mica-Interview mit Kreisky

Kreisky lassen wirklich nichts anbrennen. Das zeigt schon ihre aktuelle Single plus dem dazu gehörenden Video mit dem schönen Titel “Scheiße, Schauspieler”. Aber auch jenseits der Landegrenzen scheint kein Weg mehr an ihnen vorbei zu gehen. Schon vor dem offiziellen Erscheinungstermin ihrer aktuellen dritten CD “Trouble” (Wohnzimmer Records) sorgen die österreichischen Noise-Grantler von Kreisky (ebenso wie Ja, Panik) auch im deutschen Feuilleton zwischen der “Süddeutschen” und “Der Zeit” (die Kreisky als “so charmant an wie feuchte Putzfeudel” beschreib) für gehörigen Wirbel. Ist das nun Diskurs-Rock, oder nicht? Sind Kreisky Rebellen oder Systemerhalter? Um diese und auch andere Fragen zu klären traf sich Didi Neidhart zum mica-Interview mit Franz Adrian Wenzl (Stimme & Orgel), Martin Max Offenhuber (Gitarre & Stimme), Gregor Tischberger (Bass & Stimme) sowie Klaus Mitter (Schlagzeug) zum mica-Interview.

Der Pressetext zu eurer neuen CD beginnt mit einem Zitat von André Heller, wo er den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky als „österreichischen Irrtum“, als „Fehler im System“ bezeichnet. Seht ihr euch selber so bzw. worin bestehen eure Irrtümer und Fehler?

Martin Max Offenhuber: Eigene Musik zu machen habe ich von Beginn an, also seit 15 Jahren, als Fehlerarbeit im System empfunden. Das geerntete Unverständnis der Vielen und die Begeisterung von Wenigen, die genau nach diesen Rückseiten, Zwischenräumen und Fehlern suchen waren auch immer die Bestätigung, dass man am richtigen Weg ist.

Gregor Tischberger: Der grundsätzliche Irrtum bei Kreisky besteht ja auch darin, dass da vier Leute in einer Band spielen, die in dieser Konstellation eigentlich gar nicht zusammen spielen sollten und aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen. Ein angenehmer Irrtum.

Gibt es auch andere österreichische Acts, die für euch in diese Kategorien („österreichischer Irrtum“, „Fehler im System“) passen würden?

Gregor Tischberger: Mozart.

Martin Max Offenhuber: Alfons Haider?

Sind Kreisky andererseits aber nicht auch eine Art österreichische Konsensband? Es gibt ja keine schlechten Kritiken, oder wisst ihr von welchen?

Gregor Tischberger: Natürlich gibt’s auch schlechte Kritiken – zum Glück. Konsensband zu sein, das ist dann doch ein wenig spooky.

Martin Max Offenhuber: Dass man plötzlich in Massenmedien positiv bzw. überhaupt kritisiert wird, ist vielleicht ein Indiz, dass sich die Ränder des Breitengeschmacks ein wenig verändert haben, und das ist nichts Schlechtes.

Franz Adrian Wenzl: Dass die miesen Kritiken bislang so selten waren, hängt halt auch damit zusammen, dass es uns noch nicht so lange gibt. Mit zulaufender Karriere baut man aber so viele und so verschiedene Erwartungen auf, die man zwangsweise immer wieder enttäuscht Das wird schon noch kommen. Der eine stellt sich unter Kreisky eine Popband vor, der zweite eine Avantrockgruppe, der dritte so was Hamburger-Schule-mäßiges, und jeder ist saubeleidigt, wenn er nicht das kriegt, was er erwartet.

Eure 2009er CD hatte den Titel „Meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld“. Nun heißt es “Trouble” und es gibt plötzlich scheinbar versöhnliche Songtitel wie “Menschen brauchen Liebe” und “Schließ Frieden”. Was ist zwischen den beiden CDs passiert? Seid ihr versöhnlicher oder fatalistischer geworden?

