mica-Interview mit Tosca

Das legendäre G-Stone-Studio im 4. Wiener Gemeindebezirk wurde kurz vor Weihnachten für einen Tag geöffnet, um den Medien einen Eindruck vom neuen Tosca-Album „Odeon“ zu vermitteln. Richard Dorfmeister und Rupert Huber, Freunde seit der Schulzeit und auch schon fast 20 Jahre als Duo aktiv, legen nach all den Jahren ihr vielleicht rundestes und stimmigstes Album überhaupt vor. Beim Gespräch mit Sebastian Fasthuber war es bereits später Nachmittag, also durfte auch schon eine Flasche Weißwein aus dem G-Stone-Weinkeller geöffnet werden.

Richard Dorfmeister: Salute! Auf Mumford & Sons.

Was haben Tosca mit Mumford & Sons zu tun?

Dorfmeister: Nichts. Das ist heute nur der Running Joke. Wir sitzen schon seit 10 Uhr da und geben Interviews. Der Klaus Totzler vom ORF hat davon gesprochen, seitdem sagen wir nur mehr: Hast du ein paar Tickets für Mumford & Sons? Ich habe die schon am Zettel gehabt, aber nicht gewusst, dass die so big time sind. Ich persönlich brauche diese ganze Banjo-Abteilung ja nicht.

Kommen wir zu Tosca. Auffällig ist, dass es ein ziemlicher Sprung ist vom letzten Album „No Hassle“ zu diesem.

Rupert Huber: Das sagen alle.

Dorfmeister: Ist arg, ja. Für uns ist es nicht so. Wir haben einfach nur unsere Tagebuchaufnahmen weitergemacht und im Zuge unserer Live-Action 2012 im Rahmen der Vienna Fair in eine Art Albumkonzept überführt. Eigentlich sammeln wir bei unserer leider sehr seltenen Zusammenarbeit immer nur Augenblicke. Weil ich in Zürich lebe, ist das gemeinsame Musikmachen immer wieder unterbrochen.

„No Hassle“ war ein sehr durchkonzipiertes Album, „Odeon“ dagegen klingt lässig und sehr undogmatisch.

Huber: Das ist auf jeden Fall ein Unterschied. „Odeon“ ist intuitiv entstanden, beim letzten Album waren wir sehr konzeptlastig drauf. Da wollten wir keine Vocals und keine Songs. Diesmal haben wir komplett losgelassen.

Das Album hat einen angenehmen Flow. Obwohl die einzelnen Stücke teils komplett unterschiedlich sind, stellt sich eine starke Sogwirkung ein.

Dorfmeister:
Super, dass du das sagt. Bei unserem Label !K7 war man anderer Meinung. Ursprünglich hatten wir mit Stefan Strüver einen wunderbaren A&R. Der ist vor ein paar Jahren weggegangen, jetzt sitzt da eine ganz junge Partie. Unser A&R ist der Phil [bewusst affektiert ausgesprochen]. Der Phil sitzt natürlich in London und steht auf Sachen wie Gaslamp Killer oder Shlomo. New-School-Shit. In die Richtung geht’s: jung, eckig, elektronisch.

Huber:
Und die wollten uns eine andere Reihung der Stücke vorschlagen, die ihres Erachtens besser funktionieren und sich besser verkaufen würde.

Dorfmeister:
Der Phil weiß halt, wie’s geht. Der hat einfach alle schnelleren Tunes nach vorn gereiht, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Vielleicht ist das ein Generationenproblem. Junge Leute hören Musik heute überwiegend ganz anders.

Dorfmeister:
Wahrscheinlich. Unser Aufbau ist immer ein langsamer – und ganz am Ende schwingt es aus. Wir wären fast auf seine Vorschläge eingegangen, haben zum Glück aber doch gesagt: Fuck off, das ist unser Ding. Du musst mit einer Plattenfirma einfach um alles kämpfen, dafür kriegst du aber ihren Vertriebsweg. Oder, noch besser: Du kriegst einen Partner, der geldgierig genug ist, um dein Ding ordentlich rauszupowern. Das ist die Idee der Plattenfirma, das sind nicht deine Friends.

