„EIN GARTEN IST NICHTS HARMLOSES ODER UNSCHULDIGES, SONDERN EINE INSTRUMENTALISIERTE EINHEGUNG VON PFLANZEN.“ – Lisa Hinterreithner, Lisa Kortschak, Elise Mory (This is not a garden) im mica-Interview

Die Musikerinnen LISA KORTSCHAK und ELISE MORY haben für die Performance-Installation „This is not a garden“ der Künstlerin LISA HINTERREITHNER einen alten, holzvertäfelten Turnsaal mit einem sehr reduzierten Sound-Gewebe in eine dämmrige Atmosphäre pflanzlicher Langsamkeit und transkorporaler Assemblierung eingetaucht. Beim bodensitzenden Gespräch mit Isabella Klebinger und Michael Franz Woels haben die drei über Pflanzenzeitlichkeit, Arten der Berührung und das Wecken neuer Bedürfnisse im Umgang mit nicht-menschlichen Organismen nachgedacht.

Wie habt ihr euch dem Thema Pflanzen angenähert? Wie würdest du das Konzept „Garten“ beschreiben?

Lisa Hinterreithner: Markus Gradwohl und ich haben gemeinsam diskursiv-theoretisch recherchiert, und Teile von dieser Recherche manifestieren sich nun in einem Audio-Podcast. Der Phänomenologe Michael Marder, der sich mit Pflanzenintelligenz und Pflanzenwissen und den sozialen Kompetenzen von Pflanzen beschäftigt hat, formuliert das Konzept Garten – als etwas Eingehegtes, dadurch auch etwas Be- und Eingeschränktes – etwa so: „The Garden is something that we guard.”

Historisch, von einer westlichen Perspektive aus betrachtet, hat der Garten eine komplexe Geschichte durchlaufen. Der Garten hat während der Kolonialisierung und des Imperialismus – und darum geht es auch in unserem Podcast – eine wichtige Rolle gespielt, um das eigene westliche Kulturverständnis in die Welt zu tragen. Ein Garten ist damit nichts Harmloses oder Unschuldiges, sondern eine instrumentalisierte Einhegung von Pflanzen.

“Das wird keine Baumumarmungs-Performance.”

Elise Mory: Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Eines meiner Lieblingsbücher handelte von einem Mädchen in der Stadt, das eine Blume findet und dann beginnt, im Hof einen kleinen Garten anzulegen. Aus irgendeinem Grund war das eines meiner Lieblingsbücher. Die Faszination am Anpflanzen habe ich bis heute: das Beobachten eines lebendigen Prozesses, dieses Hegen und Pflegen. Aber ich mache gerne auch einmal nichts und sehe zu, was passiert. In meiner neuen Wohnung stehen am Balkon Töpfe mit Erde, und ich bin total daran interessiert, was da herauswachsen wird.

Und an diese Geschichte muss ich auch die ganze Zeit denken: In Holland habe ich einmal in einem Schrebergarten-Haus gewohnt. Mein Nachbar war ein Kleinbürger wie aus dem Bilderbuch, und der wollte mich bei der Schrebergarten-Polizei anzeigen, einfach weil ich die Pflanzen so wuchern ließ und den Garten nicht kultiviert habe. Mit dem Titel der Performance „This is not a garden” habe ich sehr viel anfangen können, weil er auch eine Abgrenzung zu sehr vielem ist, das ich nicht mit dieser Arbeit assoziiert haben möchte. Das wird keine Baumumarmungs-Performance.

Lisa Kortschak: Tragisch finde ich, dass die Flora, die einen sehr großen Anteil des Lebens auf dem Planeten ausmacht, so stark von unserer Spezies dominiert wird. Die urbane Dimension der Flora ist eher zahm, in der Stadt erleben wir eine sehr kontrollierte Perspektive.

Von diesen Überlegungen ausgehend, was ist jetzt die Abgrenzung zum Garten, die auch im Titel „This is not a garden” angesprochen wird. An welchen Punkten bewegst du dich als Choreografin bei der Performance bewusst in andere Richtungen?

