Gitarren wie Nebelschwaden, Lyrics wie lose Gedankenfetzen, ein Synth, der alles zusammenhält: VENT!L, die Vorarlberger aus Wien, machen Musik, die sich nicht festnageln lässt – weder soundästhetisch noch textlich. Zwischen Shoegaze und Postpunk, zwischen Alltag und Widerstand hat die Band am 28. März 2025 ihre erste EP „Taubenkampf“ veröffentlicht – fünf Songs über Freund:innenschaft, Wohnpolitik, wütende Bürokratie und das Gefühl, dass die Dinge auch anders sein könnten. MELI, LUKI, ADAM, KATHI – und JONA, Schlagzeugperson und Gründungsmitglied, das beim Gespräch zwar fehlt, aber natürlich mitgedacht wird – sprechen mit Ania Gleich über DIY-Strukturen, politische Soundscapes, Konzertmomente, die haften bleiben, und die Frage, was Musik heute leisten kann – und vielleicht, nur vielleicht, sind sie ja auch eine Morgenband?
Seid ihr prinzipiell Morgenmenschen oder eher nicht?
Adam: Ich bin seit 07:30 wach. Ich hab mir den Wecker auf acht gestellt, aber den gar nicht gebraucht.
Ah, du bist also so einer! Wie ist das bei den anderen?
Luki: Bei mir ist das ganz unterschiedlich. Es gibt Phasen, da stehe ich um fünf auf – das war vor kurzem. Jetzt gerade bin ich eher bei zehn Uhr.
Also kannst du wirklich so umschalten?
Luki: Ja, voll.
Gibt mir Schichtarbeiter-Vibes.
Adam: Geht mir genauso. Wenn ich abends nicht arbeite, stehe ich früh auf.
Wenn man künstlerisch arbeitet und nebenbei einem normalen Job nachgeht, bleibt es abwechslungsreich.
Luki: Voll. Unsere Probenzeiten waren auch sehr unterschiedlich – mal um zehn abends, mal um zehn vormittags. Da haben wir schon gesagt: Wir sind eigentlich eine Morgenband.
Kathi: Und ich finde, wir waren vormittags sogar wacher!
Aber der Vibe ist schon ein anderer, oder?
Luki: Definitiv. Aber ich bin am Vormittag konzentrierter.
Und bei euch, Meli und Kathi?
Kathi: Kein Morgenmensch, aber für sowas wie dieses Interview ist’s schön, früh aufzustehen.
Meli: Ich arbeite in der Nacht, hatte letztes Semester noch Uni und Schulpraktikum – da musste ich um sechs, sieben los. Mein Schlafrhythmus ist … eigen. Ich bin eher eine Nachtperson.
Dieses Doppelleben stelle ich mir auf Dauer schwierig vor.
Meli: Es gibt Leute, die das ewig machen. Ein Arbeitskollege unterrichtet unter der Woche und arbeitet am Wochenende in der Nachtgastro. Aber der gönnt sich dann auch regelmäßig einen Monat Kreta zur Erholung.
Morgenband oder nicht: Ihr habt letzte Woche eure EP rausgebracht. Wie war eure Release-Show?
Adam: Super! Es hat alles geklappt – auch wenn die EP eigentlich schon eine Woche früher draußen war.
„TROTZDEM ÜBERWÄLTIGEND, DASS DIE EP JETZT DRAUßEN IST”
Wo war sie denn draußen, wo sie nicht draußen sein sollte?
Adam: Auf Bandcamp. Haben wir nicht gecheckt.
Meli: Ja, obwohl dort „erscheint am 28.“ stand, konnte man es schon hören.
Ich habe sie tatsächlich letztes Wochenende gehört und mir nichts dabei gedacht.
Adam: Wir dachten, mit einem eingegebenen Datum passiert der Upload automatisch – aber anscheinend nicht. Vielleicht haben wir Bandcamp einfach nicht verstanden!
Gut, war also ein kleines Versehen – aber vielleicht ist es niemandem außer mir aufgefallen.
Meli: Trotzdem überwältigend, dass die EP jetzt draußen ist.
Ja? Inwiefern?
Meli: Dieses Gefühl: Wir haben wirklich etwas fertiggestellt, es ist draußen – ein Jahr nach Planungsbeginn.
Man hat zum ersten Mal eine künstlerische Handschrift draußen, mit der man sich identifizieren muss.
