Mit „Solo #1“ hat der Wiener Cellist CLEMENS SAINITZER heuer sein erstes Soloalbum veröffentlicht. Musikalische Basis des vielschichtigen Werks ist SAINITZERS Projekt „Sunday Songs“, für das der Jazzmusiker über den Zeitraum von einem Jahr jeden Sonntag einen Song geschrieben hat.
Cello ohne Grenzen
Im Grunde genommen war Sainitzers Projekt „Sunday Songs“ eine therapeutische Maßnahme: „Ich wollte die Scheu davor verlieren, Ideen aufzuschreiben. Es ging um die Überwindung der berühmten Angst vor dem weißen Blatt Papier, vor der Furcht vor etwas Konkretem“, erklärt Sainitzer im Gespräch mit mica. „Und es war natürlich auch eine gute Übung, um besser ins Komponieren reinzukommen.“ Dokumentiert hat Sainitzer das Projekt auf seiner Website, und zwar nicht nur in Form von Notenblättern: Der gebürtige Wiener hat für das musikalische Tagebuch auch gezeichnet, seine Stimmungen und Gedanken aufgeschrieben und damit auf ziemlich amüsante Weise eine kompositorische Nabelschau betrieben. Die Bilanz des einjährigen Kreativtrainings: „Ich bin, was das Komponieren betrifft, viel lockerer geworden und ganz nebenbei habe ich jetzt einen riesigen Pool an Ideen, aus dem ich nach wie vor schöpfe“, sagt der 29-Jährige.
Zupfen, streichen, choppen
Etliche der Kompositionen wurden zur Grundlage seines heuer erschienenen ersten Soloalbums. Von den zehn Stücken auf „Solo #1“ sind sechs im Zuge der „Sunday Songs“ entstanden. Herausgekommen ist ein durch und durch bemerkenswertes Album, das durch eine sehr undogmatische Herangehensweise auffällt und insbesondere verdeutlicht, was aus dem Cello als Soloinstrument alles rauszuholen ist. Sainitzer zupft und streicht und er neigt genauso dazu mit seinem Instrument zu choppen. Und er versteht sein Cello mitunter als perkussives Instrument: „Ich begreife das Cello als Klangmaschine.“ Dabei geht es auch um eine gewisse Abgrenzung: „Es gibt schon so viele Cellistinnen und Cellisten, die so irrsinnig schön spielen. Ich habe mir gedacht, dass ich das nicht auch noch machen muss.“ Letztlich bedeutet „Solo #1“ ein äußerst vielschichtiges Werk, das zwischen streng durchkomponierten Songs und Sainitzers Neigung zu Improvisationen changiert. Ein Album, das fragile Momente ebenso kennt, wie es Sainitzer versteht, eine wall of sound aufzubauen. Mitunter klingt „Solo #1“ wie ein Soundtrack ohne Film. Die musikalische Offenheit des Cellisten und seine Liebe zur Vielfalt kommen nicht von ungefähr.
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Zuerst lesen, dann hören
„Bei uns zu Hause wurde Gustav Mahler genauso gehört wie Michael Jackson“, beschreibt Sainitzer seine musikalische Sozialisierung fernab jeglichen Genre-Denkens. „Made in Japan“ von Deep Purple nennt der studierte Musikwissenschafter ebenso als wichtige Referenz wie Miles Davis Gesamtwerk. Auch in Sachen Annäherung an die Musik mag es Sainitzer undogmatisch: „Ich habe mir als Jugendlicher zuerst die Autobiografie von Miles Davis gekauft und mich dann Stück für Stück durch sein Gesamtwerk gehört. Also genau der umgekehrte Weg, den andere gehen.“ Sein Interesse an den Musikgrößen des 20. Jahrhunderts äußerte sich auch im Zuge seiner Bachelorarbeit: „Ich habe über Bob Dylans Verrat am Folk-Music-Revival geschrieben. Das hat mich wahnsinnig interessiert.“ Im Rahmen seiner Masterarbeit hat er über das Cello abseits des klassischen Konzertsaals geschrieben. Ja, er sei ein grundneugieriger Mensch: „Es ist alles leiwand. Und ich gehe immer davon aus, noch etwas lernen zu können.“
Von Elektronik-Jazz bis Dada-Step
Zum Cello ist er im Alter von sechs Jahren gekommen. Es folgten viele Jahre des klassischen Unterrichts. Der Jazz kam mit seinem Lehrerwechsel zum Münchner Jazz-Geiger Mic Oechsner ins Spiel, der auch das Interesse für improvisierte Musik weckte. Unterricht nahm er auch in Berlin und Stuttgart bei Stephan Braun und in New York. Sainitzers Geisteshaltung äußert sich auch durch die Vielfalt seiner Projekte und Bands. Beim Duo Sain Mus treffen Gitarre und Cello aufeinander, mit Echoboomer betreibt er ein Projekt im Zeichen von Elektronik-Jazz und das Trio Artreju lässt Trompete, Cello und Violine aufeinandertreffen. Die Musik der Band Hans, bei der Sainitzer ebenso mitmischt, bezeichnet er als „Dada-Step“.
Eine Karriere, die passiert ist
Und dementsprechend kommt Sainitzer herum. Gerade war er in Japan, wo er auch einen Auftritt mit einer Koto-Spielerin absolvierte. Und er hat in jüngerer Vergangenheit Gastspiele in Abu Dhabi, den USA und in zahlreichen europäischen Ländern bestritten. Einen Masterplan hinsichtlich einer Karriere als Musiker hatte er keinen. Vielmehr ging es darum, die Liebe zur Musik auszuleben und in pragmatischer Weise die Dinge ohne konkrete Zielsetzung voranzutreiben. „Dass ich heute professioneller Cellist bin, das ist mir eigentlich passiert.“
Johannes Luxner