Lisa Hinterreithner: Eine Kernfrage war: Mit welchen Pflanzen wollen wir in Kontakt treten? Die Ernährungs- oder Ressourcenfrage von Obst oder Gemüse im Garten war für unseren Kontext nicht relevant, sondern eher: Welche Pflanzen werden entfernt, weil man sie nicht im Garten haben will? Das sind Moose oder abgefallenes Holz, oder auch Laub. Und das ist nun unser Material. Die Topfpflanze oder die singuläre Pflanze haben wir in ganz reduzierter Form eingesetzt. Wir verwenden „Materials of decay”, also Teile der Pflanze, die von der Biologie oder Ökologie nicht mehr als Pflanze betrachtet werden, weil sich in ihnen keine Stoffwechselvorgänge mehr abzeichnen. Für mich sind das aber immer noch „Pflanzen”.

Es könnte ja fließende Übergänge in Bezeichnungen zwischen einer lebenden Pflanze und den organischen Zerfallsprozessen nach dem Tod einer Pflanze geben…

Lisa Hinterreithner: Wie kann eine Pflanzenzeitlichkeit in einer Performance erahnbar gemacht werden? Das führt uns zu Fragen wie: Was ist lebendig? Was ist tot? Was ist Leben? Was ist Wachstum? Was ist wertvoll, weil es wächst? Was ist dann nicht mehr wertvoll, wenn es nicht mehr sprießt und in die Höhe wächst, sondern in einen anderen zirkulären Prozess, den Pflanzen oder Leben im Allgemeinen geht, eintritt? Die Phase des Verfalls ist charakterisiert durch eine Zeitlichkeit, in der Prozesse extrem verlangsamt ablaufen.

“Für die Pflanzen akustisch eine Ebene schaffen, die pendelnde Assoziationen möglich macht.”

Lisa Kortschak: Ich würde gerne etwas zur Entstehung der Sounds sagen. Man bleibt ja trotzdem in den eigenen Logik-Systemen, in diesem Vermenschlichen von Materie. Anfangs waren unsere Sound-Vorschläge zu betont, zu sehr lenkend, einfach zu bedeutungsgeladen. Wie können wir Suggerierendes auslassen? Also weder die Pflanzen vertonen, noch „Musik für Pflanzen“ machen – sondern eine akustische Ebene schaffen, die pendelnde Assoziationen möglich macht, auch wenn sie nur peripher wahrgenommen wird. Ein Blubbern und Krachen, das aber die Aufmerksamkeit nicht stark auf sich lenken möchte. Das war eine sehr schwere Aufgabe.

Elise Mory: Es ist eine Übersetzungsaufgabe. Am Anfang haben wir uns mit verschiedenen Aspekten im Zusammenhang von Pflanzen und Musik auseinandergesetzt. Wenn man sich ansieht, welche „Musik” Pflanzen machen können, so sind das gewisse Signale, wie zum Beispiel durch Wasserwiderstände, die man in Midi-Signale umwandeln kann. Dann wird ein Gerät, das der Mensch erfunden hat, verwendet und das macht dann Sounds. Das sind für mich keine Pflanzen-Sounds. Die Pflanze gibt höchsten Signale ab, der Mensch entscheidet, wie er sie in etwas Hörbares übersetzt. Und selbst wenn die Blätter im Wind rascheln, dann ist dabei auch der Wind im Spiel. Interessant ist auch, dass die meisten Resultate von Pflanzenmusik sehr esoterisch klingen.

Dann war es für uns eine Zeit lang spannend, der Frage nachzugehen: Wie klingt Sound für Pflanzen? Da gibt es auch schon viele Thesen und Untersuchungen dazu. Nicht zu vergessen, diese eigenartigen 70s Synthie-Sounds von Mort Garson auf seinem Album Plantasia. In den 1980er Jahren gab es viele Versuche, und es ging meist um eine Produktivitätssteigerung. Wenn man ihnen Mozart vorspielt, dann wachsen sie besser, wenn man ihnen Heavy Metal vorspielt, dann wachsen sie schlechter. Diese kritische Auseinandersetzung hat für mich dazu geführt, das ganze Komponieren, Improvisieren und Ausprobieren-wie-es-sich-anfühlt immer wieder zu verwerfen. Aber ich fand das auch lustvoll. Es gab immer wieder so Momente, wo wir dachten: Jetzt haben wir den Sound. Und dann ging die Suche wieder von vorne los.

