mica-Serie "Urheberrecht": Interview mit Dietmar Dokalik (Jurist)

Dietmar Dokalik, Richter im Justizministerium und Autor des Buches „Musik-Urheberrecht für Komponisten, Musiker, Produzenten und Musiknutzer“ sprach mit dem mica über den Wandel des geschlossenen Systems Urheberrecht, faire Internetnutzung und salomonische Lösungen. Das Interview führte Markus Deisenberger.


– Ein ausbalanciertes Paket

Sie kommen gerade von der WIPO (World Intellectual Property Organisation). Was wird dort diskutiert? Worum geht es urheberrechtlich im globalen Zusammenhang?
Gerade in letzter Zeit ist wieder Bewegung in die Sache gekommen, nachdem im Urheberrechtsbereich über mehrere Jahre hinweg eine Art Stillstand zu verzeichnen war. Die diplomatische Konferenz des Jahres 2000, die einen Urheberrechtsvertrag hätte beschließen sollen, ist aufgeschoben worden und erst in diesem Jahr gab es eine Einigung, die dazu führte, dass ein Vertrag über die Rechte ausübender Künstler in audiovisuellen Produktionen zustande kam. Im Wesentlichen geht es dabei um die Modernisierung des Rom-Abkommens, das die Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler, sprich Musiker, Plattenhersteller , Sendeunternehmer und Filmschauspieler regelt.

Mit den beiden Urheberrechtsverträgen WCT (WIPO Copyright Treaty) und WPPT (WIPO Performances and Phonograms Treaty) aus dem Jahre 1997 wurde einerseits die Berner Übereinkunft modernisiert und auf Internet-Standard gebracht und andererseits das Rom-Abkommen auf den neuesten Stand gebracht.

Der WPPT schloss aber noch die ausübenden Künstler aus Filmwerken aus. Deshalb wollten die das verständlicherweise nachverhandelt wissen. Und jetzt gelang endlich der Durchbruch zwischen Filmindustrie, Schauspielern und Produzenten. Letztlich war es eine Stakeholder-Einigung, die den Weg für eine internationale Einigung ebnete, was innerhalb der WIPO oft der Fall ist. Die Interessensvereinigungen suchen sich Staaten, die ihre Interessen transportieren. Die gegensätzlichen Interessen werden dann von unterschiedlichen Staatengruppen vertreten, sodass eine Einigung unter den unterschiedlichen Stakeholdern dann auch die Einigung für einen entsprechenden Vertrag ebnen kann.

Etwas Ähnliches sehen wir jetzt in der WIPO bei den Ausnahmen und Beschränkungen für Personen mit Sichteinschränkungen. Da geht es um etwas völlig Neues im Urheberrecht: Bisher wurden in internationalen Urheberrechtsverträgen immer Mindestschutzrechte der Urheber und Leistungsschutzberechtigen definiert, d.h. die Verträge setzten fest, was man den Kreativen in einem Vertragsstaat als Mindestrechte einräumen muss. Und Mitgliedern ausländischer Verbandsangehöriger müssen diese Rechte im Inland genauso eingeräumt werden.

Nachdem das Pendel vom Urheberrechtsschutz wieder ein wenig zurück schlägt in Richtung Partizipation der Mediengesellschaft an urheberrechtlich geschützten Werken, gibt es jetzt aktuell Bestrebungen, den Schutz einzuschränken. Das ist eine ganz neue Entwicklung im Urheberrecht, die wir bis jetzt noch nicht hatten. Bisher ging es wie gesagt immer darum, den Schutz auszuweiten.

Und inwiefern soll der Schutz nun eingeschränkt werden?
Von einigen Staaten wird erstmals im internationalen Urheberrecht ein Instrument gefordert, nach dem der Urheber bestimmte Verwendungen nicht verbieten darf. Solche etwa, die blinden Personen zugute kommen. Der Urheber kann also nicht mehr vertraglich über die Nutzung seines Werkes entscheiden, indem er blinden Personen Lizenzen erteilt, sondern es wird ihm vorgegeben, wie das zu geschehen hat.

