„WIR KONNTEN DIE FINGER KAUM MEHR BEWEGEN” – MANU DELAGO IM MICA-INTERVIEW

Der in London lebende Tiroler Komponist, Perkussionist und Hang-Virtuose MANU DELAGO ist ein begeisterter Bergsteiger. Wann immer er neben seinen Projekten mit Björk, Anoushka Shankar, dem Cinematic Orchestra oder Ólafur Arnalds ein paar Tage Zeit findet, besteigt der die höchsten Gipfel seiner Heimat. Das hat er vor einem Jahr nun auch mit einem Ensemble aus sieben Musikern getan und nun den einzigartigen Bergfilm “Parasol Peak” mit begleitendem Album als Dokument dieser beeindruckenden Expedition veröffentlicht. MANU DELAGO gewährte Michael Franz Woels einen Blick hinter die (Alpen)Kulissen der Dreharbeiten in den Stubaier Alpen. 

Dein neues Album “Parasol Peak” erscheint am 7. September. Mir ist aufgefallen, dass es dieses Video “Freeze” von 2017 mit dir in den Alpen gibt. War das der Beginn der Idee, dieses alpine Musizieren auch mit mehreren Spielern zu versuchen? 

Manu Delago: Für das Video “Freeze” habe ich mit dem Regisseur Johannes Aitzetmüller zusammengearbeitet, der viele Sport- und Extremfilme macht. Ich bin sehr gerne in den Bergen und wollte dann etwas Größeres als dieses viereinhalbminütige Video mit Hang und Electronics probieren. Zur selben Zeit habe ich ein animiertes Video mit dem Namen “A Step” mit dem Filmemacher Jeb Hardwick aus Brighton. Den habe ich nun als Artistic Director für „Parasol Peak“ mit an Bord geholt. Johannes Aitzetmüller hat als Bergregisseur die extremen Landschaftsaufnahmen gemacht. Diesmal wollten wir nur akustische Instrumente verwenden, keinen Strom abgesehen von den Akkus für die Kameras und Aufnahmegeräte. Wir wollten noch extremere Klettersteige und Gletscherbereiche als in „Freeze“ ausfindig machen um alleine ohne Wandertouristen in einer schönen Filmlandschaft spielen zu können.

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Wieviel Zeit war zwischen dem Dreh von “Freeze” und der “Parasol Peak” Berg-Tour? 

Manu Delago: September 2016 habe ich „Freeze“ gedreht und im September 2017 waren wir mit “Parasol Peak” in den Bergen. Es galt geeignete Musiker zu suchen, das Team zusammenzubringen, die Locations zu scouten. Wir waren dann insgesamt sieben Musiker und acht Filmcrew-Leute. Logistisch habe ich daran ein Jahr geplant und danach nochmal vier Monate Zeit für die Post Produktion verbracht. 

„DIE INSTRUMENTIERUNG WAR DADURCH RELATIV RANDOM“ 

Was war zuerst da? Die Musiker oder die Kompositionen für „Parasol Peak“? 

Manu Delago: Ich bin meine Musiker-Kontakt durchgegangen und habe geschaut, wer ein portables Instrument spielen kann und auch fit genug ist um zu klettern. Es sind dann nicht so viele Musiker in der Auswahl übergeblieben. Die Instrumentierung war dadurch relativ random, aber ich habe das als Herausforderung angenommen und für diese sieben Instrumente komponiert. Denn das ist jetzt nicht unbedingt eine Besetzung, die gängig ist: Zwei Blechbläser (Mark Osterer und Alois Eberl, Anm.), ein Holzbläser (Georg Gratzer, Anm.), ein Cello (Johanna Niederbacher, Anm.) und drei Perkussionisten (MD mit Tobias Steinberger und Chris Norz, Anm.). 

Wie ist es den Instrumenten unter diesen alpinen Extrembedingungen ergangen? 

Manu Delago: Es war eine Herausforderung für die Musiker, die Instrumente zu spielen und zum Klingen zu bringen. Von der Intonation her haben sie Großes Geleistet, weil die Instrumente bei diesen extremen Witterungsverhältnissen total verstimmt waren. Für Mark Osterer, den Trompeter war es unmöglich, so hoch zu spielen, wie wir mit dem Akkordeon und dem Hang gestimmt waren. Er hat dann spontan transponiert, die Trompete runtergestimmt und alles einen Halbton höher gespielt. Da braucht man schon ein ziemliche musikalische Rafinesse, um das auf 3000 Metern, wo die Luft auch schon ziemlich dünn wird, durchzuziehen. Generell war es natürlich für die Gruppe ein sehr intensives Erlebnis, es gab Momente von Höhenangst und Erschöpfung. Wie wir zum Beispiel über zwei Stunden am Gipfel ausharren mussten um zu warten, bis die Kameras alle eingerichtet waren. Danach konnten wir die Finger kaum mehr bewegen. Trotzdem war es dann ein schönes, wärmendes Gefühl, mit befreundeten Musikern diesen Ausblick zu haben und gemeinsam Musik zu machen. Mir ist erst nachher so richtig bewusst geworden, was wir da einzigartiges auf die Beine gestellt haben. Das hat es in dieser Form bis jetzt noch nicht gegeben. 

