„Ich war immer auch ein Lesender“ – FRANZ KOGLMANN im mica-Interview

FRANZ KOGLMANNS neues Album „g(ood)luck“ ist einmal mehr eine geniale Gratwanderung zwischen Kammermusik und Jazz. Der Trompeter und Komponist griff dafür Glucks Vertonungen der Oden und Lieder von Klopstock auf. FRANZ KOGLMANN sprach mit Markus Deisenberger über seine Vorliebe für literarische Vorlagen und darüber, warum es keine Kunst, sondern nur noch Künstlerinnen und Künstler gibt.

Sie haben einmal gesagt: „Ich schreibe keine Jazzmusik, sondern Musik, die Jazz zulässt.“ Heißt das, Sie verstehen sich grundsätzlich als freier Komponist? Und wenn es jazzige Anklänge gibt, rührt das eben daher, dass Sie lange Jazz spielen?

Franz Koglmann: Im Grunde heißt das, dass ich gleichermaßen von der Klassik wie vom Jazz komme. Zuerst habe ich Klassik studiert, mich dabei aber schon sehr für Jazz interessiert, anfangs nicht so sehr als Ausübender, sondern als Hörender. Dann kam ich auch praktisch rein, indem ich einer der ersten Hörer der Jazzabteilung des Konservatoriums wurde. Und mit der Zeit hat sich das alles vermischt. Heute kann ich schwer sagen, ob das Klassik oder Jazz ist. Meine Güte, es ist halt meine Musik. Der Jazz spielt in meinem Denken schon eine große Rolle, vor allem das, was man Cool Jazz und Third Stream nennt. Zurzeit spielt der Jazz sogar wieder eine größere Rolle. Eine Zeit lang war es das Komponieren, jetzt ist das Spielen wieder in den Vordergrund gerückt. Und wenn man sich mehr mit dem Spielen beschäftig, rückt das Jazz-Bewusstsein automatisch wieder mehr in den Vordergrund.

„Komponieren ist ja eine sehr einsame Tätigkeit.“

Warum ist das Spielen wieder wichtiger? Weil das Komponieren irgendwann zu einsam wird und man wieder unter die Leute will?

Franz Koglmann: Klar, das spielt eine große Rolle. Komponieren ist ja eine sehr einsame Tätigkeit. Ich habe zwei Opern geschrieben, was jeweils zwei Jahre in Anspruch nahm. Da kommt man wenig unter die Leute und ist froh, wenn endlich die Proben losgehen, damit man endlich wieder jemanden sieht. Es hat eine soziale Komponente, klar. Deshalb spiele ich gern, gehe gern zu Proben.

Das klingt jetzt so, als ob das Schreiben von Opern erst einmal abgehakt wäre. Ist dem so?

Franz Koglmann: Nein. Es hat sich erst neulich ein Produzent gemeldet, der sich eine neue Oper von mir wünscht. Ich darf aber noch nichts dazu sagen. Aber wenn es etwas werden sollte, werde ich mich wieder ein bisschen umpolen.

Gehen wir zum aktuellen Album: „g(ood)luck“ heißt es. Ihm liegt eine Auftragskomposition der Internationalen Gluck Opern Festspiele Nürnberg zugrunde. „Early Graves“ hieß die dabei entstandene Komposition. Ist „Early Graves“ deckungsgleich mit dem jetzigen Album oder ist das Album eine Weiterentwicklung?

Franz Koglmann: Das Album ist eigentlich deckungsgleich, ich hab nur ein Stück weggelassen. Der Auftrag lautete, die von Gluck vertonten Klopstock-Oden für ein Chamber-Jazz-Ensemble zu bearbeiten. Zu diesem Behufe habe ich das Trio gegründet. Dazu muss man wissen: Dieses Trio war einmal ein Quartett, bei dem ursprünglich der Engländer Ed Renshaw dabei war. Dieses Quartett war beim Carinthischen Sommer aktiv. Da hatte ich den Auftrag, etwas mit Italien-Bezug zu machen, weil mit der Stadt Udine kooperiert wurde. Mittlerweile hat Ed Renshaw leider Selbstmord begangen. Und so blieb das Trio übrig. Für das Gluck-Programm habe ich also den Restbestand des Quartetts aktiviert und etwas aus dem Programm, an dem Renshaw noch beteiligt war, hineingenommen, weil die Oden zu kurz waren, es sonst einfach zu wenig gewesen wäre. Die beiden Antonioni-Filmmusiken und ein norditalienisches Volkslied.

