mica-Interview mit Otto Lechner

“Herzlich, aber deppert!” – Der große Verdienst von Otto Lechner als Musiker ist es, das Akkordeon entstaubt, es von all der falschen Folklore befreit zu haben, die ihm als vermeintliches Schunkelinstrument über die Jahrzehnte nachgesagt wurde. Im Interview mit Markus Deisenberger kam er auf Musik, Literatur und Politik zu sprechen.

Du spielst schon bald wieder in Bulgarien, wie ich dem von Dir gerade geführten Interview entnehmen konnte?

Otto Lechner: Ja. Dabei handelt es sich um ein ziemlich großes Projekt. Ein Schiff fährt quer durch das Land. In den größeren Städten gibt es dann am Schiff ein Konzert. Ich spiele mit Anatol Vapirov und Stojan Jankulov. Jemand vom bulgarischen Nationalradio wollte darüber mit mir sprechen.

Du bist sehr viel im südosteuropäischen Bereich unterwegs. Ist dort das Interesse an Deiner Musik besonders groß?

Otto Lechner: In Bulgarien habe ich erst vor kurzem beim Jazzfestival mit Anatoli Vapirov und Max Nagl gespielt. Gerade in Bulgarien gibt es viele tolle Musiker und in diesem fließenden Übergang von Folklore und Experimentalfolklore hin zum Jazz ist einiges drin.

Ist das nicht genau der Bereich, der Dich generell am meisten interessiert?

Otto Lechner: Ja, obwohl ich nicht so stark von der Volksmusik her komme. Aber mit der Ziehharmonika bist du automatisch in diesem Umfeld drin und dein Schaffen hat mit diesen Klischees zu tun.

Inwiefern kann man sich dieser Klischees entledigen, sich sozusagen “freispielen”?

Otto Lechner: Das war für mich nicht so schwierig, weil ich mich nirgends wirklich auskenne. Ich komm zwar vom Land, war dort aber in keine Tradition so richtig verwickelt. Nur oberflächlich, wenn man so will. In Wahrheit kann ich eine niederösterreichische Polka nicht von einer tirolerischen unterscheiden.

Da gab es überhaupt keinen Einfluss aus der Volksmusik?

Otto Lechner: Schon, aber es gab keine wirklich Szene, keine durchgehende eigenständige Tradition. Bei mir im Dorf gab es kaum jemanden, der spielen konnte außer die Galear Hansi, die seltsamerweise auch blind war wie ich und Ziehharmonika spielte. Sonst habe ich als Kind kaum mit anderen Leuten gespielt. Eben weil es kaum jemanden gab, der spielen konnte. Und deshalb bin ich auch nirgends wirklich reingewachsen. Mein Vater kaufte mir Kernbuam-Platten. Das heißt, das was mir an Volksmusik näher gebracht wurde, kam schon aus dem Radio oder von Platte. Ein buntes Sammelsurium.

Und mehr Folklore als wirkliche Volksmusik?

Otto Lechner: Richtig. Oberkrainer-Stil, nichts wirklich Verwurzeltes

Wenn niemand sonst in Deinem Umfeld spielte, welcher Impuls brachte Dich dann überhaupt zur Musik?

Otto Lechner: Musik gab es ja überall, ich hab auch sehr gern gesungen. Musikalisch war ich, aber wie gesagt drang das meiste schon über die Medien zu mir. Und irgendwann bekam ich dann zu Weihnachten eine kleine Spielzeugharmonika geschenkt.

Wie war das dann in Wien? Dort hast Du doch einen wesentlich intimeren Zugang zur originären Wienerischen Musik gefunden, scheint mir.

Otto Lechner: Ich mag das Wienerlied gerne, hab ein Herz dafür. Ich kenne mich nicht aus, aber es gefällt mir. Doch abgesehen davon, dass mir die Sprache und ihre Sentimentalitäten, ihre Fallen und ihre Zweideutigkeiten sehr nahe sind, hätte ich, würde ich in den Staaten leben, wohl zur Country-Musik ein ähnliches Naheverhältnis: Herzlich, aber deppert.

Ist das nicht ein schöner, weil unglaublich freier Zugang?

Otto Lechner: Schon, aber es gibt mitunter Situationen, da kommt man ins Grübeln.
Auf der Ruhr-Triennale etwa veranstaltete Mathias Ruegg einmal einen Wien-Abend. Zum Abschluss habe ich mit dem Joe Zwainul gemeinsam über ein altes Wienerlied, das ich über den Karl Hodina kennen gelernt habe, drüber improvisiert. Hodina, der sich das Konzert mit Ernst Bronner angehört hatte, kam nach dem Konzert zu mir und meinte, sie beide hätten es nur einige Minuten ausgehalten, weil es so furchtbar war. Weder ich noch der Zawinul hätten auch nur die geringste Ahnung, worum es dabei eigentlich gehe.

