Woher die Zeit und das Geld nehmen? – Ingrid Schmoliner im Porträt

Das musikalische Spektrum der Pianistin und Vokalistin INGRID SCHMOLINER ist denkbar breit gestreut. Es reicht von experimenteller und improvisierter Musik über Kompositionen für Soloklavier, Ensembles und Chöre bis hin zu freiem Jazz, Folk- und Volksmusik. Zudem sucht SCHMOLINER immer wieder die Zusammenarbeit mit Tänzerinnen, Choreografinnen sowie Film- und Videokünstlerinnen. Im Gespräch mit Andreas Fellinger erzählt sie von ihrem immensen Arbeitspensum und von der (kultur)politischen Misere, nicht ordentlich davon leben zu können.

Zurzeit steckt Schmoliner mitten in den kompositorischen und organisatorischen Vorarbeiten zu ihrer Zwerginnen-Suite, die sie der guten Freundin Maria-Luise Botros widmet. „Ein spezielles Schatzele“, nennt Schmoliner sie in breitem Kärntner Dialekt. Die im dortigen Gurktal aufgewachsene Wienerin widmet sich seit Jahren der Erforschung von Klavieren und den idealen, auch in der Konzertsituation umsetzbaren, vornehmlich Holz-Präparierungen. So wird sie für die Zwerginnen-Suite ein Wiener Mechanikklavier verwenden, das wegen seines Gewichts Klänge gut dämpft und die für sie optimalen Obertöne erzeugt. Von zarten chinesischen Stäbchen bis zu stattlichen Perkussionshölzern kommt einiges zum Einsatz. „Das macht mein Spiel wendiger, beweglicher, erfordert allerdings viel Geschicklichkeit –  und am Ende klingt es wie ein Chor und ein Walgesang gleichzeitig.“ Und zwar, ohne dass sich beim Zuhören die Herstellung des Effekts nachvollziehen lässt. „In meiner improvisierten Musik liegen Chaos und Ordnung nahe beieinander. Gute Improvisatorinnen sind jene, die beides in gleichem Maß beherrschen.“

Es ist Schmoliner ein Anliegen, Musik dort zu spielen, wo sie hingehört. Freilich sollten zur Umsetzbarkeit wesentlich mehr Klaviere an Veranstaltungsorten verfügbar sein als zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Zum Beispiel plant sie Kompositionen für Gesang, Perkussion und Elektronik und möchte damit Texte von Frauen vertonen. Texte von Ingeborg Bachmann und auch von der slowenischen Schriftstellerin Maja Vidmar. „Das wäre das nächste nach dem Soloprojekt. Aber ich weiß nicht, wo ich die Zeit dafür hernehmen soll.“ Ganz generell gilt: „Ich würde gern alles zugleich können.“ Weil das aber selbst für eine Vielarbeiterin wie sie ein Ding der Unmöglichkeit ist, zieht sie Plan B in Betracht: „Je mehr sich anhäuft, desto wichtiger wird die Frage der Dosis.“ Überhaupt geht ihr in der gegenwärtigen Gesellschaft alles zu schnell. „Und alles ist mir viel zu austauschbar. Kaum einer hat heutzutage die Eier, zu sagen: Das gefällt mir nicht.“ Falsch verstandene Zurückhaltung bringt ihrer Ansicht nach nichts, wenn man es einmal mehr mit egozentrischen – „Ich nenne es das Testosterongehabe“ – oder uninspirierten Musikschaffenden zu tun hat. Klartext hält Ingrid Schmoliner für das beste Mittel, um Kommunikation in Bewegung zu halten und den Gesprächen Substanz zu verleihen.

New Adits

So geht sich auch ihr ambivalentes Verhältnis zu ihrem Herkunftsland offensiv an. „Ich wollte unbedingt zusammen mit Kärntner Künstlern etwas auf die Beine stellen.“ So tat sie sich mit den Musikern Martin Schönlieb und Matthias Erian zusammen, holte dazu Raimund Spöck, den Leiter des Lokals im Kulturzentrum raj (in slawischen Sprachen das Wort für Himmel bzw. Paradies) und des dort in der Klagenfurter Badgasse angesiedelten Vereins Innenhofkultur ins Boot und rief das Festival New Adits ins Leben. „Den Raimund wollte ich unbedingt dabei haben. Er ist der der Wenigen, die in diesem Land noch zeitgenössische Musik veranstalten.“ Um zu den nötigen Finanzen zu gelangen und es rechtlich abzusichern, haben Schönlieb, Erian und Schmolinger dafür den Verein Flechtwerk gegründet. Zum dritten Mal gingen im Vorjahr die New Adits im raj über die Bühne.

Wen wundert’s, dass Schmoliner, die Frau unter Workaholic-Verdacht, das Festival räumlich, personell und programmatisch noch ausweiten will. „Ich hätte gern den Komponisten Bruno Strobl an Bord. Außerdem möchte ich durch Workshops am Musikkonservatorium mehr Studenten für die zeitgenössische Musik interessieren.“ Außerdem möchte sie auch das Museum für Moderne Kunst und das Musilhaus gewinnen. Mit der Galerie Seh:Bühne, die Richard Klammer zusammen mit Uwe Bressnik betreibt, arbeitet sie bereits fruchtbar zusammen.

