mica-Interview mit Erich Urbanner

Die Frage des Treffpunkts des mica-Interviews, das Heinz Rögl mit ihm führte, beantwortete Erich Urbanner mit den Worten: „Ich bin ein Tiroler, gehen wir doch in das Café Tirolerhof“. Dort erzählte Urbanner, wie er nach Wien zum Musikstudium gekommen ist und beantwortete als Zeitzeuge viele Fragen, die mittlerweile bereits Musikgeschichte ausmachen  – in Darmstadt, Wien und in Tirol (Stichwort Jugendkulturwochen). Er hat sie mitgeprägt, ist hinzufügen, es ist ihm hier auch besonders zu danken, dass er das transkribierte Gespräch im Wortlaut akribisch und sorgfältig selbst lektorierte und korrigierte, ohne einmal gemachte Aussagen zu ändern. Am 12. April kann von ihm im Musikverein sein neues „Kammerkonzert für zwölf Instrumente“ hören.

Erich Urbanner, geboren 1936, studierte von 1955 bis 1961 in Wien an der Musikhochschule Komposition bei Karl Schiske und Hanns Jelinek, Klavier bei Grete Hinterhofer und Dirigieren bei Hans Swarowsky. Bei den Darmstädter Ferienkursen belegte er Kompositionskurse bei Wolfgang Fortner, Karlheinz Stockhausen und Bruno Maderna.

Ab 1961 unterrichtete er an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Partiturspiel. 1969 wurde er ordentlicher Professor für Komposition und Tonsatz. Von 1969 bis 1974 leitete er das Zwölftonseminar, von 1986 bis 1989 das Institut für Elektroakustik und experimentelle Musik. Seit 1968 wirkte er außerdem auch als Dirigent. Urbanner komponierte Stücke für Soloinstrumente, Kammermusik, Orchesterwerke, darunter mehrere Instrumentalkonzerte, eine Messe und ein Requiem sowie mehrere Opern (siehe Musikdatenbank).

Für Doblinger schrieb Christian Heindl über ihn: Gemeinsam mit Iván Eröd, Ingomar Grünauer, Gösta Neuwirth, Kurt Schwertsik, Otto M. Zykan u. a. zählte Erich Urbanner zu jener Gruppe junger Musiker, die sich ab Mitte der 50er-Jahre um den Komponisten Karl Schiske scharte, der als Lehrer an der Wiener Musikakademie einen wesentlichen Kontrapunkt zu den das damalige Musikleben dominierenden konservativen Kreisen bildete. Wie seine Kollegen beschäftigte auch Urbanner sich zunächst mit Avantgardetechniken, stand unter dem Einfluss der 2. Wiener Schule und der Erfahrungen der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik. Zu seinen dodekaphon und seriell organisierten Arbeiten der 60er-Jahre gehören etwa die – Parallelen zu Anton Weberns „Vier Stücken für Geige und Klavier“ op. 7 aufweisenden – Fünf Stücke für Violine und Klavier (1961), das Adagio für Klavier (1966) sowie das Orchesterwerk Thema, 19 Variationen und ein Nachspiel (1968), das noch einmal alle von Urbanner bis dahin angewandten kompositorischen Mittel zusammenfasst.

Beginnend mit Improvisation III für Kammerensemble (1969) bediente sich Urbanner einer freieren Schreibweise unter Einbindung improvisatorischer Elemente (zunächst sogar mit einer eigens dafür entwickelten „Streckennotation“). Im Violinkonzert (1971) und im Kontrabasskonzert (1973) wird der improvisatorische Gestus um klangliche Ereignisse vermehrt und durch betonte Formgestaltung klarer strukturiert. In der Folge war es für Urbanner wesentlich, neben dem strukturell Durchdachten auch breiteren Raum für melodische Entwicklung zu lassen. Dies und das Überdenken alter Formmuster prägen z. B. die Retrospektiven für Orchester (1974/75; Neufassung 1979), die u. a. einen in seinem Rhythmus aufgelösten Trauermarsch und ein Rondo mit einem nur einmal in der ursprünglichen Gestalt auftretenden Ritornell enthalten. Auch in späteren Werken Urbanners finden sich Elemente wie Clustertechnik oder Mikropolyphonie. Um musikalische Inhalte aus neuer Sicht reflektieren zu können, steht er aktuellen Entwicklungen stets offen gegenüber und prüft sie auf die Möglichkeit der Anwendung in seinem eigenen Schaffen.“

Als „weiterführende Literatur“ empfehlen wir auch die Lektüre des WIEN MODERN –Almanach 1993, wo Urbanner – neben Georg Friedrich Haas – als „Hauptkomponist“ aus Österreich präsentiert wurde. Dort sind seine Werkeinführungen nachzulesen und ein schöner Artikel über ihn von Othmar Costa, von dem auch in diesem Interview noch die Rede sein wird (Othmar Costa: Erich Urbanners vielseitige Professionalität. Eine – nicht nur biographische – Retrospektive).

