Er zählt trotz seines jungen Alters ohne Zweifel ohne Zweifel schon zu den renommierten Persönlichkeiten der heimischen Jazzszene. Der 1984 in Feldkirch geborene Pianist David Helbock (HDV Trio, Random Control) im mica-Interview über das Bedürfnis nach neuen Sounds, musikalische One Night Stands und intuitives Vertrauen. Das Interview führte Markus Deisenberger.
= Kontrolle und Kontrollverlust =
Kannst Du den Titel Deines neuen Albums „Random/Control“ erläutern?
Gerne. Meine Musik war immer schon so aufgebaut, dass sie zum einen totale Freiheiten hat, andererseits aber sehr schwere, „ausgecheckte“ Passagen aufweist, für die man wirklich intensiv proben muss. Reinen Free Jazz wollte ich nie spielen. Ich schreibe auch gerne so, dass ich einmal total komplexe, dann wieder sehr freie Konzepte erarbeite. Das war also immer schon so in meiner Musik, nur habe ich es jetzt zum ersten Mal auch so benannt.
Und aus welcher der beiden Richtungen kommst Du ursprünglich? Aus der Impro-Schiene, was hieße, dass Du Dir das Konzeptuelle hart erarbeiten müsstest, oder umgekehrt?
Ich habe am Feldkircher Konservatorium Klassik studiert, dann aber auch schon sehr früh schon am Jazzseminar in Dornbirn Stunden belegt. Dann ist Peter Madsen im Jahr 2000 nach Vorarlberg gezogen und wurde mein Lehrer. Ich bin also immer schon beide Schienen parallel gefahren, aber Jazz hat sich immer mehr zu meiner Musik entwickelt. Ich habe sehr viel vom Klassik-Studium profitiert – sowohl technisch als auch musikalisch –, moderne Komponisten und ihre Aufführungspraxis, ihr Publikum kennen gelernt, dennoch ist das einfach eine andere Welt, die mir nicht so zusagt.
Bist Du ein Control-Freak, der sich zusammenreißen muss, damit er diese Kontrolle verliert oder kommt das im Laufe der Arbeit ganz von selbst?
Gute Frage. Es kommt eigentlich schon von selber, aber ich begebe mich auch bewusst in Konstellationen, die mir den Kontrollverlust erleichtern. Im dieser Band etwa bin wahrscheinlich oft die Kontrolle und die Jungs der Kontrollverlust. Johannes (der Hornist) etwa ist kein Jazzer, sondern kommt aus der Volksmusik und verfügt deshalb über einen sehr natürlichen Ansatz. Das passt ganz gut, weil ich oft mit kopflastigen Konzepten komme, denen solch ein Gegengewicht recht gut tut. Man ergänzt sich und kann voneinander profitieren.
Die ersten Stücke sind sehr lang – Zufall oder von Anfang an geplant, damit es einfach Raum gibt für eine Entwicklung?
Das war von Anfang an klar. Auch schon auf meinen früheren, mit anderen Trios eingespielten CDs gab es immer wieder lange Stücke. Das ergab sich einfach so.
Manchmal wirken die Stücke, als würde es Dir wie in einer Kurzgeschichte um einen klassischen Aufbau mit Spannungsbogen gehen.
Die Arrangements sind ganz klar definiert und dazwischen gibt es freie Teile, die aber in das Arrangement eingebettet sind. Gerade im ersten Stück gibt es eine lange freie Passage mit Elektronik und Flügelhorn, aber es ist eben genau festgelegt, wann dieser Part kommt und wie lange er ist.
Ganz frei ist also nichts.
Nein, es ist immer diese Mischung.
Bist Du jemand, dem der Unterschied zwischen Mainstream und Seitenlinien völlig egal ist oder jemand, der darüber nachdenkt und sich bewusst positioniert?
Eigentlich ist es mir völlig wurscht. Aber erst vor kurzem bin ich nach Wien gezogen und da gibt es einfach diese unterschiedlichen Szenen, die Impro-Szene, die klassische Jazz-Szene und so weiter. Als Neuankömmling ist das erst einmal faszinierend zu sehen, was es da so gibt und überall einmal mitzuspielen…
Hast Du diese Szenen eher als geschlossen erlebt oder sind sie offen?
Es geht schon, rein zu kommen. Interessant ist aber, dass die meisten Leute voneinander nicht wissen. Es gibt zwar immer wieder Grenzgänger, die beides machen, das ist aber eine ganz kleine Minderheit. Generell gibt es also sehr eingefleischte Szenen, die nichts miteinander zu tun haben. Insofern berühren mich diese Trennlinien natürlich schön.
Wenn man Random/Control hört, stößt man auf die verschiedensten Einflüsse. Vor allem südamerikanische Patterns hört man da raus. Insgesamt gewinnt man aber den Eindruck, klassischer US-amerikanischer Jazz a la Coltrane und Mc Coy Tyner wäre nicht ganz so Deines.
