mica-Interview mit Hannes Löschel

Nichts Musikalisches ist Hannes Löschel fremd: zeitgenössische Avantgarde und Jazz, Rock, Live-Elektronik oder Improvisations-Experimente jenseits der Kategorien sind sein Habitat. Am 11. Juni 2007 präsentiert Hannes Löschel im Österreichischen Kulturforum New York sein Programm “Ballade d’Europe” mit einigen Veteranen des improvisierten Jazz in den USA.

Die Erotik der Widersprüchlichkeit

Hannes Löschels Ton- und Klangmaterial umfasst Johannes Brahms (rückwärtsgespielt) ebenso wie brasilianische Telenovelas oder Wiener Dialektlieder auf der CD “Herz.Bruch.Stück” (2007). Das Setting kann eine Klein- und Kleinstbesetzung in intimem Rahmen sein, oder aber ein 3000-Mann-Zelt bei einem Jazzfestival. Am 11. Juni 2007 präsentiert er im Österreichischen Kulturforum New York sein Programm “Ballade d’Europe”. Im mica-Interview spricht der Pianist, Komponist, Bandleader und CD-Labelbetreiber über geglückte CD-Produktionen, Musik als Brotberuf und die Annäherung der Gegensätze.

Nichts Musikalisches ist ihm fremd: zeitgenössische Avantgarde und Jazz, Rock, Live-Elektronik oder Improvisations-Experimente jenseits der Kategorien gehören zum Habitat des Pianisten, Komponisten, Bandleaders und CD-Labelbetreibers Hannes Löschel. Das Ton- und Klangmaterial umfasst etwa Johannes Brahms (rückwärtsgespielt) oder brasilianische Telenovelas wie auch Wiener Dialektlieder auf der CD “Herz.Bruch.Stück” (2007). Setting kann eine Klein- und Kleinstbesetzung in intimem Rahmen sein – oder aber ein 3000-Mann-Zelt bei einem Jazzfestival.

Hannes Löschels Ausbildung begann zunächst ganz “klassisch”; an der Hochschule für Musik in Wien kam der Kontakt mit zeitgenössischer Musik. Weitere Stationen: improvisierte Musik im Duo mit der Schlagwerkerin Elisabeth Flunger (ab 1990), das Trio Löschel Skrepek Zrost (ab 1995), für dessen CD While You Wait . Hans-Koller-Preis (1997). Kompositionen unter anderem für das Koehne Quartett, das Janus Ensemble, Ambitus oder Ensemble Plus, Auftragswerke für den echoraum Wien, das Wiener Volksliedwerk, das Diagonale-Film-Festival, Jeunesse, Open Music, Jazzfestival Saalfelden (“Mullatschak”, 2004) , und die Bregenzer Festspiele (KAZ) (2006). Zusammenarbeit mit der Choreographin Rose Breuss, dem Figurentheater Christoph Bochdansky und dem Filmemacher Gustav Deutsch.

Es fällt sehr schwer, die Musik von Hannes Löschel mit einem Begriff, kurz und bündig, zu beschreiben.

Also mich ermüdet einfach Spezialistentum. Ich werde mir gerechter, wenn ich versuche, Gegensätze zusammenzuführen, weil diese Gegensätze auch in mir drinnen sind und was mich zu anderen, nicht nur Musikern, überhaupt Menschen, hinzieht, ist Widersprüchlichkeit. Ich halte das für etwas Anziehendes um nicht zu sagen, etwas Erotisches. Wenn eine Szene sich zu sehr festlegt, wird sie platt und finde ich sie auch langweilig. Das gilt nicht nur für die lange Tradition der klassischen Musik, sondern auch für gegenwärtige improvisierte Musik. Wenn sie immer nur in sich selber kocht und man sich nach einem gelungenen Impro-Set bei Wein und Bier auf die Schultern klopft, geht das auch nicht über den Tellerrand hinaus.

Schön und gut, oder auch nicht – aber was ist der Ausweg?

Wenn man zwei Dinge miteinander verknüpft, deren Beziehung man für ein Tabu hält, dann entsteht in dem Blick auf das Einzelne eine ganz neue Perspektive, und das finde ich das Spannende daran. Ich glaub’ gar nicht, dass es möglich ist, in der Musik als art pour l’art etwas Neues zu erfinden, sondern das Neue sind die Kontexte, in denen man die Sachen sehen kann.

Deine Projekte bewegen sich immer mehr weg aus dem rein Musikalischen.

Also ich find’, was der Heiner Goebbels in seinen Aufsätzen über Sampling, Musik und Theater sagt, sehr spannend: Musik als Textur, als Gesamttextur, als Teil einer Gesamttextur zu begreifen. Ich merk’ bei mir, dass ich das immer mehr verstehe und dass mir das immer wichtiger wird, die Musik nicht für sich zu beurteilen, sondern da sind immer andere Sachen drum herum, und es geht nicht darum, diese wegzuretuschieren, sondern mit denen zu arbeiten. Dann kann ich das viel besser in eine größere Gesamttextur eingliedern. Für mich selber ist es überhaupt nicht kompliziert, es ist nur kompliziert, es zu beschreiben.

Die vielleicht komplexeste Komposition der letzten Jahre war “Spin” für ein Projekt mit der Choreographin Rose Breuss: “Nicht im Traum”, eine groß angelegte Arbeit mit Tanz und Musik über Heinrich von Kleists Theaterstück “Käthchen von Heilbronn”. Mit erweitertem Streicherensemble, aber auch Klavier, Turntables und Live-Elektronik.

“Spin”ist ein Begriff aus der Physik, der den Eigen-Drehimpuls kleinster Elementarteilchen beschreibt, und den ich deswegen da genommen hab’, weil es bei dem Stück darum geht, dass das Ensemble nach einem notierten Material spielt, und dieses Material führt das Ensemble immer wieder zu Spins, zu Momenten, wo sich das Material in freiem Spiel immer mehr verdichtet und in sich selbst zu drehen beginnt, und das Ensemble dann, bevor’s im wahrsten Sinn des Wortes verrückt wird, wieder in der Notation weitergeht zu einem nächsten Spin.

Auch andere Projekte von Hannes Löschel bewegen sich typischerweise im Spannungsfeld zwischen Gegensätzen, wie: improvisiert / komponiert, akustisch / elektronisch, “groovig” / rhythmisch und metrisch frei. Rückblickend fällt auf: das ist genau das Thema schon deiner Trio-CD “While You Wait” von 1996.

Also womit ich bei der “While You Wait” sehr gut leben kann und was sich weiter gezogen hat, das ist der Versuch, zwischen Stilen zu agieren. Wir drei, der Martin Zrost, der Paul Skrepek und ich, haben schon unterschiedliche Wurzeln, und in der Musik gelingt es uns ideal, diese Wurzeln zusammen zu führen. Also damals, wie die “While You Wait” entstanden ist, war ich doch mehr als jetzt von zeitgenössischer Musik und improvisierter Musik geprägt. Damals war auch bei den beiden anderen noch klarer formuliert, wo jeder seine Sicherheiten hatte, und das ist uns sehr gut gelungen, diese drei “Roots” zusammenzuführen, also zeitgenössische Musik, Jazz und Elektronik. Für mich ist das bis heute der Kern der CD und auch als solche sicher eine Schlüsselproduktion, von denen, die ich gemacht hab’.

Woran liegt es, dass manche Produktionen sozusagen zeitlos geglückt erscheinen? Elf Jahre sind in der Entwicklung der Elektronik eine lange Zeit… aber “While You Wait” wirkt nach wie vor wie ein lang ausgereiftes Produkt.

Da haben sich verschiedene Elemente getroffen. Einerseits sind Stücke drauf, die sind ganz im Gegenteil nur im Moment entstanden sind. Allerdings, was daran ausgefeilt ist: dass wir im Frei-Spielen so eine bestimmte Kultur entwickelt haben, einfach uns angewöhnt haben, über einen langen Zeitraum hinweg nahezu täglich zu spielen, aufzunehmen, dann zu proben, und am nächsten Tag wieder. Und das, was “frei” ist an der CD, sind eigentlich nicht mehr ganz freie Sachen, sondern sie kommen aus einer gewissen Hörerfahrung mit einander, auch noch dazu in einer Studio-Situation, die wir gebaut haben damals, in der wir uns dann so richtig einleben konnten. Was oft gerade bei CD-Produktionen schwierig ist, dass man gut eingespielt ist miteinander und dann in ein Studio kommt, in dem man sich erst wieder zurecht hören muss.

Was auffällt, das ist deine große Treue gegenüber musikalischen Partnern – mit Martin Zrost und Peter Skrepek hat es immer wieder Zusammenarbeit gegeben, sehr langfristige Kollaborationen auch mit dem Elektroniker Josef Novotny, oder mit dem Puppentheatermacher Christoph Bochdansky und Vincenz Wizlsperger, mit beiden arbeitest du an “Das Unterösterreich”, Untertitel: Ein Varietè der österreichischen Seele.

Ich find’s wichtig und spannend, was dabei herauskommt, wenn man mit Musikern, mit denen man schon einige Sachen gemacht hat, den Punkt überwindet, sozusagen eine Routine einkehren zu lassen und trotzdem zu versuchen, miteinander frische Ohren zu bekommen für ein gemeinsames Projekt. Unterm Strich ist mir das eigentlich näher, als für alles, das ich mache, die Karten neu zu mischen. Letzteres hat natürlich auch viele Vorteile, erstens den des frischen Windes, zweitens die Unverbrauchtheit der gemeinsamen Ohren, aber ich seh’ das so als eine – wie soll ich sagen? Als einen stetigen Klangkörper, und wenn man das in die Musik einbringen kann, ist das eine spannendere Klangfarbe für mich, als zu versuchen, für jeden Stil auch das Instrumentarium auszutauschen.

Du unterrichtest seit Längerem an der Bruckner Musikuniversität in Linz und hältst dort unter anderem eine Vorlesung über die Londoner Szene improvisierter Musik.

Ja. Weil sie mit einem unheimlichen Talent Elemente Neuer Musik mischen mit Elementen folkloristischer Musik, Popmusik, Jazz. Dafür gibt’s in London eine große Tradition, unter zum Teil wesentlich widrigeren Umständen als hier, vor allem finanzieller Art. Zum Beispiel Steve Beresford ist einer dieser Musiker, die so genannte Ernste Musik schreiben, aber auch in Jazzbands spielen, in Coverbands und Bands, die sich mit Reflexionen über Popmusik beschäftigen, Low-tech-Bands, die also auch als Kunstprodukt bewusst zelebrieren. Varyan Weston ist auch so jemand, der sowohl mit international erfolgreichen Bands wie Four Walls arbeitet, aber auch mit wesentlich sperrigeren Produktionen versucht, Experimente in die Musik hereinzuholen. Sylvia Hallett ist eine Komponistin, die bei der englischen Band British Summertime Ends mitgespielt hat, einem Trio, das sich sehr viel mit Coverversionen von bekannten Popsongs beschäftigt hat. Melody Four, die Band, in der Steve Beresford mitgespielt hat, treibt dieses Spiel auch sehr virtuos. Das könnte man jetzt beliebig weiterführen, dort sind Leute wie Derek Bailey groß geworden sind, aber auch Bill Drummond, alles Leute, die mit einem bestimmten konzeptionellen Gedanken in die Musik hinein gehen. Das möchte ich in der Vorlesung darlegen, und es ist auch geplant, einzelne Protagonisten einzuladen.

Für viele Musiker ist das Unterrichten eher ein notwendiges Übel.

Also ich halte das mittlerweile für einen der höchstqualifizierten Brotberufe als Musiker. Ich würde es nicht vollberuflich tun – ich glaube, da ist auch eine Balance wichtig, dass man seine Sachen immer wieder nach außen trägt. Andererseits würde es mich im Moment gar nicht mehr so reizen, nur zu versuchen, möglichst viele Konzerte zu haben. Ich halte nichts von so überholten Klischees wie: ein guter Musiker kann kein guter Lehrer sein und umgekehrt ein guter Lehrer kein guter Musiker. Es befruchtet sich gegenseitig.

Interview: Johann Kneihs, Redakteur bei Ö1 (u. a. der Sendung Diagonal)

Fotos Hannes Löschel: J. Novohradsky

Hannes Löschel