Heinz Rögl: Herr Urbanner, ist Ihre Werkliste in der Musikdatenbank komplett?

Erich Urbanner: Ich müsste vielleicht noch einmal nachjustieren – für Doblinger habe ich das einmal gemacht – und das und jenes nachtragen.

Ihre umfangreiche Werkliste beginnt

… 1956, ab dem Studium. Die ersten Stücke, die da entstanden sind, sind zum Teil natürlich Übungsstücke, für Formen, die wir studieren mussten. Einige habe ich dann viel später auch in meinen Werkkatalog übernommen, aber es gibt eine Menge, die ich nicht aufgenommen habe und auch sicher nicht würde. Man hat sich sukzessive ja dann mit anderen Aufgaben konfrontiert und beschäftigt und die Auseinandersetzung mit traditionellen Formen, etwa mit Kontrapunkt, war natürlich vorübergehend nicht Thema Nummer Eins.  Dann kommt einmal der Moment, wo die Rückbesinnung auf neo-klassizistische Traditionen wieder in den Vordergrund tritt,  auf etwas, was man ja eigentlich gelernt hat. Bin ich überhaupt noch imstande, einen polyphonen Satz zu schreiben, eine Form zu gestalten? Man sieht, dass auch die frühe Auseinandersetzung doch etwas gebracht hat, zu einem als Komponisten gehört und auch vertreten werden kann. Der Nebeneffekt ist natürlich der, dass ich viele meiner Stücke als Interpret auch uraufgeführt habe. Vor allem die erste Sonatine [Anm.: 1956] habe ich uraufgeführt und selber sehr oft gespielt. Schiske etwa hat immer gemeint, es sei ein gutes Stück und spiel es, wo du kannst. Es ist so, dass dieses Stück eigentlich bis heute, seit ich es wieder an die Öffentlichkeit gebracht habe, immer wieder gespielt wird. Es ist auch für Interpreten, die in meiner Musik nicht so geschult sind, sicherlich eine Aufgabe, die man nachvollziehen kann. Man versteht die Form.

Es gibt ja bereits mehrere Generationen von Interpreten und vor allem auch Komponisten, die sich an Ihnen geschult und herausgebildet haben, man könnte eine Menge von Namen nennen – manche, etwa Gerhard Schedl, muss man ja bereits in die Annalen eintragen … Aber vielleicht können wir zunächst ein wenig mehr Ihren eigenen Werdegang schildern auch, welche Phasen da auszumachen wären? – Sie kamen nach Wien und waren zunächst bei Joseph Marx (1882-1969) …

Ja, ja. (Beide lachen). Aus einer heutigen Sicht kann ich aber sagen, dass das für mich gar nicht so uninteressant war. Es hat mir in mehrfacher Hinsicht etwas gegeben. Am wenigsten natürlich, was die Sache des kompositorischen Handwerks betrifft. Denn das, was er mir da vermittelt hat habe ich eigentlich schon als Bub zu Hause bei meinem Vater gemacht, der ein sehr versierter Musiker war. Er hat als Direktor einer Schule in Kramsach daneben, wie es bei Lehrern damals so üblich war, den Organistendienst in der Kirche versehen. Aber den hat er sehr bald an mich abgetreten, da ich für das Instrumentale – Klavier und auch Orgel – sehr befähigt war. Ich habe das gerne mitgemacht, er hat dann dirigiert und ich gespielt. Er hat mir auch Harmonielehre beigebracht, Kontrapunkt war schon weniger seine Sache, das habe ich selber nachgelernt. Die „Schuld“, warum ich nach Wien gekommen bin, war eigentlich die  eines Philosophieprofessors aus  Wien, der in Tirol im Sommer einen Urlaub gemacht hat, in der Nähe gewohnt hat und in Mariathal – das ist eine Wallfahrtskirche – an einem Sonntag einen Gottesdienst besuchen wollte. Wie’s halt so ist, habe ich sehr gerne improvisiert, und jede Gelegenheit dazu benutzt, wo sich im Gottesdienst eine Möglichkeit ergab. Vor allem der Auszug am Schluss war natürlich die Gelegenheit, eine große Improvisation loszulassen.  Die Leute haben nach und nach die Kirche verlassen und ich war dann allein und konnte weiter spielen, so lange es mir gefiel. Und da habe ich bemerkt, dass ein alter Herr unten gesessen ist und gewartet hat, bis ich mein Spiel beendet habe. Er hat sich nachher erkundigt, wer denn da spielt und es wurde ihm gesagt, das sei ein Bub von siebzehn Jahren. Er wollte mich unbedingt kennen lernen und hat gemeint, ich solle in Wien studieren, er kenne den Präsidenten der Musikakademie Hans Sittner und Joseph Marx gut und könne mich bei den beiden Herren vorstellen. Er hat mir den Weg dorthin geebnet und ich habe auch dem Sittner vorgespielt, als es so weit war. Ich sollte zu Alfred Uhl kommen, hat dann aber gemeint, vielleicht sei es für den Jungen doch besser, wenn das Karl Schiske macht, den er ist der jüngere Lehrer und für mich besser geeignet. So war es auch!