Luki: Genau. Wenn man in einer Band spielt, fragen Freund:innen oder Veranstalter:innen irgendwann: „Wo kann man euch hören?“ Wir hatten lange nur ein YouTube-Video von unserem ersten Gig – auf einer Geburtstagsparty. Das war nett, aber nicht mehr repräsentativ. Deshalb wollten wir richtige Aufnahmen. Damit haben wir im November angefangen und im Januar war es fertig.
Was ist eure Band-Story? Warum wolltet ihr miteinander Musik machen – und warum genau diese Musik?
Meli: Ganz am Anfang waren Jona, Adam und Luki dabei.
Jona ist die Schlagzeugperson, die heute fehlt, oder?
Meli: Genau.
Luki: Wir haben mal ein halbes Jahr lang in einem kleinen Projekt zusammen gespielt – in Vorarlberg.
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Meli: Ich bin übrigens die einzige Nicht-Vorarlbergerin.
Luki: Ich habe damals in einer Band mit Kathis Cousine gespielt. Nach einem Auftritt kam Jona zu mir und fragte, ob wir nicht eine Band starten wollen. Ich dachte erst: Ich kenne die Person gar nicht – aber daraus ist das Ganze dann entstanden.
Aber das war alles noch in Vorarlberg, oder?
Adam: Genau.
Meli: Und vor drei Jahren hat mir Adam geschrieben, ob ich Lust hätte, in der Band zu singen. Dann hatten wir im September darauf ein privates Konzert, und im Dezember war das erste öffentliche.
Luki: Das erste halbe Jahr war wirklich dafür da, alles zu formen und auszuprobieren. Nach einem halben Jahr wurde es dann immer konkreter und fester. Die ersten Songs, die wir da geschrieben haben, spielen wir auch heute noch.
Also sind die auch auf der EP?
Meli: Ja, genau. „myspace.com“ und „Taubenkampf“, aber auch „Streichholz”.
„DER SONGTEXT IST ENTSTANDEN, WEIL ICH IN DER BADNER-BAHN GESESSEN BIN.”
Wollt ihr ein bisschen was zur Geschichte der Songs erzählen? Vielleicht hat ja auch jede:r von euch einen Lieblingssong oder verbindet mit einem Track besonders viel?
Kathi: Ich habe es am Wochenende mit zwei älteren Menschen gehört – und beide meinten: „Das hätten wir auch hören können, als wir jung waren!“
Es wiederholt sich alles, nicht?
Adam: Zu deiner Frage: Beim Song „Taubenkampf auf der Wiedner Hauptstraße”, bekomme ich öfter Vibes von so Plastikpop aus den frühen 2000ern. Und live macht mir der Song einfach am meisten Spaß. Auf der EP ist er auch der Abschluss – ein schöner Ausklang, wenn man sie durchhört.
Warum heißt der Song eigentlich „Taubenkampf“? Was ist eure Assoziation dazu?
Meli: Der Songtext zu „Taubenkampf auf der Wiedner Hauptstraße“ ist entstanden, weil ich in der Badner Bahn gesessen bin – und einfach wahllos Dinge aufgeschrieben habe, um neue Lyrics zu finden. Ich hab da so absurde Methoden ausprobiert.
Und dann kam eben „Taubenkampf“ dabei raus?
Meli: Ja, genau. Und ich finde diese Strecke vom Karlsplatz aus, wenn man mit der Badner Bahn fährt, total diffus und eigenartig.
Indeed.
Meli: Ich bin dort auch nicht oft – war früher auch kaum dort. Aber jetzt interessiert mich der Ort irgendwie mehr.
Also der Song ist in der Badner Bahn entstanden – beim Beobachten eines Taubenkampfs auf der Wiedner Hauptstraße.
Meli: Ja, und bei den drei Songs auf der EP waren die Texte anfangs nie final. Die Songs sind alt, aber die Lyrics haben sich mit der Zeit entwickelt.
Adam: Die haben sich einfach herauskristallisiert.
Meli: Bei „Streichholz“ war es auch so – da hatten wir zuerst einen anderen Text.
Der Refrain war am ehesten fix, der stand schon früh fest.
Der Song hat bei mir auf jeden Fall die größte Melancholie ausgelöst.
Luki: Voll, der weckt einfach so ein bestimmtes Gefühl. So Nostalgie, aber auch so … Schmerz vielleicht?