Halten Sie es für denkbar, dass dies ein erster Schritt in Richtung sukzessiver rechtlicher Verankerung von Pflichtlizenzen ist?
Das ist der Punkt. Es geht in Richtung Einschränkung der Rechte. Das stärkste Recht ist das exklusive, das dem Urheber ja auch die Möglichkeit einräumt, sein Recht territorial zu beschränken. Diese Möglichkeit ist immer mehr unter Druck gekommen, und zwar von ganz verschiedenen Seiten. Der nächste Schritt ist, dieses exklusive Recht auf eine Zwangslizenz zu beschränken. Der Urheber ist dann zwar immer noch frei in seiner Entscheidung, ob er sein Werk lizenzieren will. Wenn er es aber schon einmal lizenziert hat, dann darf er andere nicht diskriminieren und muss ihnen zu den gleichen Bedingungen Werknutzungsrechte oder -bewilligungen einräumen. Der dritte Schritt wäre dann die Verwertungsgesellschaftenpflicht, die Verpflichtung also, dass das Recht zentral von einer Verwertungsgesellschaft lizenziert werden muss, die über den Monopolzwang fixe Preise vorgibt. Der nächste Schritt wäre ein reiner Vergütungsanspruch, sodass das Werk jeder verwenden darf, dafür aber seinen Obulus entrichten muss. Der letzte Schritt zur Verringerung seines Rechts wäre die völlig freie Werknutzung. Und innerhalb dieser enormen Bandbreite zwischen Exklusivität und freier Werknutzung spielt sich die Diskussion ab.

Da ist einmal die Einschränkung der Urheberrechte zugunsten Sehbehinderter, also Blinder und anderen Menschen, die Probleme mit der Texterfassung haben. Derzeit wird aber auch noch ein zweites Dokument diskutiert: Einschränkungen nämlich zugunsten von Bibliotheken und Archiven. Das steht auch im Zusammenhang mit der neuen EU-Richtlinie über die verwaisten Werke, wo es darum geht, bestimmten Institutionen zu erlauben, das Kulturerbe zu digitalisieren, ohne erst kompliziert Rechte klären zu müssen. Auf der anderen Seite zeigt, obwohl nicht unmittelbar mit dem Urheberrecht verbunden, die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Sache Prime League, dass diese territoriale Aufsplittung von Senderechten nicht mehr gewünscht wird. Territoriales Abschotten gerät zunehmend unter Druck.

Halten Sie es für möglich, dass die WIPO Initiativen in Richtung Beendigung der territorialen Abschottung setzt? Oder wird der Impuls doch eher von Seiten der EU kommen?
Sagen wir so: Man merkt gewisse Ansätze. Wenn beispielsweise in den neu diskutierten Instrumenten zur Einschränkung und Ausnahmen Konzepte gefordert werden wie Erschöpfung oder Parallelimporte, und zwar dort, wo es um digitale Nutzungen geht, ist die Tendenz erkennbar, dass von einigen Staaten die territoriale Beschränkung in Frage gestellt wird. Die Erschöpfung ist ja grundsätzlich ein Konzept, das nur mit der körperlichen Nutzung verbunden ist: wird ein Buch mit Zustimmung des Urhebers in Österreich in Verkehr gebracht, ist das Verbreitungsrecht ist national und europaweit erschöpft. Das heißt, es kann dann in einem anderen europäischen Land weiterverkauft werden, ohne dass es der Urheber verbieten könnte. Wenn aber jetzt versucht wird, dieses Konzept auch für das Internet nutzbar zu machen, wie es bei den WIPO-Verträgen zu den Visually Impaired Persons von einigen Staaten gefordert wird, dann ist das zugeschnitten auf die digitale Zurverfügungstellung einer Kopie, die mit dem bisherigen Konzept der Erschöpfung noch nicht in Deckung zu bringen ist.

Das sind zwar immer nur kleine Details, die vielleicht nur für einen Spezialisten interessant sind, sie zeigen aber einen Wandel im bisher sehr geschlossenen System des Urheberrechts, das sehr technische Vorgaben kennt. Wenn das jetzt durch neue Konzepte ins Wanken gebracht wird, ist die Frage nach einer grundsätzlichen Neuorientierung nicht mehr weit.

Zunehmend beginnt man politisch jetzt auch links der Mitte das Urheberrecht – und zwar in sehr unterschiedlichen Ausformungen – für sich zu entdecken. In einem Papier der Parlamentsfraktion der österreichischen Sozialdemokraten etwa ist von “zu stark ausgestalteten Schutzrechten” die Rede, die “bisweilen als Innovationsbarriere in künstlerischer wie auch in ökonomischer Hinsicht wirken”. Denken Sie, da versucht man am Erfolg einer Piratenpartei mitzunaschen oder geht es da um interessante urheberrechtliche Konzepte?
Wo es letztlich hingeht, wissen vermutlich auch die Proponenten nicht, die die Beseitigung angeblicher Innovationsbarrieren fordern. Was Sie gerade zitiert haben, ist eine gängige Formulierung, wie man sie etwa auch in der britischen Diskussion nach dem Hargreaves-Report findet. Diese Sichtweise resultiert aus dem Unbehagen, das daraus entsteht, dass Urheber und Leistungsschutzberechtigte im Internet Inhalte kontrollierten können, während sich die Proponenten eines freien Austausches von Informationen nicht durch Rechte beschränken lassen wollen, weil sie darin ein Hindernis freien Gedankenaustausches sehen. Und auch ein Hindernis der Entwicklung neuer Business-Modelle.

Dabei darf man aber eines nicht vergessen: Auch das Urheberrecht fördert Kreativität und Business-Modelle.  Und wenn man es aushöhlt, wird irgendwann die Kreativindustrie einfach nicht mehr in dem Ausmaß gegeben sein wie sie es jetzt noch ist. Ein bekanntes, vielleicht plakatives Beispiel ist der www.kino.to-Streit, der gerade eben vom Handelsgericht Wien in erster Instanz entschieden wurde. Auf der einen Seite heftet sich Österreich den Erfolg Michael Hanekes Film „Das weiße Band“ auf seine Fahnen. Auf der anderen Seite muss man aber auch ganz klar festhalten, dass solch ein Film und solch ein Erfolg nur dann möglich sind, wenn der Produzent Exklusivrechte für diesen Film vergeben kann. Wenn er das nicht kann, weil der Film überall im Internet gratis abrufbar ist, hat er logischerweise keinen Return Of Investment. Natürlich kann man jetzt bemängeln, dass ein Provider gezwungen wird, eine Seite vom Netz zu nehmen und dadurch in der landläufigen Meinung Zensur auszuüben, aber man muss auch sehen, dass die Kreativindustrie an der Piraterie leidet. Es ist äußerst schwierig hier eine Balance zu finden, da die Interessensgegensätze sehr stark sind.

Aber warum lässt man diese Plattformen wie etwa www.kino.to überhaupt so groß werden, bis sie über Jahre des ungestörten Verbreitens geschützten Materials hinweg ein Volumen erreicht haben, das eine Gefahr darstellt bzw. ernsthaften Schaden angerichtet hat. Dass dieser Dienst illegal ist, war doch seit Jahren klar. In der Zwischenzeit sind auch längst schon ein oder zwei Nachfolge-Plattformen on air gegangen, die genau das Selbe machen wie www.kino.to. ist dieser Krieg denn überhaupt noch zu gewinnen?
Es gibt im Moment eine sehr starke Rechtsunsicherheit, weil die Durchsetzung von Urheberrechten im Internet in beinahe jedem Staat auf die gleichen Interessensgegensätze trifft: Freie Informationsgesellschaft und Datenschützer im Verbund gegen die Rechteinhaber. Diese Kontroversen führen in beinahe allen Ländern zu unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen und Vorlageentscheidungen beim EuGH, der gerade im abgelaufenen Jahr alle Hände voll zu tun hatte, hier eine Balance zu suchen.

Auch die europäische Kommission wird jetzt wohl tätig werden und im Rahmen der Rechtsdurchsetzungsrichtlinie etwas vorschlagen. Aber bis Rechtssicherheit gegeben ist, dauert es einfach sehr, sehr lange. Und Sie können sich vorstellen, dass schon die Verfahren vor dem EUGH einige Zeit in Anspruch nehmen. Auf der anderen Seite haben die Rechteinhaber auch zugewartet, wie schädlich eine solche Website tatsächlich ist, bevor man dagegen vorgeht. Wer mit Breitbandklagen gegen Internetseiten und Nutzer vorgeht, zieht auch den Unwillen breiter Bevölkerungskreise auf sich, was man vor allem deshalb nicht will, weil man ein veritables Interesse an einem guten Image hat. Der Plan war also – zumindest ist das meine persönliche Meinung – erst einmal zu beobachten, ob kino.to die Verwertung in den herkömmlichen Vertriebskanälen stark beeinträchtigt. Aber wie gesagt: Das kann ich natürlich nur mutmaßen.

Aber ist es nicht langsam angebracht, sich einzugestehen, dass diese Instrumente nicht mehr greifen? Restriktionen wie DRM, Klagen gegen kino.to – das alles hat doch nichts gebracht. Wirksamen Kopierschutz gibt es keinen, und während die eine Plattform vom Netz genommen wird, stehen schon drei andere mit genau dem gleichen Angebot am Start. Müsste man sich nicht längst andere, kreativere Dinge überlegen, damit ein Herr Haneke auch weiterhin den Erfolg einfahren kann, den er ich aufgrund seines außergewöhnlichen Könnens verdient?
Ich wäre nicht so pessimistisch, was die grundsätzliche Möglichkeit betrifft, Rechtsverletzungen im Internet einzuschränken. Das Bewusstsein einer fairen Internetnutzung ist meiner Einschätzung nach in letzter Zeit wieder stärker geworden. Es gibt auch kreative Lösungen, die das eindämmen. Etwa der Stakeholder-Dialog, wie er in der Europäischen Union und im Vereinigten Königreich gerade geführt wird. Freilich: Es gibt einen Nachholbedarf der Industrie, aber auch der wird irgendwann gestillt sein. In dem Moment, in dem es eine interessante Plattform im Musikbereich wie etwa i-tunes gibt, wo man Musik legal runterladen kann, verlagert sich das Problem eher auf die Filmwirtschaft. Aber ich bin sicher, es wird in Zukunft auch ausgereifte Portale geben, wo man billig Filme bekommen wird. Wenn legale Angebote zunehmen, gleichzeitig bewusstseinsbildende Maßnahmen zu greifen beginnen und das letztlich mit einer effizienten Rechtedurchsetzung, wie sei auch schon in einigen Staaten implementiert wird, kombiniert wird, würde ich das nicht so schwarz sehen.

Was gäbe es auch sonst für eine Lösung? Wir müssen das Internet schließlich irgendwie rechtlich in den Griff bekommen. Und das betrifft nicht nur das Urheberrecht, sondern auch andere Bereiche wie die Kinderpornographie, wo es einfach dringend notwendig ist, Dinge vom Netz zu nehmen. Da kann man sich nicht in eine passive Rolle zurückziehen und meinen, man könne dagegen sowieso nichts mehr tun. Ich gebe Ihnen Recht, dass es frustrierend sein mag, wenn man eine Seite vom Netzt nimmt und im gleichen Moment eine andere aufpoppt, aber in bestimmten Bereichen muss der Versuch einfach unternommen werden, der Lage Herr zu werden.

Sie haben gerade bewusstseinsbildende Maßnahmen angesprochen, die notwendig wären. Welche wären das?

Dafür wäre das Justizministerium nicht zuständig. Aber es gibt derzeit auch kein ministeriumsübergreifendes Modell, wonach in den Schulen etwas in diese Richtung unterrichtet würde. Es gibt aber Best Practice-Modelle aus anderen Staaten, wo bewusstseinsbildende Programme im Verbund mit legalen Downloadplattformen und einer Durchsetzbarkeit der Rechte funktionieren. Meistens passiert das in einem Klima positiven Austauschs zwischen den Stakeholdern wie Provider und Rechteinhaber. Eine vergleichbare Entwicklung ist in Österreich gerade im Gange – auch unter Mitwirkung des Justizministeriums und der rtr GmbH. Und da wird man sehen, zu welchen Ergebnissen man kommt. Wenn es da Anzeichen gibt, wieder verstärkt auf Kampagnen und Maßnahmen an den Schulen zu setzen, dann werden wir daran mitarbeiten. Aber eine konkrete Initiative in diese Richtung hat es bislang noch nicht gegeben. Letztlich ist dafür eine Investition notwendig, die zu tätigen ist. Und für die muss eine gewisse Bereitschaft vorhanden sein. Aber um Erfolg zu haben, müsste es auch ein ausbalanciertes Paket sein. Nur die Bewusstseinsbildung allein wird es nicht richten.

Die von Ihnen angesprochene Rechtsunsicherheit gibt es auch im Bereich der Festplattenabgabe. Diesbezüglich fragt man sich, ob es der künftige Weg sein soll, dass man so lange klagen und berufen muss, bis ein rechtsgestaltendes Urteil auf dem Tisch liegt. Weshalb gibt es hier keine Gesetzgebungsinitiative?
Es wäre auf jeden Fall wünschenswert, in diesen Bereich Rechtsklarheit zu schaffen, und zwar auf europarechtlicher Ebene, weil die Frage des Imports durch mehrere Vorlagefragen betroffen ist, und auch die Einheitlichkeit der Angabe wichtig ist. Aber selbst wenn eine europäische Lösung daran scheitern sollte, dass England eine solche Abgabe nicht kennt und die Niederlanden sie gerade abschaffen wollen, wäre es wünschenswert, wenn diese Rechtssicherheit wenigstens national hergestellt würde. Das Problem ist auch hier, dass die politischen Interessen sehr gegensätzlich sind.

Im Klartext heißt das, es wäre sehr wohl wünschenswert, es ist aber weder auf europäischer noch nationaler Ebene wahrscheinlich.
Kurzfristig ist es nicht wahrscheinlich. Das Thema ist schon sehr lange auf der Tagesordnung. Wir haben es seit dem Gericom-Urteil vor zehn Jahren nicht geschafft, daher bin ich nicht gerade zuversichtlich, dass wir es innerhalb der nächsten paar Jahre in den Griff bekommen werden. Allerdings gerät durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofes und des OGH sehr viel in Bewegung. Meine Hoffung ist, dass der Druck irgendwann so groß sein wird, dass man versucht eine salomonische Lösung zu finden.

Auf europäischer Ebene findet neuerdings ein von der Kommission moderierter Dialog zwischen Stakeholdern statt. Andererseits gibt aber auch das Phänomen, dass die Leermedienabgabe als solche unter Druck gerät. Wie gesagt: Die Niederländer wollen sie abschaffen.

Aus welchem Grund eigentlich?
Weil es politisch eben so brisant ist. Man sagt dann einfach, es gibt keine private Vervielfältigung mehr. Das erlauben wir einfach nicht mehr und damit erübrigt sich auch die Einhebung einer Leermedienabgabe.

Interessante Logik…
Natürlich ist das absurd, denn es wird überall weiter fleißig kopiert. Deshalb muss man schon so fair sein einzugestehen, dass es private Kopien gibt und es einen fairen Ausgleich dafür braucht, am besten auf europäischer Ebene.

In Österreich geht es neben monetären auch um soziale Anliegen. Immerhin wird aus den Einnahmen der Austro Mechana der SKE Fonds gespeist.
Das spricht wiederum gegen eine europäische Regelung, weil wir ja unsere innerstaatliche Regelung, wonach 50% der Leermedienabgabe für soziale und kulturelle Zwecke herangezogen werden, verteidigen wollen. Genau zu diesem Thema hat gerade der OGH eine Vorlagefrage an den Europäischen Gerichtshof gestellt. In Anlassfall glaube ich zwar, dass die Frage nicht entscheidungsgegenständlich ist und daher auch nicht zu beantworten sein wird. Aber wenn es eine europarechtliche Regelung geben wird, dann wird dieser Abzug, den  es in anderen Staaten auch gibt, aber eben nicht im Ausmaß von 50%, in Diskussion geraten.

Das heißt, der Schuss könnte nach hinten losgehen?

Was die nationalstaatlichen Interessen anbelangt, ja. Für die Fairness des Ausgleichs wäre nichtsdestotrotz eine europäische Regelung das Beste.

Denken Sie, der Erfolg der Piratenpartei ließe sich auch hierzulande wiederholen?
Das hängt ganz wesentlich von den handelnden Personen ab. Ich habe neulich im Fernsehen ein Interview des Chefs der Berliner Piratenpartei gesehen, und war überrascht, dass er nicht nur darauf bedacht war, polemisch Floskeln von sich zu geben, sondern ein durchaus überlegtes Konzept erkennen ließ. Ich kann mir daher durchaus vorstellen, dass das Potenzial einer zusammen stehenden Internet-Community, gepaart mit einer moderaten Haltung, die auch die Interessen anderer anerkennt, da ist.

Und die Abschaffung des Urheberrechts?
Ich sage nicht, dass das urheberrechtliche Programm der Piratenpartei ausgegoren ist. Aber der mediale Auftritt hat mich ehrlich gesagt überrascht. Denn da war vom Outlaw, den ich mir erwartet hätte, keine Spur. Aber um Missverständnissen vorzubeugen: Ich halte nach wie vor das jetzige Konzept des Urheberrechts für das bestmögliche. Ich habe ja auch keine Idee, wie man das Urheberrecht in das 21. Jahrhundert beamen kann, aber der Kontakt zu solchen Gruppen und das Gespräch mit ihnen halte ich für sehr wichtig, um eingefahrene Linien zu überdenken und vielleicht auch aus ihnen auszubrechen. Denn dass es das starke Bedürfnis danach gibt, etwas besser zu machen, ist wohl unbestritten.

Das russische Justizministerium hat die Piratenpartei verboten. Eine Gruppe Krimineller könne keine Partei gründen, hieß es.
Interessant. Wenn das zentrale Parteiprogramm den Aufruf zum Upload illegaler Kopien zum Inhalt hätte, könnte ich mir vorstellen, dass es auch in Österreich Probleme gäbe. Aber ich bin kein Spezialist in Sachen Parteiengründung.

Was halten Sie von Spotify? Glauben Sie, dass das ein Weg sein kann, den Urhebern zu mehr Geld zu verhelfen, oder denken Sie, das ist ein Weg in die Falsche Richtung?
Dieses Modell gewinnt immer mehr an Fahrt. Und so lange den Musikern ein Ausgleich in Form einer Vergütung gewährt wird, sehe ich das als weitere Möglichkeit des legalen Konsums, der als solcher begrüßenswert ist.

Manch einer sorgt sich, dass der Stream den Donwload immer mehr ablöst und daher die ohnedies schon spärlichen Einkünfte aus legalen Downloads von noch spärlicheren der legalen Streams abgelöst werden.
Man muss dem Nutzerverhalten auch Rechnung tragen. Wenn ein Album so gut ist, dass ich es besitzen möchte, dann werde ich es mir trotzdem downloaden. Wenn man sich nur ein paar Hits anhören möchte, dann kauft man sich halt ab sofort nicht mehr die Bravo-Hits-CD, die man nur zwei, drei Mal anhört und dann ins Regal stellt. Letztlich sind das Wertungsentscheidungen. Qualität wird sich auch künftig ihren Weg bahnen. Qualitativ minderwertigere Produktionen dagegen werden wohl vermehrt gestreamt und nicht mehr downgeloadet werden. Mit einer Vergütung nach dem Grad der Nutzungsintensität habe ich kein Problem. Ein Vertreter der Musikindustrie wird das vielleicht anders sehen.

Wie lange, denken Sie, lässt sich die AKM-Vermutung noch aufrecht erhalten?
Derzeit ist die AKM-Vermutung unangetastet, weil die Gegenseitigkeitsverträge in gewissen Bereichen zwar vom europäischen Gericht erster Instanz überprüft werden, aber nach wie vor intakt sind. Mehr Probleme gibt es bei den Vervielfältigungsrechten, weil hinsichtlich des angloamerikanischen Repertoires die digitalen Vervielfältigungsrechte zurückgezogen wurden. Hier könnte die Vermutung des Weltrepertoires ins Wanken geraten. Letztlich aber ist es auch eine Vermutung. Das heißt, der Benutzer kann den Gegenbeweis erbringen und das wird ihm wahrscheinlich um einiges besser gelingen, wenn die europäische Kommission Erfolg haben sollte, diese Weltrepertoireeinräumung im territorialen Gebiet zu zersprengen. Das betrifft aber eher den Internet-Bereich.

Was schwebt der Kommission da als Alternative vor?
Das weiß ich nicht. Die Kommission scheint diesbezüglich etwas planlos zu sein. Sie ist nur gegen territoriale Monopole und versucht diese aufzusprengen, ohne gleichzeitig aufzuzeigen, welche Lizenzierungsformen besser wären.

Ich finde diese selektive Wahrnehmung erstaunlich. Immerhin sind der Kommission andere Monopole wie etwa das sozialversicherungsrechtliche in Österreich auch ziemlich egal.
Es gäbe sicher andere Versicherungen, die mit dem Monopolträger in Wettbewerb treten könnten. Das Wesentliche aber hier ist, dass es mit der Lizenzeinräumung nicht getan ist. Ein großer Aufwand der AKM besteht ja darin zu überprüfen, ob etwa in Lokalen auch tatsächlich Entgelt geleistet wird. Und das muss auch im Internet passieren. Derjenige der Rechte vergibt, sollte auch in der Lage sein, den Missbrauch dieser Rechte zu verfolgen. Im Bereich der Offline-Rechte ist anerkannt, dass das nur im territorialen Gebiet gelingen kann. Wenn eine britische Verwertungsgesellschaft ein Aufführungsrecht europaweit lizenzieren könnte, würden sich vielleicht manche Nutzer freuen, aber dass die britische Gesellschaft auch tatsächlich in Österreich nachprüft, ob die Aufführungen richtig abgerechnet wurden, die Vereinbarungen eingehalten wurden, ist mehr als fraglich.

Vielen Dank für das Gespräch.