Raum_4

Wenn sie sich gerade nicht um die – ansonsten kaum vorhandende, weil politisch ausgehungerte – Gegenwartsmusik in Kärnten kümmert, veranstaltet sie in Wien Konzerte im Raum_4. Dabei handelt es sich um eine Ateliergemeinschaft mit Onno Ennoson und Klaus Gstettner, in der sie eben den Raum Nr. 4 in der Teybergasse im 14. Bezirk bespielt. „Das ist ein zirka 28 Quadratmeter großer Raum mit einem Stingl-Klavier, das ich komplett verdreckt geschenkt bekommen habe, das aber einen guten Rahmen hat.“ Den Schwerpunkt im Raum_4 bildet einmal monatlich Klaviermusik im kammermusikalischen Rahmen. „Einen Klavierschwerpunkt finde ich total wichtig in dieser Subkulturszene.“

Wien ist vielleicht aber auch gar nicht so anders, wie es gern tut. Auf die Frage, ob sie schön öfter hier beim Rüdigerhof ums Eck in der Hamburgerstraße im Celeste dabei war, wo der Saxofonist Marco Eneidi jeden Montag zu Sessions einlädt, sagt sie: „Ja, aber jetzt schon länger nicht mehr. Ich schätze die Initiative von Marco Eneidi sehr, aber ich habe es satt, mir von besoffenen Jazzfans auf den Arsch greifen zu lassen.“

Jodeln

Um ihre Lebenserhaltungskosten wenigstens halbwegs bestreiten zu können, unterrichtet Ingrid Schmoliner, die in klassischem Gesang ausgebildet wurde, sieben Wochenstunden an der VHS Alsergrund und gibt Privatstunden in den Disziplinen Obertonsingen und Jodeln. Jodeln? „Ja, das ist ziemlich interessant, etwa wie das mit dem Kehlkopf funktioniert. In der Kärntner Volksmusik, die ich ja persönlich gar nicht mag, weil sie von Suderanten und Nationalisten dominiert wird, können sie überhaupt nicht jodeln. Die machen alles falsch.“ Andere, sogenannte seriöse Disziplinen kommen bei Schmoliner indes auch nicht besser weg. „Wenn ich mir im Radio Opernübertragungen anhöre, muss ich feststellen, dass gut 80 Prozent der Sänger und Sängerinnen falsch singen. Ihre Stimmen sind entweder so gedrückt oder so ausgeleiert, dass nichts mehr geht.“ Grund dafür: eine falsche Methode zum Erreichen des Stimmvolumens.

CDs, Ensembles

Aktuell hingen zwei neue CD-Produktionen von Schmoliner bis vor Kurzem in der Pipeline: Vom Para Trio mit Elena Kakaliagou (Horn, Gesang) und Thomas Stempkowski (Kontrabass) erschien dieser Tage auf dem portugiesischen Label creative sources die CD „paraligo“, und Watussi mit Pascal Niggenkemper (Kontrabass) und Joachim Badenhorst (Saxofon) veröffentlicht demnächst auf Werner Zangerles Label Listen Closely ein Album – „Da ist auch ein Jodler drauf, den ich meiner Oma gewidmet habe“.

Von allem bisher Gesagten abgesehen, betreibt Ingrid Schmoliner noch weitere, mit Vorliebe interdisziplinäre Projekte, „die aber teilweise schwierig zu koordinieren sind, weil die Leute in allen Himmelsrichtungen unterwegs sind“. Da ist einmal Luíss mit der finnischen Tänzerin und Choreografin Riikka Theresa Innanen und wiederum mit Elena Kakaliagou. Der Bandtitel übrigens einerseits an die Künstlerin Louise Bourgeois angelehnt und andererseits an Louis, den Sohn von Hedya und Heimo Wallner, der das Hotel Pupik im obersteirischen Schrattenberg bewohnt und jährlich durch Artists-in-Residence bespielen lässt.

Mit den ungarischen Künstlerinnen, Enikö Buday (Tanz, Choreografie, Performance) und der Filmemacherin Sara Scerhalmi, die es in der gegenwärtigen, reaktionären politischen Situation Ungarns besonders schwer haben, hat Schmoliner ein Trio formiert. Und immer noch, wenn auch derzeit ohne viel Spielpraxis existiert das Trio Taro mit ihren New Adits/Flechtwerk-Mitstreitern Matthias Erian und Martin Schönlieb, mit denen sie die CD „flaechten“ (Ostblock) eingespielt hat. Zu allem Überfluss agiert sie noch in Duos mit dem tschechischen Trompeter Petr Vrba und in bist_biss mit der Subbassflötistin und Elektronikerin Pia Palme. Zudem plant sie Zusammenarbeiten mit dem Tanz- und Performancekünstler Bert Gstettner sowie mit den Musikerinnen Irene Kepl und Maja Osojnik. „Aber ich weiß vor lauter Plänen jetzt schon nicht mehr, wo mir der Kopf steht.“

An dieser Stelle sollte gesagt sein, dass sich die existenzielle und nervliche Belastung, der Ingrid Schmoliner ausgesetzt ist, nicht auffällig aufs Gemüt schlägt. Im Gegenteil, sie bricht während des Gesprächs nicht selten in schallendes Gelächter aus. Dennoch weiß sie: „Man muss viel aushalten. In der Kunst generell, und im Musikbetrieb erst recht.“ Langsam wächst ihr das alles über den Kopf, es droht die Gefahr der Frustration. „Ich fühle mich in erster Linie als Musikerin, verschwende aber viel zu viel Zeit mit organisatorischen und bürokratischen Arbeiten.“ So will sie sich – neben Subventionsansuchen – auch um Förderpreise und Stipendien bemühen. Rasend gern macht sie’s nicht. „Aber ich brauche Geld!“

Dieses Porträt erschien in einer leicht veränderten Fassung zuerst in:
freiStil, Magazin für Musik und Umgebung

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