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Es ist halt dieses Gefühl, das man als jugendliche Person oft hat – dass man einfach nachts auf der Straße herumhängt, ohne wirklichen Grund. Man ist einfach draußen, nicht daheim, aber auch nicht wirklich woanders. Ich erinnere mich an Nächte, wo ich mir dachte: Warum friere ich mir jetzt gerade im März den Arsch ab – nur damit ich nicht nach Hause muss?
Adam: Voll.
Luki: Mir geht es genauso. Ich muss dabei total an frühere Zeiten denken. Vielleicht ist es auch so eine Rückblende in eine unbeschwerte Zeit – vor Corona.
Meli: In „Streichholz“ geht’s ja auch um Freund:innenschaft – es ist irgendwie ein Liebeslied an meine Freund:innen. Als wir einmal ein Konzert gespielt haben, hab ich das meiner Kindergartenfreundin gewidmet – ich hab sie gesehen, und musste richtig schlucken. Ich war die ganze Zeit so: Okay, ich darf mich jetzt nicht zu sehr reinsteigern. Aber der Text hat schon viel mit ihr und mit anderen engen Freund:innenschaften zu tun. Das ist daraus entstanden.
Zurück zu den Tauben: Die sind ja so ambivalente Tiere, vor allem in Wien. Die einen finden sie süß, die anderen ekelhaft. Sie sind die verrufenen Wesen der Stadt – aber vielleicht auch die Punks des Himmels?
Adam: Sie können ja nichts dafür, dass sie da sind.
Genau.
Meli: Ja, und die Doppeldeutigkeit ist spannend, oder? In religiösem Kontext ist die Taube ja ein heiliger Geist, ganz symbolisch aufgeladen – und gleichzeitig gibt es in Floridsdorf ein riesiges „Taubenproblem“. Dann gibt’s auch Brieftauben oder Taubenrennen in Belgien. Es gibt so viele Bedeutungen!
Was bedeutet euch die Taube? Kann man das politisch interpretieren?
Meli: Die Aufmerksamkeit, die man dem „Taubenproblem“ widmet, lenkt von anderen, echten Problemen ab. Und da gibt es eine Brücke zu „Graue Fassaden“ – das handelt ja über das Thema Wohnen, was uns als Band total beschäftigt. Dass Wohnpolitik präsent bleibt, und nicht einfach untergeht oder verdrängt wird. Zum Beispiel: In Bregenz darf man in der Innenstadt keinen Alkohol trinken – das ist ein Mechanismus, um obdachlose Menschen zu vertreiben.
Ja, und in Wien gibt es dieselben Diskussionen im Hintergrund.
Adam: Es geht oft einfach darum, Menschen aus dem öffentlichen Raum zu drängen. Ich habe da auch kein konkretes Bild im Kopf, aber diese Schlafplatz-Dinger – also die Bank mit Eisenbeschlägen, damit man sich nicht hinlegen kann …
Meli: Ja, das ist diese sogenannte „Hostile Architecture“. Beim Billa am Schwedenplatz zum Beispiel: Da kam an einer Stelle warme Luft aus einer Lüftung raus – da konnte man sich hinsetzen. Dann haben sie genau dort einen Fahrradständer installiert, damit das nicht mehr geht. Und als sich trotzdem Leute hingesetzt haben, haben sie den noch mal so versperrt, dass niemand mehr sitzen kann. Das war im Winter ein warmer Ort für draußen – und der wurde aktiv verbaut.
„FÜR MICH SIND DIE PROBEN UND DAS GANZE GEMEINSAME MUSIKMACHEN EIN VENTIL.”
Das führt mich vielleicht zu der Frage zurück, warum ihr euch eigentlich für diesen Sound entschieden habt – oder für diese Richtung generell. Ihr transportiert ja ganz klar politische Messages.
Luki: Ich glaube, der Bandname „Vent!l“ sagt da schon viel. Für mich sind die Proben und das gemeinsame Musikmachen ein Ventil – auch für die Themen, über die wir gerade gesprochen haben.
Also als emotionaler Kanal?
Luki: Genau. Und wenn wir neue Songs schreiben, passiert das sehr organisch. Der Sound entwickelt sich einfach mit dem, was uns beschäftigt. Die Musik und die Inhalte gehen bei uns Hand in Hand.
