mica-Interview mit Clementine Gasser

Clementine Gasser, Trägerin des Förderungspreises der Republik Österreich für Musik/Komposition im Jahre 2005, zählt mittlerweile zur Speerspitze der heimischen zeitgenössischen Musikszene. Das derzeit in New York stattfindende “Mostly Jazz” Festival bietet der in Wien lebenden Schweizerin einmal mehr die Möglichkeit, ihre Ausnahmestellung auch auf dem internationalen Parkett unter Beweis zu stellen.

“Subversive Klassik-Avantgarde” und das Flanieren zwischen Komposition und Improvisation 

Sie selbst prägten den Begriff “subversive Klassik-Avantgarde”. Sitzen Sie stilistisch mit Ihrer Musik zwischen Klassik, Jazz, Komposition und Improvisation nicht ein bisschen zwischen den Stühlen?
Nein. Die Begriffe “Subversion” und “Avantgarde” heben sich gegenseitig auf. Beide fassen verwandte Inhalte und beide streben Veränderung an. Wenn sie im selben Atemzug gesprochen werden, kann das widersprüchlich erscheinen. Und diese Widersprüchlichkeit wird musikalisch bearbeitet. Kürzlich hörte ich eine Beschreibung, welche den Kern meiner Arbeit beschreiben soll: Mein Kompositionsprinzip sei “… sehr zwingend: … die Motive, die sich reihen und im Aneinaderreihen verdichten und verändern schaffen eine sehr konzentrierte Stimmung, immer nachvollziehbar und doch unvorhersehbar…” Anfänglich war ich konsterniert, dann konnte ich auch die Kraft und Stärke erkennen, die aus “Zwang” und “Fixierung” wirken: Dynamik!

Was bedeutet der Titel PIONEER 23 ihrer CD?
Wenn bei der Entstehung von Musik verschiedene Ausrichtungen und Ansätze zusammenfließen, entsteht ein “weites Land”. Daraus zu schöpfen vermag ich dann, wenn ich mir die Aufgabe stelle, mir selbst Pionier zu sein. Zudem weist 23 (Quersumme = 5) auf die 5. Saite des Cellos hin. Und die “5” wirft ein Auge auf den “goldenen Schnitt”, wo eine Form von “Balance” entsteht – auch wenn tonal “Dissonanz” vorherrscht. Beim Hören von sog. dissonanten Klängen ist spürbar, dass im tiefsten Kern Konsonanz mitströmt; oder: Bei Oberton-Gebilden bedingt “das eine” ohnehin “das andere”, man kann sagen, die Spannung überspannt oder unterlagert die Entspannung und umgekehrt.

Wie war Ihr persönlicher Werdegang? Man lernt Cello, geht auf ein Konservatorium … 


Richtig. Mit sechs Jahren habe ich mit dem Cellospiel begonnen und hab mich zunächst im klassischen Bereich entwickelt, eine Karriere als Kammer- oder Orchestermusikerin hätte mir aber wenig entsprochen. Damals war schon das Ungestüm-Subversive am Werk und meine Hinwendung zum Experiment, auch zur Neuen Musik, zum Jazz. Aber ich empfinde große Liebe zur Klassik, vor allem zur Barockmusik. Mit 17 habe ich einige Jahre pausiert. Als ich danach das Cello neu entdeckte, war mir klar, dass ich ein neues „Feld“ erarbeiten möchte und auch „muss“. In Wien habe ich mich am Konservatorium mit Jazz befasst, konnte einiges profitieren, jedoch nur „bedingt“. Meine Art und Weise, Dinge zu „untersuchen“, stand jenseits der Unterrichts-Konformitäten.

Trotz Verstärkung bleibt das Instrument das was es ist – eben ein Cello. Man hört alte und dann wieder sehr avancierte Spieltechniken, Obertonspiel, erlebt Feinheit, Stille, dann wieder zupackende Aggression.
Durch Verausgabung in der “Aggression” wird auch die Zartheit ihren Platz einnehmen können. Dualitäten zu konfrontieren, sie allenfalls zu verbinden, schafft machtvolle Intensität.

Große Phonstärken, Noise – wäre das was für Sie?
Wenn das Herz offen ist für die Musik, können Ohren sehr viel aufnehmen! Ich liebe die lautstärkenmässigen Extreme, es hat etwas Befreiendes, doch ich muss nicht um jeden Preis in diese Richtung anschieben. Manchmal verwende ich die von Veranstaltern an die ZuhörerInnen verteilten Ohropax, je nach Konzert-Situation und Befindlichkeit.