Gluck, Klopstock, ein friaulisches Volkslied und Michelangelo Antonioni: Das klang für mich anfangs nach einer herausfordernden, wenn nicht sogar wahnwitzigen Mischung. Dass es zusammenpasst, liegt also an der speziellen Entstehungsgeschichte?

Franz Koglmann: Das hat sich eben so ergeben, ja. Ich glaube auch, dass es ganz gut zusammenpasst. Ich muss ja auch zugeben, dass ich diese Gluck-Oden vorher noch nicht gehört hatte. Sie sind auch nicht besonders bekannt. Vom Festival in Nürnberg bekam ich die Partitur. Gehört habe ich sie bis heute nicht.

Klopstock verursacht mir als ehemaligem Literaturstudenten immer noch ein leichtes Unbehagen. Sind Sie denn mit den Schriften in Kontakt gekommen?

Franz Koglmann: Nicht sonderlich. Aus heutiger Sicht sind die Texte ja auch merkwürdig. Am Tag vor der Uraufführung unseres Stückes hat in Nürnberg eine Sängerin die Oden aufgeführt. Ich war leider nicht dort, weil ich Probe hatte. Am nächsten Tag aber hat man mir folgende Geschichte erzählt: Eine der Oden heißt „Heimatlied“ oder so ähnlich. Oder doch „Vaterlandslied“? Egal. Der Text beginnt: „Ich bin ein deutsches Mädchen …“ Und die Sängerin hat sich geweigert, das zu singen. Der Kontext ist natürlich ein anderer. Damals gab es Deutschland noch gar nicht. Aus heutiger Sicht aber ist es nur schwer zu ertragen. Bei mir wurde daraus „I am a German girl“.

Dem Album ist im Booklet ein Klopstock-Zitat vorangestellt: „Waffne dich mit Weisheit Jüngling, denn die Blume verblüht.“ Wie wollen Sie das verstanden wissen? Als Manifest gegen die Bildungsfeindlichkeit oder als Memento mori?

Franz Koglmann: Das Zitat entstammt dem Jüngling. Ich hab es aber nicht ausgesucht. Das war der Produzent, Klaus Nüchtern.

Mit Klaus Nüchtern hat das Album ja jemand produziert, den man auf den ersten Blick eher der Welt der Literatur zurechnen würde als der des kammermusikalischen Jazz, der aber 2009 mit „c.o.d.e.“ ein Album produziert hat, das den Hans Koller Preis für das Album des Jahres gewann. Und Sie haben mit ihm auch schon ein Burt-Bacharach-Tribute-Album produziert: „The Bridal Suite“.

Franz Koglmann: Die Hommage an Bacharach war seine erste Produktion. Das ist jetzt ungefähr zehn Jahre her. Klaus Nüchtern hat damals eine Erbschaft gemacht und beschlossen, das Geld nicht zu verpulvern, sondern ein Musiklabel mit genau der Musik zu gründen, die ihm gefällt. Und die erste Platte war diese Auftragskomposition über Bacharach.

Hatten Sie vorher schon einen Zugang zu Bacharach?

Franz Koglmann: Nicht wirklich. Wie die meisten anderen Musikstudenten aber auch habe ich viel Tanz- und Nachtclubmusik gespielt. Da waren das eine oder andere Mal schon auch Bacharach-Hadern dabei. Ich wusste also schon, dass das eine gewisse Qualität hat. Danach hab ich mich aber nicht mehr wirklich damit beschäftigt. Erst wieder im Zuge des Auftrags. Und dann hab ich den Ossi Aichinger angeheuert und wir haben das im Duo gemacht.

Burt Bacharach wird ja fälschlicherweise immer mit Schmusepop und Easy Listening assoziiert. Unter der eingängigen Oberfläche schlummern aber für Pop ungewöhnlich komplexe Arrangements. Ist es diese Hintergründigkeit, die so faszinierend ist?

Franz Koglmann: Unbedingt. Bacharach ist teilweise relativ schwierig. Seine Lieder nehmen oft sehr interessante harmonische Wendungen, die stark vom Klischee abweichen. Und er war trotzdem kommerziell erfolgreich damit. Nein, das hat schon Qualität, das muss man ehrlich sagen.

War Klaus Nüchtern der ideale Part, um das aktuelle Gluck-Projekt zu realisieren?

Franz Koglmann: Ja, schon Ich war ja bei den verschiedensten Labels. Aber nichts dauert bekanntlich ewig. Für den Klaus aber war diese Produktion die Ausnahme. Bisher war er bei den auf seinem Label erschienenen Alben immer auch der inhaltliche Ideengeber. Die Musikerinnen und Musiker realisierten dann seine Idee. Für das jetzige Album aber kam ich mit einer fertigen Idee zu ihm.