Adam: Der Sound kristallisiert sich meistens aus dem gemeinsamen Schreiben heraus. Natürlich bauen wir die Sachen gemeinsam auf, aber – ganz ehrlich – ich finde es persönlich einfach schwierig, fröhliche Musik zu machen und Politik komplett außen vor zu lassen.Wenn die Welt nicht fröhlich ist und so vieles einfach komplett schief läuft, dann will ich nicht so tun, als wäre alles okay. Wir sollten über Dinge reden, über die viel zu selten gesprochen wird.
Ein Konzert kann ja auch ein Ventil sein.
Meli: Ich finde auch, dass der Synthesizer total viel ausmacht. Manchmal, wenn Kathi nicht da ist und wir ohne Synth spielen, fehlt einfach etwas. Der Sound trägt viel.
Weil es der Kleber ist?
Adam: Genau. Es hält nicht zusammen, ohne!
Luki: Der Synth verstärkt auch die Emotionen – gerade bei „Graue Fassaden“ gibt es zum Beispiel so Wind-Sounds. Und die passen so gut zu diesem Gefühl: draußen sein, den Elementen ausgeliefert. Das macht die Aussage des Textes noch greifbarer. Der Synth bringt da so eine atmosphärische Tiefe rein.
Meli: Ich finde das ganz spannend.
Kathi: Ich habe das Gefühl, ich höre mich selbst manchmal gar nicht, wenn ich was anhöre. Es gibt schon Stellen, wo man einzelne Instrumente raushört, aber oft ist es auch so: Du hörst es eh nicht, dass ich da bin. Es fällt eigentlich erst auf, wenn es fehlt oder falsch ist …
Adam: Welcome to my life as a Bassist.
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Das ist das perfekte Counter-Beispiel.
Adam: Beim Bass ist es ja auch so: Der ist mono, eher tieffrequent – und unser Gehör fokussiert sich stärker auf hohe Frequenzen. Deshalb springt das weniger raus und fällt eigentlich nur auf, wenn er fehlt oder schief klingt.
Vorhin haben wir ja über diese jugendliche Freiheit gesprochen. Und mit Verweis auf den MySpace-Track hab ich mich gefragt: Warum? Wenn ich euch so anschaue – dann erscheint ihr mir nicht als Myspace-Generation!
Meli: Ich wurde letztens auf sechsunddreißig geschätzt. Das war ein bisschen beleidigend. Die Person war aber sehr betrunken.
Don’t trust drunk people.
Meli: Der Track hatte ja zuerst auch einen anderen Arbeitstitel, oder?
Adam: Ja. Der hieß zuerst anders.
Tiktok.com?
Meli: LinkedIn!
Adam: Spaß. Also der Arbeitstitel war: „Männer lol“. Aber dann kam irgendwas mit Copyright-Thematik dazwischen – darum haben wir es geändert.
Meli: Ich glaube, letztlich war es auch ein Ding von: Okay, ich sag jetzt „Männer lol“ – aber eigentlich geht es im Songtext um Übergriffigkeit und die Wut, die das auslöst.
Und diese Übergriffigkeit kann von jeder Person kommen. Also eigentlich ging es darum zu sagen: Ich will mir meinen Space nehmen. „My Space“ – im Sinne von Grenzen setzen. Und dann dachten wir: Hey, warum nicht einfach gleich den Titel von der Seite nehmen als Joke?
Also habt ihr alle keine MySpace-Erfahrung, oder?
Meli: Nein, nicht wirklich.
Man könnte es ja auch interpretieren: Die Männer, die damals MySpace hatten, sind jetzt die Creeps von heute.
Luki: Ja, sicher! Ich meine, die Leute, die das wirklich genutzt haben, sind eine ganz andere Generation.
„MySpace.com“ ist kein schlechter Titel. Ich finde, die gedankliche Herleitung hat schon was. Und gefühlt werden die Generationen auch von den Werthaltungen sowieso immer kürzer – beobachtet ihr das auch so?
Luki: Ich hab erst neulich gelesen: Es gibt schon wieder einen Namen für die Generation, die jetzt geboren wird – die wachsen direkt mit KI auf. Neue Generation, neues Label.
Meli: Alpha?
Ich glaube, das ist schon die ab 2010. Die nächste hätte dann wohl schon wieder einen neuen Namen.
Luki: Ja, aber du merkst halt: Die Abstände werden kürzer.
„FÜR MICH IST DAS GANZE PROJEKT IMMER NOCH SEHR ABSURD.”
Es ist auch dieser Schnelllebigkeit geschuldet, oder?