Franz Adrian Wenzl: Beides trifft zu. Auf der einen Seite gibt es auf der neuen Platte einen thematischen roten Faden in Richtung Frustration, d.h. wo die Figuren auf der letzten Platte noch kämpferischer waren, noch auf Resthoffnung vertraut haben, sind diesmal schon alle Züge abgefahren. Das hängt auch mit unserem eigenen Alter zusammen. Mit 35 weiß man, jetzt werd ich kein Fußballstar mehr. Im Gegenteil, die sind in dem Alter ja schon wieder in der Pension.
Die versöhnliche Seite hat es schon immer gegeben, diesmal haben wir das halt an ein paar neuralgischen Punkten hervorgestrichen. Erstens um unsere Erzählhaltung etwas zu hinterfragen, aber auch die Außenwirkung etwas aufzulockern. Sonst sind wir auf ewig die “schlechtgelaunteste Band des Landes” und das ist ja auf Dauer lächerlich.

Eure aktuelle Single heißt “Scheiße, Schauspieler”. Was habt ihr gegen diese Berufsgruppe? Ganz banal gesagt, spielen wir doch alle immer eine Rolle. Oder geht es darum, dass sich die Schauspieler nun auch an jenen Orten herumtreiben “wo Musik ist”, also quasi territoriale Grenzen überschreiten?

Franz Adrian Wenzl: Schauspieler sind eine Berufsgruppe, die an und für sich hoch angesehen ist, der gegenüber es aber auch allgemeine deutliche Vorurteile gibt – dass sie laut sind, arrogant, etc… Auf die kann man super hinpecken und das gesamte Publikum zieht mit und schreit, na endlich, ohne groß darüber nachzudenken, dass wir ja da wirklich nur die flachsten Klischees bedienen. Die Nummer ist ganz bewusst auf diese zwiespältige Rezeption hin gebaut. Die größten Trotteln in dem Lied sind aber natürlich eh wir, weil wir natürlich um nichts besser sind. Klar, Abgrenzung passiert ja immer dort, wo man sich abgrenzen muss, weil man sich eigentlich so ähnlich ist. Und Musiker können ja auch so wahnsinnig nerven. Die Equipmentmucker genauso wie die Uh-ich-hab-so-einen-pfiffigen-Haarschnitt-und-die-neue-Spex-kann-ich-auch-schon-auswendig-Typen. Und der pfiffige Haarschnitt kostet aber natürlich 50 Euro.

Der Standard schrieb einmal über euch, dass ihr „die dunkle Seite der österreichischen Seele“ zum klingen bringt. Jetzt ist diese “dunkle Seite” aber immer noch Teil “der österreichischen Seele”. Dazu gehören ja auch Klischees wie Grant, Schimpfen, Zynismus, Melancholie, Misogynie, Fatalismus. Davon ist auch im Zusammenhang mit Kreisky immer wieder zu lesen. Gibt es überhaupt einen Weg aus diesen Verflechtungen, oder ist das nur ein naives Wunschdenken?

Franz Adrian Wenzl: Es gibt auch schöne österreichische Dinge. Kürzlich bin ich zum Beispiel in Wien mit dem Nachtbus gefahren, in dem der Busfahrer einem Kollegen geklagt hat, wie scheiße es nicht ist, dass er jetzt die ganze Nacht Schicht hat. Dann hat aus unerfindlichen Gründen sein Kollege angefangen, über indische Mythen zu reden, über Chakren, über das Nirwana usw., eine Viertelstunde lang. Und wie er fertig war, sagt dann der Busfahrer: “Aber auf ans gfrei i mi: Viertel Vieri, Schwedenplatz, Pause, Kaskrainer.” Er hat ihm überhaupt nicht zugehört gehabt, sondern ist in seine eigenes Käsekrainer-Nirwana geflüchtet.

Flucht und Fluchtorte scheinen ein zentrales Thema auf “Trouble” zu sein. Da wird zornig und straight forward vor Menschen geflohen (“Ihr Hunde, lasst mich los”, “Scheiße, Schauspieler”), will zu einem Stomp-Blues einfach nur alleine gelassen werden (“Bitte bitte”) und geht es “In der Prärie” zu einer Musik, die ironischerweise auch nicht gerade ein great wide open signalisiert, an einen geradezu archetypischen Imaginationsort der Weltflucht. Ist Flucht der letzte Ausweg/Akt in einer Welt voller “Trouble”?

Franz Adrian Wenzl: Nein, in allen diesen Nummern ist die Flucht ja nicht wirklich möglich. Man muss dableiben und aushalten und sich mit dem arrangieren, was man hat. Stichwort: Käsekrainer.