„Die Leute haben gerne Kastln. Einfache Zuordnung ist in der heutigen Kunst schwierig.“

Ist es denn schwer, ein Zuhause für Ihre Musik zu finden, weil alles kommerziell denkt und die Gratwanderung zwischen Klassik und Jazz schwer zu platzieren ist?

Franz Koglmann: Klar ist das Thema. Die Leute haben gerne Kastln. Einfache Zuordnung ist in der heutigen Kunst schwierig. Wie Gombrich einmal so schön gesagt hat: „Es gibt keine Kunst mehr, sondern nur noch Künstler.“ Auf keine Zeit hat dieses Statement so zugetroffen wie auf die unsere. Es gibt keine Richtungen mehr, an die man sich klammern kann. Das ist alles aufgelöst.

Auch Sie werden aber doch in eine Schublade gesteckt. In die des „kammermusikalischen Jazz“. Nervt das oder ist das okay so?

Franz Koglmann: Das ist schon ganz okay so. Das größte Problem ist doch, dass es so etwas wie musikalische Bildung nicht mehr gibt. Die ist verschwunden. Erfolgreich ist nur die ewig gleiche Klassik-Soße oder vordergründige, leicht verkäufliche Popmusik. Alles andere ist schwierig geworden. Das war nicht immer so.

Und warum ist das so, denken Sie?

Franz Koglmann: Vielleicht liegt es am visuellen Zeitalter, in dem wir uns befinden. Seit dem Fernsehen ist man auf das Sehen fixiert. Im Internet setzt sich das heute fort. Das Hören gerät dadurch ins Hintertreffen. Natürlich versucht man gerade im Bereich der zeitgenössischen Musik, dagegen etwas zu tun, aber da manövriert man sich immer mehr in ein Ghetto.

Sie haben eine Vorliebe für literarische Stoffe: Ezra Pound, Klopstock oder auch Nabokov – sie alle kreuzten ihren künstlerischen Weg. Woher kommt der Drang, Texte zu vertonen oder sie – wie im Falle Nabokovs – als atmosphärische Vorlage zu verwenden?

Franz Koglmann: Ich war immer auch ein Lesender und Literaturmensch. Bis heute lese ich viel, wenn es die Zeit zulässt. Ich bin auch der Typ Musiker, der gerne eine Anregung von außen hat. Es gibt Komponistinnen und Komponisten, die nehmen fünf Töne und machen daraus eine vierstimmige Fuge. Ich habe gerne etwas, was mich von außen anregt. Das kann ein Text sein, muss aber nicht. Auch ein Bild oder ein Film kann mich inspirieren.

Gibt es denn bestimmte Filme oder Filmemacherinnen und Filmemacher, die Sie beeinflusst haben?

Franz Koglmann: Ja, Antonioni, Alain Resnais, aber auch Peter Kubelka, mit dem ich gut befreundet bin. Der aber würde die anderen nicht akzeptieren. Bei Resnais hat mich die Schnitttechnik sehr beeinflusst, eine Art Gegenteil der Rückblende. In „Hiroshima, mon amour“ sieht man plötzlich eine Hand und weiß nicht, wieso. In einer Szene drei Minuten später wird das dann aufgelöst. Solche Prinzipien habe ich auch versucht in meine Musik zu integrieren. Eine derartige Bezugnahme ist aber wahrscheinlich schwieriger zu hören als zu sehen.

Das heißt also, man greift ein kurz eingeführtes Motiv wieder auf?

Franz Koglmann: Genau, man lässt ein Motiv aufblitzen, aber nicht das ganze, nur kleine Partikel davon. Erst später setzt es sich zusammen und man sollte idealerweise begreifen, warum man vorher schon einzelne Partikel davon gehört hat.

Dient solch eine Vorlage auch der notwendigen Begrenzung der kompositorischen Freiheit?

Franz Koglmann: Ja. Es ist sinnvoll, sich selbst gewisse Regeln aufzuerlegen. Und wenn man diese selbst auferlegten Grenzen überschreitet, weiß man auch genau, warum man das tut. Wenn man nur frei dahinschwimmt, ist es Free Jazz. Das ist auch okay, aber meistens für den, der es spielt, spannender als für die Zuhörerinnen und Zuhörer. Für die ist das Formlose oft langweilig.

Kann das Formlose nicht auch zum Klischee verkommen?

Franz Koglmann: Ja, weil man das spielt, was man kann, was in den Fingern ist. Das zu durchbrechen gelingt nicht immer. Im Zusammenspiel ist man ja auch von den Mitspielerinnen und Mitspielern abhängig. Und da stellt sich die Frage, ob da eine Anregung kommt, die mich zu etwas Besonderem inspiriert, oder nicht.

