„Ich liebe nichts mehr als Willhaben“ – FLORENCE ARMAN (früher KLEI) im mica-Interview

Sie hat das beste InstaGame im Biz. Sie ist mit Dancehall, Klassik und AVRIL LAVIGNE groß geworden, schreibt Lieder für große Größen und heißt jetzt FLORENCE ARMAN. Ihren Künstlernamen KLEI hat sie abgelegt. Deshalb ist das Interview teils veraltet. Es hat vor einem Jahr stattgefunden, seither wurde die erste Single verschoben, ein Konzert in Wien hat noch stattgefunden, dann kam Corona, dann der Wechsel weg von KLEI. Zu ihrem ersten mündlichen Interview, das Stefan Niederwieser führte, war ihr keine Nervosität anzumerken. Ihre Kappe war von Glock, einer ihrer Brüder hatte sie auf einer Baustelle gefunden. Wer nun direkt zu Musik springen möchte und dazu, wie alternativer Pop geschrieben wird, drückt Strg + F und sucht nach CONCHITA, FILOUS oder PAMELA.

Wie feierst du Geburtstag?

Florence Arman: Ich gönne mir Sachen von willhaben. Ich liebe nichts mehr als willhaben. Fast alle meine Sachen sind Secondhand, vieles bastle ich auch selbst.

Wieso Florence Arman?

Florence Arman: Bis jetzt habe ich unter klei nur Features veröffentlicht. Die Musik, die ich jetzt mit meinem bürgerlichen Namen release, habe ich ganz alleine geschrieben und mitproduziert und ist dadurch natürlich viel persönlicher. Diese Songs sind viel ehrlicher und eher therapeutischer Natur.

Du hast früher unter dem Künstler-Namen klei veröffentlicht? Wie spricht man klei aus?

Florence Arman: Ich sage „clay“ [englisch clay, Anm.]. Wenn man brav ist, sagt man „klei“ [wie in Kleie, Anm.], das ist holländisch und heißt Ton, wie die Modelliermasse. Das ist ein furchtbarer Name und niemand weiß, wie man ihn aussprechen soll.

Du hättest dich Noodlegirl nennen können.

Florence Arman: [lacht]: Mister Sister finde ich auch noch brillant. Ich habe lange nach einem Namen gesucht und gemerkt, dass meine Songs oft davon handeln, dass Menschen formbar sind und dass in den meisten Beziehungen eine Person oft nachgeben muss, damit die Beziehung klappt. Dieses Bild hat mich aber schon immer begleitet. Meine Eltern haben sich früh getrennt, je älter sie wurden, desto schwieriger war es für sie, sich auf neue Partner einzustellen, es war, als ob sie über die Jahre aushärten würden. Über diese Konflikte habe ich geschrieben.

Wie formbar bist du?

Florence Arman: Sehr, nervigerweise. Vielleicht weil ich Nachzüglerin bin. Meine Familie wohnt zerstreut, meine Mutter in Vomperberg, mein Vater meistens in München, er ist Dirigent, Komponist und viel unterwegs. Da muss man sich den bereits bestehenden Familiendynamiken fügen, ich wollte auch noch Familie spielen.

Du hattest eine Dancehall-Phase.

Florence Arman: Mein ältester Bruder war beim IBK Tribe. Vielleicht ist das ein Innsbruck-Ding, es hat dort viele irie heads gegeben. Ich habe das extrem cool gefunden, ich wollte nichts anderes auf der Welt, als Dancehall hören und lange, dreckige Dreadlocks haben. Die Phase ging drei Jahre.

Mit zehn kam Leipzig.

Florence Arman: Meine Eltern meinten, die International School in Leipzig sei sehr gut, also bin ich da hin. Mein Vater ist Brite, morgens hat er immer Porridge gemacht, das mochte ich gar nicht, habe aber nichts gesagt. Ich war vier Jahre dort, musste mich anpassen.

„Mit zwölf war Geige dann uncool, ich habe nur mehr Avril Lavigne gehört.“

Welche Instrumente spielst du?

Bild Florence Arman
Bild (c) Florence Arman

Florence Arman: Alle in meiner Familie sind Musiker, mein Vater ist Dirigent und Komponist, er war beim Gewandhausorchester und beim Mitteldeutschen Rundfunk, meine Mutter ist Vocal-Coach, ein Bruder Jazzgitarrist und der andere Songwriter und Musikproduzent. Wir Kinder haben sehr früh angefangen, Instrumente zu lernen, bei mir war es mit vier Jahren Geige, jahrelang war das mein Hauptinstrument. Mit zwölf war Geige dann uncool, ich habe nur mehr Avril Lavigne gehört. Gitarre und Klavier habe ich mir gut genug beigebracht, um Songs zu schreiben.

