„DAS NAHELIEGENDE, DAS BAUCHGEFÜHL UND DIE INTUITION.“ ‒ PETER PLOS IM MICA-INTERVIEW

Der Musiker und Komponist PETER PLOS veröffentlichte Tonträger mit Bands wie Glutamat, Georg Freizeit oder Lorelei Lee. Nach seinen musikalischen Ausflügen zwischen Cabaret Punk und Electro-Jazz kollaboriert er seit 2008 vermehrt mit Künstlerinnen und Künstlern aus den Bereichen Tanz, Theater, Performance und bildender Kunst. Düstere Drone-Sounds hat er zur aktuellen Performance „Mining Minds“ entworfen, die heuer auch im Rahmen des Festivals IMPULSTANZ präsentiert wird. Michael Franz Woels und Isabella Klebinger lassen im Interview mit PETER PLOS Genregrenzen hinter sich, sprechen über das Generieren von unerwarteten Sounds und erfahren, wie die Tate Modern in London klingt.

Musikalisch kommst du ursprünglich von der Jazz-Gitarre und hast über die Arbeit in verschiedenen Bands zur Komposition für zeitgenössische Performances gefunden. Profitiert deine Arbeit aus den weitreichenden Erfahrungen mit unterschiedlichen Genres?

Peter Plos: Ursprünglich habe ich mir das Gitarrespielen selbst beigebracht, Jazz-Gitarre dann später kurz studiert. Die klassische Notenschrift und das konventionelle Musiksystem waren nie so meines. Ich bevorzuge die grafische Notation. [lacht] Und ja, meine Erfahrungen mit verschiedenen Bands möchte ich nicht missen, vor allem die Periode mit Glutamat war sehr einzigartig. Das war eine absolute nichthierarchische Konstellation ‒ alle Mitglieder sehr unterschiedlich und gleichberechtigt. Jede bzw. jeder durfte sozusagen machen, was sie oder er wollte.

Ein Album mit dieser Band Glutamat hieß „Scheitern inbegriffen“. Siehst du dieses Kokettieren mit dem Scheitern als Künstler eher als eine „Anfänger-Attitüde“? Wie sehr ist das Scheitern in der Kunst und als Künstler ein Thema für dich?

Peter Plos: Ich weiß gar nicht mehr, von wem der Titel stammt. Aber ich denke, es hatte mit dem Kokettieren mit einer Punk-Attitüde zu tun, aber auch mit witziger Selbstkritik. Ich mag den Titel, wir Scheitern doch alle irgendwann …

Zu einer deiner Arbeiten findet man als Beschreibung einen Text der Choreografin Anna Knapp, ein Ausschnitt daraus: „Alle Ereignisse, die geschehen, formen uns. Sichtbar oder weniger sichtbar schreiben sie das Leben in den Körper ein.“ Welche Erlebnisse haben dich in den letzten Jahren stark geformt?

Peter Plos: Der Text hat mir gefallen, weil er klar und trotzdem poetisch ist. Das war eine der ersten musikalischen Arbeiten für die Tanztheater- und Performance-Szene. Die Zusammenarbeite mit Performance-Künstlerinnen und Künstlern hat sich womöglich auch bei mir eingeschrieben.

Du bist Teil des Wiener Kollektivs Kunststoff. Viele deiner Projekte folgen den Vektoren Politik, Pop und Kunst …

Peter Plos: Zur Zeit überlege ich zum Beispiel, wie das Bild „Angelus Novus“ von Paul Klee klingen könnte. Isabella Sedlak wird im Herbst das Bühnenwerk „Fallen“ von Anna Gschnitzer inszenieren, zu dem ich die Musik machen werde. Diesem Werktext wird ein Zitat von Walter Benjamin zu Paul Klees Bild vorgesetzt. Und diese Woche mache ich die ersten Experimente für einen Audiowalk mit dem Kollektiv Kunststoff, bei dem ich binaurale Audiotechnik anwenden werde.

Für die Performance „Knuckles become clouds“ von Anna Prokopová, Costas Kekis und Andrea Gunnlaugsdóttir hast du den Sound komponiert. Die drei Künstlerinnen bzw. Künstler experimentierten mit „posthumaner“ Performativität. Wie schätzt du die möglichen Fähigkeiten eines posthumanen Körpers und eines posthumanen Geistes ein?

Peter Plos: Interfaces, Sensorik, Software, Touchpads, Controller, Face-Tracking, Prothetik, Virtual Reality usw. gehören schon zu einer Erweiterung des Körpers, von einem posthumanen Geist sind wir noch weiter entfernt.

„VON EINEM POSTHUMANEN GEIST SIND WIR NOCH WEITER ENTFERNT.“

Wie kam es zur aktuellen Zusammenarbeit mit der Performance-Künstlerin Sara Lanner?

Peter Plos: Ich habe Sara Lanner über ihren Performance-Partner in „Mining Minds“ kennengelernt. Den Tänzer Costas Kekis wiederum kenne ich von „Knuckles become Clouds“.

Der Titel „Mining Minds“ wirkt wie eine Verschmelzung zerstörerischer, ausbeuterischer Aspekte menschlichen Wirkens: Bergbau, Extraktivismus, aber auch Data Mining. Wie kommen all diese Aspekte in deinen Sounds zusammen?