Gregor Tischberger: Am Ende bleibt dann vermutlich nur mehr die Flucht ins innerste Selbst – der totale Eskapismus. In Japan gibts das Phänomen des Otaku. Man zieht sich völlig von der Gesellschaft zurück und widmet sich einer einzigen Sache, zum Beispiel Modellbau. Und das reicht dann zum Glücklichsein.

Ein Song wie “Die, die immer gewinnen” (mit er wunderbaren Zeile “Immer vernetzt, aber nie verbunden, das ist unsere Zeit und ich verstehe sie nicht.”) legt ja auch nahe, dass es keine Utopien (zumindest keine grossen) mehr gibt. Seid ihr wirklich so pessimistisch?

Franz Adrian Wenzl: Eine sogenannte große und globale Utopie, die ich unterschreiben könnte, fiele mir ad hoc jetzt tatsächlich nicht ein. Erneuerbare Energien? Als Weltanschauung doch etwas ungeil. Auf der anderen Seite braucht man trotzdem Utopien, als Arbeitshypothesen, sag ich mal, sonst landet man beim bodenlosen Fatalismus.
In dem Lied gehts aber auch um Popmusik selbst, also ein Kunstrichtung, die  von den Sechzigern bis vielleicht in die Achziger hinein das wichtigste Trägermaterial von Jugend- und Gegenkulturen war. Mittlerweile ist Pop eine Kunstsparte von vielen, und nicht mal unbedingt die frischeste. Der Phantomschmerz ist aber immer noch da, d.h. es gibt einen überzogenen Anspruch an Popmusik – von außen, aber auch von innen – gesellschaftlich gestaltend wirken zu müssen. Gerade die Alt-68er und die Alt-76er forden das gerne ein. Dabei ist das in der Form obsolet: Im Zuge der Umstürze in Nordafrika war viel von Facebook zu hören und zu lesen. Musik ist mir kein einziges Mal untergekommen.

2009 seid ihr beim Amadeus Austrian Music Award mit dem Preis “FM4 Alternative Act des Jahres” ausgezeichnet worden. Mittlerweile findet sich fast keine junge Band, die ihre Musik nicht wie selbstverständlich als Alternative, Indie (oder auch Post-Punk) bezeichnet. Jetzt seid ihr ja schon etwas ältere Semester. Haben diese Begriffe für euch überhaupt noch eine Bedeutung?

Klaus Mitter: Interessanterweise sind ja immer die Bands am leichtesten als Schablonen-Nuller-Jahre-Indie zu klassifizieren, die in den Promotexten die absolute Uneinordenbarkeit heraufbeschwören.

Gregor Tischberger: Diese Schubladen helfen vielleicht beim betrunkenen Bar-Smalltalk, jemandem diese oder jene Musik auf die Gache zu erklären. Sobald dann tiefer gegraben wird, verlieren diese Genres aber ohnehin an Bedeutung.

Franz Adrian Wenzl: Ja, nichts gegen Schubladen – irgendwie muss man ja Ordnung in die Welt bringen – , aber die die Alternative-Schublade ist eine selten dämliche Schublade.

Bei Austrofred geht es oft und gerne um österreichspezifischen Zusammenhänge zwischen “Rockmusikwirtschaft” und Landwirtschaft. Haben Kreisky da auch schon mal Erfahrungen gemacht?

Klaus Mitter: In beiden Bereichen ist der Do-It-Yourself-Gedanke stark ausgeprägt.

Martin Max Offenhuber: Andererseits, als Rockmusiker kann man sich auch mal eine Auszeit nehmen, aber die Landwirtschaft ist immer da. So schön der Gedanke an Arbeit mit den Viechern oder das Bestellen, Säen und Ernten ist, so ausweglos ist es auch auf Dauer. Wenn da das Otaku nicht funktioniert…

Klaus Mitter: Mittlerweile wird am Land regelmäßig auf temporäre Hilfskräfte vom Maschinenring zurückgegriffen, damit die Jungbauern auch mal auf Urlaub fahren können, um bewusst mit der Tradition des Lagerkollers zu brechen. Angeblich ohne soziale Ächtung im Dorf, als Faulenzer. Das glaub ich ihnen aber nicht. Das wär nicht die Provinz, wie ich sie kenne.