Meli: Ja, TikTok, Instagram Reels – alles ist kurz, alles muss sofort funktionieren.
Du bekommst alles in kürzester Zeit. Lebensmittel aus aller Welt, Infos aus dem Netz, alles zack zack.
Ist es für euch auch ein Statement, dass ihr eure Musik nicht auf den klassischen Streaming-Plattformen habt? Wie habt ihr das entschieden?
Adam: Die Diskussion ist auf jeden Fall im Gange.
Ja?
Adam: Klar, es gibt auch andere Plattformen wie Tidal, Apple Music, SoundCloud … Aber Spotify hat sich halt ein Monopol aufgebaut – und nutzt das auch aus. Es funktioniert so ein bisschen trickle-down-mäßig: Große Artists bekommen alles, kleine fast gar nichts.
Und Bandcamp ist da einfach fairer, oder?
Adam: Total. Bandcamp nimmt 15 %, der Rest geht an die Artists.
Klar, es ist bequemer, alles bei Spotify zu hören – aber es gibt ja Alternativen. Es wäre schon ein Statement zu sagen: Überall, nur nicht dort.
Adam: Ja, das Ding ist halt: Viele nutzen einfach Spotify. Ich merke es ja bei mir selbst. Viele Musiker:innen, die ich liebe, habe ich dort entdeckt. Manchmal kommt etwas im Algorithmus oder bei Radio-Vorschlägen. Leute entdecken über Spotify neue Musik – das ist Fakt.
Schwierige Diskussion.
Meli: Total. Ich glaube, wir haben die Diskussion auch für uns noch nicht abgeschlossen.
Spotify ist halt wahnsinnig zugänglich – die meisten Leute nutzen es. Und wir wollen ja eigentlich, dass viele Menschen Zugang zu unserer Musik haben. Deswegen wirkt Bandcamp oder YouTube für viele wie ein Hindernis.
Luki: Wir haben überlegt, wie wir das möglichst barrierefrei gestalten können, wenn wir auf Bandcamp veröffentlichen. Man kann ja auch Links drucken oder QR-Codes – das haben wir zum Beispiel gemacht. Aber klar: Spotify ist für viele einfach der gewohnte Weg.
Ich habe diese Ambivalenz auch bei anderen Artists bemerkt: Zuerst heißt es „kein Instagram“, „kein Spotify“, „wir bleiben DIY, bleiben Underground“ – Und wenn dann ein bisschen mehr Reichweite da ist, wird es doch gemacht. Der Druck ist real.
Adam: Ja, das ist halt die Sache: Wenn wir schon auf Instagram sind – warum dann nicht auch auf Spotify?
Luki: Instagram macht Dinge halt zugänglich. Man kann sich dort vernetzen, connecten – wie man sich auf Plattformen präsentiert, macht viel aus.
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Absolut. Vielleicht zum Abschluss noch eine leichtere Frage: Gab es denn bei der Entstehung der EP oder eures Sounds einen besonders absurden Moment? Einen, der euch in Erinnerung geblieben ist?
Kathi: Für mich ist das ganze Projekt immer noch sehr absurd. Ich wollte ewig in einer Band spielen, hatte aber nie Zugang dazu.
Was hast du davor gemacht?
Kathi: Ich war im Musikschulkontext – so Klassik, Theorie, alles sehr formal. Da hab ich mich aber nie wirklich wohlgefühlt. Irgendwie hat es nie ganz gepasst.
Und jetzt?
Kathi: Immer wenn wir spielen, bin ich so: Musik macht plötzlich Spaß.
Luki: Bei mir bezieht sich die Antwort auf die Frage eher auf den Sound und ist verknüpft mit einem Moment, der eine gewisse Absurdität in sich hatte. Ich habe anfangs in der Band einfach versucht, mit der Gitarre verschiedene Soundscapes zu schaffen – Sachen, die teilweise gar nicht mehr wie Gitarre klingen. Viel mit Hall, Delay, sphärischen Effekten. Irgendwann hab ich dann mein Pedalboard ausgepackt und die Leute waren so: „Wow“. Ich habe davor in einer Band im Rockbereich gespielt – sehr direkte Gitarre. Und dann in der Band plötzlich: alles verwaschen, alles so effektlastig. Finde ich mega schön. Das hab ich wirklich durch die Band für mich entdeckt und lieben gelernt.