Und wie hat es den anderen Leuten gefallen?

Otto Lechner: Es war einfach wirklich nicht gut. Am Ende einer vierstündigen Veranstaltung hatten die Leute für solch ein sentimentales Lied mit Impro einfach nicht mehr die Kraft.

Du hast eine besondere Beziehung zur Literatur. Mit Deiner Frau Anne Bennent gestaltest Du musikalische Literaturabende. Wie verbindet man Literatur und Musik, ohne dabei sperrig zu werden oder zu verkrampfen?

Otto Lechner: Ich kam Im Alter von ca. 24 Jahren zur Literatur, als ich in einer Formkrise steckte. Als Musiker stand ich immer wieder einmal an. Ich jammte zwar gern im Jazz, aber mich wirklich mit Jazz einzulassen, habe ich immer verweigert. Wenn du keine starken Außeneinflüsse bekommst und dich nicht stark mit anderen Dingen auseinander setzt, gehst du im Kreis, spielst immer nur das, was du eh schon kannst, reduzierst dein Spiel auf das Einhalten von Abfolgen. Auf der Suche nach anderen Formen bin ich irgendwann auf die Idee gekommen, selber Geschichten auswendig zu lernen und nach einer un- bzw. unterbewussten Improvisation dazu zu suchen. Das heißt, ich spreche die Geschichte, bin auch sehr auf die Geschichte konzentriert und die Musik passiert mehr oder weniger von selbst. Um die kann ich mich konzentrationsmäßig gar nicht so kümmern. Das war und ist mein Zugang zur Literaturvertonung. Anfangs habe ich Kafka-Erzählungen auswendig gelernt und versucht, dass die Musik von selber funktioniert, was natürlich nicht 100%ig so ging, weil die eigene Aufmerksamkeit zwischen Literatur und Musik hin und her switcht. Aber dennoch: Wenn man die Geografie eines Textes als Ausgangspunkt nimmt, ergeben sich andere Formen, man ist aus der musikalischen Selbstformgebung draußen, Sonaten- oder AABA-Formen lösen sich auf.

Dabei passieren auch wirklich unbewusste Dinge?
Otto Lechner: Auf jeden Fall. Es passieren dabei Sachen, die sonst nicht passieren würden.

Die Zusammenarbeit mit anderen Musikern war immer ein wesentliches Prinzip für Deine Musik?

Otto Lechner: Ja, obwohl ich das nicht mehr wirklich reflektiere, weil es so selbstverständlich für mich geworden ist. Durch meine Blindheit habe ich ja ein Handicap beim Kennenlernen fremder Sachen. Ich kann mir nicht einfach eine Partitur schnappen und mal eben drüber gehen. Deshalb brauche, will ich mich erweitern, den Kontakt zu anderen. Selbst schaffe ich das nur ganz schwer. Außerdem genügt das Hören oft nicht für eine intensive Auseinandersetzung. Ich muss das Stück auswendig lernen. Erst dann verstehe ich, was sich der Komponist dabei gedacht hat. Beim Anhören einer Platte würde ich diese Gefühl nie kriegen.

Das Gefühl wird über den persönlichen Kontakt vermittelt

Otto Lechner: Genau. Vornehmlich beim Biertrinken.

Du hast vor Interview-Beginn von Deiner Entwicklung vom Solisten zum mannschaftsdienlichen, Groove-orientierten Mitmusiker gesprochen…

Otto Lechner: Das bezog sich auf meine Rolle im Accordion-Tribe. Da habe ich mir die Position des Bassisten erspielt. Ich spiele dort zwar trotzdem noch viele Soli, aber dadurch, dass ich mich nicht einfach hinsetzen und Kompositionen kurz einmal anschauen kann, ist es enorm schwierig, kompliziertere Sachen für mich zu erfinden. Und faul bin ich obendrein. Meistens warte ich mit dem Lernen bis zum letzten Moment und kann die Sachen dann, wenn es drauf ankommt, nicht wirklich.
Der Bassbereich ist einfach nicht so schwer.

Da bist Du schwach, dort faul. Wo liegen dann die Stärken von Otto Lechner? Im Ernst: Das klingt für mich alles sehr nach Understatement.

Otto Lechner: Es ist aber so. Wenn man einmal 40 ist – ich bin jetzt 43 – dann schminkt sich das einmal ab.

Was meinst Du mit “Abschminken”?

