Slobodan Kajkut ist das Mastermind hinter „God“ bzw. „God Records“, einem Label für zeitgenössische österreichische Musik. Der im bosnischen Banja Luka geborene Komponist interessierte sich schon früh für schrille Musik. „Vielleicht auch, weil die bei uns so schwer zu bekommen war“, erzählt er. Ob ein Karlheinz Stockhausen oder die Rockpioniere King Crimson, das war für ihn als Jugendlicher relativ egal, Hauptsache es klang anders. Zu den vielen Einflüssen, die ihn damals prägten, zählte etwa auch ein für damalige Verhältnisse geradezu experimentelles Remix-Album von Madonna. „Ich war für alles dankbar, was anders klang, denn die EU war für Bosnien damals praktisch noch verschlossen, wir waren wie abgetrennt.“ Aus seiner Heimat brachte Kajkut ein zweites Faible mit: „Bei uns gab es Schallplatten nur in sehr schlechten Pressungen und oft haben die Leute auch nicht auf ihre Platten aufgepasst.“ Als er dann zum ersten Mal „westliche“ Platten hörte, war das ein regelrechtes Wow-Erlebnis. Darum veröffentlicht „God“ vor allem auf Schallplatte. CDs oder Downloads werden nur auf besonderen Wunsch der Künstler angeboten.
Anfang der 2000er Jahre kam Kajkut nach Graz, um hier zu studieren, ohne bestimmte Vorstellungen im Kopf. „Mich hat alleine schon der Begriff ‚Komposition‘ fasziniert, ich wollte ergründen, was das ist“, erzählt er. Zu seinen Lehrern zählten unter anderem Georg Friedrich Haas, Clemens Gadenstätter, Gerhard Eckel und Gerd Kühr. „Super nett, super locker“, beschreibt er diese Zeit und die Atmosphäre in Graz. Aber er lernt schnell auch eine Parallelwelt kennen, etwa durch das „Interpenetration“-Festival bzw. ihren Kurator Marufura Fufunjiru. Stark beeinflusst hat ihn auch Robert Lepenik, der Leader der Experimentalrockband „The Striggles“ und Ex-Fetisch69-Mitstreiter. Bei „The Striggles“ sollte Slobodan Kajkut dann bald am Schlagzeug spielen – nebst vielen anderen Bands (z. B. Jubbooko sa Negrass, Mizar, Betty Blue). Durch Lepenik fand der Bosnier Zugang zu einer Szene, die die Andersartigkeit ihrer Musik durchaus mit grimmigem Humor beschreibt. „This band plays like Bon Jovi, and the singer is barely to differentiate from Bryan Adams“, heißt es etwa im Pressetext zu einer ihrer Platten. Und auf einem Plattencover findet sich „Zippy the pinhead“ von Bill Griffith, eine bei uns längst vergessene Ikone der US-amerikanischen Underground-Comics. Zippy ist ein Rebell im Gewand eines Simplicissimus, der jede hochkulturelle Hochnäsigkeit mit seiner entwaffnenden Naivität deskonstruiert.
Kein Kompromiss in Sicht
Dieser experimentalrockige Einfluss half wohl mit, dass Slobodan Kajkut von der geraden Bahn des astreinen Konservatoriumabgängers abwich und generell eine Unbedenklichkeit entwickelte, was die mitunter sehr engen Genregrenzen betrifft. Wobei die Hochschule (heute Universität) in Graz in dieser Hinsicht ohnehin immer sehr aufgeschlossen war. Das zeigt sich nicht zuletzt an einigen seiner Kompositionen, etwa „Zerfall der Europäischer Union“ für großes Orchester, drei E-Gitarren, Bass und zwei Drum Sets oder die Oper „God Bless God“. 2005 machte Kajkut seine erste Platte mit programmatischen Namen: „The Compromise is Not Possible“. Sie klingt, als hätten sich die Melvins mit Irene Pappas (siehe Aphrodites Child) und einem zugekoksten Organisten in einer Kirche getroffen, um die ultimative Teufelsbeschwörung auszuknobeln. Als Kombination aus „Heavy Metal, Doom Metal, Death Metal und Free Jazz“, alles „Kompositionstechniken des 20. Jahrhunderts“, beschreibt Kajkut diese Musik. Da er ohnehin nicht davon ausging, dass diese Musik irgendwo hineinpasse, beschloss er, die Platte im Eigenvertrieb herauszubringen. Schützenhilfe beim Vertrieb holte er sich nur von Wire Globe Recordings. „Ich war blauäugig, wusste nicht, wie viel Frust es bedeutet, selbst ein Label zu gründen“, erzählt er lachend.