Mit Buback habt ihr in Deutschland nun einen Partner, der ja weit mehr als nur ein Vertrieb/Label ist. Dort sind Bands wie 1000 Robota, Die Goldenen Zitronen, F.S.K., Tocotronic aber auch Deichkind und Jan Delay beheimatet. Also quasi das, was unter “Pop-Linke” oder “Hamburger Schule” fällt. Wie seht ihr euch in diesem Umfeld? Haben euch diese Bands beeinflusst?

Franz Adrian Wenzl: Beeinflusst nicht wirklich, da gibt’s noch so viel anderes, aber wir schätzen die schon alle.

Gregor Tischberger: Die Goldenen Zitronen mit “Das bisschen Totschlag” oder Tocotronic mit ihrer ersten Platte waren in meiner Jugend neben einigen anderen Bands schon eine Klarheit schaffende und erweckende Watschn ins Gesicht. Die einen waren echte Originalgenies, die anderen eine deutsche Grungeband in Zeiten von unaushaltbarem amerikanischem Beidlrock. Und beide Bands sind über die Jahre nie schlechter geworden. Das kann man gar nicht genug schätzen.

War Buback euer Wunschlabel/Vertrieb? Wie ist der Deal eigentlich entstanden?

Franz Adrian Wenzl: Ganz einfach. Wir haben eine Liste mit möglichen deutschen Labels gemacht, eine Wunschliste, und auf der ist Buback tatsächlich ganz oben gestanden. Über einen Mittelsmann haben wir dann dort mal angeklopft, und die wollten es tatsächlich machen. So einfach kann es gehen. Genauso ist übrigens vor einigen Jahren auch unser Deal mit unserem österreichischen Label Wohnzimmer entstanden. Klinken putzen mussten wir bislang noch nicht.

Falls es jetzt mit Deutschland funktioniert, seht ihr dann darin mehr als nur die Erschließung eines neuen Marktes? Ihr habt ja schon öfters dort gespielt (Franz spielt ja auch bei der deutsch-österreichischen Band King Of Japan). Welche Unterschiede/Gemeinsamkeiten gibt es zwischen beiden Ländern? Welche Missverständnisse müssen aus dem Weg geräumt werden? Was fehlt euch hier und was dort?

Franz Adrian Wenzl: Wir sehen das mit dem “Funktionieren” nicht so eng. Wir sind ja nicht mehr so grün hinter den Ohren, dass wir glauben, jetzt sind wir dann in Deutschland die Superstars. Langfristig würden wir uns einfach wünschen, dass eine sinnvolle Anzahl an Leuten zu den Konzerten kommen. 200 – 300 im Idealfall. Ein Vorteil Deutschlands ist schon einmal die Größe. In Österreich kennt man bald alle relevanten Journalisten und Musikmenschen, und dann kriegt das schnell eine persönliche Ebene, die ich nicht unbedingt brauch. Es interessiert mich ja nicht, ob wer etwas Nettes oder etwas Gemeines über unsere Platte sagt, sondern ob er etwas Treffendes oder Interessantes sagt.

Klaus Mitter: Wie es mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten aussieht, wird sich noch weisen. Mißverständnisse sollten möglichst wenig aus dem Weg geräumt werden, zumindest von uns. Wenn ein Mensch aus Deutschland durch, Hausnummer: übertriebenen Tatort-Konsum ein schablonenhaftes Bild von Wien und seinen Einwohnern hat, dann können wir im Rock-Kontext in unseren 80 Minuten Bühnenzeit nicht genug dagegenhalten. Außerdem entstehen durch Mißverständnisse und Übersetzungsfehler oft auch die schönsten neuen Dinge. Und wer war womit international erfolgreich? Kraftwerk, Rammstein, Falco – alles Sandburgen voller Klischees zur Herkunft.

Wie viele Ösi-Klischees (gerade in den Kritiken aus Deutschland) verträgt bzw. provoziert eine Band wie Kreisky? Ihr bietet ja in einem Universum zwischen Falco & Thomas Bernhard, Karl Kraus & Kommissar Rex, DJ Ötzi & Wolf Haas, Udo Jürgens & Josef Hader, Josef Fritzl & Kottan, Sisi & Ulrich Seidl genügend Projektionsflächen.

Franz Adrian Wenzl: Wir beschäftigen uns ja nicht mit Österreich, das ist kein Thema für uns, sondern das passiert eher unbewusst und automatisch, weil wir halt unser ganzes Leben hier verbracht haben. Und was die Kuh vorne hineinfrisst, scheißt sie hinten eben wieder raus.