Aber Marx wurde ich auch vorgestellt, habe ihm ein Variationswerk für Klavier vorgespielt, das ihn offensichtlich interessierte und er hat gesagt, gut, ich nehme Sie privat und unentgeltlich. Das war natürlich für mich eine tolle Sache, obwohl ich schon an der Musikakademie inskribiert hatte. Aber ich bin ein halbes Jahr regelmäßig jede Woche einmal bei Marx gewesen. Was ist da passiert? – Er hat bald gesehen, nachdem ich ihm die Harmonielehrebeispiele brachte, na ja, Sie können das eh und hat mir aus seinem Leben erzählt. Er hatte eine Menge Bekanntschaften mit Komponisten der damaligen Zeit, mit Richard Strauss oder Ravel, mit Respighi  … das war ja unglaublich. Der Ravel habe zu ihm sehr persönlich gesagt, der „Bolero“, das wäre ja ein gutes Stück geworden, wenn die Idee des Stückes wirklich von ihm wäre. Und Marx sagte, sehen Sie, das ist die Bescheidenheit dieses großen Komponisten … Und dann kam es so, dass ich Marx meine Klaviersonatine zeigen wollte, die nicht gerade in Zwölftontechnik, aber doch atonal angelegt worden war. Da lag auf seinem Klavier eine Komposition von Johann Nepomuk David, der auch ein Schüler von Marx war – dessen Violinkonzert. Und Marx sagte nur, wenn sie auch so einen Mist komponieren, wie das was da liegt, dann brauchen Sie gar nicht mehr kommen! Dabei ist es ein ganz harmloses Stück, gut gemacht, aber überhaupt in keiner Weise ein „Aufreger“. Ich habe sofort mein Stück wieder in der Tasche verschwinden lassen, ich wusste dann, das geht nicht. Und irgendwann, nachdem er mir immer wieder dasselbe erzählte, habe ich mir gesagt, da kann ich nicht mehr hingehen. Darüber hinaus war er ja auch sehr selbstherrlich. Und wir waren halt damals eine aufstrebende junge Gruppe, Schwertsik, Zykan, Neuwirth, wir haben uns natürlich zusammengetan und auch Schiske hat uns sehr unterstützt. Wir erregten aber auch das Missfallen der alten Leute im Komponistenbund oder der ÖGZM, auch des Herrn Marx. Überdies waren auch etliche komponierende Funktionäre darunter, die uns auch nicht gerade Wohlwollen entgegenbrachten.

Und die IGNM und Erwin Ratz (1898 -1973) und Josef Polnauer (1888 -1969)?

Ja…Das war ganz interessant. Polnauer war sehr Schönberg-orientiert und hat immer das vertreten, was auch wichtig war, nämlich die „Wiener Schule“ einem interessierten Kreis bekannt zu machen. Damals gab es ja kaum Informationen. Bei Ratz war es ähnlich – Schönberg, Schönberg. Ratz war ein großer Choleriker. Er ist regelmäßig in unsere Kompositionsabende gekommen, die Schiske organisierte. Er ist spätestens in der Pause dann ausfällig geworden, regelmäßig. Er war ja Professor für Formenanalyse, hat seine Beethoven-Ausgabe, die ja toll ist, im Unterricht vertreten. Ratz war schnell in der Höh’, wenn seine Schüler nicht gleich etwas kapiert haben. Mir ist es auch so ergangen; ich hab mit ihm über ein Formgebilde gestritten, er hat gesagt, das ist eine Periode, ich konnte das nicht nachvollziehen und sagte, ich tendiere eher zu einem Satz. Darauf hat er mich zusammengeputzt, ihr typischen Komponisten, ihr versteht überhaupt nichts. Darauf sagte ich ihm, warum greifen Sie uns immer als Komponist an, das ist unfair. Nachdem er sich beruhigt hatte,  bot er r sich an, mich mit dem Auto mitzunehmen und sagte dann, wissen Sie ich bin ein cholerischer Typ und hab’s nicht so gemeint. In der Folge hat er mich sehr gefördert und knapp vor seiner Emeritierung mich sogar gefragt, ob ich sein Nachfolger werden will. Worauf ich sagte, das ehrt mich sehr, aber ich bin eingedeckt, habe schon meine Funktion in der Akademie (anfänglich Partiturspiel). Dann sind wir übereingekommen, Karl Heinz Füssl [1924-1992] als Nachfolger vorzusehen.

