HK Gruber: Werkeinführung „Geschichten aus dem Wienerwald“ und Porträt des Komponisten in der MusikZeit-Edition

Eine Woche vor der Premiere der Oper „Geschichten aus dem Wiener Wald“ lud das THEATER AN DER WIEN den Komponisten, der das Stück auch dirigiert, zu einer Werkeinführung, die allein schon zu einem Porträt von Werk und Komposition von HK GRUBER wurde. Unterstützt wurde er dabei von der Dramaturgin KARIN BOHNERT und vom Librettisten und Regisseur MICHAEL STURMINGER. Im zweiten Teil der Veranstaltung wurde das Buch „HK Gruber – Musik in Kommunikation“ von ANDREA ZSCHUNKE, das in der Reihe „Komponisten in unserer Zeit“ der ÖSTERREICHISCHEN MUSIKZEITEDITION im Verlag Lafite erschien, präsentiert.

Die Einführung in die im Sommer 2014 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführte Oper nach dem berühmten Stück von Ödön von Horváth besorgte zunächst die Dramaturgin des die Produktion koproduzierenden Theaters an der Wien. Aufführungen gibt es dort ab 14. März. Karin Bohnert gab eingangs auch Auskunft über das Drama von Horváth, das von 1928 bis 1931 entstand und am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt wurde. Nichtsdestotrotz ist der Ort der Handlung bekanntlich Wien, es spielt 1930 in der Langen Gasse im achten Wiener Gemeindebezirk und ist bevölkert vom „Zauberkönig“, den Inhaber eines Spielwarengeschäfts, und seiner Tochter Marianne, die dem Fleischhauer Oskar als Gattin versprochen wurde, und auch noch von Valerie, der Trafikantin der Gasse. Die Vertonung der Verlobungsfeier an der Donau war die erste zu hörende und in einer Fernsehaufzeichnung der Bregenzer Festspiele zu sehende Zuspielung aus HK Grubers Oper.

Hier war bereits der ureigene, zwischen Swing, Berg und Strawinsky, ja sogar Puccini changierende Stilmix der Komposition zu erkennen, der auf die Musikalität der Sprache baut und auch die schon von Hanns Eisler als „schäbig“ erkannte Wiener-Walzer-Seligkeit nur ironisch aufkommen lässt. In der Szene kommt auch ein verfremdetes „Sei gepriesen du lauschige Nacht“-Lied samt Klapperstorch hinzu. Marianne jedoch verliebt sich während der Verlobungsfeier – wie vom Blitz getroffen – in den jungen Alfred. Der Vater verstößt die Tochter, Oskar droht ihr: „Du wirst meiner Liebe nicht entgehen.“ Marianne bekommt ein Kind und landet in einem Nachtlokal. Das Kind stirbt an einer Lungenentzündung, die bösartig durch die Großmutter herbeigeführt wurde.

Die Geburt der Musik aus dem Resonanzraum der Sprache

Dem Spagat, das „Wiener Volksstück gegen das Wiener Volksstück“ (Erich Kästner), in dem „kein Wort Dialekt gesprochen werden darf“ (Horváth), in dem aber Sprache bis hin zu Banalitäten eine entscheidende Rolle spielt, zur Oper zu vertonen, hat sich HK „Nali“ Gruber auf Drängen Michael Sturmingers und des Bregenzer Intendanten David Pountney unterzogen. Im Vorwort zum dazu erschienenen Textbuch ist von der „Geburt der Musik aus dem Resonanzraum der Sprache“ die Rede. Diese Formulierung hat sich Gruber zur Maxime gemacht, seiner Meinung nach sei dies auch für die Arbeit der SängerInnen das Entscheidende. Es gehe nicht nur um die Artikulation, sondern auch um das zum Klingenbringen eines Wortes durch das Singen. Musik beginne für ihn mit dem Klang der Worte.

In einer anderen Szene wird der Umgang des Komponisten mit den Schatten der Vergangenheit klar. Während einer Szene auf der Gasse müht sich im ersten Stock eine Klavierschülerin mit einem Strauß-Walzer ab, sie spielt sehr schlecht und so wird dieser Walzer zitiert und gleichzeitig zertrümmert. Der Dialog, der auf der Gasse stattfindet, wird durch die aus dem Fenster zu hörenden Fehler der Spielerin strukuriert. In dem Moment, als Valerie böse wird, haut die Schülerin in die Tasten, weil sie sich ärgert, einen Akkord nicht getroffen zu haben.