Eure Musik scheint irgendwie gleichsam aus der Zeit gefallen wie zeitlos zu sein. Sie ist mittlerweile schon so verbeult ist, dass eindeutige Vorbilder nur noch schwer identifiziert werden können. Was sind denn die eigenen, persönlichen Faves und welche kommen davon bei Kreisky zum tragen?

Gregor Tischberger: Es gibt ein paar so bandinterne Konsensbands wie z.B. die Flaming Lips, Slayer, The Fall, The Birthday Party oder Cpt. Beefheart. Und dann hat jeder so seine Favs, die sich bei Kreisky nur in kleinen Dosen und wahrscheinlich eher unbewusst einschleichen. Ich bin geradezu besessen von den unglaublichen Silver Jews oder Songwritern wie Daniel Johnston, Lou Barlow oder Robert Pollard und höre oft Monate lang keine andere Musik. Keine Ahnung, wie sich das aufs gemeinsame Musikmachen auswirkt. Grundsätzlich kommt jeder von uns aus einer ganz anderen Richtung und im Proberaum verbindet sich das dann ganz von selbst zum Kreiskysound.

Franz Adrian Wenzl: Ich hör hauptsächlich so Siebziger-Sachen, meine Oberhelden sind Peter Hammill und Robert Wyatt. Ich weiß aber nicht, ob man das bei uns wo raushört.

Gerade bei Stücken wie “Schließ Frieden” und “Das schwarze, schwarze Meer” scheint sich die Musik weniger einem Stop & Go-Muster verschrieben zu haben, sondern quält sich eher zwischen stecken bleiben und wieder losrennen ab. Fast hat es den Anschein als gebe es da Kräfte, die sie festhalten würde, als wäre alles nicht mehr so einfach zu haben. Andererseits versuchen immer wieder Surf-Licks (die auch etwas an die frühen Dead Kennedys erinnern) auszubrechen. Geht es der Musik ähnlich wie den in den Texten besungenen (gebrochenen) Personen? Gibt es überhaupt Korrelationen zwischen den Texten und der Musik?

Klaus Mitter: Wir treiben neue Nummern auch oft an die Grenzen unserer Spieltechnik, analog zu manchen Charakteren in den Texten überfordern wir uns auch permanent.

Gregor Tischberger: Bei Kreisky arbeiten die einzelnen Instrumente und der Gesang genau so oft gegen- wie miteinander. Da kommen die Songs dann schon mal ins Stolpern und Straucheln. Und wir haben eine große Freude dran, unseren Stücken beim Hinfallen zu zusehen. Umso besser, wenn sich die dann wieder fangen und weiterlaufen probieren. Und wieder hinknallen. Slapstickrock, quasi.

Martin Max Offenhuber: Ein Muster, das immer wieder zu finden ist, ist das sehr ausformulierte Zusammenspiel zwischen Bass und Schlagzeug, zu denen dann die Gitarre alle Möglichkeiten zwischen reduziertester rhythmischer Unterstützungsarbeit über Klangflächen bis hin zu Noise hat. Da auszuloten, was möglich ist und was besser knapp gehalten werden sollte, stellt die große Herausforderung dar. Die Figuren finden hier schon ihre Entsprechung, finde ich.

“Schließ Frieden” hat auf dem Papier einen fast banal zweckoptimistischen Wochenendseminar-Text als Refrain: “Schließ Frieden mit deiner Frustration, verwandle deine Wut in Energie.”
In Musik gebettet kommt das jedoch weniger von sich selber überzeugt daher. Das Tempo wird langsamer und es klingt fast so als würde die Musik dem Text (der ja nun auch wie ein etwas besoffenes sich selber gut zureden daherkommt) nicht trauen, sich dann aber doch trotz bessern Wissens aufzurappeln versucht. Sind das bewusste kompositorische Kunstkniffe, oder ist das einfach so passiert?

Franz Adrian Wenzl: Das sind, nun ja, halbbewusste, intuitive Kunstkniffe. Man probiert halt ein bisschen rum und stellt fest, wenn wir das so und so spielen, dann klingt das aufgesetzt, und wenn wir das so und so machen, dann stimmt das. Im Nachhinein können wir das schon analysieren, also das sind keine Zufälle, aber beim Schreiben gibt’s nur trial-and-error.