Kommen wir noch einmal zu Karl Schiske (1916-1969) …  

Ich kann vor allem über die Zeit sprechen, als ich Student bei ihm war. Sein Hauptaugenmerk galt der polyphonen Musik, er hatte den Kontrapunkt als ganz wichtig erachtet. Er hatte eine ganz bestimmte Vorstellung von guter Stimmführung, auch von Dodekaphonie. Extrem dürrer punktueller Musik gegenüber war er skeptisch, für ihn war wichtig Substanz. Es war ihm bewusst, dass es vor allem in Darmstadt zu einer ganz anderen Ästhetik kam. Aber er war überzeugt, dass irgendwann wieder eine starke Wieder-Zuwendung zu Kontrapunkt erfolgen wird … Darauf warte ich allerdings bis heute. Es gab die Mikro-Polyphonie, aber zur Wiederbelebung des Kontrapunkts ist es nicht gekommen. Es gibt vielleicht gewisse Tendenzen in der „Neuen Einfachheit“ oder der „neuen schönen Musik“. Noch etwas muss ich über Schiske sagen: Wir waren ja von der Schule her einen autoritären Stil gewohnt, am Gymnasium in Kufstein gab es noch viele nationalsozialistisch geprägte Lehrer. Man hat gelernt still zu sein, zu gehorchen – man lernte „Disziplin“.  Und auch die Clique um Marx hat ihre Position den Studenten gegenüber ausgenützt, um zu unterdrücken. Bei Schiske gab es diese Offenheit und Toleranz. Man konnte immer ganz offen seine Meinung vertreten. Ich habe mich oft gewundert, dass er zu einem Stück, wenn man es ihm gezeigt hat, fast nichts gesagt hat. Dass er das voll akzeptiert hat, was  ich gemacht habe, dass er mir die Möglichkeit gab, zu eigenen Vorstellungen zu kommen, mein eigenes Ich und meine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Das ist etwas, das ich als Lehrer hundertprozentig übernommen habe. Das erste ist Toleranz, das zweite Eingehen auf einen Studenten, damit man ihn in den Möglichkeiten, die er hat optimal unterstützt. Und nicht seine Persönlichkeit mit Vorgaben zu untergraben, die mir vielleicht genehm sind. Das erfordert natürlich große Flexibilität. Die muss man sich nach und nach aneignen und im Unterricht geordnet einsetzen,  was fast wie ein Widerspruch klingt. Wo sind die Stärken und was ist das, das zu fördern ist. Schön behutsam einspringen und nicht mit der Faust.

Wie haben Sie in der Beziehung Darmstadt erlebt? Man musste ja was tun dort, im Mindesten „Reihen zählen“ ….

Das war für uns ein Schock dort. Ersten einmal lernten wir Dinge und Techniken kennen, die uns bislang nicht bekannt waren, und der Informationsfluss war schon sehr schnell. Das ist auch ganz bewusst geschehen. Es gab ja auch keine Editionen vorher, ein Sammelheft der Universal Edition mit modernen Stücken, oft nur ausschnittweise. Wir Österreicher haben uns dort sozusagen wie Zaungäste gefühlt, wie Aufsteiger. Wir haben uns das dort angehört und es ist aufgefallen, Bei den Seminaren ist uns aufgefallen, dass die Vortragenden – wie Boulez, Nono, Stockhausen – teils unglaublich von sich eingenommen dort Dinge vertreten haben, Dinge, die so sein müssen und nicht anders. Stockhausen war auch unglaublich arrogant, er hat überhaupt nichts gelten lassen was neben ihm passiert, Boulez war unnahbar, er hat zwar von sich Sachen analysiert, wie er sie gemacht hat, aber nahe konnte man ihm nicht kommen. Intellektuell war er spannend.

Der Luigi Nono?

… war ein sehr interessanter, aber auch sehr impulsiver Komponist, hatte damals bereits seine radikale politische Einstellung und ist einen Weg gegangen, der ihm à la longue seine Position in Darmstadt gekostet hat. Beim Henze war’s auch so, aber  anders. Er meinte ganz offen, was ihr da macht ist doch ein Wahnsinn, so kann man sich doch nicht präsentieren.

Und Bruno Maderna (1920-1973)?

