzudenken, wie wir eine gesellschaftliche Verträglichkeit für den initialen Umgang mit dieser Technologie in der Gesellschaft herstellen können. Und dann wundern wir uns, dass Menschen Angst haben, ihren Job zu verlieren. Leute werden angegriffen dafür, dass sie angstgetrieben agieren. Gleichzeitig ist es so, dass die Angst nicht vom Himmel fällt.
Ich würde für uns in Anspruch nehmen, dass wir nicht angstgetrieben agieren, sondern uns mündig machen und Bewusstseinsarbeit betreiben. Ich habe vor der Technologie auch keine Angst, was meinen Beruf betrifft. Wenn ich als Komponist angeheuert werde, dann nicht als Automat, der so klingen soll wie jemand anderer, sondern man will meine Stimme hören. Ich soll mir einen Stoff zu Eigen machen, ihn inhalieren und dann dem Stoff eine Organität geben.
Andererseits ist aber doch auch die Verharmlosung fehl am Platz. Ich solle mir als Journalist keine Sorgen machen, hieß es. Mittlerweile gibt es erste KI-Journalist:innen. Anwält:innen bräuchten sich keine Sorgen zu machen, hieß es. Mittlerweile gibt es den ersten zwischen zwei KIs ausverhandelten Vertrag. Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass die Verharmlosung von heute morgen schon obsolet ist.
Matthias Hornschuh: Das stimmt, es ist schon fortgeschritten. Aber das alles passiert nicht voraussetzungslos. Das habe ich vorhin mit Stereotypisierung gemeint. Spotify und Netflix haben eine Dekade lang unser gesamtes Nutzungsverhalten gemessen, auch jedes kurze Zögern. Unser Verhalten ist ein Teil der Währung, indem jedes Verhalten einen Datenpunkt generiert. Die Daten, die über unsere Nutzung erhoben werden, insbesondere wenn wir etwas skippen oder wiederholen, werden genutzt, um auf die Produktion zurückzuwirken. Der nächsten Generation von Inhalte-Produzierenden wird vorgegeben, keine Intros zu machen, nach zwanzig Sekunden den ersten Refrain zu erreichen und keinen Song über drei Minuten zu machen etc. Wir haben es längst mit fortgeschrittener Stereotypisierung zu tun und an vielen Stellen eine generische Qualität erreicht, die der Akzeptanz generierter Inhalte Vorschub leistet. Womit wir wieder beim Diskurs wären: Wir müssen viel ernsthafter über die Dinge reden, ernsthafter überlegen, was die kulturellen und damit gesellschaftlichen Kosten sind.
„Unser Verhalten ist ein Teil der Währung“
Unser Verhalten ist Währung, jede Nutzung der KI ist Training und trägt dazu bei, dass das System besser darin wird, uns zu kopieren?
Matthias Hornschuh: Ja, und das wissen die wenigsten. Ich kenne viele, die von den Möglichkeiten der KI hellauf begeistert sind. Ich habe eine Freundin, die Designerin ist. Seit es Midjourney gibt, schläft sie kaum noch. Jemand, der sein Leben damit verbracht hat zu gestalten, hat plötzlich noch mehr Möglichkeiten zu gestalten. Leute allerdings, die nie irgendetwas gestaltet haben, konnten lange einen Künstlernamen wie Greg Rutkowski ins Prompting-Feld eingeben und bekamen tatsächlich irgendetwas in dessen Stil heraus.
Daher wäre zu überlegen, ob wir den urheberrechtlichen Werkschutz dahingehend verändern, dass wir uns von den bisherigen Parametern lösen. Matthias Leistner [Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Recht des Geistigen Eigentums mit Informationsrecht in München, Anm.] hat kürzlich in einem Vortrag darauf hingewiesen, dass es gar nicht kodifiziertes Recht ist, dass Stil, Methode und Konzept vom Werkschutz nicht umfasst sind, sondern Konvention und Richterrecht: die „geltende Meinung“. Genau die wird man überdenken müssen, weil die Maschinen im Wesentlichen in der Lage sind, genau das zu reproduzieren, und weil genau an dieser Stelle die Konflikte beginnen und womöglich der Markt der Zukunft liegt.
