Film Musik Gespräche: Stefan Németh/Dariusz Kowalski/Lotte Schreiber

Der Mitbegründer des Labels mosz records und Musiker Stefan Németh (Radian, Lokai) veröffentlichte 2008 sein Solodebüt mit dem programmatischen Titel Film. Dieses Album versammelt Neubearbeitungen seiner Soundscapes für Kunstinstallationen, Filme und Videos. Im letzten Jahrzehnt kollaborierte Németh unter anderem mit den experimentellen FilmemacherInnen Dariusz Kowalski (Interrogation Room, Optical Vacuum, Interstate) und Lotte Schreiber (Borgate, Domino, quadro). Das Interview führte Thomas Edlinger.

Eine Frage an die beiden Filmemacherinnen Lotte Schreiber und Dariusz Kowalski: Weshalb habt ihr die Zusammenarbeit mit Stefan Németh gesucht, der ja nicht von Anfang an als Solo-Soundtrackspezialist ausgewiesen war?

Schreiber: Ich kenne Stefan als Mitglied von Radian, deren Musik für mich sowohl durch eine unglaubliche Präzision wie auch durch ein gewisses rohes Element bestimmt ist. Deshalb haben Norbert Pfaffenbichler und ich damals für den Film 36 Stefan angesprochen, das bereits vorliegende Bewegtbild als Partitur zu lesen und aus dieser Vorlage heraus dann die Musik zu komponieren.

Kowalski:
Für mich war Stefan schon fast eine Modeerscheinung. Alles entstand um 1999/2000 aus einem Szenezusammenhang, der sich in Wien seit Mitte der 1990er Jahre zwischen elektronischer Musik und Visuals herausgebildet und sich zu dieser Zeit dann etwa in der digitalen Videoreihe  Austrian Abstracts manifestiert hatte. Wir waren einmal bei Stefan im Proberaum, und so ging das los.

Németh: Das Ganze hat ja eine Vorgeschichte. Los ging es mit gemeinsamen Live-Acts, und dadurch entwickelte sich schon vor jeder gemeinsamen Videoproduktion für das Kino bereits ein reger Austausch und ein entsprechendes Vorwissen über die jeweilige Arbeitsweise des anderen.

Kowalski:
Ich war ja fast ein Bandmitglied bei euch, der die Visuals gemacht hat.

Wodurch kommunizieren die Filme von Kowalski und Schreiber mit deinen musikalischen Ideenfindungen?

Németh: Bei Lotte ist es sicher die straffe Struktur, die man als Partitur lesen kann. Ihre Herangehensweise an das Bildmaterial ist mitunter sehr nüchtern, obwohl das Ergebnis  als Gesamtkunstwerk doch eine gewisse Poesie beinhalten kann.

Wenn man einen gemeinsamen Nenner der Filme von Dariusz und Lotte bestimmen wollte, könnte man vielleicht sagen: Sie interessieren sich für Räume, für Räume des Transits, im Fall von Dariusz etwa  Wiener U-Bahnstationen und finnischen Straßen in den Wäldern, im Fall von Lotte eher für modernistische Raumarchitekturen und ihre Versprechungen. Spielt der räumliche Bezug des Sounds für dich, Stefan, in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle?

Németh: Ja, das ist eine wichtige Frage. Ich denke beim Musikmachen selbst sehr in landschaftlichen Bildern und Kategorien. Was dafür der Auslöser war ist schwer zu sagen – vielleicht entstand dieser Bezug auf das Räumliche auch aus dieser Zusammenarbeit.

Kowalski: Wir sind teils von ortsspezifischen Geräuschen ausgegangen. Ich habe Stefan Field Recordings zur Verfügung gestellt. Dann ging es oft weniger um Musik als um Stimmungen  und Strukturierungen von Räumen.

Schreiber: Filmmusik sollte nicht penetrant hervortreten, sondern sollte eins mit dem Bild werden.

Németh: Ich glaube, das „Verschwinden“ der Musik im Bild passiert zwar passagenweise. Andererseits behauptet sie aber doch auch immer wieder Autonomie. Im Bezug auf die Filme von Lotte und Dariusz ist es eben toll, dass es diese Freiheit zum Bruch gibt.

Manche eurer Filme könnte man als eine Art Kommentar zur Architektur der Moderne verstehen. Erfüllt die Musik da die Funktion einer Störung eines möglicherweise sonst zu glatten filmischen Abtastens ihrer Monumente?

Schreiber: Ich versuche schon, die Musik so einzusetzen, um auch meine Haltung gegenüber diesen umgesetzten modernistischen Ideologien offen zu legen. Es geht einerseits um die Faszination an dem ursprünglichen, utopischen Gehalt und andererseits um das, was  davon Realität geworden ist. Deshalb spielt aktuelle, zeitgenössische Musik für mich eine entscheidende Rolle. Das ist der Blick aus der Gegenwart auf die Geschichte.

Kowalski:
In meinem Fall hat das auch viel mit meiner Sozialisation zu tun. Ich bin 1996 nach Wien gekommen und hatte von Anfang an viel mit der elektronischen Musikszene zu tun. Das Laptop-Konzert war damals en vogue.