Ja, den wollte ich gerade nennen. Vor allem er wurde von uns als der Musiker gesehen, er hat auch sehr viel dirigiert. Und sehr beeindruckend war für mich, wie er  Werke analysierte, was es heißt, sehr komplex zu komponieren, wie es vom Klanglichen so abgestuft werden kann, dass es an Plastizität gewinnt und auch hörbar wird. Er hat immer auch den Interpreten mit einbezogen und hat gesagt, wenn Sie diesen Teil realisieren, dann müssen Sie wissen, welche Funktion Sie darin ausüben, sonst geht gar nichts. Das bedeutet für die Komponisten sicherlich den Hinweis, zu beachten: Wenn ich einen sehr dichten Satz komponiere, muss ich mir auf der anderen Seite versuchen vorzustellen, was Gefahr läuft zugedeckt zu werden. Maderna ist ja oft auch in Wien gewesen, hat hier viel dirigiert, was ich sehr genossen habe. Auch kam es vor, dass wir mit ihm die ganze Nacht durchgezecht haben, und es konnte schon passieren, dass bei der ersten Probe am nächsten Tag eine falsche Partitur am Dirigentenpult lag. Das Orchester begann zögernd zu spielen … was ist das? Das ist ja ein anderes „Stuck“. Maderna hat auch von mir ein Stück uraufgeführt. Im Symphoniker-Zyklus.

Die Symphoniker haben ihn sehr verehrt.

Ja, ja. Er hat gesagt, er liebt die Symphoniker und sie lieben ihn. Maderna war eine internationale Größe, die auch für uns Wiener ein Ohr hatte. Denn in Darmstadt hatten wir das Gefühl, man nehme die Österreicher nicht ganz ernst.

Wobei es ja bei allen Österreichern, die in Darmstadt waren – Schwertsik, Cerha, Zykan und so weiter – doch auch erstaunliche Entwicklungen gab!

Diese ganzen Erfahrungen in Darmstadt führten dazu, dass wir uns natürlich auch mit diesen seriellen Techniken beschäftigt haben.

Und Schwertsik ging zu Stockhausen und sagte dann irgendwann einmal, so will ich das nicht mehr machen …

Ich habe mir gegenüber meinen Kollegen auch einmal den Spaß erlaubt und habe etwas so geschwind hingeschrieben, ohne zu überlegen, was. Ich hab es als streng serielles Stück ausgegeben, den Kollegen gezeigt und die meisten sind darauf hineingefallen – ah, damit kann man interessant arbeiten und damit … bis ich endlich sagte, dass das alles gar nichts bedeutet, es ist nichts. Daran sieht man, wie problematisch von der Wirkung her pure Pseudo-Serialität sein kann. Aber abgesehen davon: Es haben sich eigentlich alle meine Kollegen die in Darmstadt waren, davon in irgendeiner Weise wieder distanziert.

Und Adorno schrieb seinen Aufsatz „Vom Altern der Neuen Musik“ …

Was natürlich noch mehr verunsichert hat. Aber dann ist folgendes passiert. Im Jahr 1958 – da kam der Cage. (lacht). Diese Darbietungen von ihm…  und alle haben darüber gelächelt oder laut gelacht, aber in der Retrospektive, später, wenn man das Ganze dann verdaut hat, war für mich, auch für meine Kollegen, wichtig einen Weg zur Freiheit zu finden, das ganze Korsett, das so wenig Gelegenheit dazu gegeben hat, einfach abzustreifen. Auch das Zwölftonseminar meines zweiten Lehrers Hanns Jelinek [Anm.:1901-69, Schüler Schönbergs und Freund von Alban Berg, Professor an der Musikhochschule ab 1958] war zu sehr auf die Einhaltung strenger Regeln ausgerichtet. Aber ich wollte Reihen auch anders stellen, oder ganze Bereiche aus der Dodekaphonik herausnehmen, oder ganz andere Harmonien schreiben. Und mit der Zeit wurde mir auch das Konzept, wie es Frank Martin oder Berg verwendet haben, noch immer zu eng. Ich habe durchaus schon als Student, noch ehe die ganze Welle der Improvisation über uns hereinbrach, einmal ein Stück geschrieben für zwei Klaviere, wo Improvisationen drinnen sind. Aber das Stück ist so schlecht, dass ich das nicht weiter verfolgt habe. Auch was Aleatorik betrifft, wollte ich die Vorgänge nie völlig aus der Hand geben. Auch freie Gestaltung des Interpreten soll sich innerhalb eines gesteckten Rahmens abspielen. Ich habe auch eine Strecken-Notation entwickelt, die es in der Form meines Wissens noch nicht gab. Ich notierte einen Zeitrahmen von sagen wir zwei Sekunden und auch – mit der Stärke der Balken – die Dynamik. Da konnte man schon von der Optik her sehr modulationsfähig gestalten. Die Musik wurde lebendiger und hat den Spieltrieb der Musiker in doppelter Weise gefördert. Nur – je mehr Leute es sind, im Extremfall das Orchester, umso schwieriger funktioniert das. Das hat mich zu der etwas provokanten Äußerung veranlasst, dass ein kleines Ensemble, wo auch solistische Aufgaben drinnen sind, das Intelligenteste, das „dümmste“ das Orchester sei. Ich habe damit auch die Erfahrung gemacht, da ich einmal Gelegenheit hatte, ein Orchesterkonzert zu dirigieren, wo ich ganz absichtlich ein Stück von dem Komponistenkollegen István Zelenka angesetzt habe, der sich sehr mit verbaler Notation beschäftigte, so Bezeichnungen wie „hüpfend“ oder „wie ein Ruf“ und Linien, alles nur mit relativen Tonhöhen. Es war für mich interessant, was soll man da proben? Nach vielen Erklärungen wusste jeder, wann er kommt, was er zu tun hat, jetzt spielen wir das in einem Fluss. Die Musiker waren so ad hoc mit den Bezeichnungen beschäftigt, dass sie gar nicht auf die Idee kamen, sich einen Spaß daraus zu machen. Der Komponist war ganz angetan davon, es war dramatisch und ich war selber erstaunt. Und bei der Aufführung war es eine Katastrophe, also ist das nur durch die Einmaligkeit zu erzielen.

