„WIR MÜSSEN IN DIE PRUNKVOLLEN BALLSÄLE” – SAJEH TAVASSOLI (WIENER HIP-HOP-BALL) IM MICA-INTERVIEW

50 Jahre Hip-Hop! Das titelten von FAZ, Standard und dem Achenseer Abendblatt alle wichtigen Blätter zum halben Hunderter von Kopfnickerbeats und deepen oder nicht so deepen Lyrics. Selbst wenn man in Wien – anders als in New York – nicht die halbe Stadt für die Jubiläums-Feierlichkeiten absperrte, bleibt auch hierzulande hängen: Hip-Hop ist ganz schön wichtig. Und hat einen langen Weg hinter sich. Das mögen die Silberrücken in den Kulturspalten immer noch anders sehen. Aber who cares?

Wien hat zwar keinen Times Square, den man für Freestyle-Rap und Breakdance-Battles abriegeln könnte – dafür aber genügend Ballsäle, um Punchlines aufs Parkett zu spitten. Ich habe mich mit einer Person verabredet, die den Knicks genauso beherrscht wie den Code auf der Straße. Und deshalb nach Verbindungen sucht.

„Ey, du sprichst meinen Namen ja richtig aus”, platzt es aus SAJEH TAVASSOLI. „Sonst sagen die Leute ja gern mal Satscheee” Die Organisatorin des WIENER HIP HOP BALLS ist gut drauf. Keine große Überraschung: Wer ihre Social-Media-Kanäle anklickt, sieht: Elmexlächeln, perfect Vibes. Als ehemalige Markenbotschafterin von Adidas und Fitness-Influencerin weiß SAJEH, wie das geht. 

Den WIENER HIP HOP BALL, ihr „Herzensprojekt”, plant sie inzwischen zum vierten Mal. Am 2. März 2024 tauscht man erneut Baggies gegen Anzughose, Krawatte gegen Goldkette, Sneaker gegen Sneaker. Die Eröffnungszeremonie leitet Tanzschulchef Thomas-Schäfer-Elmayer. Flying Steps, die Weltmeister in Breakdance, laden zum Abschlusstanz. Was dazwischen passiert und den urbanen Walzertanz ausmacht, hat SAJEH TAVASSOLI erklärt.

Sajeh, wo erreich ich dich?

Sajeh Tavassoli: In Berlin. Ich leb hier seit drei Jahren. Die Stadt hat eine humanistische Ader, die du in Wien leider noch nicht findet. Dabei heißt es, Berlin habe eine dünne Haut, weil es für jede Vorliebe die exakte Begrifflichkeit gibt. Genau das find ich aber gut, weil: Ohne die Sensibilisierung mit Wörtern wird sich nie was ändern. Kennst du eigentlich Herrn Elmayer?

Besser als ich sollte, ja.

Sajeh Tavassoli: Er wird den Wiener Hip-Hop-Ball zum ersten Mal eröffnen. Wir haben uns zuletzt aber darüber ausgetauscht, dass man die österreichische Ballkultur in Deutschland nicht versteht. Ich würd das gerne ändern, weil: Ich bin Wienerin und mit dieser Kultur im Herzen aufgewachsen. Dadurch hab ich confidence, dass ich das mit dem support aus Österreich eine gute Repräsentation abliefern kann. Das ist aber die Zukunft. Jetzt ist der Ball zuerst 2024 in Wien am Start.

Bild Tanzschulchef Elmayer
Auch am Start: Tanzschulchef Elmayer (c) Stefan Joham

Und zwar zum vierten Mal, oder? 

Sajeh Tavassoli: Ja, 2015 hab ich das erste Mal von einem Hip-Hop-Ball gesprochen. Damals haben mich die Leute für irre gehalten. Ich kam ins Palais Niederösterreich, so bunt wie immer, und die meinten nur: Welche Musik möchten Sie hier spielen? Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Hip-Hop ist bekannter als damals. Es gibt viel Zuspruch. Trotzdem haben wir mit der Veranstaltung noch nie einen Cent verdient. Als jemand, der internationale Entwicklung studiert hat, hatte ich aber immer einen Drang, etwas in unserer Gesellschaft zu verändern. Es geht mir um Repräsentanz und Sichtbarkeit von Themen, die unangenehm sind. Außerdem bin ich eine Hustlerin – viel Arbeit, wenig Geld, das kenn ich.

