„Dann habe ich die Wand weiter eingerissen.“ – Wolfgang Möstl (Produzent) im mica-Interview

WOLFGANG MÖSTL wird schnell langweilig, könnte man meinen. Er schreibt Songs, spielt Instrumente und produziert Musik für so viele gute Menschen, dass man leicht den Überblick verlieren kann. Er surft mal auf krachigen Gitarren, mal über Synthwellen, durch die Tiefen des Bewusstseins oder an Austropop vorbei. Angefangen hat alles vor zwanzig Jahren. Stark beteiligt war er unter anderem an den KILLED BY 9V BATTERIES (circa 2006), den SEX JAMS (2009), MILE ME DEAF (2009), MELT DOWNER (2017), VOYAGE FUTUR (2019), AETHER KOMBO (2020) und WOLF LEHMANN (2021). Für VOODOO JÜRGENS, FARCE, VAGUE oder die DIVES produziert er. Zur Verwirrung aller hat er noch dazu seinen bürgerlichen Namen gewechselt und heißt mittlerweile WOLFGANG LEHMANN. Ein Schelm wer ihn deshalb ein Pop-Chamäleon nennt.

Wie hast du Voodoo Jürgens kennengelernt?

Wolfgang Möstl: Voodoo hat im Flex die Stempel kontrolliert und ich bin an der Kasse gesessen. Einmal hat er mich gefragt, ob ich nicht Bock habe, Die Eternias aufzunehmen. Das haben wir gemacht und seither sind wir connected. Das erste Voodoo-Album haben wir dann im Proberaum der Killed By 9V Batteries aufgenommen, das zweite dann schon im Stress Studio in Graz. Beim dritten schauen wir jetzt gerade, wie weit wir hier kommen. Den anderen Teil macht Fuzzman im Anschluss. Gerade Voodoo hat sehr klare Vorstellungen, ich unterstütze also eher in der Umsetzung der Ideen.

Wie siehst du deine Arbeit als Produzent?

Wolfgang Möstl: Oft bin selbst überfragt. Ich muss der Musik nicht meinen Stempel aufdrücken. Ich schaue, dass jeder eine gute Zeit hat und die beste Performance abliefert. [lacht] Steve Albini meinte einmal, er geht davon aus, dass grundsätzlich falsch liegt, weil sich die Band viel länger mit der Musik auseinandergesetzt hat. Also lässt er sich von der Band belehren, was sie wollen. Er sieht sich nicht als fetter US-Produzent – der er sein könnte, nachdem er Nirvanas „In Utero” aufgenommen hat.

Was ist deine „In Utero“?

Wolfgang Möstl: Wahrscheinlich das erste Voodoo Jürgens Album. [lacht] Ich bin ins Produzieren reingerutscht. Irgendwann haben befreundete Bands gehört, dass ich im Proberaum ein paar Mikros aufgestellt habe. Die Eternias waren dann 2011 die erste Band, die nicht aus dem nahen Umfeld gekommen ist. Inzwischen weiß ich schon, was ich tue, damit es gut klingt mit einem eigenen Zugang.

Wie klingt das dann?

Wolfgang Möstl: Nach eiernden Sounds. Letztens haben wir mit ein paar Leuten aus Voodoos Ansa Panier festgestellt, dass es schön ist, dass wir alle auf eiernde Sounds stehen. Das kann eine leiernde Geige sein, ein Synth mit Vibrato oder ein altes Tape Delay.

Nimmst du als Produzent Prozente?

Wolfgang Möstl: Andere gehen ins Studio und bekommen fünf Prozent. Das mache ich sicher nicht, das finde ich komisch. Ich habe schon meine Rates. Und wenn ich merke, ich habe viel beigetragen, rede ich mir das mit der Band aus.

Wie hast du 2008 die Finanzkrise erlebt? 

Wolfgang Möstl: Der Dollar war sehr niedrig, deshalb konnte ich den billigsten USA-Urlaub machen und günstig Platten einkaufen. Die Occupy Wall Street Bewegung hat mich interessiert und das Video zu „Crux“ der Killed By 9V Batteries wurde auf deren Website gezeigt, nachdem wir es ihnen geschickt haben.

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„Graz war wie eine Sackgasse“

Wenig später bist du bei den Sex Jams eingestiegen.

Wolfgang Möstl: Die Batteries haben sich angefühlt, als hätten wir gepeakt. Graz war wie eine Sackgasse. Ich war 26. Ich hatte einen Job als Techniker in einem Hotel und dachte, vielleicht bin ich zu alt und muss eine Familie gründen oder einen fetten Job finden. Die Sex Jams waren dann die ärgste Band, die ich je live gesehen habe. Im Herbst 2010 bin ich nach Wien in die Sex Jams WG in der Kröllgasse gezogen. Die Dynamik war arg, abends zusammensitzen, gemeinsam fortgehen oder proben. Im November habe ich an der Flex-Kassa zu arbeiten begonnen. Lustigerweise hatten mich Ja, Panik ein Jahr zuvor noch gefragt, ob ich nach Berlin in ihre WG mitziehe.

War eure letzte EP ein Schwanengesang?

Wolfgang Möstl: Wir hatten die Form gefunden, auf die wir hingearbeitet hatten. Es war schon magisch. Die Kreativität ist nur so gesprudelt. Aber es lag in der Luft, dass die Band nirgends mehr hinführt. Wir wollten für ein Jahr Pause machen. Es gab Melt Downer und bei Clara Luzia habe ich live schon Gitarre gespielt. Dazu wollte ich möglichst viel Freizeit haben.