Sie haben auch eine Kantate von Ezra Pound vertont?

Franz Koglmann: Ja. Ein in politischer Hinsicht sehr schwieriges Thema. Mit Ezra Pound habe ich mich in meiner Jugend schon viel beschäftigt. Er hat einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Lyrik gehabt.

Seine „Cantos“ tut man ja auch ein bisschen als unlesbar ab.

Franz Koglmann: Das tut man, ja. In Wirklichkeit finde ich das aber in hohem Maße faszinierend. Eine tolle Arbeit war das – auch weil wir mit Phil Minton als Ezra Pound im Konzert jemanden hatten, der ihm sehr ähnlich sieht. Grandios war das.

Und wie kamen Sie zu Nabokov?

Franz Koglmann: Der ist eine große alte Liebe, die gleich nach meiner ersten großen Faszination, der für Cocteau nämlich, kam. Der war damals, als ich jung war, ja noch sehr angesagt. Aber das mit Nabokov kam so: Während meiner Studienzeit war ich auch Nachtportier bei der Firma Brown Boveri. In deren Betriebsbibliothek, die ich durchstöberte, stieß ich auf „Pnim“. Das hat mich so fasziniert, dass ich sukzessive auch alles andere gelesen habe. Nabokov beschäftigt mich bis heute. Die Idee, musikalisch etwas daraus zu machen, gab es schon lange. Aber das war ein schwieriges Projekt für mich, weil ich ihn für so genial halte, dass, was immer man macht, dem nicht entsprechen kann. Ich halte es eigentlich für unmöglich, eine musikalische Entsprechung zu finden, die dieser Genialität auch nur einigermaßen gerecht wird.

Interessanterweise sind doch auch die meisten Verfilmungen schlecht.

Franz Koglmann: Saumäßig schlecht sogar. An dem scheitern alle. Es scheint fast, als sei man, sobald man sich mit Nabokov beschäftigt, zum Scheitern verurteilt.

Gehen wir noch mal zu Gluck beziehungsweise seinen Vertonungen von Klopstocks Oden zurück. Wie eignet man sich so einen Stoff an?

Franz Koglmann: Man knöpft sich ein Stück nach dem anderen vor und schaut, was man daraus machen kann, welchen Rhythmus man dem Ganzen gibt und so weiter. Einmal habe ich auch mehrere Oden zu einer verwirkt. Im Grunde genommen sind es also sehr freie Bearbeitungen. Nur diejenigen, die mit den Oden vertraut sind, werden vielleicht das eine oder andere wiedererkennen. Ziel war, dass es nicht mehr Gluck ist, sondern so weit bearbeitet ist, dass es meine Stücke sind, und die Besetzung Sinn macht, die mit Trompete, Cello und Englischhorn ja eine ziemlich ungewöhnliche ist.

Die aber gut funktioniert.

Franz Koglmann: Vor allem, weil Mario Arcari ein wirklicher Jazz-Oboist ist, was ja nicht oft vorkommt. Attila Pasztor ist zwar kein Jazzmusiker, aber ein sehr offener Typ. Und gerade das fand ich auch wieder interessant: dass es da jemanden gibt, der aus einem völlig anderen Bereich kommt. Das erweitert den Horizont ungemein. Jazzmusikerinnen und -musiker unter sich sind ja oft unheimlich konservativ. Oft konservativer als die Klassiker.

Wie kam die Präsentation des Ergebnisses an?

Franz Koglmann: Das war toll. Im Hof des Germanischen Museums in Nürnberg, ein wahnsinnig schöner Ort. Prächtiges Wetter, tolle Beleuchtung, großartige Bar mit herrlichen Weinen. Mir hat nur dann jemand vom Festival gesagt, dass das Publikum von den Nicht-Gluck-Stücken, den Filmmusiken etwa, mehr begeistert war als von den Gluck-Stücken.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

Ein Abend mit Franz Koglmann
Donnerstag, 19. November 2015, 19 Uhr
Christine König Galerie e.U.
1040 Wien, Schleifmühlgasse 1A
www.christinekoeniggalerie.com

Präsentation der aktuellen CD G(good)luck und des 6-minütigen Films von Raoul Bruck.

Franz Koglmann spielt ein unbegleitetes Solo am Flügelhorn und spricht mit dem Produzenten Klaus Nüchtern über die CD G(good)luck seines neues Trio mit Mario Arcari und Attila Pasztor.

Foto Franz Koglmann (c) Elfie Semotan