Auf „Krst“, seiner zweiten LP, gab er sich wesentlich sphärischer und auch grooviger – und ließ dafür sogar Remixes anfertigen, von durchaus berühmten Namen wie etwa Lustmord, Plotkin oder KK Null. Das allerdings nicht unentgeltlich, denn klar, „große Namen muss man bezahlen.“ Wenn auch mit einem vergleichsweise bescheidenen Entgelt. „Große Namen“ in der Experimentalmusik verdienen oft nicht einmal das, was Popstars als Trinkgeld geben – aber das ist ein anderes Thema. Hier klingt durch, dass man bei allem Idealismus und aller Freude am experimentellen Musizieren letztendlich doch beinhart kalkulieren muss. „Natürlich geht es auch ums Business“, meint er lachend. Die Ironie daran muss man nicht erklären. Mit experimenteller Musik ist kein „Business“ zu machen, allenfalls kann man sich ein paar magere Subventionen abholen. Diese allerdings sehr wohl, denn: „Kultur muss einfach subventioniert werden.“
Vom Solovertrieb zum Label
Der nächste große Schritt nach diesem Remix-Album war das von Bernhard Lang und Philip Jeck gemeinsam geschriebene „TablesAreTurned“ – mittlerweile die sechste Veröffentlichung auf „God“. Der oberösterreichische Komponist Lang, der ebenfalls zu den Lehrern von Kajkut und mittlerweile auch zu seinen Freunden zählt, wird mit diesem Release zu einem wichtigen Fixpunkt und Fürsprecher des Labels. „TablesAreTurned“ basiert auf einem Amon-Düül-Fragment. Dass Lang zwischen Artrock und Minimalismus, zwischen akustischem Klangbild und einem amplified Ensemble changiert, passt ganz gut ins Label-Gesamtbild. Hier werden die Türen in Richtung eines entstaubten, ebenfalls tendenziell anti-akademischen Verständnisses von Kunstmusik aufgestoßen. Kein Zufall, dass Bernhard Lang immer wieder auch mit sogenannter „Underground-Ästhetik“ in Verbindung gebracht wird.
Es folgt eine Doppel-LP von Robert Lepenik, Kajkuts Mentor und „The Striggles“-Bandchef, ein Katalogeintrag zwischen Dark Ambient, Experimentalrock und fröhlicher Genreverwirrung. „Völlig unkategorisierbar“, schwärmt Kajkut über dieses Werk. Die „Regenstücke“ von Peter Albinger geben sich weitaus introvertierter, erinnern ein wenig an das „Buch der Klänge“ von Hans Otte, ebenfalls ein Komponist, der fernab der großen Namen und Trends seinem ganz eigenen Klanguniversum folgt. „Die Klänge sind da, um zu hören (– nicht um gehört zu werden. Das ist etwas anderes). Und das Hören ist da, um aufzuhören. Mehr weiß ich auch nicht“, schreibt Albinger auf seiner Website. Was seinen schrullig-verqueren Zugang sehr schön illustriert.
Auf gewisse Weise durchaus akademisch zeigt sich „Instrumentarium“ vom Berliner Experimentalmusiker Boris Hegenbart, das 19 Duette mit verschiedensten Musikern aus der Experimentalszenen vereint – eine überraschend unüberraschende Zusammenschau. „Aber gerade das ist die Qualität daran“, so Kajkut. Auf „Woodscratcher“ von Winfried Ritsch wiederum wurde ein Baumquerschnitt mit einer Schneidemaschine, ähnlich einer Platte auf einem Plattenteller, bearbeitet. Letztlich eine Art Field Recording, aber very freaky. Wir überspringen ein paar Katalognummern, darunter „Lovely Objects“ von JUUN, Steven Hess und Bernhard Breuer (Bandname: No Busines for Dogs), eine Platte, die Slobodan Kajkut mit dem Attribut „ultraseltsam“ adelt, um zu aktuelleren Einspielungen zu kommen. Etwa die extrem heterogene „Monadologie XII“ von Bernhard Lang (zugleich die erste Kooperation von „God“ mit dem Klangforum Wien), die kompromisslosen „Organ Works“ von Klaus Lang oder „Dehypnotisation“ vom Wiener Improvisations- und Experimentaltrio LSD. Lauter Beispiele für zeitgenössische Musik, die ebenso spannend wie kompromisslos sein will.
Es ist offensichtlich, wohin Slobodan Kajkut mit seinem Label gehen will: in Richtung stilistische Offenheit, gegen alle dogmatischen Vorbehalte. Völlig frei also – und doch einer gewissen musikalischen Integrität verhaftet. „Im Grunde mache ich vor allem die Musik, die mir gefällt, die ich spannend und innovativ finde – und vermutlich kann man das auch mit hochgestochenen Begriffen begründen. Aber dann klingt es wieder so akademisch, also altmodisch und langweilig“, sagt er.
Also ein charismatischer Labelboss als Vorbild, wie Mr. Rune in Norwegen oder der berühmte Manfred Eicher von ECM. Den bezeichnet Kajkut – bei aller Wertschätzung, denn er liebt die früheren ECM-Sachen – als „Businessman“. Allerdings nur, um ironisch lächelnd hinzuzufügen: „Gut, ein Businessman bin ich natürlich auch.“ Damit ist aber eben nicht das große Geld, sondern ein großer Unternehmergeist gemeint.
„God Records“ beweist, dass weder Genregrenzen noch kulturelle Distinktionen erforderlich sind, um ein spannendes Label auf die Beine zu stellen, sondern eine unbedingte Liebe zur Musik (und in diesem Fall auch zum physikalischen Medium „Schallplatte“), aber eben auch ein unermüdlicher Unternehmergeist. „Das habe ich schon früh gelernt, dass man die Dinge selbst in die Hand nehmen muss, sonst passieren sie nicht“, so Slobodan Kajkut. Dafür passieren die Dinge dann aber mitunter auf großartige Weise. Wie etwa in diesem Fall.
Curt Cuisine
Link:
GOD Records