Ich liebe ja Shoegaze. Kann gar nicht genug verzerrt und sphärisch sein. Das mag ich schon sehr.
Luki: Gehst du zufällig auf das Slowdive-Konzert?
Stimmt, die spielen ja wieder, oder? Wann nochmal?
Luki: Heute.
Heute?! Achso, lol. Das hab ich verpasst. Du gehst hin, schätze ich?
Luki: Ja, voll. Ich bin früh dort, damit ich mich ganz vorne vor die Pedalboards stellen kann!
„JEDE:R HAT SEINEN EIGENEN HINTERGRUND – UND WENN MAN DAS ALLES EINBRINGT, ENTSTEHT WAS NEUES.”
Sag unbedingt Bescheid, wie es war! Übrigens, eure Gitarrenpassagen haben mich teilweise sehr an eine meiner Lieblingsbands erinnert – Heisskalt.
Meli: Ja, voll. Für mich und Adam war das auch so eine richtige Jugendband.
Sorry, das war jetzt ein kleiner Exkurs. Aber man sieht ja immer so Versatzstücke von sich selbst in Musik.
Luki: Ja, voll. Jede:r hat seinen eigenen Hintergrund – und wenn man das alles einbringt, entsteht was Neues.
Wir hatten jetzt Slowdive, Heisskalt … Gibt es denn noch andere Einflüsse, die für euch wichtig waren?
Meli: Also wir haben am Anfang alle ziemlich viel Culk gehört. Das war so ein gemeinsames Ding.
Luki: Voll.
Adam: Für mich persönlich war es auch Turbostaat. Ich weiß nicht, ob man das hört, aber vom Bass her – da ist schon was drin. Ich meine, natürlich ist nichts geklaut – aber man nimmt sich halt Inspiration. Vom Sound her, vom Drive.
Kathi: Ich habe das Gefühl, ich bin noch immer stark geprägt von diesem ganzen musiktheoretischen Hintergrund.
Kann ich total verstehen.
Kathi: Ich bin gar nicht so auf Sound fokussiert – aber durch die Band entdecke ich gerade viele neue Sounds für mich. Da tun sich völlig neue Zugänge auf.
Außerdem ist es auch immer gut, jemanden in der Band zu haben, der Noten lesen kann.
Luki: Du hattest doch auch Musikunterricht, Adam?
Das heißt nicht, dass man Noten lesen kann.
Adam: Ich war im Gymnasium und musste Noten lesen – Ich kann sie lesen, aber ich brauche eine halbe Stunde für eine Seite.
Luki: Ja, und genau deswegen ist es super, dass wir Kathi dabei haben! Vor allem wenn etwas gerade erst entsteht, hat das schon tolle Vorteile. Dann sagt Kathi: „Ah, Moll!“ – und du weißt gleich, welche Töne passen. Und man muss auch sagen – Kathi hat sich ja ein neues Instrument angeeignet. Von Klavier zu Synthesizer … Das ist ja schon eine Leistung.
Kathi: Ja, manchmal steht mir mein theoretischer Zugang aber auch im Weg. Ich verharre dann zu sehr im Kopf. Aber ich glaube, mit der Band kann ich das auch gut loslassen.
Das ist doch schön. Man muss da einfach einen Mittelweg finden. Gibt es etwas, das wir bisher nicht angesprochen haben und das euch wichtig ist – im Hinblick auf eure Band, eure Idee, eure Zukunft?
Meli: Wir haben schon wieder nicht „Labyrinth“ erwähnt – das ist der einzige Song auf der EP, den wir nie erwähnen! Und es ist der Song, der am meisten geskippt wird.
Warum?
Adam: Die Statistik sagt: Die Leute skippen immer bei dem Song!
Ah, interessant. Warum?
Meli: Naja, ich meine, der hat ja schon so ein bisschen was Nerviges auch. Es passt ja auch so zum Inhalt. Es ist so dieses ganze Bürokratie-Zeugs.
Luki: Stimmt, ja. Da haben die Menschen keinen Bock drauf, erinnert zu werden. So: Boah, jetzt müssen wir wieder ans Amt denken! Ich höre mir den auch persönlich nicht so gern an. Ich liebe ihn aber zu spielen!
Adam: Ich glaube, das liegt auch daran, dass er so einen ziemlich ausgedehnten Instrumentalteil hat und dadurch einfach länger wird.
Meli: Der Trend wegen TikTok und Co. geht halt eher in Richtung: schnell zur Sache kommen.