Beruflich kommst du aus dem Marketing, richtig?

Sajeh Tavassoli: Marketing ist mein Handwerk. In Wien stoße ich aber an meine Grenzen, weil ich von allen Marken höre: Man will hier nicht investieren, weil es nicht Deutschland ist. Das Ding ist: Ich will den Ball hier und für meine Heimat machen. Das hat auch mit meinem Umzug zu tun. Seitdem ich in Berlin lebe, bin ich der größte Wien-Ambassador. Deshalb organisieren wir demnächst auch ein Basketball-Tunier in Wien – weil ich was für die nächste Generation zurückgeben will, aber nicht nur für die: Erst durch die Gespräche mit Herrn Elmayer ist mir aufgefallen, wie viele Menschen aus der Klassik sich nicht in die Hip-Hop-Welt trauen. Warum? Weil es keinen safe space gibt, der diese Annäherung möglich macht. Dabei gäbe es von beiden Seiten Interesse.

„NUR WEIL ICH DAS EINE HÖRE, HEISST DAS NICHT, DASS ICH DAS ANDERE NICHT SEHE.”

Der Hip-Hop-Ball schafft die Verbindung zwischen Klassik und Moderne?

Sajeh Tavassoli: Im Marketing gibt es die Hero-Geschichte: Zu Beginn sind alle gegen dich, weil Veränderung schwierig ist. Bleibt man dran und setzt sich durch, erlangt man Gehör. So ist das jetzt mit dem Hip-Hop-Ball, ja.

Wieso muss Hip-Hop in den Ballsaal?

Sajeh Tavassoli: Schau dir Raf an: 4,5 Milliarden Streams! Nicht einmal Falco hat so viele Leute erreicht. Nur weil ich das eine höre, heißt das aber nicht, dass ich das andere nicht sehe. Ich will, dass mein Sohn Mozart und Beethoven kennt. Die Tradition soll nicht verlorengehen. Deshalb halten wir uns beim Wiener Hip-Hop-Ball auch an die Etiketten der Bälle. Nur der Inhalt ist anders. 

Bild Sneaker
Urbaner Walzertanz nicht ohne Sneaker im Ballroom (c) Stefan Joham

Erklär das doch mal für jemanden, der noch nie einen Hip-Hop-Ball besucht hat.

Sajeh Tavassoli: Im einen Raum läuft international sound mit Rap aus dem UK, aus Frankreich, Spanien und so weiter. In einem anderen Raum spielt man Mainstream. Im nächsten Oldschool-Sounds. Das alles ist Hip-Hop. Und da haben wir noch gar nicht über die Street Culture gesprochen, die damit einhergeht. 

Wie bist du eigentlich zum Hip-Hop gekommen?

Sajeh Tavassoli: Ich war immer mit den älteren Kids unterwegs. So kam ich zu Azad und Sido. Mit Eminem hab ich dann Englisch gelernt. Durch meinen Vater bin ich auch zur Vorgeschichte von Hip-Hop gekommen – mit Platten von Tina Turner, Whitney Houston, Salt ’n’ Peppa. Irgendwann war „U.N.I.T.Y.” von Queen Latifah mein großes Ding.

Wie siehst du deutschsprachigen Hip-Hop heute?

Sajeh Tavassoli: Mich haben immer deepe Lyrics interessiert – die findet man noch immer. Gleichzeitig gibt es viel Blödsinn. Das Schöne ist: Hip-Hop ermöglicht diesen Rahmen. Ich respektiere zum Beispiel, was Künstler:innen wie Yung Hurn oder Loredana machen, ihre Texte sprechen mich aber nicht so an. Das ist ok. Hip-Hop kann so viel abbilden.

Bild Ballsaal
Hip-Hop gehört in den Ballsaal, sagt Sajeh Tavassoli (c) Kreuzberger Joham

Was bildet es für dich ab?

Sajeh Tavassoli: Meine Eltern sind in den 80er Jahren nach Österreich gekommen, sie waren lange in Traiskirchen. Ich bin später mit dem Verständnis von der Wichtigkeit von Wissen aufgewachsen. Wenn ich in einen Raum komme, möchte ich dazugehören, die Sprache sprechen, repräsentieren. Deshalb falle ich aus der klassischen Hip-Hop-Culture raus, gehöre gleichzeitig aber nicht zu den Elite-Menschen, die alles bekommen haben. 

„ICH WAR INTEGRIERT UND DOCH NICHT TEIL DAVON.”

Du stehst dazwischen?

Sajeh Tavassoli: Bis zu meinem 26. Lebensjahr hatte ich keine österreichische Staatsbürgerschaft – obwohl ich mein Leben lang in Österreich gelebt, hier gearbeitet und meine Steuern gezahlt habe. Ich war also integriert und doch nicht Teil davon. Gerade als junger Mensch konnte ich das nicht verstehen. Mittlerweile sehe ich aber, was mir Österreich gegeben hat und was ich zurückgeben möchte. Das heißt: Ich möchte Verantwortung übernehmen, weil mir das Menschliche nicht egal ist. 

Hip-Hop kann das Menschliche repräsentieren, meinst du?

Sajeh Tavassoli: Auf jeden Fall, deshalb ist der Slogan für den vierten Ball auch: „United in Diversity”. Wir fangen beim Menschen an – bevor wir über Geschlecht, Sexualität oder Herkunft sprechen. Schließlich haben wir alle das gleiche Herz. Natürlich bin ich mir auch den Problemen von Homophobie und Misogynie bewusst, aber: Hip-Hop kann für Diversität stehen. 

Gibt es Stimmen, die das nicht so sehen?

Sajeh Tavassoli: Eine größere Marke will den Wiener Hip-Hop-Ball nicht unterstützen, weil die Verantwortlichen Hip-Hop aus der Perspektive der Straße betrachten. Das akzeptiere ich, aber: Wenn wir uns nie an fremde Tische setzen, die außerhalb unserer Perspektive liegen, wird sich nie was ändern. Wir müssen in die prunkvollen Ballsäle und visibility schaffen – auch um mit Klischees zu brechen.

Plakat Wiener Hip Hop Ball
Plakat Wiener Hip-Hop Ball

Wie meinst du das?

Sajeh Tavassoli: Goldketten, Prunk, Louis Vuitton und der Sellout von Hip-Hop. Darüber diskutiert man, das weiß ich. Aber all diese Verschränkungen symbolisieren das Extreme, die extreme Sichtbarkeit schafft. Ein Beispiel: Mein Vater versteht am Pride Day nicht, warum die Leute nackt rumlaufen. Ich versuche ihm zu erklären, dass es extreme Maßnahmen braucht, damit die Gesellschaft hinschaut. Das heißt: Klassik und Hip-Hop können profitieren, wenn beide Kulturen zusammenkommen. Deshalb will ich den urbanen Walzertanz auch als immaterielles Kulturerbe bei der Unesco aufnehmen lassen. Es geht um Sichtbarkeit und Akzeptanz.

Hip-Hop hat die Sichtbarkeit, aber keine Akzeptanz?

Sajeh Tavassoli: Hast du die Diskussion mitbekommen, ob Breaking olympisch werden soll? Das war ein großes Thema. Und es hat Zeit gebraucht, um Sichtbarkeit zu erlangen. Jetzt ist es olympisch und einige meinen, es hätte im Underground bleiben sollen, weil es mit einer gewissen Culture zusammenhängt. Ich denke aber an die Sichtbarkeit. Wenn die NBA anklopft, sagst du auch nicht nein. 

Nein?

Sajeh Tavassoli: Mich kann man in dem Punkt nicht verarschen. Ich spreche die Sprache. Und ich weiß: Wir müssen uns die Hand geben und gemeinsam nach vorne treten. Warum? Weil wir realisieren sollten, woher wir kommen. Viele Leute sind viele Kilometer vor uns gegangen. Dem möchte ich Respekt zollen, indem ich die Tradition wahre – und mit der Moderne in Dialog trete. Genau das passiert am Wiener Hip Hop Ball.

Danke für das Gespräch!

Christoph Benkeser

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4. Wiener HipHop Ball
2. März 2024
Kursalon Wien

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Kursalon Wien. Bei Interesse schreiben Sie bitte bis zum 19.02.2024 eine E-Mail an office@musicaustria.at mit dem Betreff: „Wiener Hip Hop Ball “. Hier geht es zu den Gewinnspielbedingungen.

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Links: 
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