Peter Plos: Sara Lanner gab mir eine einzige Vorgabe: Sie wollte rollende Steine in irgendeiner Form auf der Sound-Ebene. Das war dann auch einer der Startpunkte und die Herangehensweise für die weitere Komposition. Die Sache kam sozusagen ins Rollen. [lacht]

Gab es zur Entwicklung der Komposition dann so etwas wie ein musikalisches Moodboard? Welche Grundstimmungen liegen dieser Arbeit zugrunde?

Peter Plos: Der Ausgangspunkt ist für mich zuerst immer das Naheliegende, das Bauchgefühl und die Intuition. Um Ideen zu bekommen, brauche ich meistens viel Ruhe. Ich meditiere und irgendwann fange ich so wie David Lynch „den großen Fisch“. [lacht] Natürlich mache ich mich auch mit einem Thema vertraut, aber ich würde mich nicht als Konzeptkünstler bezeichnen. Sara Lanner war bei ihrer Arbeit an „Mining Minds“ von dem Film „Western Deep“ inspiriert. Das hat mich natürlich interessiert und ich habe mich dann auch damit auseinandergesetzt.

Man muss bei der Musik aber sehr aufpassen, dass die Stimmungen nicht zu plakativ werden. Ein Four-to-the-Floor-Beat kann sehr schnell auch einmal billig rüberkommen. In diesem Fall ist es für mich aber ein Puls, der die Szene gleichzeitig beruhigt und vorantreibt. Der betrachtende Zuhörende hat Zeit, die Bilder und Eindrücke selbst entstehen zu lassen. Choreografie, Licht und Sound arbeiten sehr eng miteinander zusammen und es entsteht ein poetisches Grundbild, wenn wir während der Show interagieren.

„Mining Minds“ verhandelt aber nicht nur den destruktiven Aspekt des Begriffes „mining“. Welche anderen Aspekte kommen noch zu tragen und wie hast du diese musikalisch umgesetzt?

Peter Plos: Bei dem Stück passieren viele Interaktionen zwischen den beiden Performenden auf sehr gefühlvolle, vielleicht lyrische Weise. Man denkt dabei nicht sofort an Bergbau oder Raubbau. „Mining Minds“ behandelt eben auch im übertragenen Sinn zwischenmenschliche Beziehungen. Für die Sound-Spur war dann wichtig, das Ganze nicht zu überladen und der Entwicklung Zeit zu lassen.

„DURCH DAS DIMMEN DER SCHEINWERFER ENTSTEHEN BESTIMMTE SOUNDS.“

Wie generierst du generell deine Sounds für Performances? Wie kam es zu diesem spezifischen Sound-Gefüge?

Peter Plos: Sounds oder Geräusche, die ohnehin da sind, baue ich in die Komposition ein. Das mache ich eigentlich immer. Im Fall von „Mining Minds“ wurde ich von Sara Lanner im Vorfeld ins brut Nordwest eingeladen. Sie zeigte mir den aktuellen Status des Stückes. Ich hatte auch meinen Recorder dabei und hab das ganze mitgeschnitten. Der Lichttechniker Bruno Pocheron, der auch eine sehr tragende Rolle in „Mining Minds‘“ spielt, verwendet spezielle Scheinwerfer, die tief von der Decke hängen. Durch das Dimmen der Scheinwerfer entstehen bestimmte Sounds. Für mich waren sie ein perfekter Start für die Anfangsszene. Diese Störgeräusche sind ja nichts anderes als das hörbare Stromnetz, mit allen möglichen Einstreuungen und Modulationen. Mir hat das gefallen und ich habe dann versucht, das Ganze musikalisch werden zu lassen. Ein Drone aus der Steckdose mit einem Grundton von 50 Hertz. Die Netzfrequenz in den USA wäre übrigens 60 Hertz. Ich müsste alles umprogrammieren. [lacht]

Siehst du dich selbst als einen Wiener Künstler beziehungsweise in welchen geografischen Grenzen bewegt sich eigentlich deine Arbeit? Würde dich das Arbeiten im internationalen Kontext interessieren?

Peter Plos: Es gab schon auch internationale Arbeiten. Besonders in Erinnerung ist mir eine Artist-in-Residence in Brüssel mit dem Kollektiv Kunststoff im P.A.R.T.S, die Institution von Anne Teresa de Keersmaeker, und ein Showing im Studio von Wim Vandekeybus. Solche Studios sind ein Traum, um Stücke zu entwickeln.

Was planst du als nächstes?

Peter Plos: Für das Theaterstück „Fallen“, das im Herbst im Theater Drachengasse aufgeführt wird, werde ich im Juli nach London reisen. Dort möchte ich Tonaufnahmen der Räumlichkeiten des Museums Tate Modern machen, und diesen „stillen Raumklang“ als Ausgangspunkt für die Komposition verwenden.

Vielen Dank für das Interview!

Michael Franz Woels und Isabella Klebinger

Das Interview ist Teil der Serie Crossways in Contemporary Music.

Termine:
MINING MINDS“: 12. und 14. Juli 2022, 19:00
Kasino am Schwarzenbergplatz
Die Veranstaltung findet im Rahmen von Impulstanz statt.

Für die Performance am 12. Juli verlosen wir 1×2 Karten. Bei Interesse bitte eine Mail an office@musicaustria.at; Betreff: “Mining Minds”.

Link:
Peter Plos