„Ich habe die Alterswut“ – Sigi Maron im mica-Interview

Der Wiener Protest- und Dialekt-Liedermacher („Leckts mi am Oasch – Ballade von ana hortn Wochn“) veröffentlicht zu seinem 70. Geburtstag gemeinsam mit der Band The Rocksteady Allstars ein neues Album: „Dynamit und Edelschrott“. Präsentiert wird es am 10. Mai im Stadtsaal Berndorf. Bis auf Weiteres wird es das einzige Konzert des Musikers, der sich noch nie ein Blatt vor den Mund genommen hat, heuer bleiben. Seine Gesundheit macht Maron leider wieder mal zu schaffen. Im Gespräch mit Sebastian Fasthuber spricht er auch darüber, was ihn heutzutage wütend macht, was er von Ö3 und von der KPÖ hält, und wie ein Rapstück auf seinem neuen Album gelandet ist.

Erst einmal sei die Frage erlaubt: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?


Sigi Maron:
Naja. Ich muss wieder mal ins Krankenhaus. Nach dem Konzert am 10. Mai fahre ich nach Linz zu einem Spezialisten, der mir einen Stent reinschiebt. Der verbindet die Aorta mit den Beckenarterien. Ich habe ja schon länger eine künstliche Aorta und künstliche Beckenarterien. Zwölf Jahre habe überhaupt nicht auftreten dürfen, weil ich so ein großes Aneurysma gehabt habe. Dann erst habe ich das Album „Es gibt kan Gott“ gemacht.  Zwischen meinen zwei Prothesen hat sich inzwischen wieder ein Aneurysma gebildet. Nach dem Eingriff werde ich eigentlich ein Humanoid sein. Ich will nicht sagen, dass das Leben nicht lebenswert ist. Aber erstrebenswert ist es in der Form eigentlich nicht.

Sie sagen das sehr emotionslos.

Sigi Maron: Mir ist es schon wurscht. 2007 hatte ich eine Operation. Die hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt, wenn ich nicht gewusst hätte, ich muss für meinen Enkel die Verantwortung tragen, bis er 18 oder 19 Jahre alt ist. Meine Tochter war alleinerziehende Mutter. Mein Enkel ist deshalb bei meiner Frau und mir aufgewachsen, ich war quasi sein Vaterersatz. Ich habe das Gefühl gehabt, ich muss zumindest so lang auf der Welt sein, biss der Bua selbständig ist. Das ist er eh schon lang.

Inwieweit ist Ihnen das Musikmachen heute noch möglich?

Sigi Maron: Körperlich schaffe ich nicht mehr als ein Konzert im Monat. Ich muss meine Kraft so einteilen, dass ich nach dem Konzert nicht so fertig bin, dass ich sage: Jetzt scheiße ich auf alles. Ich will ja spielen. Und auf einer Bühne stehen und die Leute kriegen will ich auch. Aber das in Einklang zu bringen mit der körperlichen Verfassung, ist das Schwierige. Für mich ist es viel leichter, wenn ich mit den Rocksteady Allstars spiele, als allein oder nur mit einem Keyboarder. Da habe ich meine Pausen dazwischen.

Das Liederschreiben hingegen hat nie aufgehört?

Sigi Maron:
Nein. Lieder schreibe ich laufend, wenn mir irgendwas so am Oasch geht oder mich etwas so bedrückt, dass ich zu dem Thema einfach was schreiben muss. Aber ich denke mir manchmal: Das haben andere Leute schon viel besser geschrieben. Deshalb ist „S’Lebm is hoat in Favoriten“ von Fritz Nussböck auf dem neuen Album drauf. Das kann man einfach nicht besser schreiben. Wir haben nur eine kurdische Band dazugekomme, nachdem heute ein sehr hoher Kurden-Anteil in Favoriten ist. Aber die spüren das Gleiche. Es hat sich nichts geändert, das Leben ist genauso hart in Favoriten wie vor 40 Jahren.

Haben Sie auch öfter das Gefühl: Über viele Themen, die heute aktuell sind, habe ich schon einige Male gesungen?

Sigi Maron: Ja. Aber ich betrachte gewisse Sachen heute von einem anderen Standpunkt oder mit einem anderen Wissen. Drum kann ich sie trotzdem noch einmal schreiben. Ich kann zum Beispiel unendlich viele Lieder schreiben über die Flüchtlingsproblematik. Das trifft mich so stark. Das ist ja nichts Neues in der Menschheit. Völkerwanderungen hat es immer gegeben und die Leute haben immer schon einen Platz gesucht, wo sie besser leben können. Oft haben sie auch nur geglaubt, es geht ihnen dort besser als da, wo sie herkommen. Ich bin der Ansicht, wenn in den Ländern, aus denen der Großteil der Flüchtlinge herkommt, das Fernsehen zeigen würde, wie es bei uns wirklich ist, würden viele gar nicht flüchten. Die sehen nicht, was wirklich bei uns rennt. Die vielen Obdachlosen und Bettler, die wir haben, sehe ich im Fernsehen nicht. Und auch im Radio höre ich nichts darüber.

Apropos Radio: Was sagen Sie zur Ö3-Geschichte?

Sigi Maron: Es wundert mich nicht, dass die dort so reden. Ich glaube nicht, dass die überhaupt denken. Dazu sind sie geistig gar nicht in der Lage, dazu müsste man ein Hirn haben. Und ich bezweifle, dass irgendjemand in dem Sender ein Hirn hat, von ganz oben bis ganz unten. Ich glaube auch, dass das Programm, das die machen, Auswirkungen hat. Wenn man sich vorstellt, jemand sitzt bei der Arbeit acht Stunden in einem Büro und die ganze Zeit rennt Ö3 – der muss mit der Zeit verblöden.

Man sieht schon, Sie neigen nicht zur Altersmilde.

Sigi Maron:
Nein, im Gegenteil, ich habe die Alterswut. Ich werde immer wütender. Aus dem einfachen Grund, weil ich zuschauen muss, wie alles, für das ich und viele anderen in der Jugend gekämpft haben, immer noch verwässert oder schlechter gemacht wird. Wenn ich heute das Wort Reform höre, ist immer etwas Negatives damit verbunden. Früher war eine Reform etwas Positives, da ist etwas weitergebracht worden. Heute geht es mit jeder Reform einen Schritt zurück. Alleine wenn ich mir ansehe, dass der Gesetzgeber die legale Arbeitszeit auf zwölf Stunden täglich anhebt, könnte ich ausflippen. Entschuldigung, 1865 haben sich die Steinmetze in Australien den Acht-Stunden-Tag erkämpft. Wir sind 1918 nachgezogen. Und jetzt nehmen wir das zurück? Wie soll das überhaupt gehen, wenn die Automaten einen Arbeitsplatz nach dem anderen fressen?

Wo genau stehen Sie politisch?

Sigi Maron: Ich halte viel von dem jugoslawischen Sozialismus, wo die Betriebe selbstverwaltet waren und die Leute die Dinge selber in die Hand genommen haben. Weil es in Österreich keine anderen nennenswerten linken Gruppen gibt, bleibt mir nichts Anderes übrig als die KPÖ. Aber ich lasse mich nicht einordnen bei den Kommunisten. Leider gibt es bei den Kommunisten diese ganzen Abgrenzungen, bei denen es in Wahrheit immer nur um persönliche Probleme geht. Sonst hätten wir in Österreich eine halbwegs starke Linke.

Sie haben immer wieder für die KPÖ kandidiert. Wie stark sind Sie noch involviert?

Sigi Maron: Wegen Martin Ehrenhauser unterstütze ich die KPÖ bei dieser Wahl nicht und gebe auch keine Wahlempfehlung für sie ab. Auch wenn ich sie selber wähle. Mein Vater hat immer gesagt: Wenn du einmal groß bist, wähle immer KPÖ und nimm immer Pitralon. Das mache ich beides heute noch.

Zurück zur Musik: Wie ist das neue Album entstanden?

Sigi Maron: Im Lauf der Zeit. Ich schreibe oft ganz kurze G’satzln oder ein Gedicht. Später kommt es mir wieder unter. Ich arbeitet dabei viel mit Fritz Nussböck zusammen. Wir treffen uns oder schicken Ideen hin und her. So sind Nummern entstanden wie „Knopp vorbei“, wo ich einmal nicht über Flüchtlinge und Arbeitslose schreiben wollte, sondern nur einen Blödsinn mit absurdem Text. Aber es gibt natürlich auch Nummern, die entstanden sind, weil mich etwas wahnsinnig macht. Zum Beispiel diese Gier nach neuen Dingen, über die ich in „Do steckt Bluat in mein Handy“ singe. Das schlimmste sind die Apple-Leute, die sich immer anstellen, sobald ein neues Gerät rauskommt. Warum machen die das? Ich muss nicht alle zwei Jahre ein neues Handy haben. Vor allem wenn ich weiß, wie ein Handy erzeugt wird. Und das kriegen die meisten Leute schon mit. Aber es ist ihnen wurscht. Wir leben auf Kosten von anderen.
Und immer noch viel zu gut.

Auffällig ist, dass es viele Kollaborationen gibt auf dem Album, sogar eine mit einem Rapper namens „Die Bandbreite“. Wie kam es dazu?

Sigi Maron: Ich kann nicht rappen, aber ich find’s leiwand. Durch meinen Enkel höre ich unheimlich viel HipHop, und es gibt guten HipHop, auch politischen und kritischen. Die Bandbreite habe ich am Festival des politischen Liedes am Attersee kennengelernt. Meine Freunde haben mir gesagt, ich soll mir die Texte anhören, ob die in Ordnung sind. Bis auf die Verschwörungstheorien sind sie das. Also habe ich mich gefragt, worüber man ein gemeinsames Lied machen könnte. Mir ist die Arbeitslosigkeit in Griechenland eingefallen, wo fast jeder zweite unter 25 arbeitslos ist. Das hat mich an Udo Jürgens erinnert.

Sigi Maron denkt an Udo Jürgens?

Sigi Maron:
Das einzige Lied, das ich von ihm schätze, ist „Griechischer Wein“. Da geht es um die griechischen Gastarbeiter. Aber es ist natürlich so gemacht, dass er damit niemand weh tut. Die Depperten grölen „Griechischer Wein“ und merken gar nicht, worum es in dem Lied in Wirklichkeit geht. Das ist genial. Das habe ich nie zusammengebracht.  Für dieses Lied „Schenk ma fünf Minuten“ habe ich es mir als Vorbild genommen. Es erzählt die Geschichte von einem jungen Mann, der wieder nach Deutschland muss, weil er daheim keine Arbeit findet. Aufgrund von meiner Geschichte hat der Rapper seinen Text geschrieben. Von mir  ist nur der Refrain übriggeblieben.

Eine besonders schöne Zeile auf dem Album ist: „De Wölt is volla Noarrn, aber des mocht sie net zu schlechten Menschen“.

Sigi Maron:  Das ist Von Kevin Coyne, der vor zehn Jahren gestorben ist. Ein großer Verlust. Er war ein 44er-Jahrgang wie ich. Zwei Alben habe ich mit ihm gemeinsam gemacht. Mein Lieblingslied von Kevin war immer „The World is Full of Fools“. Das habe ich jetzt übertragen, weil ich es noch machen wollte. Denn das ist sicher mein letztes Album.

Warum?


Sigi Maron:
Einerseits aus Gesundheitsgründen. Noch mehr aber habe ich das Gefühl, dass sich die Alben überholt haben. Plattenfirmen wird es bald schon keine mehr geben und ein Studio kannst du dir auch nicht leisten. Vielleicht mache ich in Zukunft ein paar Lieder und verkaufe sie nur im Internet oder auf einem Stick. Die große Masse hört Musik bald nur mehr am Handy. Das kann man nicht aufhalten.

Foto 1 Sigi Maron  © Wolfgang Jaafar
Foto 2 & 3 Sigi Maron  © Erwin Schuh

http://www.maron.at