„Für das performative Setting war diese Frage der Zeitlichkeit von Pflanzen, die auch im Sound repräsentiert wird, sehr wichtig.”

Die Suche nach einer geeigneten Tonalität, dem richtigen Sound?

Elise Mory: Wir hätten ja auch ganz plakativ Panflöten und Didgeridoos verwenden können. Letztendlich war unser Ansatz das Herausnehmen der Kontrolle, das Arbeiten mit Zufälligkeiten, das Herausnehmen des Komponierens zugunsten eines Passieren-Lassens. Dann sind wir mit unseren Sound-Vorschlägen in den Raum gegangen und haben uns angeschaut, wie sie vor Ort wirken: Musik verstärkt ja etwas, es lädt den Raum auf, es erzählt die emotionale Ebene.

Lisa Kortschak: Für mich war vor allem interessant, auf die Lücken zu achten, auf die Stellen, die von uns nicht auserzählt werden. Im Sound kommen sie durch das Nichtvorhandensein-von-Etwas vor, also durch Formen von „Stille”.

Lisa Hinterreithner: Mir war es ein Anliegen, keine Erzählung über den Sound zu generieren oder etwas auszukomponieren, sondern die Form der Langsamkeit, oder das Langsam-Werden in der Atmosphäre der Performance durch Sounds zu unterstützen. Der Sound hat einen großen Einfluss auf unsere Geschwindigkeiten. Für das performative Setting war diese Frage der Zeitlichkeit von Pflanzen, die auch im Sound repräsentiert wird, sehr wichtig.

Lisa Kortschak: Trotzdem bleibt man in der Behauptung.

Elise Mory: Wir haben uns neben Fieldrecordings bewusst für sehr künstliche Sounds entschieden. Auch Ebenen des Rauschens von Stille, die man sonst vielleicht durch Noise-Cancelling entfernen würde, haben wir dann noch einmal verarbeitet. Eine weitere Entscheidung war es, ohne Atemgeräusche oder Holzblasinstrumenten zu arbeiten.

Lisa Kortschak: Es gibt nur einen natürlichen Sound, den wir verwendet haben. Welchen, das verraten wir hier noch nicht…

Bild Lisa_Hinterreitner_Thisisnotagarden
Lisa Hinterreitner / This is not a garden (c) Eva Wuerdinger

Kommen wir zum Raum, in dem der Sound hörbar wird, zum „Socken-Setting fürs Lümmel-Liegen”, wie du es genannt hast Lisa. Du hast einen Turnsaal gewählt, einen Raum, den man eher mit sehr viel Bewegung verbindet.

Lisa Hinterreithner: Der liegende Körper und die scheinbare Passivität bieten eine Widerständigkeit im „Nichtstun”. Der Sehsinn ist in der Kunst dominant. Im Liegen und Herumlümmeln erlaubt man sich eher noch das Schließen der Augen als im Stehen oder Aufrecht-Sitzen. Diese Körperlichkeiten interessieren mich vor allem beim Publikum, die Performerinnen nehmen dazu eine assistierende Rolle ein. Das Liegen ist – im Sinne einer physischen Reaktionsfähigkeit – eine verletzlichere Körperlage als das Stehen oder das Sitzen. Auch das Gehirn arbeitet im Liegen nachweislich anders, es sind andere Gehirnareale aktiver als im Stehen. Diese Aspekte interessieren mich im Modus des Andockens an Pflanzen – die Wirbelsäule geht Richtung Horizontale.