Es gab Anfang der 2000er Jahre einen interessanten Prozess, an dem ich auf Anwaltsseite beteiligt war, in dem sich österreichische Kabarettisten gegen die unerlaubte Verwendung ihrer imitierten Stimmen in einer Wahlwerbung der FPÖ wehrten. Dabei ging es nicht darum, dass in ihre Urheberrechte eingegriffen wurde, sondern – so unsere Argumentation damals – in ihr Persönlichkeitsrecht. In den USA gab es damals schon einen Schutz so genannter „Characters“, einer Fernsehfigur etwa wie Columbo oder Derrick. Die kann man nicht so einfach imitieren oder adaptieren. Wir mussten in Österreich damals bis zum Obersten Gerichtshof prozessieren, um etwas Vergleichbares zugestanden zu bekommen. Letztlich bekamen die Kabarettisten aber Recht. Das erinnert mich ein wenig an die jetzige Situation. Wenn jemand davon profitiert, eine Nachahmung so weit zu treiben, dass er das Werk zwar nicht völlig substituiert, aber dem doch täuschend echt nahekommt, muss das kompensiert werden.
Matthias Hornschuh: Das klingt sehr spannend. Es gibt einen Werbe-Clip der Bild-Zeitung mit Ausschnitten aus Bundestagsdebatten mit manipulierten Stimmen – nicht bildsynchron, und es wird auch darauf hingewiesen, dass es KI-generiert ist. Da werden aber bereits Grenzen spielerisch überschritten, und irgendwann hat sich dann etwas in der Wahrnehmung verändert und es ist nicht mehr spielerisch. Wenn Emma Watsons Stimme verwendet wird, um „Mein Kampf“ vorzulesen, hat das eine Wirkung. Das Buch steht in vielen Ländern auf dem Index – und sie kann nichts dagegen tun? Da wird eine junge, sehr politische Schauspielerin ihrer Stimme beraubt, um mittels Voice Cloning gerade dieses Buch vorzutragen. Das kriegen wir mit dem Urheberrecht nicht gegriffen; wir sind auf das Persönlichkeitsrecht zurückgeworfen. Das Recht an der eigenen Stimme ist einklagbar.
Da schließt sich ein spannender Gedanke an, der sich üblicherweise nicht in eine öffentliche Debatte verirrt hat: Wenn wir alle seit zehn, fünfzehn Jahren durch unser Gesamtverhalten ununterbrochen Daten produzieren, wir quasi Datenmaschinen sind, müssten die Unternehmen, die diese Daten nutzen, für diese Nutzung bezahlen. Die Idee, ob man nicht genossenschaftlich personenbezogenen Daten, die nie als zweite Währung eingepreist wurden, zu einem wirtschaftlichen Gut machen sollte. Diese Idee hat große Aktualität. Wenn wir uns tatsächlich auf das Zeitalter des Persönlichkeitsrechts zubewegen – und ich glaube, dass das ausweglos ist – müssen wir das einpreisen. Und dann werden wir, so wie im Urheberrecht, feststellen, dass der Schutz des Individuums im Kollektiv liegt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Markus Deisenberger
Links:
„WIR GEBEN UNS AUF“ – MATTHIAS HORNSCHUH IM MICA-INTERVIEW, TEIL 1
Matthias Hornschuh
Initiative Urheberrecht
2023: „DER SCHUTZ DES INDIVIDUUMS LIEGT IM KOLLEKTIV“ – BERICHT ZUR JAHRESKONFERENZ DER INITIATIVE URHEBERRECHT ÖSTERREICH
2019: „[…] EINEN MARKT ZURÜCKGEWINNEN, DER VERLOREN SCHIEN“ – MATTHIAS HORNSCHUH IM MICA-INTERVIEW: Teil 1 und Teil 2