Ich habe sehr viel Hermeto Pascoal gehört und mich sehr viel mit afrikanischer Musik auseinander gesetzt. Ich habe auch speziell Stücke für Pascoal geschrieben (Don´t forget the poet). Coltrane war aber schon auch ein wichtiger Einfluss. Ein noch wichtigerer aber Lennie Tristano, der eigentlich ein klassischer Bepop-Pianist war und ein guter Insider-Tipp ist. Lennie hat mit allen gespielt, mit Charlie Parker und mit Monk, war blind und weiß, was damals eher ungewöhnlich war und außerdem seiner Zeit immer ziemlich voraus. Er war der erste, der eine Free-Jazz-Aufnahme gemacht hat, zehn Jahre noch bevor Free Jazz überhaupt ein Begriff wurde. Auch mit Parker ist er nicht zusammen gekommen, weil er schon zu weit voraus, zu schräg war. In New York gibt es eine ganze Community von Leuten die seine Musik spielen. Aber im Grunde genommen ist das Bepop, was er spielt.
Auch ihm habe ich eine Nummer gewidmet (Lennie´s Pennies). Ich denke ich habe viele Einflüsse, aber klassischer Jazz US-amerikanischer Prägung spielt schon auch eine Rolle.
Was ist das Faszinierende an Monk für Dich?
Ich mag einfach Typen, die ihren eigenen Weg gehen. Monk hatte im Grunde genommen auch eine sehr starke Jazz-Tradition hinter sich, die er auch verkörperte, war selbst Lehrer für viele andere, und trotzdem hat er seinen Weg durchgezogen Tristano und Pascoal ebenso. Nach dem Motto: Ich ziehe es einfach durch, egal was kommt. Das beeindruckt mich.
Du hast mit „My Personal Realbook“ ein Jahr lang kompositorisches Tagebuch geführt. Kannst Du darüber etwas erzählen?
Die Idee kommt auch von Hermeto, der das einmal 1998 gemacht hat. Er hat ein Jahr lang jeden Tag ein Stück geschrieben. Ich habe es ihm 2009 nachgemacht.
Daher kommen auch die beiden nach Daten benannten Stücke auf dem Album?
Genau.
Und im Jänner warst Du offenbar besonders kreativ, weil beide Nummern aus dieser Zeit stammen?
Nicht unbedingt. 2009 nur ging es auch mit dem Trio los und wir nahmen gerade auf. Parallel zu den Aufnahmen habe ich täglich Stücke geschrieben und das hat dann automatisch Einfluss auf den Aufnahmeprozess genommen.
365 Stücke also. Und wie viele davon kann man tatsächlich verwerten?
Verwerten ist ein komisches Wort. Zu Sessions in Wien nehme ich die Stücke oft mit. Oder auch zu Geburtstagen, da kann ich dann die Nummer dieses speziellen Tages spielen. Oft erinnere ich mich dann aber auch gar nicht mehr an das jeweilige Stück. Es gibt natürlich ein paar Highlights, die man immer wieder spielt…
Hast Du Dich in diesem Jahr manchmal auch zum Komponieren zwingen müssen?
Manchmal schon, aber das war ja auch genau das Spannende. Am Anfang denkt man, man hat mehr als genug Ideen für ein solches Projekt, man hat mehr als tausend Stücke im Kopf. Aber nach den ersten paar Monaten kommt man drauf, wie sehr man sich doch wiederholt. Und mein Ziel war es auf jeden Fall, eine gewisse Vielfalt zu erzielen. Dann fällt man in ein Loch und probiert, um aus diesem Loch wieder raus zu kommen, plötzlich Dinge aus, die man sonst nicht probiert, was wiederum einen großen Lernprozess in Gang setzt. Das ist das wirklich Interessante daran.
Kannst Du den Unterscheid zwischen dem HDV-Trio und Deinem jetzigen Projekt „Random/Control“ in Worte fassen?
Schwer zu sagen. Ich sehe Random/Control als natürliche Weiterentwicklung. Wir haben sehr lange im klassischen Trio gespielt. Da hatte ich einfach große Lust auf ein anderes Instrumentarium, ein Bedürfnis nach neuen Sounds und neuen Klangkonstellationen, was bei meinen Mitstreitern bei Random/Control auf fruchtbaren Boden fiel, weil sie so viele verschiedene Instrumente spielen.
Wird es beide Projekte parallel zueinander weiter geben?
Nein, HDV gibt es offiziell nicht mehr. Der Schlagzeuger macht Pause.
Wandlungsfähigkeit scheint ein wichtiger Aspekt deiner Arbeit zu sein?
Schon, ja. Mir ist es wichtig, neue Sachen auszuprobieren, mit neuen Leuten zusammen zu spielen. Andererseits ist mir aber eine gewisse Konstanz auch sehr wichtig. Deswegen gab es HDV auch so lange, und deshalb existiert Random/ Control nun auch schon eine Weile. Im Jazz gibt es ja sehr wenige Bands, die oft zusammen spielen. Jeder spielt mit jedem, was im Grunde genommnen auf eine Abfolge von vielen One Night Stands hinausläuft. Mir allerdings ist es sehr wichtig, mit einer Band über einen längeren Zeitraum hinweg zu arbeiten, weil sich so ganz einfach ganz andere Sachen ergeben.
Wie muss eine Situation beschaffen sein, damit Improvisation nicht beliebig wird? Und ist es leichter diese Beliebigkeit zu vermeiden, wenn man mit solchen langjährigen Weggefährten spielt?
Ja, auf jeden Fall. Gerade bei HDV gab es in den sieben Jahren eine unheimliche Entwicklung. Anfangs haben wir noch viel geprobt, dann viel mehr live gespielt. Und dabei lernt man sich nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich kennen und baut Vertrauen auf – weniger ein bewusstes als vielmehr ein intuitives Vertrauen. Und wenn dieses Gefühl da ist, kommunizierst du auf einer ganz anderen Ebene, weil man intuitiv weiß, was der andere will und was er nicht will. Es ist schwer zu beschreiben, aber irgendwann kommt man als Band in eine Phase, in der intuitiv sehr vieles möglich wird.
Die Gefahr, dass es sich wiederholt, ist trotzdem nicht gebannt, oder?
Sicher gibt es diese Gefahr. Da steht man immer an der Kippe. Für den einen ist es zu viel Wiederholung, für den anderen zu wenig. Wie in einer zwischenmenschlichen Beziehung auch. Aber an jeder Krise wächst die Band, das ist das Wichtige.
Im CD-Inlay zu „Random/Control“ sprichst Du davon, Fahrt aufzunehmen. In der Musik selbst gibt es aber auch leise Moment. Improvisation ist also nicht gleichbedeutend damit, sich in kurzen Momenten aus dem Korsett zu befreien und die Sau rauszulassen?
Nein, das hat mit dem nichts zu tun. Mit den Jungs zu spielen, ist einfach sehr lustig. Gerade in das Monk-Stück habe ich unglaublich viele Instrumentenwechsel reingeschrieben. Johannes teilweise vier Instrumente gleichzeitig in der Hand. Das ist schon sehr sportlich. Tuba, Zwei Trompeten, ein Bariton. Da wird Fahrt aufgenommen…
Das HDV Trio schläft also, Du bist solo unterwegs und im Trio Random/Control. Gibt es sonst noch Projekte, die Dich beschäftigen?
Ja. Ganz aktuell ein Duo Geige/Klavier mit Simon Frick – auch ein Vorarlberger, der in Wien lebt. Seit einem halben Jahr proben wir und soeben haben wir eine CD – auch bei Traumton – aufgenommen. Wir kennen uns schon ewig, sind gemeinsam ins Musikgymnasium gegangen, haben dann allerdings unterschiedliche Wege beschritten. Und vor einiger Zeit kam uns die Idee, doch einmal gemeinsam zu spielen
Wird sich dieses Duo stark von Random/Control unterscheiden?
Schon sehr stark, ja. Einmal rein von den Instrumenten her und auch sonst. Aber vom Stil her ist es schon auch ähnlich: Eine modere Mischung aus allem Möglichen. Ja, und dann gibt es noch C.I.A., was für Collective Of Improvising Artists steht- ein von Peter Madsen gegründetes Kollektiv aus Musikern der Region Vorarlberg, wobei auch einige Deutsche und Schweizer dabei sind. Ein Ensemble von vierzehn Leuten. Wir sind keine traditionelle Big Band und spielen viel Weltmusik, auf der letzten CD unter anderem iranische und chinesische Musik, bunt gemischt. Davor hatten wir ein Sun Ra-Projekt am Start. Einmal im Monat wird auch zu Stummfilmen live improvisiert. Aus C.I.A. haben außerdem sich außerdem viele kleine andere Bands entwickelt. So spiele ich noch mit Peter Madsen in einem Quartet, wo er Piano und ich Synthesizer spiele. Und solo mache ich immer wieder was.
Was spielst Du, wenn Du solo auftrittst?
Eigentlich einen Querschnitt aus all meinen Projekten. Eine Mischung also. Viele Stücke der Random/Control-CD kann ich auch solo spielen, weil sie sich ursprünglich auch aus Solo-Stücke heraus entwickelt haben.
Sind Deine Verbindungen zu Vorarlberg denn von Wien aus aufrechtzuerhalten?
Ich bin immer wieder dort, ja.
Wieso bist Du überhaupt nach Wien gegangen?
Vorrangig um neuen Musikern zu begegnen.
Und: Mission accomplished?
Ich bin jetzt erst ein halbes Jahr hier, aber ich habe in dieser Zeit unheimlich viele neue Musiker kennen gelernt. Insofern: Ja!
Sind Deine Eindrücke von Wien positiv?
Ja, doch. Abgesehen von den angesprochenen Schatullen auf jeden Fall. Aber ich probiere eh die Musiker zu finden, die nicht so denken. Vieles ergibt sich ja auch von selbst.
Vielen Dank für das Gespräch.
http://www.davidhelbock.com/