Bis dieses Encounter zwischen den Spezies gewissermaßen die Frage aufwirft: Bin ich noch Mensch, oder bin ich schon Moos? (lacht)

Elise Mory: Es geht um Perspektivwechsel, …

Lisa Kortschak: … um einen Bruch, einen Moment der Ent-Ortung. Dadurch können Verformungen passieren, ein Shift in einer Laborsituation.

Warum setzt ihr bewusst nicht auf ein Setting in einem White Cube eines Kunstraumes oder einer Black Box im Theater?

Lisa Hinterreithner: Es gab zwei Aspekte für mich. Ich wollte einen Spielort, an dem ich sehr lange proben kann. In diesem Turnsaal des Creative Cluster haben wir den Großteil der Proben verbringen können. Darüber hinaus haben wir zwei Wochen mit Sound-Recherchen und mit theoretisch-diskursiver Recherche im Tanzquartier Wien verbracht. Danach wurde in Salzburg geprobt, gemeinsam mit den Künstlerinnen und Ko-Performerinnen Sara Lanner, mit der ich auch das Set gemeinsam gestaltet habe, und Linda Samaraveerowá. Rotraud Kern ist als vierte Performerin gegen Ende in die Produktion eingestiegen.
Der andere Aspekt, der mir in diesem Kontext neben dem pragmatischen Need der Probezeit, wichtig erschien: Ich wollte mit diesem Thema nicht in einem klassischen Kunstraum arbeiten. Weil Pflanzen in einem Kunstraum schnell mit Kunst assoziiert werden. In diesem Low-Key-Raum kann eine andere Form der Repräsentation stattfinden, eine andere Kontextualisierung, eine andere Situiertheit.

“Ich finde den Ansatz einer subversiven Entschleunigung wichtig.”

Kommen wir am Ende noch einmal auf das Verhältnis Mensch-Pflanze zurück. Welche möglichen Bedürfnisse hinsichtlich eines In-Beziehung-Tretens zu Pflanzen könnten durch die Performance geweckt werden?

Lisa Hinterreithner: Das Bedürfnis eines besseren Kennenlernens von den diversen, subtilen und vielfältigen Verhältnissen zum Pflanzlichen; und Begegnungen abseits reiner Nutzungsorientierung. Moose haben als erste Landgänger unter den Pflanzen ein 400 Millionen Jahre altes Wissen, auch über die verschiedenen Arten ihrer Fortpflanzung, und könnten doch so mein Denken und Empfinden verändern. Auch über die ganzen ökologischen Probleme, die wir durch die bisherige Form des Verhältnisses verursacht haben.

Lisa Kortschak: Und es geht im größeren Sinn nicht nur um die Hinterfragung des Verhältnisses zwischen Mensch und Pflanze, sondern auch um die Hinterfragung des Systems, in dem man sich gerade bewegt. Ich finde den Ansatz einer subversiven Entschleunigung wichtig.

Elise Mory: Für mich geht es um ein Raum-Geben, nicht nur für Pflanzen. Um einen Zustand des Sich-Zurücknehmens und Geschehen-Lassens. Davon scheint die Menschheit noch sehr weit entfernt.

Herzlichen Dank für das Interview!

Isabella Klebinger und Michael Franz Woels

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Links:
www.lisahinterreithner.at
lisakortschak.klingt.org

Dieses Interview wurde anlässlich der Erstaufführung im TQW im Juni 2022 geführt und ist Teil der Serie Crossways in Contemporary Music.

Wir verlosen 1 x 2 Freikarten für die Show am 22.7.2023 im Rahmen von Impulstanz 2023. Bei Interesse bitte bis zum 20.07.2023 um eine E-Mail an office@musicaustria.at – Betreff: „Impulstanz 2023”.

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Termine:
„This is not a garden. vegetal encounters“
20.7.2023, 19:00 + 22.7.2023, 17:00 + 23.7.2023, 21:00
Veranstaltungsort: Künstlerhaus Factory
Impulstanz 2023

Link zur Veranstaltung:  https://www.impulstanz.com/performances/pid1584/