Hast du zwei Pässe?

Florence Arman: Nur den britischen.

Hast du beim Brexit abgestimmt?

Florence Arman: Ich darf nicht wählen. Man muss fünf Jahre in Großbritannien gewohnt haben.

„Dann kann ich Irin werden.“

Musst du bald zurück?

Florence Arman: Ich warte, bis sie mich abschieben und meine Freundinnen und Freunde mit Protestschildern am Flughafen stehen [lacht]. Ich habe die leise Hoffnung, dass ich innerhalb einer Frist die Staatsbürgerschaft wechseln kann. Ich würde ungern. Für mich sind das die wenigen Wurzeln, die ich noch habe. Ich versuche, meinen Vater zu überreden, dass er seinen irischen Wurzeln nachgeht. Dann kann ich Irin werden.

Du möchtest lieber Irin sein als Österreicherin?

Florence Arman [lacht]: Irgendwie schon. Ich bekomme so etwas oft bei Leuten mit, die ihre Wurzeln woanders haben, Leuten der zweiten Generation.

Es wirkt, als hätte es ein Leben vor klei gegeben.

Florence Arman: Ja. Ich wusste, dass ich Pop machen will. In Innsbruck gab es dafür nicht die richtigen Leute. Ich habe schon viel für andere Künstlerinnen und Künstler geschrieben, Anfragen bekommen und einen Namen gebraucht. Mein erster Release war „Dissolve Me” von Camo & Krooked. Das lief über meinen Bruder Sebastian, der bei dem Track „Good Times Bad Times” mitgeschrieben hat. Ich habe ein Instrumental bekommen, etwas dazu gemacht, wir haben uns am Naschmarkt getroffen und geplaudert. Die Stimme habe ich im „Sunshine Studio“ in Wien eingesungen. Auf einem anderen Track vom selben Album singe ich auch.

Du warst auf ein paar Songs von Conchita Wurst zu hören. Hast du noch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern gearbeitet?

Florence Arman: Voll, ich habe ein paar Chöre für Conchita eingesungen und durch die ganzen Writing-Trips habe ich schon mit sehr coolen Künstlerinnen und Künstlern arbeiten dürfen. Als ich mit The Kooks das erste Mal im Studio war, habe ich mir fast in die Hose gepinkelt, sie waren ein großer musikalischer Einfluss auf mich. Aber auch Sessions mit Cro oder der australischen Künstlerin G Flip waren toll!

Florence Arman: Ja, ich habe ein paar Chöre eingesungen. Und beim Album von Julian Le Play habe ich an der Hälfte mitgeschrieben.

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Du machst viel mit filous. Er ist immer wieder auf deinem Insta zu sehen.

Florence Arman: Die Amadeus Austrian Music Awards 2016 fanden an meinem zweiten Tag in Wien statt. filous war dreimal nominiert, jemand hat uns vorgestellt und vorgeschlagen, dass wir etwas machen. Es hat sehr schnell funktioniert. Sein US-Management hat für uns meine ersten Writing-Sessions in Amsterdam organisiert. Da ist „For Love“ entstanden.

Im Song kommen Drogen vor.

Florence Arman: [singt]: „Everything I gave up for this, there is nothing I could have missed, except for my girls and drugs.“ Er vermisst an der Liebe nichts außer die Mädels und die Drogen, aber er hat sie trotzdem gern aufgegeben.

Muss man Drogen für die Liebe aufgeben?

Florence Arman: Kommt drauf an, welche.

Wie hat das Time Magazine For Love entdeckt?

Florence Arman: Relativ unromantisch, über die Agentur von filous.

Wie kommt man an Sessions?

Florence Arman: Unterschiedlich. Der Produzent von Midnight Kids, der Sohn von Pamela Anderson, hat mich zum Beispiel auf Instagram angeschrieben. Einige Sessions hatte ich gemeinsam mit filous. Mein Manager und mein Verlag „Kobalt“ organisieren viele für mich. Man fliegt meistens auf eigene Kosten, versucht, ein paar Sessions auf einmal zu machen und das wieder hereinzuspielen.

„Kobalt“ ist ein ziemlich großer Verlag. Wie schreibst du da Songs?

Florence Arman: Ich mach Songwriting-Trips, meistens schreibt man einen Song pro Tag, also muss man schnell liefern. Beim Songschreiben auf Knopfdruck gibt es gewisse Regeln, die sind nicht so leicht zu generalisieren, aber oft ist etwa der Refrain höher als die Strophe und hat eine runde, einprägsame Melodie. Außerdem versucht man, Melodieteile zu variieren, ist ein Teil sehr busy, sollte der nächste idealerweise weniger busy sein. Die Teile sollen sich auch rhythmisch abwechseln. Oft werden auch ABA- oder AABB-Melodien verwendet.