Klaus Mitter: An der besagten Stelle von “Schließ Frieden” ist das so wie wenn man in der dunklen Wohnung kurz die Vorhänge zur Seite schiebt und sieht, aha, es ist ja heut schön draussen – und dafür brauchts das Fifties-“Be My Baby”-Schlagzeug.

Martin Max Offenhuber: Stimmt, die kleinen Bruchstellen kommen bei dieser Nummer so schön unbemerkt daher. So schleichende Dur/Moll-Wechsel sind ja seit meinem persönlichen Beach-Boys-Erweckungserlebnis große Lieblinge.

Diesmal gibt es einige sehr lange Stücke (“In der Prärie”, ” Menschen brauchen Liebe”, “Das schwarze, schwarze Meer”), die bisher so bei Kreisky noch nicht zu hören waren. Wie ist des dazu gekommen?

Gregor Tischberger: Die langen Stücke hats eigentlich auf der letzten Platte auch schon gegeben – siehe “Glitzer” oder “Die Menschen sind schlecht”. Manche Ideen brauchen einfach Platz und Länge.

Franz Adrian Wenzl: Ich hab eine Zeit lang ein Zitat von Alan Jenkins von den Deep Freeze Mice über dem Schreibtisch hängen gehabt, wonach die besten Nummern entweder unter zweieinhalb Minuten oder über sechs Minuten lang sind. In zweieinhalb Minuten bringt man nämlich an und für sich alles unter, was es zu sagen gibt, und wenn man über sechs Minuten geht, dann muss man sich ohnehin was ganz anderes einfallen lassen.

Woher kommt die neue Lockerheit im Gesang, die sich jedoch auch immer wieder gegen ein verstärktes unartikuliertes Weh/Zorngeschrei durchsetzen muss? Sind Kreisky nun Dandies in the underworld?

Franz Adrian Wenzl: Das mit der neuen Lockerheit hör ich zum ersten Mal, klingt aber super.

In “Das schwarze, schwarze Meer” geht es um “Lieblingsplatten”, um Vinylobsessionen, darum dass diese geliebten “schwarzen Platten” mittlerweile nicht nur ” Spiegel deiner Seele”, sondern auch “Teil deines Bewerbungsschreibens sind”. Popmusik hat scheinbar jegliches emanzipatorische und widerspenstige Potential verloren, steht nicht mehr für eine wie auch immer geartete Dissidenz sondern für ein gesellschaftliches Dabei-Sein-Wollen. Am Ende des Songs geht esschließlich darum all die “vielen schwarzen Platten” nicht mehr hören zu können. Geht es euch auch so? Und wenn, ja, wieso dann überhaupt noch Musik machen?

Franz Adrian Wenzl: Es geht vor allem um eingebildete Vinylobessionen. Ich weiß nicht, wie viele von den Leuten, die behaupten, dass Vinyl besser klingt als CD, das auch wirklich hören. Nicht dass es bei einer guten Pressung nicht auch stimmen kann, und natürlich haben Platten einen speziellen Charme. Nur: Diese Leute hören das nicht, sondern sie wollen das hören. Und sie wollen einem ihren lässigen Geschmack reindrücken.

Klaus Mitter: Gehts nicht neben dem vermeintlich besseren Geschmack auch um die Fetischisierung des ganzen Rundherums, der Ware, dieses gezielte Ausstellen an Überlegenheit? Klar freu ich mich auch über eine Vinylversion eines Albums, die Größe, das Brimborium, von mir aus auch die Tradition. Aber das muss ich nicht jedem aufs Auge drücken. Ich werde kein besserer Mensch, nur weil ichs auf Vinyl höre statt am Telefon.

Gregor Tischberger: Aber vielleicht wirst du ein schlechterer Mensch, wenn du es am Telefon hörst?! Müsste man mal erforschen. Ich persönlich ziehe die analoge Verbindlichkeit der digitalen Beiläufigkeit auf jeden Fall vor. Außerdem, in dem Song selbst gehts ja eh um gaaaanz andere Dinge…

Franz Adrian Wenzl: Ja, da gehts auch wieder um diesen Phantomschmerz der Popmusik, um die verloren gegangene Wichtigkeit, der aber die Musik selbst wiederum zu einem spannenden Thema macht, in ihrer ganzen hilflosen Impotenz.

Vielen Dank für das Interview.

 

 

 

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