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Konnten fünf Leute davon leben?

Wolfgang Möstl: Natürlich nicht. Wir haben gewusst, dass wir nie auf große Radio-Rotations kommen oder mit Tantiemen reich werden. Also werden wir wirklich viel live spielen. Man träumt davon, lange auf Tour zu sein. Aber für mich war das nie eine realistische Option. Es fühlt sich auch weird an, wenn man die letzte Band ist, die mit so einem Sound durch die Gegend fährt. Man reißt sich den Arsch jahrelang auf. Aber uns ist es ja nie ums Geld gegangen. [lacht]

Wie lebendig ist Vaporwave heute?

Wolfgang Möstl: Sehr lebendig. Es gibt so viele Labels und Subgenres, George Clanton ist ein Popstar und läuft für das Modelabel Marni über den Catwalk. Alles auf seinem Label 100% Electronica ist fett und auch alles von Windows 96. Als Indiegenre ist es eigentlich sehr groß. Vaporwave ist auch durch New Age beeinflusst worden, dadurch bin ich unterbewusst auf New Age Musik der 80er gestoßen. Auf Leaving Records kommt viel verschiedenes Zeug heraus, aber hauptsächlich New Age.

Ist Vaporwave wie Punk für eine Generation, die mit dem Internet groß wurde?

Wolfgang Möstl: Das liest man immer. Es ist die erste “Bewegung“, die im Netz und unabhängig von hippen Städten entstanden ist. Die Szene ist groß und sehr verbindend. Von vielen Musikerinnen und Musikern weiß man nicht, wie sie aussehen. Manche sind auch Schwurbler. Das ist dann super cringe.

Was bringt ein Label dann für dein Projekt Voyage Futur?

Wolfgang Möstl: Vill4in Records war schon auf der Landkarte und viele Leute kaufen die Platten dort blind, weil es eine Fomo gibt, dass man die nächste sündhaft teure Platte versäumen könnte. Auf Discogs gibt die irrsten Preise für die frühen Veröffentlichungen. Anfangs gab es ja kaum Kassetten und auch Vinyl erst später. Ein Label mit einem bestimmten Style und optisch zusammenhängenden Serien sind sehr collectable. Mit Vill4in habe ich mir alle Einnahmen geteilt. Früher war das eher, schauen wir, wann Break Even erreicht ist. Das Album „Inner Sphere“ von Voyage Futur lief dann wirklich gut. Es war nicht so, dass ich mir ein Auto kaufen könnte. (zögert) Naja, eigentlich schon. Ich habe mir eigentlich ein Auto damit gekauft. [lacht] Man kann sich keine Wohnung damit kaufen.

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Was bringt eine Nummer Eins auf FM4 für eine Band wie Aether Kombo?

Wolfgang Möstl: Aufmerksamkeit sicher. In Zahlen weiß ich es nicht.

Freude?

Wolfgang Möstl: Auf jeden Fall. Ich bin knietief auf einer Baustelle gestanden, habe eine Wand aus einem Wohnzimmer herausgerissen, nebenbei Radio gehört und mir gedacht, ernsthaft, geh schleich dich! Dann bin ich zu meinen Eltern, wir haben uns alle gefreut und dann habe ich die Wand weiter eingerissen.

Bringt es die Motivation, ein Album zu schreiben?

Wolfgang Möstl: In dem Fall ja nicht. Mit Aether Kombo habe ich nichts mehr veröffentlicht. Manchmal sabotiere ich mich selbst. Es wäre der perfekte Moment gewesen. Den Song „Déjà-vu“ hatte ich für Mile Me Deaf geschrieben, ein Album war schon fixfertig. Dann aber habe ich gemerkt, ich habe überhaupt keinen Bock. Der Song war aber speziell. Mir war schnell klar, dass ich ihn nicht einsingen will und mit Farce wollte ich schon immer etwas machen. Auf ihrem neuen Album, das erst noch erscheint, habe ich geholfen, den Gesang aufzunehmen. Aether Kombo war schon wieder Verantwortung, war Chef von etwas sein, das ich nicht will. Bei Voyage Futur konnte ich instrumentalen Ambient machen, der noch dazu gut funktioniert hat. Und bei Wolf Lehmann konnte ich Bass spielen.

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Wo ist dann der Unterschied zwischen Mile Me Deaf und Wolf Lehmann?

Wolfgang Möstl: Ich wollte ursprünglich, dass Mile Me Deaf eine Band ist. Bedroom Dudes haben mich abgetörnt. Das ist ewig nachgehängt. Das vierte Album habe ich schon komplett alleine gemacht. Irgendwann habe ich akzeptiert. dass ich einer von diesen white Dudes bin, die alleine verschrobene Songs schreiben. Als ich angefangen habe, Tasten zu spielen, war das eine Wende. Mein Musikgeschmack war nicht mehr so eng und mit Algorithmen habe ich viel Neues entdeckt. Auf dem Album „Eerie Bits Of Future Trips“ zum Beispiel Dub. Früher war das noch der Feind. Ich hatte so viele Ideen für neue Richtungen. Aber Mile Me Deaf hatte eine lange Geschichte und war irgendwann eine Belastung. Und weil ich seit Jahren so heiße und ich immer etwas unter meinem bürgerlichen Namen machen wollte, kam es zu Wolf Lehmann. Nur Wolfgang habe ich abgekürzt.

Danke für das Gespräch.

Stefan Niederwieser

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Wolf Lehmanns Debütalbum „Lucid Living“ erscheint am 25. März 2022 auf Siluh Records.

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Links:
Wolf Lehmann
Siluh Records