Luki: Aber wir wollen ja in eine andere Richtung – wir wollen nicht in Richtung TikTok-Pop.
Seid ihr auf TikTok?
Alle: Nein.
Das hört man gern.
Adam: Wir haben das bei uns auch gar nicht wirklich diskutiert.
Luki: Hat man als Band TikTok?
Meli: Ja, schon. Inzwischen ist das fast schon mandatory. Mir wurde diese Woche auch erklärt, dass ich als Lehrkraft nie bei den aktuellsten Memes dabei sein werde, weil ich kein TikTok habe.
„WIR HABEN MITTLERWEILE SCHON EIN RECHT GUTES REPERTOIRE”
Ich bin der Überzeugung: Wenn ein Meme oder Diskurs wirklich wichtig ist, dann kommt er eh auch woanders hoch.
Adam: Die Band Pisse ist z.B. wegen TikTok so bekannt geworden! Irgendeine Person hat deren Song „Fahrradsattel“ auf TikTok geteilt, und dann wurde das ein TikTok-Hit. Die Band hat jahrelang nur Underground-Shows gespielt, keine Promo, nix. Und dann plötzlich: Arena ausverkauft. Große Halle.
Vielleicht müsst ihr einfach einen Song auf TikTok schmuggeln.
Luki: Nein.
Meli: Das muss entstehen.
Ania: Aber genau da sind wir wieder bei dem Punkt: Zugänglichkeit versus eigene Überzeugungen.
Luki: Voll.
Adam: Das muss sich d’accord anfühlen mit einem selbst. Sonst kann man auch gleich eine Corporate Band machen oder so.
Was sind eure nächsten Schritte – zukunftsmäßig? Nach der EP, was kommt da? Konzerte?
Meli: Ende des Monats spielen wir bei Splizz.
Ah ja. 29.04., oder?
Meli: Genau. Und drumherum gibt es noch ein paar Anfragen.
Adam: Eine davon mussten wir gerade absagen, weil es sich zeitlich nicht mehr ausgeht.
Meli: Wir haben aber auch überlegt, mal so eine Mini-Tour zu machen – nur ist das schwer, weil wir alle noch irgendwas anderes machen: Studium, Ausbildung, Künstlerdasein …
Klar, verstehe ich. Das ist dann schwer zu vereinen.
Luki: Wäre aber ein nächster Schritt.
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Meli: Wir haben vor zwei Wochen mit einer Band aus Frankreich gespielt, die meinten: „Kommt doch mal nach Lille vorbei.“
Adam: Paris wär auch noch auf der Liste.
Aus Deutschland kommen doch sicher auch Anfragen?
Luki: Ja, aber Leipzig für einen Abend ist halt einfach zu weit. Macht dann nur Sinn, wenn man gleich mehrere Dates hintereinander macht.
Kleine Central-Europe-Tour?
Meli: Voll! Das wollen wir machen. Und neue Songs schreiben.
Luki: Wir haben mittlerweile schon ein recht gutes Repertoire.
Adam: Bei der letzten Setlist war’s schon so: Okay, langsam können wir nicht mehr alles spielen, was wir haben.
Das ist ein guter Kipppunkt! Und es bedeutet auch, es gibt genug Material für eine zweite EP oder ein Album?
Adam: Das wird dann wahrscheinlich unser nächstes großes Thema in den nächsten Monaten.
Meli: Aber jetzt schweben wir noch auf der Wolke vom ersten Release.
Adam: Und mit den neuen Songs wollen wir uns ein bisschen freier machen – aus den bisherigen Strukturen raus.
Kathi: Es gibt auch einen neuen Synthesizer, den wir ausprobieren wollen.
Meli: Vielleicht auch mehr Instrumententausch – obwohl keine:r von uns wirklich Schlagzeug spielt. Außer Jona.
Adam: Genau. Aber wir wollen nicht einfach unsere jetzige Formel wiederholen, sondern offen bleiben.
Luki: Es soll sich weiterentwickeln – und wichtig ist, dass wir uns wohlfühlen.
Das ist ein gutes Schlusswort. Das nehme ich gern. Danke euch für eure Zeit!
Meli und Kathi: Danke dir.
Adam: Danke dir für deine Zeit.
Luki: Und deine Spontanität!
Ania Gleich
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VENT!L live
29.4. Einbaumöbel, Wien (mit Splizz)
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