Bild Parasol Peak Ensemble
Parasol Peak Ensemble (c) Johannes Aitzetmüller

Schön finde ich ja auch, dass man diese ganzen Anstrengungen und Strapazen den Kompositionen auf „Parasol Peak“ in keiner Weise anmerkt. Sie haben im Gegenteil eher etwas Leichtes und Luftiges … 

Manu Delago: Auch ein spezieller Aspekt an dieser Produktion war ja, dass wir die ganze Woche nie etwas anhören konnten. Wir haben nicht gewusst, wie gut die Klangqualität der Stücke ist, weder spieltechnisch noch aufnahmetechnisch. Die große Hoffnung war, das wir diese Aufnahmen für das Album verwenden können. Aber ich hatte eher die Erwartung, dass wir danach nochmal ins Studio gehen, um ein Album zu machen für Leute, die den Film gesehen haben und die Musik in besserer Qualität auf einer CD oder digital nachhören wollen. Aber wir mussten nichts im nach hinein aufnehmen.

„WIR VERSUCHEN NICHT, DIE MUSIK VOM BERG EINS ZU EINS IM KONZERTSAAL NACHZUSTELLEN.“ 

Wie wollt ihr das nun live umsetzen? 

Manu Delago: Der Film wird jetzt weltweit bei vielen Bergfilm- und Heimatfilm-Festivals gezeigt werden. Beim ersten Festival, beim Matterhorn-Filmfestival wurden 600 Filme eingereicht und „Parasol Peak“ hat den Preis für “Bester ausländischer Film” und “Bester Publikumsfilm” gewonnen. Für mich ist das jetzt eine ganz neue Welt, ich kenn ja eher die Musikwelt und habe ja nie mit Filmpreisen gerechnet. Um auf deine Frage zurückzukommen: bei den Screenings gibt es teilweise auch Live-Performances. Diese Live-Elemente sind aber eigene Performances. Wir werden das bei der Wien-Premiere am Sonntag auch im Metro Kinokulturhaus machen. Aber wir versuchen nicht, die Musik vom Berg im Konzert- oder Kinosaal eins zu eins nachzustellen, weil die wurde einfach speziell für einen alpinen Ort komponiert. 

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Gibt es bei deinem bevorzugten Instrument, dem Hang, noch spieltechnisch Bereiche, die du genauer ausloten möchtest? 

Manu Delago: Auf meinem letzten Album “Metromonk” habe ich sehr viel mit Hang und Electronics musiziert, um die elektronische Klangmanipulation dieses Instruments auszuloten. Als Gegenbewegung dazu war ich nun wieder mehr in einer “akustischen Welt” unterwegs, auch gerade mit dem Filmprojekt „Parasol Peak“. Es geht in eine Richtung, wo ich versuche, um das Hang herum kreativ zu sein, im konzeptionellen Sinne von Komposition und Orchestrierung. Die meisten Leute assoziieren mich zwar mit dem Hang, aber bei vielen Projekten wie zum Beispiel auch bei Ólafur Arnalds spiele ich gar nicht Hang. Bei Anushka Shankar spiele ich als Perkussionist zirka 30 Prozent Hang, bei Björk 10 Prozent Hang. Aber bei meinen eigenen Projekten ist es sehr präsent. Wenn ich also auf ein Hauptinstrument reduziert werden müsste, ist es das Hang.

„EIN SONNENAUFGANG IST RELATIV SCHWER IN EINEM MUSIKVIDEO FESTZUHALTEN.“ 

Sind die einzelnen Episoden im Film eigentlich chronologisch? Die Base Camp Szene ist ja am Ende während des Abspanns zu sehen.

Manu Delago: „Parasol Peak“ ist ja ein Musikfilm und keine Dokumentation. Während der Expeditionswoche sind wir jeden Abend zurück ins Base Camp gewandert. Der Film und auch die Musik sind sehr langsam und atmosphärisch, was großteils auch dadurch bedingt war, dass wir so weit auseinander gestanden sind, dass wir gar nicht in der Lage waren, rhythmisch mit Beats zu spielen. Und in der Berghütte hatten wir dann die Möglichkeit, nochmal etwas Rhythmisches und Grooviges zu spielen. Es ist stilistisch ein Bruch mit den ruhigen Stücken davor, aber ich finde das verträgt der Film. 

Wieviele Stunden seid ihr pro Tag gegangen? 

Manu Delago: Wir sind zwischen zwei und drei Stunden pro Zustieg gegangen. Ursprünglich wollten wir eigentlich einen Sonnenaufgang beim Gipfel drehen. Nach der Nacht ist es kältesten, da wäre es nochmal um fünf Grad kälter gewesen. Wir hatten eh schon um die Null Grad, das heisst wir hätten bei Minus Fünf Grad gespielt. Ein Sonnenaufgang ist relativ schwer in einem Musikvideo festzuhalten. Du hast eigentlich nur einen Take und selbst in diesem verändern sich Lichtsituation sehr schnell. Deshalb haben wir das Gipfelstück “Parasol Peak” dann auf einen Nachmittag verlegt. Das Ensemble ist bei Schneefall aufgestiegen, die Film-Crew musste schon eine Stunde vor uns dort sein, um ihr Equipment aufzubauen. Und die wussten dann nicht genau, ob wir wegen dem vielen Neuschnee überhaupt kommen können, weil sie keinen Handy-Empfang hatten und die Musiker schon von den vorigen Drehtagen so erschöpft waren. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

Michael Franz Woels

 

Parasol Peak Film-Premiere Wien:
7.9. Metro Kino Einlass: 19.30h Beginn 20 Uhr

Manu Delago Acoustic Tour:
16.11. Komma, Wörgl
17.11. Altes Kino, Landeck
18.11. Jazzit, Salzburg

Links:
Manu Delago
Manu Delago (Facebook)