In der Version mit Sextett wurde das Spektrum des Celloklangs auf andere Instrumente erweitert, es gab aber auch improvisierte Solobeiträge der anderen Musiker. Wie ist das Verhältnis Komposition/Improvisation?
Zuerst wollte ich die Klanglichkeiten und den Ablauf genauer festlegen, dann habe ich entschieden, den Improvisationsraum mehr zu öffnen, den einzelnen Musikern zu überlassen, wie sie mit dem Tonmaterial umgehen. Dieser Aspekt von Freiheit und Risiko ist mir unbedingt ein Anliegen.

Aus welchen Szenen kommen die Musiker(innen), mit denen Sie häufig zusammen spielen?
Wenn ich mich auf das Sextett beziehe: Martin Ptak (Posaune) und Markus Mayerhofer (Gitarre und Elektronik) sind relativ stark im Jazz und in der Neuen Musik verankert, zudem bilden die beiden ein Trio mit Christian Gonsior (Saxophon): Dieses Trio bearbeitet zur Zeit Filmmusik. Pia Palme (Subbässe, Bassblockflöten und Elektronik) kommt aus der Klassischen und Neuen Musik, hat sich von der strengen Linie längst befreit. Mit dem Schlagzeuger Erwin Schober – seine Stärken führen zum Drum’n’Bass und “Balkan-Jazz” (“Fatima Spar & the Freedom Fries”) – kam ich über Festspiel- und andere Produktionen mit Karin Beier in Kontakt (sie wird ab 2007 als Intendantin die Leitung des Schauspiels Köln übernehmen). Zudem ist Schober mein Schlagzeug-Partner bei der Baudelaire-Produktion “Spleen de Paris”. Mit Schober und Palme arbeite ich oft im Trio zusammen.

Wollen Sie beim Musizieren in der Gruppe Ihr persönliches Profil eher weiter durchziehen, auf die Gruppe erweitern?
Natürlich geht es um die Erweiterung in der Gruppe. Das fließende System auf der einen und der strukturelle Part auf der andern Seite fordern sich solistisch als auch im Ensemble heraus. Ich möchte mich dem “Ozeanischen Prinzip” aussetzen im Sinne von Arbeit mit “dionysischer Bewegtheit”.

Wie haben Sie zu Auftrittsmöglichkeiten gefunden?
Durch Akquisition und Networking. Auch durch meine Hinwendung zur Literatur und zum Wiener Burgtheater entstanden weitere Entwicklungsmöglichkeiten.

Die Themen und Partner waren ja spannend: Thomas Bernhard, Queneau, Schlingensief .
Auch durch die Arbeit mit dem Burgtheater sind viele Impulse für die eigenen Projekte entstanden. Und spannendes Zusammenarbeiten mit anderen Veranstalter und Auftraggeber, wie die Jeunesse zum Beispiel .

. die das von Ihnen konzipierte Baudelaire-Projekt (Spleen de Paris UA 2005) beauftragte, das ab November 2006 im Burgtheater-Kasino zu sehen sein wird .
. genau. Und davor haben mich Aufträge und Auftritte, um einige zu nennen, begleitet wie z.B. “Joyce in Dublin” (“Rejoyce Dublin”), Nibelungenfestspiele in Worms, die “Ars Poetica Bratislava”, ein faszinierendes Projekt mit Wolfgang Mitterer…

War die Gründung eines eigenen Labels wichtig?
Es war insofern wichtig, dass drei CDs auf WKM/Wilde Kammermusik erschienen sind. Die gesamte Abwicklung, Vermarktung und so weiter muss selbst gemacht werden. Kürzlich habe ich überlegt, das Label auch als Plattform für andere Musiker anzubieten.

Website gibt’s auch schon?
Die entsteht gerade.

Machen Sie alles selbst?
Ja. Das „Management-Thema“ wird mich dann näher beschäftigen, wenn mich die Aufträge einmal komplett überwältigen sollten. Davor erledige ich die Organisation und Koordination selbst.

Ist Wien als Perspektive für Sie attraktiv?
Ich lebe schon elfeinhalb Jahre hier und habe meine neue Heimat gefunden. Wien ist eine wunderbare Kultur-Stadt und hat einen sehr tiefgründigen Charakter. Die Ambition ist natürlich da, vermehrt unterwegs zu sein.

Sie sind heuer auch beim Komponistenforum in Mittersill eingeladen.
Thematisch geht es um “Kult” und ich freue mich auf die Begegnung mit vielen Musikern und Komponisten, u.a. Christoph Cech und Christof Dienz. Es werden Konzerte, Workshops, Symposien, Kino und Kommunikationen stattfinden – Musik wird in diesem Rahmen in Mittersill entstehen und ich bin schon sehr gespannt. In Cech’s Musik sehe ich eine gewisse Verwandtschaft, was Emotionalität und Ausdruck betrifft.

Halten Sie diese Formen nicht so festgelegter Musik zwischen Komposition, Jazz, Experiment, als im Zunehmen begriffen?
Absolut.

(Das Interview führte Heinz Rögl)
Fotos: Elvira Faltermeier