Reihe "Zukunft der Festspiele": Mitten im Leben

Musikfestivals und Festspiele gibt es hierzulande inzwischen wie Sand am Meer. Und das in allen Genres. Wohl selten zuvor hatten Musikliebhaber eine solch große Auswahl wie heutzutage. Was macht eine solche Veranstaltung aber zu etwas Besonderem? Womit locken die Organisatoren und IntendantInnen ihr Publikum? Wie haben sich überhaupt in den vergangenen Jahren die Anforderungen an die Programmatik eines Festivals geändert? Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele, im Gespräch mit Markus Deisenberger.

Erfolgreiche Festspiele müssen Maßstäbe setzen, was die Interpretation der gespielten Komponisten anbelangt. Gibt es ein Rezept, wie das gelingen kann?
Interpretieren heißt Übersetzen und es gibt einen unglaublich weiten Radius an Möglichkeiten und keine allein selig machende. Weder in der Musik, noch in einer anderen Kunstform. Interpretation braucht ihre Zeit, braucht ihre Entwicklung. Ich bin für die größtmögliche Freiheit.

Wie wichtig ist Innovation, um ein Festival zu positionieren?

Die Frage nach Innovation lässt sich nicht am Reißbrett abhandeln, sondern hat mit Inhalten zu tun. Nur neue Stücke zu spielen etwa wäre zwar eine respektable Möglichkeit, für sich aber noch nicht innovativ. Es geht um die Umgebung, die man schafft, und um die Zusammenhänge, die man hörbar und erlebbar macht. Es geht um die Atmosphäre und die Konzentration des Wissens. Natürlich muss man darüber nachdenken, wohin man so einen Dampfer wie die Salzburger Festspiele führt, aber man wird nicht weit kommen, wenn man sich Etiketten auferlegt.

Hat sich das Verhältnis zwischen sozialer und kultureller Funktion von Festspielen geändert?
Die Festspiele sind seit den 1990er-Jahren offener geworden, verfügen über mehr Spielorte und ein bunt gemischtes Publikum. Ich glaube nicht, dass man da auch nur einen halben Schritt zurückgehen sollte. Festspiele haben mit unserem Leben zu tun, mit unserer Gegenwart, mit dem, was in unserer Welt passiert. Wir können uns nicht fünf Wochen lang von alledem abkapseln, was unser Leben, unsere Welt, unsere Hoffung und unseren Schmerzen ausmacht. Das funktioniert einfach nicht. Festspiele haben mitten im Leben zu sein.

Hat sich Deine Herangehensweise an die Schaffung von Hörsituationen geändert?
Nein. Musik ist etwas, das man hören muss. Musik lässt sich nicht anders wahrnehmen als durch Hören. Und Hören ist ein außerordentlich differenzierter Vorgang. Es erfordert eine gewisse Form der Konzentration, des Miteinanderseins und Zuhörens. Diese Situation zu schaffen und möglich zu machen, ist etwas, von dem ich zutiefst überzeugt bin. Es gibt eigentlich fast keine Musik, bei der man es sich leicht machen kann. Wenn man glaubt, dass man sich in einer Klaviersonate von Schubert oder einer Symphonie von Mahler beruhigt zurücklehnen kann und das genießend an sich vorbeiziehen lassen kann, täuscht man sich.

Dir ging es in Deiner Arbeit immer darum, Bedingungen zu schaffen, in denen sich Musik ideal mitteilen lässt – Glaubst Du, dass Du während Deiner Arbeit in Salzburg diesem Idealen näher gekommen bist?
Ja, wesentlich. Durch die künstlerische Großzügigkeit, in der es mir erlaubt war hier zu produzieren, die Großzügigkeit der Unternehmen, die mir anvertraut wurden, die Großzügigkeit der Künstler, die ich hier kennen lernen durfte, und vor allem die Großzügigkeit, mit der mir das Publikum begegnete, sich auf Reihen wie etwa die Kontinente mit mir gemeinsam einließ. Das waren schon Momente, die im gemeinsam Hören und sich gemeinsam Einlassen so beglückend waren, dass sie jedes Klischee über das Publikum der Salzburger Festspiele obsolet gemacht haben.

Da klingt jetzt schon ein bisschen Wehmut mit.
Wieso soll ich nicht ein bisschen wehmütig sein dürfen?

Dein Resumee über Deine Salzburger Zeit ist demnach ziemlich positiv?
Nicht nur ziemlich. Das war die bereicherndste und schönste Zeit meines Lebens – ohne irgendeine Einschränkung. Wenn ich das in Summe betrachte, dann kann ich das wirklich so sagen.

Das böse Blut, von dem in den Medien zu lesen war, gab es nicht?
Das ist etwas anderes. Wir reden ja davon, was ich gemacht habe und nicht davon, was mir verwehrt wurde, zu machen. Das, was die Programmatik ausmachte, welche Freiheit und Großzügigkeit ich vorfand. Über Bestellung oder Nichtbestellung rede ich nicht.

Wird sich in Salzburg die Heterogenität des Publikums noch verstärken?
Das ist eine sehr differenzierte Diskussion, die man in diesem Zusammenhang führen muss. Da werden wir immer mit Schlagworten konfrontiert: Die Klassik sei in der Krise heißt es. Die Klassik aber ist überhaupt nicht in der Krise, vielleicht ist das System in einer Krise. Das System hat sehr viel mit Erziehung zu tun, mit einem formulierten Anspruch, mit einer Bewusstseinsbildung, wonach diese Sachen wichtig sind und zu unserem Selbstverständnis gehören. Wir können aber nicht so tun, als ob das in irgendeiner Form massenkompatibel wäre. Schönberg, Mahler und Nono sind keine Massenphänomene und werden es auch nie sein. Das Quotendenken und der Vorgabe, es müssten soundso viele in ein Konzert gehen, erst dann sei es etwas wert, kann ich überhaupt nichts anfangen. Wenn Menschen zusammenkommen, um eine bestimmte Musik zu hören, dann ist das kostbar und lässt sich nicht quantifizieren. Der Wert solch einer Veranstaltung lässt sich nicht durch Zahlen rechtfertigen.

Wenn trotzdem wenige kommen, liegt es dann am System?
Nein. Die essenzielle Frage ist, wie sich die Wichtigkeit und Notwendigkeit von Kunst in einer Form von Bewusstseinsbildung manifestieren lässt. Ich unterstelle jetzt, dass es Zeiten gab, in denen das intelligenter formuliert wurde.

Kannst Du das konkretisieren?
Es gab Zeiten, in denen die Verantwortlichen nicht in eine Situation gedrängt wurden, in der das allein Seligmachende die Quote war. Wir stehen alle unter einem wahnsinnigen Druck: Wenn etwas nicht die und die Auslastung hat, dann ist es nicht so wichtig. Aber die Wichtigkeit lässt sich nicht nur an Auslastungszahlen, Prozenten und Gewinnmaximierung berechnen. Ich möchte so viele Menschen wie möglich erreichen, aber trotzdem kann das alleine nicht das entscheidende Kriterium sein.

Haben sich Deine persönliche Sichtweise der Programmatik eines Festivals und Deine ganz persönliche Herangehensweise an die Programmierung geändert?
Mein Blickwinkel ändert sich ständig. Das heißt aber nicht, dass ich nicht eine sehr präzise Vorstellung davon hätte, wie man etwas machen sollte. Aber der eigene Horizont erweitert sich ständig, indem man Erfahrungen macht. Wäre ich so vermessen, zu behaupten man habe eine Formel gefunden und diese Formel gelte bis ans Ende meiner Tätigkeit, wäre das eine Armut sondergleichen.

http://www.salzburgerfestspiele.at/