In deinem Film ORTEM gibt es verschiedene Inserts. Eines davon lautet: Der Sound ist die Schwelle zum Visuellen. Wie ist das gemeint?

Kowalski: Im Film ist die Akustik enorm wichtig. Man kann sich der Realität genauso gut über die Musik nähern wie über das Visuelle.

Németh: In ORTEM gibt es auch einige dunkle Passagen, in denen der Sound das nächstfolgende Bild vorweg nimmt. Es geht ja in dem Film um Fahrten in der U-Bahn, durch die die Orientierung verlorengeht und der Sound dazu beiträgt, diese wiederherzustellen.

Wie läuft eure Zusammenarbeit ganz konkret ab? Stimmst du die Musik auf längere Passagen oder auf einzelne Szenen ab?

Németh: Das ist unterschiedlich. Oft habe ich zu ganz konkreten Szenen Sounds entwickelt. Manchmal war aber auch nur ein Pool von Bildern da, und es ging um die Entwicklung von Vorschlägen, die wiederum die Bildfindung selbst mitbeeinflusst haben.

Kowalski: Definitiv. Es war oft fast wie ein gemeinsames Musizieren. Es ging nie um Nachvertonungen, sondern um ein paralleles Arbeiten an Stimmungen.

Németh: Bei Lotte funktioniert es anders. Da gab es meist fertige Arbeiten, in denen es um die Einpassung von Sounds in bestimmte Passagen ging.

Niklas Luhmann schreibt, dass die Atmosphäre all das ist, was die Dinge, die die Raumstellen besetzen, nicht sind: die andere Seite ihrer Form. Wenn man die Dinge aber wegnimmt, verschwindet trotzdem auch die Atmosphäre. Wie produziert man Atmosphäre?

Németh:
Warum etwas stimmig ist oder nicht, kann ich oft nicht sagen. Oft entsteht das aus dem Durchprobieren von einzelnen Tracks, bis aus unerfindlichen Gründen dann einer davon für mich funktioniert.

Kowalski: Ich weiß nicht, was Atmosphäre ausmacht. Ist das etwas Flächiges oder etwas Strukturiertes? Mein Wunsch war es immer, dass der Sound nicht zum flächigen Song wird, sondern dass die Atmosphäre sich aus den Brüchen  entwickelt. Die Musik in ORTEM  war sicher sehr stark als Kontrapunkt konzipiert. Ich bin damals von Marc Augés Theorie der Nicht-Orte ausgegangen und habe urbane Orte als Orte des Transits untersucht.

Das ist ja überhaupt eines deiner zentralen Interessensgebiete: Orte des Übergangs, Orte der Mobilität.

Kowalski:
Ja, ich habe dazu einige Arbeiten gemacht: über Straßen und US-Highways, U-Bahnen, Flughäfen in Alaska und zum Schluss Optical Vacuum, in der auf das Internet als bildgebende Maschine zur Repräsentation von Räumen rückgegriffen wurde.
Eure Filme sind natürlich sehr verschieden und in sich heterogen, aber eines lässt sich wahrscheinlich schon sagen: Sie sind nicht schwelgerisch und fügen sich nicht zu einem ruhigen Fluss der Bilder.

Schreiber:
Ich setze Totalen sehr sparsam ein, die hebe ich mir immer für den Schluss auf. Ich will über die Bilddramaturgie eine Spannung aufbauen, indem  ich von Details ausgehe und dem Zuseher erst am Ende den einen oder anderen Überblick gönne. Rein formal gesehen: Ich liebe harte Schnitte, ich vermeide Überblendungen. Ich mag keine verwaschenen, sich auflösenden Bilder. Mir geht es um klare Schnitte und um Klarheit im allgemeinen. Mir ist es wichtig, dass man als Zuschauer aus dem üblichen Kinorezeptionsgewohnheiten heraus gerissen wird und sich über die prinzipielle Konstruiertheit des Filmischen bewusst wird. Deshalb bin ich auch auf Stefan gekommen.

Kowalski: Stefan kann aber auch sehr melodisch arbeiten, wenn er will.  Insbesonders unsere früheren gemeinsamen Arbeiten waren aber doch eher fragmentarisch und gebrochen organisiert, voller Pausen und Brüche. Mir fällt da eine Stelle aus ORTEM ein, die ich sehr mag. Zuvor spielt der Film zehn Minuten lang unterirdisch in den U-Bahn-Schächten. Dann erhebt sich die Kamera in die Luft  und flieg per Hubschrauber die U-Bahn-Linien entlang. Stefan hat aus dem Hubschraubergeräusch ein musikalisches Motiv entwickelt, das in einem bestimmten Moment einen Bruch eingebaut hatte. Das hat für mich so gewirkt , als ob einem beim Fahrradfahren plötzlich etwas in die Speichen gerät.

Die Reihe Filmmusikgespräche findet im Rahmen der Kooperation zwischen mica – music austria, sixpackfilm und Diagonale – Festival des österreichischen Films statt.

Link:
Sixpackfilm