Otto Lechner: Vor zehn Jahren habe ich in dem Bewusstsein gespielt, alles erfunden zu haben und eigentlich alles zu können. So nach dem Motto: “Ich spiele besser als der, bin schneller in der Auffassung als jener”. Mit der Zeit lernt man aber immer bessere Musiker kennen und merkt dann auch schnell, dass man, um dem eigenen Selbstbewusstsein nicht zu schaden, einige Dinge überhört hat bzw. nicht regis

Dann liegt es eher am fehlenden Mut als am fehlenden Geld?

Otto Lechner: Hauptsächlich an der Energielosigkeit. Es hängt alles und neigt eher zum Blockieren. Wenn mal Energie da ist, wird sie eher dazu verwandt, andere Dinge zu blockieren als eigene zu fördern. So empfinde ich es zumindest.

Du lebst in der Brigittenau. In einem Bezirk, in dem gleich mehrere Kulturstätten wie das Vindobona, das Shelter und der Planet Music schließen, kurz vor der Schließung stehen oder abwandern. Ist das nicht ein empfindlicher Verlust?

Otto Lechner: Eine schlichte Katastrophe. Vor allem für ein Viertel, das auf dem Weg war, sich zu einem Kulturviertel zu entwickeln.

Aber das kann man doch nicht tatenlos hinnehmen. Erst wird mit der Kulturwerdung geworben und dann werden die Kulturstätten geschlossen und Bezirksvorsteher und Stadt Wien schauen zu.

Otto Lechner: Letztlich werden immer noch mehr Leute drüber froh sein als traurig. Das Grundproblem ist doch, dass man den Leuten in Wien immer vermitteln will, sie leben in einer Großstadt und andererseits, sie könnten es so friedlich oder so nett wie in Krems haben. Jeder kann sofort die Polizei holen, wenn jemand etwas lauter Gitarre spielt. Den Bürgern wurde immer vermittelt, dass sie ein Recht auf Ruhe hätten. Natürlich muss man schauen, dass man miteinander klar kommt, aber wenn man in einer Stadt lebt, muss man einfach bestimmte Dinge mitessen, ob Baustelle oder Lokal. Bei uns kommt jeder, weil es so viele Schwierigkeiten gibt, gleich einmal zum Schluss: Lieber nichts, dann gibt es keine Schwierigkeiten! Als Bezirksvorsteher kannst du keine Stimmen gewinnen, indem du dich für das Shelter einsetzt. Wirkliche Anerkennung konnte alternative Kultur in unseren Breitengraden nie erringen. Das Motto war und ist: “Das muss halt auch irgendwie…” Einen wirklichen Positivposten hat das aber nie da dargestellt.

Inwiefern bist Du politisch in Deiner Musik?

Otto Lechner: Schwer zu sagen. Es ging mir schon immer um Freiheit und Emanzipation des Andersartigen und dass Ordnungen nicht selbstverständlich sind, so wie sie sind, sondern immer wieder zu hinterfragen sind. Ich gebe ja auch Musikern wenig vor, stehe eher auf ein miteinander Komponieren, wenn möglich sogar noch im Moment.

Also kein Miles Davis?

Otto Lechner: Nein. Auch kein Joe Zawinul, der, als ihm die kongenialen Partner abhanden kamen, auf strengste Hierarchie umstellte. So etwas verstehe ich nicht.

Bleiben wir bei der Politik. Du warst einmal Bürgermeister der Augartenstadt…

Otto Lechner: Ich bin es immer noch, aber leider passiert nicht mehr wirklich viel

Das war, wenn ich es richtig verstand, doch ein eher anarchistischer Zugang…

Otto Lechner: Ja, klar. Die Idee hatte etwas Chaotisches, hatte Potential. Aber der Aktionsradius Augarten ist eine Institution, in der zwar viel gearbeitet wird, aber wenn du etwas auf den Kopf stellen willst, bist du dort nicht unbedingt richtig.

Du hast Dir also mehr Chaos erhofft?

Otto Lechner: Natürlich. Wenn man so etwas macht, ist Chaos das Um und Auf.

Kannst Du den Ansatz kurz beschreiben?

Otto Lechner: Der ist ganz einfach: Zuerst haben wir die fiktive Stadt erfunden, die einen Bürgermeister brauchte, damit das Grätzel eine Form der Identifikation findet, die anders sein kann. Mit dieser fiktiven Stadt wollten wir Themen andersherum aufarbeiten, gegen den Strich bügeln. All das, was selbstverständlich scheint, sollte neu ausgedacht oder zumindest persifliert werden. Jetzt hängt es ein bisschen. Außerdem bin ich auch noch Kindesvater geworden, kann mich daher auch selbst nicht mehr so viel einbringen.

Gesellschaftsutopien sind etwas, was Dich interessiert?

Otto Lechner: Ohne Frage, aber auf die osteuropäische Art und Weise

Da heißt?