Plattenfirmen müssen inzwischen auch aufs Geld schauen.

Dorfmeister:
Absolut. Noch vor acht Jahren haben wir 100.000 Stück von einer Platte verkauft. Von da an ging es abwärts, auch wenn unsere Platten sich für die jeweilige Zeit immer noch relativ gut verkauft haben. Aber wenn man sich unsere Sales-Kurve über die Jahre anschaut, ist es einfach nur traurig. Naja, immerhin verkaufen wir überhaupt noch was. Und ich bilde mir ein, dass du mit einem Label im Rücken viel mehr Power generieren kannst, als wenn du alles alleine machen würdest.

Huber: Es schärft aber auch den Blick, wenn jemand unsere Musik ganz anders hört und seltsamen Input gibt.
Dorfmeister: Es gibt oft Missverständnisse, aber durch die Zusammenarbeit mit jemand Externen ergeben sich auch ganz viele Sachen. Bei !K7 kommt die Musik zumindest raus und ist überall erhältlich. Wenn man sie nur selber rausbringt, wird sie wahrscheinlich niemand hören. Das Veröffentlichen ist sehr tricky geworden. Wir arbeiten da seit Wochen jeden Tag an irgendeinem Detail.

Zur Entstehungsgeschichte von „Odeon“: „No Hassle“ ist vier Jahre her. Inzwischen habt ihr euch immer wieder hier im Studio getroffen?

Dorfmeister: Ab und zu trifft es besser. Die Live-Geschichte im Odeon Theater hat es dann erst voll ins Rollen gebracht. Plötzlich gab es auch die Idee für den Albumtitel. Man kann sagen, dort ist das Album erst entstanden. Auch die Fotos haben wir da gemacht.

Wer ist der Mann am Cover?

Dorfmeister: Das ist der Jay Jay, J.J. Jones. Ein super Typ, der zwischen München und Nashville pendelt. Wir arbeiten lieber mit unbekannten Leuten. Da ist es einfach spannender, was rauskommt, und wir sind auch freier in der Zercuttung der Vocals. An große Namen kommst du eigentlich nur mehr ran, wenn du bei einem Festival jemand kennenlernst. Übers Management kannst du’s vergessen, dann geht es nur um Kohle. Die Nummer mit dem Jay Jay ist auch die erste gestreamte Single. Heute gibt es ja keine Singles mehr in dem Sinn. Dafür haben wir schon fast alle Remixes beisammen, da wird im April oder Mai noch ein Album nachgeschoben.

Das Album ist recht vokallastig. Wer sind die anderen Stimmen?

Dorfmeister: Der Graf, also der Stefan Wildner, ist wieder dabei, dann die Sarah Carlier, Rodney Hunter, Lucas Santtana, Chris Eckman und der Roland Neuwirth. Beim Konzert haben nur Neuwirth und Eckman gefehlt. Der Eckman war in Mali, der Neuwirth wollte nicht kommen, weil er angefressen ist.

Dabei ist die Neuwirth-Nummer ein Highlight. Wie kam es dazu?

Huber: Ich hätte normalerweise nie im Leben was mit Roland Neuwirth gemacht, wenn das nicht Richards alter Gitarrenlehrer wäre. Ich war sehr skeptisch.

Dorfmeister: Als ich 16 war, hat er mit das Gitarrespielen ein bisschen beigebracht. Durch einen Zufall sind wir wieder zusammengekommen. Ich habe ihm eine Nummer geschickt, er ist vorbeigekommen und hat eine Story eingesungen. Wir haben seinen Beitrag dann ziemlich zercuttet. Im Endeffekt war er angefressen, weil wir seine Nummer zerstört haben. Glaubt er.

Huber: „What have they done to my song?“

Dofmeister: „Why did you do it?“ [Lacht] Er wird sich gedacht haben, das sind depperte Buam. Aber er hat’s uns erlaubt. Grundsätzlich haben wir ja Angst vor Austropop. Es gibt leider kaum gut umgesetzte deutschsprachige Musik aus Österreich, die einen interessanten Sound hat. Die Sachen aus den 70er Jahren finde ich auch nicht wirklich hörbar, die haben mir zu viel Text. Mir fehlt das Abgetrippte.

Wie wichtig ist das angesprochene Zercutten für eure Arbeit?

Dorfmeister: Wir machen das schon sehr gern. Auch der Wildner ist mit einer längeren Story dahergekommen. Wir haben ihn dann dazu gebracht, dass er nur Teile davon abgehackt singt: „In my brain – Prinz Eugen – Macht den Menschen wieder schön.“ So ist es viel besser.

Huber: Was war da noch? „Neue Beine – Neue Lippen – Gottes Augen – Super Titten.“ Was insofern Sinn macht, als der Wildner im Tagesberuf Psychiater ist. In dem Text geht es darum, dass wir uns immer mehr modellieren, bis irgendwann der perfekte Mensch da ist.

Dorfmeister: Der Text war schon gut, aber für uns war er zu konkret. Ich glaube, das Ergebnis ist so, wie der Wildner Graf Hadik gern gehabt hätte. Aber die haben ja was Gescheites machen müssen. Der andere von Graf Hadik ist Anwalt geworden oder so. Der Wildner liebt es aber umso mehr, ab und zu herzukommen und ein bisschen zu freaken. Manchmal erwischt er es noch.

Huber: Wobei man fairerweise sagen muss: Auch von uns gibt es ganz viele schreckliche Aufnahmen. Die Schwierigkeit ist, den Moment zu finden, wo es halbwegs gut klingt, wo die Stimmung richtig ist – und den festzuhalten.

Dorfmeister: Das ist bei allen so. Ich habe früher bei den Remixes oft Aufnahmen bekommen, die far from perfect sind. Es ist immer nur gut gemischt und ausgewählt. Was wirklich gut gespielt ist, sind die ganz alten Sachen, die noch live waren. Zum Beispiel Black Uhuru, da habe ich die Bänder mal gehabt. Heute nimmst du überall die besten Teile raus, das Wichtigste ist das Selecten der Aufnahme. Ein Studio brauchst du im Prinzip gar nicht mehr, du kannst alles mit einem einzigen Kastl machen. Wir haben das Studio hier nur, weil es einfach nice ist als Raum.

Ihr könntet auch Files zwischen Wien und Zürich hin und her schicken.

Huber: Ja, aber wir haben Spaß daran, gemeinsam zu musizieren, und zelebrieren das auch ein bisschen. Und es gibt schon Komponenten, die man einfach hier im Studio machen muss, zum Beispiel Klavieraufnahmen oder Gesangsaufnahmen.

Dorfmeister: Grundsätzlich sind wir aber keine Technik-Spezialisten. Es muss nur gut klingen. Den Kids heute ist sogar das egal, die haben gar keine Berührungsängste und sampeln von irgendwelchen MP3-Dateien. Wenn wir etwas sampeln, dann kümmern wir uns zumindest um die Original-Files.

Überrascht hat mich, dass im Presse-Info zum Album das Wort Vienna Sound verwendet wird. Habt ihr das nicht immer vermieden?

Dorfmeister: Hearst, kennst du net den Vienna Sound? Im Ernst: Ich muss sagen, ich finde den Pressetext echt nicht schlecht. Das ist nicht nur Weihrauch, ich finde den sehr proper. Das mit dem Vienna Sound ist mir gar nicht aufgefallen.

Huber: Wir haben mit dem Autor vorher über die Stimmung in Wien, über grau und depro gesprochen. Ich glaube, das hat er gemeint mit Vienna Sound.

Dorfmeister: Grau. Klar, das ist unser altes Bild von Wien. Und ein bisschen stimmt es ja auch noch.

Huber: Ich habe mein Studio im 10. Bezirk beim Reumannplatz. Da ist es sehr grau.

Wie ist die Stimmung gerade als Berufsmusiker?

Huber: Mir kommt es so vor, als würde sich eine gewisse Freiheit erst einstellen, wenn das Schiff sinkt. Du kannst mit einem Laptop so schnell für wenig Geld etwas produzieren, dass dadurch immer mehr Musik entsteht. Sicher, da ist sehr viel Schlechtes dabei. Auf der anderen Seite sind die Menschen viel offener, was Musik betrifft. In den 80ern und 90ern hatte jeder ein einziges Genre, das er gehört hat und das gleichzeitig sein Lifestyle war. Das hat sich Gott sei Dank aufgehört.

Wie macht ihr das finanziell, wenn ihr jahrelang an einem Album arbeitet?

Dorfmeister: Wir müssen halt alles vorfinanzieren. Und wenn wir aus einem Topf etwas kriegen, geht das Meiste in die nächste Produktion rein. Es ist schon tight. Man kann sich überhaupt keinen Luxus mehr gönnen. Das war früher ganz anders. Da haben wir noch in der Sauna Interviews gegeben. Auch die G-Stone-Sachen gehen sich heute nicht mehr aus. Die ganzen Platten waren super gemacht, allein schon vom Packaging, aber halt auch sehr teuer.

Huber: Gut finde ich, dass das Gefühl für die Zeit geschärft ist, die man hat, um Musik zu machen. Man scheißt einfach nicht mehr ewig herum. Die Zeit, die wir zum Musikmachen haben, empfinde ich heute als Belohnung.

Dorfmeister: Auch das Releasen ist für uns immer ein Fest, weil wir es nicht so oft machen. Andere fetzen dauernd was raus, bei uns soll jeder Veröffentlichung etwas Besonderes sein. Diesmal gibt es drei Stufen, eine normale Digipak-CD im Schuber, die Vinyl-Version und die Deluxe-Version mit Poster und eine Zusatz-CD. Da ist die Odeon-Liveaufnahme ohne Beats und Vocals drauf. Nur Soundscapes, ein floating thing. Angenehm zu hören.

Die Ambient-Fassung?

Dorfmeister: Wir vermeiden das Wort Ambient. Wer als erster Ambient sagt, hat verloren. [Lacht]

Huber: Ambient Music ist kein böser Begriff, aber irreführend. Uns gefällt die Bezeichnung Abstrakte Musik besser.

Beim letzten Album wolltet ihr verstärkt auf den Live-Zug aufspringen. Wie sieht das jetzt aus?

Dorfmeister: Wir machen keine World Tour, aber immerhin eine Mini-Tour hat’s gegeben zu „No Hassle“.

Huber: Wir suchen immer nach Plätzen, die uns interessieren. Die Live-Premiere wird am 17. April im Linzer Landestheater stattfinden. Und wahrscheinlich sind wir in Graz beim Spring Festival.

Dorfmeister: Wir wollen halt coole Spezial-Locations. Eigentlich sollten wir in die Kulturschiene rüber, weil da die tollen, architektonisch interessanten Locations sind. Wir sind ja auch kein Rave-Act in dem Sinne.

Huber: Am interessantesten finden wir, Plätze zu bespielen, die noch nicht genremäßig vorbelastet sind.

Dorfmeister: Mittlerweile kommen wir auch zu einer echten Live-Situation. Wir spielen nicht irgendwas ab, sondern können mit Elektronik, Dubs und Piano live improvisieren. Das wollten wir immer schon machen.

Fotos Tosca: Markus Rossle

 

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