Porträt: die reihe

Die musikalische Moderne war in Österreich nahezu unbekannt, als 1956 aufgrund der Initiative von Karl Schiske erstmals eine Gruppe junger österreichischer Komponisten zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik aufbrach. Die Begegnung mit den aktuellen musikalischen Entwicklungen wie auch mit wegweisenden Werken der ersten Jahrhunderthälfte ließ in zwei von ihnen – Friedrich Cerha und Kurt Schwertsik – den Entschluss reifen, das neu Entdeckte auch in Wien einer musikalisch interessierten Öffentlichkeit vorzustellen. Geschehen sollte dies in Form einer kontinuierlichen Konzertreihe, welche Bezüge zwischen Werken und Generationen hörbar machen und so ein profundes Verständnis historischer Entwicklungen ermöglichen sollte. Dank der Überredungsarbeit von Mitgliedern des Schönberg-Kreises ließ sich Konzerthaus-Generalsekretär Egon Seefehlner von der Sinnhaftigkeit eines solchen Unterfangens überzeugen, und so konnte am 22. März 1959 im Schubert-Saal die erste Darbietung des neu gegründeten Ensembles über die Bühne gehen. Dass es soweit kam, ist auch der tatkräftigen Unterstützung durch die IGNM und den Jeunesse-Generalsekretär Joachim Lieben zu verdanken, welcher das Publikum der Musikalischen Jugend für die Unternehmung mobilisierte. Dass der Klangkörper sich auch nach seinem 50-jährigen Bestehen beständig dem Neuen widmet, zeigt das Programm, das die reihe am Montag, 15. April im Großen Sendesaal des Wiener Radiokulturhauses präsentiert: Uraufführungen von Herbert Grassl, Morgana Petrik und Gerhard E. Winkler sowie eine CD-Präsentation des in Österreich lebenden Taiwanesen zeugen von der Neugier an Neuem.

Der Name des Ensembles – die reihe – wurde vom befreundeten Komponisten György Ligeti beigesteuert. Wer die Namenswahl als Bekenntnis zur Traditionslinie der Webern-Nachfolge auffasste, lag indes falsch, zielte jene doch mehr auf die Kontinuität einer Veranstaltungsreihe als auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ästhetischen Ausrichtung. Auch wenn die Konzerte des Ensembles in den ersten zehn Jahren tatsächlich „Darmstadt-lastig“ waren (Gertraud Cerha), kam doch schon in den frühesten Programmen ein wesentlich breiteres stilistisches Spektrum zum Ausdruck: Auf den Eröffnungsabend mit Werken von Webern, Pousseur und Boulez folgte eine Veranstaltung, die der italienischen, und eine, die der amerikanischen Spielart der Avantgarde gewidmet war. Letztere, bei der das Klavierkonzert von John Cage zur Aufführung gelangte, ging als „Konzert-Skandal“ in die Chroniken ein, der prominente Kritiker und Teile des Publikums vehement gegen die Organisatoren aufbrachte. Bei den Ensemblemitgliedern, die größtenteils dem Radiosymphonieorchester entstammten, lösten die Hasstiraden indes den gegenteiligen Effekt aus: Nach anfänglicher Skepsis begannen sie sich nun vermehrt mit den angefeindeten Komponisten zu solidarisieren.

Konnte 1962 mit dem Museum des 20. Jahrhunderts eine zweite Spielstätte erobert werden, die das aktuelle Musikschaffen im Kontext der zeitgenössischen Kunst verortete, gab es unterdessen auch Rückschläge: Nachdem der neue Konzerthaus-Chef Peter Weiser die Künstler öffentlich diffamiert hatte, gelangte die Residenz der reihe in der Lothringerstraße 1968 zu einem vorläufigen Ende. Zehn Jahre später war es Weisers Nachfolger Hans Landesmann, der dem Ensemble mit der Veranstaltungsreihe „Wege in unsere Zeit“ erneut eine Plattform bot. Zentral war bei dieser Initiative die Absicht, wieder vermehrt die „klassische Moderne“ ins Programm zu nehmen, um vor allem innerhalb der jungen Generation ein Bewusstsein für die Ursprünge zeitgenössischen Komponierens zu schaffen. 1983 erfolgte erneut eine Zäsur in der Geschichte der reihe: Friedrich Cerha übergab die Leitung des Ensembles an seine Weggefährten Kurt Schwertsik und HK Gruber. Der personellen Veränderung folgte auch eine inhaltliche Neuausrichtung: Die neue Reihe fungierte nun nicht mehr allein als Ensemble, sondern auch als Gastgeberin, deren Konzertzyklus auch externen MusikerInnen ein Forum bot. Bezeichnenderweise fand mit den Werken von Komponisten wie Hanns Eisler und Werner Pirchner nun vermehrt Musik Eingang ins Repertoire, die abseits des weitgehend tonalitätsfreien Kanons der musikalischen Avantgarde angesiedelt war. Doch lässt sich auch diese Neuorientierung als Konsequenz der ursprünglichen Intention begreifen, das musikalische Schaffen der Gegenwart in seiner ganzen Vielfalt zu repräsentieren.

Seit 2010 stehen HK Gruber und  Christian Muthspiel der reihe als „Artistic Partners“ vor. Auch nach seinem Abschied als Ensembleleiter blieb Friedrich Cerha der „reihe“ über die Jahrzehnte hinweg freundschaftlich verbunden, was nicht zuletzt in zahlreichen Gastdirigaten seinen Niederschlag fand. Wenn sich der Mit-Initiator nun im Zuge eines Konzerts der reihe am 14. Februar 2013 endgültig vom Dirigentenpult verabschiedet hat, so verliert die Zielsetzung des Ensembles deswegen keineswegs an Aktualität: durch die Gegenüberstellung jüngerer und bereits historisch gewordener Werke der Neuen Musik immer wieder aufs Neue Querbezüge erkennbar und musikalische Entwicklungen nachvollziehbar zu machen.

Lena Dražić

http://www.diereihe.at
http://www.friedrich-cerha.com/
http://www.boosey.com/cr/composer/Kurt+Schwertsik&ttype=Biography&ttitle=Biography&langid=2