Otto Lechner: Dass die ironische Brechung gleich mitgeliefert wird. Natürlich hab ich mich immer als links empfunden. Aber heute muss man sich das, wofür man steht, zusammensuchen. Die Grundhaltung ist schwer greifbar geworden.

Liegt das am Siegeszug der Mainstream-Kultur, in der sich weder Parteien noch Musik stark voneinander unterscheiden?

Otto Lechner: Sicher. Wenn ich mich frage, mit wem ich Solidarität herstelle, um wen es geht, was mir sympathisch ist, komme ich auf ein nicht wirklich greifbares Mosaik an Teilchen, die miteinander nicht mehr unbedingt etwas ergeben. Die Konsequenz ist, dass es schwer wird, sich für bestimmte Dinge einzusetzen.
Freilich: Gegen eine restriktive Ausländerpolitik zu sein, ist logisch. Das heißt: In Einzelbereichen ist es einfach. Aber ein Ganzes? Ein politischer Mensch bin ich schon, aber wahrscheinlich zu wenig und zu wenig zielgerichtet

Es ist doch auch die Frage, inwiefern man mit Musik überhaupt zielgerichtet Strukturen aufbrechen kann.

Otto Lechner: Ich glaube schon, dass das geht. Schließlich agiert man als Musiker viel in der Öffentlichkeit auf Bühnen.

Hast Du diese Öffentlichkeit schon einmal gezielt genutzt?

Otto Lechner: In den Jahren 2000/01 habe ich nach jedem Konzert gesagt, dass ich im übrigen der Meinung bin, dass die Bundesregierung sofort zurücktreten sollte.

Hat Dir das nie jemand übel genommen?

Otto Lechner: Nein, das nahm offenbar eh niemand ernst. Sicher ist da vielleicht der eine oder andere dabei, der dann für sich den Entschluss fällt, nicht mehr zum Lechner zu gehen. Das fällt aber wiederum mir nicht auf. Eine Wähler- bzw eine Publlikumsanalyse hab ich ja nicht an der Hand.

Aber ausgepfiffen wurdest Du nie?

Otto Lechner: Nein, der Großteil meines Publikums hat, denke ich, eine ähnliche Haltung wie ich selbst. Aber es wird schon zusehends gefährlicher.

Inwiefern?

Otto Lechner: Bei der Eröffnung des Akkordeonfestivals etwa ist das Publikum schon sehr gemischt. Eine richtig nette bürgerliche Veranstaltung war das dieses Mal.

Ist das Festival kommerzieller geworden?

Otto Lechner: Größer und kommerzieller. Was ich meine, hat aber auch mit der dort gespielten Musik zu tun. Es ist immer wieder die Verbindung zu Welt- und folkloristischer Musik, die eigentlich zum Tanzen da wäre und es erleichtert, so zu tun, als wäre man im Konzert. Gerade an der Schnittstelle zwischen ernster und Unterhaltungsmusik meinen manche, sie müssten sich so geben, als gehörten sie zum wirklichen Konzertpublikum. Die Gefahr dabei ist, dass die Freaks immer mehr verschwinden.

Kann man seine Popularität nutzen, um schräge Dinge zu forcieren?

Otto Lechner: Ich bin bekannt genug, dass mich Veranstalter fragen, ob ich denn nicht bei ihnen spielen möchte. Es ist dann meine freie Entscheidung, was ich dort mache. Junge Leute sagen mir immer wieder, ich sei ihr Vorbild. Gerade diejenigen, die sich an dir orientieren muss man immer wieder einmal vor den Kopf stoßen, um ihnen vor Augen zu führen, dass es komplexer ist als sie dachten. Einfach, weil es in einem Kopf nun einmal viel mehr zugeht, als man mitunter wahrhaben will.

Im Rahmen des Akkordeonfestivals spielst Du noch im Filmcasino. Was erwartet das Publikum dort?

Otto Lechner: Die Vertonung einer Erzählung von Ingrid Leutfellner-Moser.

Der Rauriserin, die den Nachwuchsbewerb der Rauriser Literaturtage für sich entschied?

Otto Lechner: Genau.

Und bei der Geschichte handelt es sich um die Preisträgergeschichte “Tabak”?

Otto Lechner: Ja.

Düsterer Stoff!

Otto Lechner: 50er Jahre. Man kann sehr viel dazu empfinden. Da kann man auf eine Art Anteil nehmen, die sich für musikalische Gestaltung geradezu anbietet.

In welche Richtung geht diese musikalische Gestaltung?

Otto Lechner: Am Anfang werde ich sicher eine atmosphärische Schlager-Verarbeitung vornehmen. Es interessiert mich einfach sehr, welche Musik man in den 50ern brauchte, um diese Arbeitsamkeit, diesen Fleiß aufrecht zu erhalten?

Otto Lechner