Was waren und sind die Ensembles, mit denen Sie am liebsten gearbeitet haben, wer hat damals Ihre Stücke gespielt?

Das war schon auch die „reihe“, aber es war vor allem die Tätigkeit in Innsbruck. Der damalige Musikchef Othmar Costa vom Landesstudio Tirol hat mir viel freie Hand gelassen im Rundfunk, erstens einmal weil ich ein Tiroler bin und zweitens, weil er meine Experimente unterstützen wollte und konnte. Costa war interessiert, das Landesstudio Tirol in Sachen Neuer Musik zu einem führenden Studio zu machen – in den sechziger, siebziger Jahren. Er hat auch die Zentrale im Rundfunk genötigt, das zu unterstützen. Und ich hatte hier Musiker, die weniger aus dem Orchester kamen, sondern vor allem Lehrer am Konservatorium waren, und die der Sache sehr  zugetan waren. Da konnte ich Musiker auch motivieren, einmal etwas frei zu machen. Wir hatten Möglichkeiten und genug Zeit, auch sehr schwierige Stücke wirklich gut zu produzieren, etwa das Violinkonzert oder das Kontrabasskonzert mit Ludwig Streicher als Solisten.

Das war schon 1973. Ich werde nie vergessen, wie Ludwig Streicher [Anm.: 1920-2003, Stimmführer bei den Wiener Philharmonikern Kontrabass-Solist] bei Wien modern 1993 das gespielt hat und am Schluss beim Applaus ins Publikum gerufen hat: „So unterhaltsam kann Neue Musik sein!“

Ihm verdanke ich auch, dass das dieses Konzert international bekannt worden ist, er hat es oft gespielt. Ich hab’s für ihn komponiert, nachdem er sagte, ich spiel dir was vor, schreib also. Ich habe das fertige Konzert ihm dann gezeigt und er sagte, „Hearst, das ist ja ein Bratschenkonzert, aber ich spiel das!“. – Ich konnte ich auch für das Alban Berg Quartett in diesem Jahr ein Streichquartett (Nr.3) komponieren. Auch das 1993 uraufgeführte Vierte Streichquartett sind Ergebnisse der Zusammenarbeit mit dem Berg Quartett. Diese begann, als die damaligen Mitglieder noch bei den Wiener Solisten gespielt haben. Da gab es auch schon eine Zusammenarbeit – auch Ernst Kovacic und Michael Schnitzler haben dort damals mitgespielt. Der Günther Pichler ist mit mir in Kufstein in dieselbe Schule gegangen und hat mir später den Auftrag für die zwei Streichquartette gegeben. Bald nach der Gründung war das Alban Berg Quartett bei Teldec unter Vertrag und produzierte u. a. auch mein Drittes Streichquartett. Da ich die Aufnahmeleitung übernehmen sollte, wurde ich von dieser Firma gleich für weitere Produktionen verpflichtet Seither ist der Kontakt mit Musikern ein wichtiges Faktum geworden, für wen ich was komponiere, was den Musikern besonderes liegt, was weniger.

Besonders wichtiger Meilenstein für die Neue Musik in Österreich waren ja die Innsbrucker Jugendkulturwochen, die bereits 1956 ins Leben gerufen wurden.

Die waren ein Auslöser für Musikerentwicklungen, aber nicht nur, sondern auch für Literaten, etwa auch Barbara Frischmuth, Elfriede Jelinek, auch HC Artmann oder Gerhard Rühm, die alle bei der Innsbrucker Jugendkulturwoche waren. Die sind in ihrer Art natürlich sehr provokant gewesen, zum Unterschied von den Musikern, die immer die bravsten waren. Die haben Happenings oder nächtliche Aktionen abgeliefert, das war nicht ohne. Jedenfalls ist hier eine Szene entstanden, die künstlerisch schon etwas weiter gebracht hat. Bei den Musikern waren zum Beispiel der steirische herbst und das Musikprotokoll von der Idee her aus den Jugendkulturwochen hervorgegangen. Und Musiker und Komponisten, die in Innsbruck die Möglichkeit hatten aufgeführt und präsentiert zu werden, haben auch ihren Weg gemacht. Ins Leben gerufen wurde die Jugendkulturwoche von Politikern, die der ÖVP nahe standen Der stellvertretende Bürgermeister und Kulturstadtrat hat immer gesagt, „ja, wissts was, ich verstehe von dem Ganzen nix,  aber wir geben euch die Möglichkeit und ihr werdet schon wissen was ihr macht.“

Man muss eben heute sehen, in der Kultur und in der Musik begann vieles in den Regionen und auch nicht nur in Graz. Das war jedenfalls vor Wien! Da gab es auch Ossiach – das erste Mal, als ich da hinfuhr, machte das der Friedrich Gulda.

Ja, ja. Genau.

Und Thomas Daniel Schlee macht in Ossiach beim Carinthischen Sommer immer noch ein tolles Programm und hat ein Publikum auch für Neue Musik.

Der Regionalismus ist in dieser Form auch ein vorbildliches Phänomen, es muss nicht alles von Wien ausgehen. In Innsbruck war in der Nachkriegszeit immer ein Boden für solche Sachen. Besonders für die Maler, zum Beispiel Max Weiler [Anm.: 1910-2001].

Oder Schwaz. Oder die Festwochen Alter Musik in Innsbruck und die Schlosskonzerte Ambras.

Ja, da tut sich ja sehr viel. Nur eine Veranstaltung, die sich mehr um die Neue Musik kümmert, ist ins Hintertreffen geraten.

Auch die Nachbesetzung des Tiroler Landesstudios für Musik durch die ORF-Zentrale. Als 2009 bekannt wurde, dass nicht nachbesetzt werden soll, gab es Proteste der Tiroler Musiker.

Und die Jugendkulturwoche hatte schon Jahre vorher – auch durch eine provokative Aktion eines ORF-Redakteurs, der eine politische Festrede verhindern wollte, ein Ende gefunden. Zwei Jahre gab es dann noch Workshops der „reihe“ mit Cerha, wo ich auch noch dabei war. Das war aber dann auch „zu teuer“. Costa hat danach die „Musik im Studio“ ins Leben gerufen, was sehr wichtig war. Das war mindestens zweimal im Jahr, wo neue österreichische Musik präsentiert wurde.  Da war ich auch dabei und konnte in diesen Konzerten auch andere Komponisten uraufführen. Er wollte natürlich auch Tiroler Komponisten. Das habe ich auch gemacht und er hat damals die Gelegenheit gegeben – weil nicht so bekannt – Standardwerke der Wiener Schule zu präsentieren, zum Beispiel die Symphonie von Webern. Ich habe auch Schiske aufgeführt, auch Jelinek. Aber durch die ORF-Reform damals ist es fast unmöglich geworden, das erforderliche Geld zu bekommen, denn das hat doch einiges gekostet. Der Praxmarer (Costa-Nachfolger) hat gesagt, wenn ich ein größeres Projekt mache, verschlingt uns das die ganze Jahressubvention. Man musste sich weitgehend auf die dortige Tiroler Komponistenszene beschränken.  Auch die Musiker sollten ja nicht geradezu umsonst spielen müssen. Ob es noch einmal besser wird? Jetzt ist Praxmarer in Pension gegangen und die Stelle wird wahrscheinlich nicht nachbesetzt.

Gehen wir nach Wien. Ein wichtiges Ensemble, das ihre Werke aufführte, war und ist jahrelang Keuschnigs Ensemble „Kontrapunkte“.

Keuschnig war auch an der Hochschule, hat mir auch manchmal ausgeholfen bei Kompositionsabenden und das Ensemble führt immer wieder Sachen von mir auf. Ich war immer sehr angetan von der Ernsthaftigkeit seiner Arbeit, von der Qualität der Musiker. Er wollte auch einmal auch etwas uraufführen. Das Kammerkonzert habe ich für ihn geschrieben, das jetzt uraufgeführt werden wird (12.04.2010, Brahms-Saal im Musikverein). Ein Vorzug Keuschnigs ist, dass er immer auch Komponisten spielt, die einer älteren Generation angehören, mitunter auch vernachlässigt werden, selbstverständlich auch junge interessante Leute.