Während der Entstehung der Oper lasen Gruber und Sturminger die Texte laut und legten fest, welche Stellen zu „Arien“ und welche zu Ensembleszenen werden sollen. „Im Gegensatz zum Schauspiel, in dem nicht mehrere gleichzeitig durcheinanderreden können, kann Musik eine Handlung in Ensembleszenen verdichten“, so Gruber Aus der Sprache ergab sich auch die Stimmlage der Personen – ob Sopran oder Mezzosopran –, darüber hinaus aber auch das Tempo, der Puls, und das, was sich unterhalb dieser Texte im Orchester abspielt. „Musiktheater kann hier Subtexte hineinmogeln. Wenn Horváth sagt, dass kein Dialekt gesprochen werden darf, spiegeln die Schatten dieser Texte sehr wohl Dialekt. Da kann ich als Komponist nachhelfen. So entstehen Assoziationsräume, die grenzenlos sind.“

Das Wichtigste in der Musik ist für HK Gruber der Puls, der eben auch notiert werden musste, um die Sprache der oft bloß dahingesagten Sätze musikalisch in „Echtzeit“ ablaufen zu lassen. Was natürlich eine enorme Anforderung für die SängerInnen bedeutet, die diese komplexen Strukturen auswendig lernen mussten. Die komplizierte Notation setzt voraus, dass es dann „einfach“ klingt. „Am Anfang der Proben dachte ich schon manchmal: ‚Die dreieinhalb Jahre Arbeit waren umsonst, ich habe die Akteure überfordert.‘“ Aber dann ging es doch, „und das Glück ist, dass wir bei der Wiener Produktion nicht bei null anfangen müssen, wir die Bregenzer Erfahrungen – es singen dieselben Sänger – perfektionieren können und alles noch besser wird. Meine Philosophie ist ja, dass man immer scheitert, aber dann soll man auf hohem Niveau scheitern – und immerhin das könnte uns gelingen!“  Die SängerInnen mussten und müssen auch „Mut zur Hässlichkeit“ haben, „ich weiß, wovon ich spreche“. Michael Sturminger dazu: „Am Schluss kommt etwas heraus, das sehr nahe am ganz normalen Sprechen ist. Oder am Rap. Der Nali hat ja Rapmusik geschrieben, obwohl er die total verachtet. Ein guter Rapper würde das womöglich ganz genauso machen.“ Am Ende der Oper gibt es ein „Anti-Liebesduett“ zwischen Marianne und Oskar, in dem die beiden aneinander vorbeireden und -singen, dennoch, so Gruber, „klingen die eng miteinander verschlungenen Stimmen wie Puccini“. Angelika Kirchschlager und Jörg Schneider („der auch ein hohes C singen kann, also habe ich ihn mit mehreren C eingedeckt“) hat HK Gruber ihre Rollen gleichsam „auf den Leib geschrieben“.

Die Musikzeit Edition über das Schaffen von HK Gruber

Der Komponist blieb auch im zweiten Teil auf dem Podium, in dem die langjährige Chefredakteurin der „Österreichischen Musikzeitschrift“ (ÖMZ) Marion Diederichs-Lafite gemeinsam mit ihrem Mann, dem Gestalter Joachim Diederichs, das im Verlag Lafite im Vorjahr erschienene MUSIKZEIT-Buch über HK Gruber präsentierte. Es ist Band 31 einer renommierten Reihe über die wichtigsten österreichischen Komponisten, darunter Friedrich Cerha (Lothar Knessl) und Dieter Kaufmann (Sabine Reiter). Das Buch über Gruber konnte die lange in Wien lebende, dann in Hamburg für Radio Bremen und jetzt für den WDR Köln arbeitende Autorin Andrea Zschunke fertigstellen, als HK Gruber gerade die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ vollendet hatte.