Ich warte darauf, dass Fade-outs und Quintensprünge wiederkommen.

Florence Arman: Fade-outs kommen wieder. Es gibt viele spezifische Trends, etwa diese Melodien mit Triplets oder gewisse Melodie-Abläufe [singt eine mäandernde, langsam fallende Melodie; Anm.], eine Zeit machen das alle, manches funktioniert für drei Hits, dann geht das nicht mehr. Für mich kommt es darauf an, für wen ich schreibe. In Österreich ist alles langsamer, da kann man [singt dieselbe Melodie; Anm.] ein paar Jahre länger machen als in Amerika.

Bild Florence Arman
Bild (c) Florence Arman

„Das hat mit der Playlist-Kultur auf Spotify zu tun. Sie prägt, wie Songs geschrieben werden.“

Was müsste man jetzt machen?

Florence Arman: [überlegt]: Es gibt viele Low-Key-Refrains, die nicht wie bei Katy Perry und Max Martin explodieren. Das hat mit der Playlist-Kultur auf Spotify zu tun. Sie prägt, wie Songs geschrieben werden. Wenn man Musik zum Kaffee oder Lernen hört, will man nicht bei jeder Strophe rausgerissen werden, sondern einen netten Ohrwurm nebenher.

Es ist auch keine sehr euphorische Zeit.

Florence Arman: Dafür vereint sie umso mehr bei anderen Dingen. Leute haben immer mehr das Gefühl, sie müssten zusammenhalten. Auf „Walk Me Home“ redet Pink davon, dass sie nicht allein sein will mit allem, was um sie passiert. Musik ist ein Vehikel, um solche Dinge auszudrücken – oder um davon wegzukommen.

2018 gab es viele Songs über Depression und Suizid.

Florence Arman: Social Media spielen da eine Rolle, man kann sich öffnen, der Plastikbildschirm hilft Leuten, sich zu äußern. Das ist leichter über Instagram. Ich lebe die Themen, die mich beschäftigen, auf Social Media aus, ohne darüber zu reden. Sich aufzutakeln, sich zu präsentieren, das beschäftigt mich. Man soll ausschauen können, wie man will, auch mal Pickel haben, muss nicht langes, blondes, wallendes Haar haben, einen flachen Bauch und einen winzigen Bauchnabel.

Deine Themen sind für viele zugänglich.

Florence Arman: Meine eigenen Songs sind persönlicher, ich schreibe über Dinge, die mich belasten, irritieren: jemand ist weg, etwas ist super. Es geht um alles, was mir einen Grund gibt, es zu verarbeiten. Das ist ein ganz anderes Gefühl als in Sessions. Ich setze mich ans Klavier, nehme die Gitarre oder gehe spazieren. Es gibt einen Impuls, ich höre etwas in der U-Bahn, lese etwas.

Wie klingen deine Songs? Und schreibst du allein?

Florence Arman: Bisher ja, das wurde nur noch produziert. Nur einen Song habe ich in einem Berliner Team für Lena Meyer-Landrut geschrieben und dann für mich umgetextet, weil sie ihn nicht verwendet hat. Es wird anders sein, vor allem die Texte, auch akustischer. Mein Team, das sind filous und mein Bruder, außerdem David Bronner, der Bruder von Oscar Bronner, einem Urgestein der österreichischen Musik. Er ist schon lange mein Mentor, er hat mir einmal zu Weihnachten ein Interface geschenkt und mir gezeigt, wie ich Songs aufnehmen kann.

Major-Label oder ist das egal?

Florence Arman: Es ist eine finanzielle Frage, denk ich. Majors sind wie eine sehr teure Bank. Es kommt auf vieles an, auf die Kontaktlinie oder darauf, dass der A&R Feuer und Flamme ist für das Projekt. Wobei ich von denen nicht weiß, ob sie etwas arbeiten oder nur Candy Crush spielen und heimlich achtmal täglich in die Cafeteria Eis essen gehen.

Wie einfach findest du es, dich als Frau in diesem Business zu behaupten?

Florence Arman: Einfacher als in einem Gespräch an der Bar. Da habe ich viel mehr das Gefühl, dass ich als Frau nicht ernst genommen werde. Eine Session ist neutraler Boden, eine gute Idee ist einfach eine gute Idee. Und als Sängerin habe ich vermutlich einen Vorteil. Frauen dürfen immer singen [lacht]. Deshalb habe ich die Diskrepanz weniger zu spüren bekommen als vielleicht eine Tontechnikerin oder eine Produzentin. Es gibt leider immer wieder Horrorgeschichten aus der Musikindustrie.

Stefan Niederwieser

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