Viele Komponisten Österreichs nach 1945 sind vergessen worden. Auch einiges von dem Musikdramatiker Gerhard Schedl …

Ich habe eines Tages Keuschnig gesagt, da habe ich einen jungen Komponisten – Gerhard Schedl, schau ihn dir an. Daraus hat sich eine lange Zusammenarbeit entwickelt.

Es gibt auch noch das ensemble reconsil.

Das ist auch wichtig, weil Mitglieder dieses Ensembles –

… Alexander Wagendristel, Julia Purgina …

auch Schüler von mir waren. Auch Thomas Wally.

Zum Abschluss noch. Welche Stücke von Ihnen sind Ihnen persönlich sehr wichtig?

Lacht.

Ist das das Kammerkonzert jetzt, das Streichquartett, das Requiem, „Johannes Stein oder Der Rock des Kaisers“ ….

Man muss natürlich darauf achten, dass was man gerade macht einem im Moment am wichtigsten ist. Aber wahrscheinlich habe ich gewisse Vorlieben für Besetzungen, von denen ich glaube, dass auch etwas Virtuoses oder etwas Spontanes für das Publikum hinüberkommt. Da habe ich eine gewisse Vorliebe für Instrumentalkonzerte, weil die Musiker dann etwas leisten können, wo sie auch selber ihre Stärken haben. Und dann im speziellen Fall die Kammermusik, auch konservativ gesagt Besetzungen wie Streichquartett oder Klavier oder Klaviertrio. Und zwar weil ein Streichquartett, das ein Stück von mir spielt, ein höchst professionelles sein muss, dass auch das herauskommt, was ich mir vorstelle. Und wenn es professionell vermittelt wird, dann kommt es auch rüber. Wenn die aufeinander eingespielt sind wie Michel Schnitzler, Medijmorec und Schulz. Das sind exzellenteste Musiker … Was ich noch vergessen habe, ist das Vokale.  Da bin ich sehr kritisch, was die Textwahl betrifft. Ich muss, wenn ich so etwas mache, mir vorstellen könne, wie ich das in Musik umsetzen kann. Ein Text kann auch so gut sein, dass er keine Musik braucht. Oder. Die Symbolik eines Celan-Gedichtes erlaubt es, davon wegzukommen, sich an den Text anklammern zu wollen. Ich kann auch einen biblischen Stoff als Opernstoff für mich geeignet empfinden. Die Vermarktung ist dann sehr schwer, denn oft kommt das für Opernhäuser nicht in Frage. Die versuchen, alle möglichen Argumente im Mund zu führen, dass etwas nicht gut ist, oder was fehlt. Welches Opernhaus würde ein Stück, das am Innsbrucker Landestheater herauskam nachspielen wollen. Oder Richard Bletschacher schlägt einen historischen Stoff vor, und ich will das derzeit nicht machen, weil ich Zeitgemäßes machen will und er sagt, na ja, das kriegst du von mir nicht, ich bin ein Historiker. Der Johannes Stein war für mich in vieler Hinsicht eine interessante Geschichte, weil er ein aktuelles Thema hatte, die Funktion der Frau in einer Militärgesellschaft. Die Tochter eines Generals, die aus Schande im 30-jährigen Krieg in die Schlacht als Soldat geschickt wird. Bletschacher hat das sehr gut umgesetzt, in der einzig möglichen Form des Monodrams. Das war eine berührende Geschichte in Form eines Protokolls, und ich musste sehr um Streichungen im Text kämpfen, damit ich mit der Musik auch zum Stoff hinzukomme.

Lieber Herr Urbanner, jetzt müssen wir aufhören. Ich danke Ihnen sehr für das gute Gespräch.

Konzert im Wiener Musikverein:
Montag, 12. April 2010
19:30 – Gläserner Saal/Magna Auditorium
Interpreten:

Ensemble Kontrapunkte
Peter Keuschnig, Dirigent
Christine Whittlesey, Sopran
Gerald Preinfalk, Saxophon

Programm:

Erich Urbanner
Kammerkonzert für zwölf Instrumente (Uraufführung – Auftragswerk der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien)

Norbert Sterk
Saxophonkonzert (Uraufführung – Auftragswerk der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien)

Thomas Heinisch
“Charons Bild”. Toten-Maske für Singstimme und Ensemble (Uraufführung – Auftragswerk der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien)

Dirk D´Ase
“Silberfluss, Feuermond”. Eine Klangseite für Ensemble (Uraufführung – Auftragswerk der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien)

http://www.doblinger-musikverlag.at/Komp/cmp_detail.php?compID=206&sp=1
http://www.musikverein.com/monatszeitung/show_artikel_pdf.asp?Artikel_ID=1241
http://www.penclub.at/mitglieder/bletschacher.shtml
https://www.musicaustria.at/musicaustria/liste-aller-bei-mica-erschienenen-interviews