Das Porträtbuch beleuchtet die Lebensstationen und die Entwicklung Grubers, beginnend mit seiner Mitgliedschaft bei den Wiener Sängerknaben, der Ausbildung als Kontrabassist und Mitwirkung zunächst bei den Tonkünstlern, dann im Radio-Symphonieorchester Wien, früh schon beim Ensemble die reihe. Es beschreibt seine Zeit beim Ensemble MOB art & tone Art und die „Salonkonzerte“ als Chansonnier, seine (anfängliche) Außenseiterrolle als Komponist, in der er um Aufmerksamkeit kämpfen musste, bis hin zu seinem Durchbruch unter anderem mit „Frankenstein!!“. Geworden ist HK Gruber, kurz gesagt, Kontrabassist, Komponist, Chansonnier und Dirigent. Für die Gestaltung des Buches mit Fotos hat Joachim Diederichs eine Menge guter Fotos gesammelt, die Nali zum Teil aus der Hand gegeben hat. Das Leichtere an der Zusammenarbeit mit ihm sei gewesen, dass Gruber alle Fakten genau im Kopf hat und die Begebenheiten auf dem Boden der Tatsachen sehr farbig schildern kann. Er verfüge, so Diederichs in einer Menge von Interviews, die er gab, über seine eigene „Oral History“. Andrea Zschunke ist eine gute und verständlich lesbare textliche Charakterzeichnung gelungen. Die Monografie erfüllt die Aufgabe, das Wesentliche zu dokumentieren und eine Quelle für Musikerkenntnis zu sein.

HK Gruber erinnerte in seiner Stellungnahme auch an den Mann von Andrea Zschunke, Christoph Becher, der in den Neunzigerjahren Dramaturg am Wiener Konzerthaus war und der durchsetzen konnte, dass Grubers Oper über die „schönste Sau des Abendlands“, „Gloria von Jaxtberg“, 1997 bei Wien Modern szenisch aufgeführt werden konnte. Jedenfalls habe Andrea Zschunke für das Buch Grubers Keller in Rosenburg „ausräumen und viel Material mit nach Hamburg nehmen können“. Er selbst habe keinerlei Anteil an dem Buch, er sei „nicht einmal in Versuchung gekommen, an der Gestaltung des Buchs mitzuwirken, weil dann geht man nur mehr im Kreis. Ein Komponist soll Noten schreiben“, sagt Gruber lachend. Als das Buch erschien, habe er zwei, drei Seiten gelesen und festgestellt: „Um Gottes willen, da wird jemand beschrieben – so, wie der ist, möchte ich gerne sein, da les’ ich es lieber nicht … Wahnsinnig gut ist das Buch auch deswegen, weil kein einziges Wort Fachchinesisch darin vorkommt.“

Eine weitere entscheidende Lebenserinnerung erzählt HK Gruber noch selbst: „Als ich 17 Jahre alt war, sagte man mir: ‚Du willst interessante Musik hören? Da musst du in den Mozart-Saal gehen. Dort spielen die närrischsten und wahnsinnigsten Leute neue Musik.’ Ich geh’ dorthin und denke, die brauchen alle einen Psychiater! Als einmal der Kontrabassist der ‚reihe‘ krank wurde – ich war damals noch Substitut beim Tonkünstlerorchester – wurde ich eingeladen, einmal bei der ‚reihe’ mitzumachen. Daraus wurde eine Lebensfreundschaft mit Fritz Cerha und Kurt Schwertsik. Ganz wichtig an diesem Buch ist auch, dass diese Beziehungen unter den Komponisten festgehalten sind. Aus meiner Mitwirkung bei einem Konzert in der ‚reihe’ 1960, bei dem ich zum ersten Mal mitspielte, wurden Urerlebnisse mit neuer Musik. Cerha und Schwertsik haben ja Dinge nach Wien gebracht, die in Wien zum ersten Mal zu hören waren – etwa das Klavierkonzert von John Cage. Aus der Freundschaft mit Friedrich Cerha erwuchsen dessen zwei ‚Keintaten’ und ‚Eine Art Chansons’, bei denen ich als Chansonnier auf der Bühne stand. Kurt Schwertsik hat mir viel über Darmstadt erzählt, wo ich selber nie war. Auch von Otto Zykan erfuhr ich, was Darmstadt ist.“ Bleibt noch, auch im Namen von mica, den Erwerb dieses Buches sehr zu empfehlen.

Heinz Rögl

Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster