Porträt: Heinz Karl Gruber

Musik zu komponieren, die über Grenzen von Generationen und Gesellschaftsschichten hinweg zugänglich ist – diese Aufgabe hat sich HK Gruber zum Ziel gesetzt. Denn dem 1943 in Wien geborenen kritischen Geist waren Obrigkeiten und Eliten sowohl in politischer wie auch in künstlerischer Hinsicht stets ein Dorn im Auge. Schon früh war Gruber als Kontrabassist beim Ensemble die reihe und beim RSO mit Neuer Musik in Berührung gekommen. Doch als sich serielle Kompositionsmethoden und avantgardistische Neuerungen zu streng verfolgten Strömungen formierten, wandte er sich erneut der bereits für überholt gehaltenen Tonalität zu. Gleichzeitig brachte er auch die bei seinen Lehrern Erwin Ratz, Gottfried von Einem und Hanns Jelinek Kompositionsweisen der Wiener Schule angeeigneten und fusionierte Reihentechnik mit Dur und Moll. Um seiner daraus erwachsenen neuen Klangsprache auch Aufführungen zu ermöglichen, gründete er gemeinsam mit Kurt Schwertsik und Otto M. Zykan 1968 das Ensemble „MOB art & tone ART“ und setzte damit einen Kontrapunkt sowohl zum klassisch tradierten Kanon wie auch zu den aktuellen Ausprägungen Neuer Musik. Auch der für Wien typische schwarze Humor fand in Kombination mit gesellschaftskritischen Tönen Eingang in die neuartigen Kompositionen – oftmals mit dem ehemaligen Sängerknaben Gruber als Chansonnier oder Dirigent eigener Werke.

Eine dieser Kompositionen, in denen der musikalische Allrounder als Interpret eigens komponierter Artikulationskaskaden in Erscheinung trat und tritt, ist „Frankenstein!!“ auf Lyrik des österreichischen Dichters H. C. Artmann. Gedichte, die an Kinderreime erinnern, in denen aber neben Frankenstein ein ganzes Pack an Comic-Helden und Fantasy-Halunken sein Unwesen treibt und wo zwischen den Zeilen all der witzigen Verse auch gesellschaftskritische Töne angeschlagen werden. Kombiniert mit rhythmisch eingängiger wie melodisch abwechslungsreicher Musik avancierte das „Pandämonium für Chansonnier und Orchester“, wie es im Untertitel heißt, zu einem der meistgespielten Werke zeitgenössischer Musik.

Ein Erfolgsrezept des Komponisten mag in der Verschmelzung von Musik und Sprache liegen, denn aus dem Klang des gesprochenen Wortes schöpft Gruber oftmals seine Inspiration. Dies äußert sich nicht nur in den Parts des Chansonniers, dessen Artikulationskunst dem Interpreten eine breite Palette an Lauten abverlangt. Auch die instrumentale Gestaltung ist stets von einem Gestus geprägt, der durch die tonalen Melodien einfach zu verfolgen ist. Durch die Kombination mit atonalen bzw. seriellen Komponenten jedoch zeugt die Musik auch von den Errungenschaften des letzten Jahrhunderts und rhythmische Effekte tragen das Ihrige zur Eingängigkeit der Werke bei.

Während Gruber in England und auf die Einladung von Leonard Bernstein hin seit 1980 auch in den USA wachsendes Ansehen erlangte, musste er auf die Anerkennung in Österreich noch warten. Aus Anlass seines 60. Geburtstags erhielt er auf Anregung von Simon Rattle einen Auftrag der Wiener Philharmoniker, ein Konzert für Orchester zu komponieren. „Dancing in the Dark“ (2003) verarbeitet die Geschichte des mitteleuropäischen Orchesterklangs, dessen individueller Klang mit Wiener Hörnern und Wagner-Tuben die Klangpracht des Orchesters bereichert – nicht die erste Gelegenheit für Gruber, sich mit der spezifisch wienerischen Musiktradition auseinanderzusetzen. In „Charivari“ (1981) sind es die Klänge der Polka „Perpetuum mobile“ von Johann Strauß, die zunehmender Verfremdung zum Opfer fallen und so den Mythos der Musikstadt Wien entzaubern. Zwar führen Anklänge an „Wiener Blut“ wieder zurück in idyllische Gefilde, doch bleibt ein bitterer Nachgeschmack im Spiel mit Bekanntem und Unbekanntem erhalten.

Nicht selten verbergen sich hinter den musikalischen Strukturen gesellschaftspolitische Botschaften: In „Dancing in the Dark“ sind es die in ihrer großen Anzahl auftreten Streicher, die sich mit ihrer endlosen Melodie gegen die lautstarke Schlagwerk- und Bläsergruppe durchsetzen. In „Entmilitarisierte Zonen“ (1979) für Brass Band verschaffen sich zwischen zahlreichen zitierten Märschen die ansonsten hinter Melodiestimme und Bass zurücktretenden Mittelstimmen nach und nach Gehör – vergleichbar mit den zahlreichen ungenannten Mitarbeitern eines Konzerns, die hinter dem Namen des Chefs in einer anonymen Masse verschwinden und dennoch für das Funktionieren eines Betriebes wesentlich mitverantwortlich sind. Das Werk spiegelt mit der Durchsetzung der Mittelstimmen die Utopie der Gleichberechtigung. Das für den Schlagwerker Gerald Fromme komponierte Werk „Rough Music“ (1982-83) bezieht sich auf ein Ritual, das auf einen mittelalterlichen Brauch zurückgeht und in etlichen Gebieten der Erde weiterhin lebendig ist. Dabei spielen Dorfbewohner in einem nächtlichen Umzug auf Topfe und Deckel klopfend vor dem Haus eines sich nicht gesellschaftskonform verhaltenden Mitgliedes der Gemeinschaft auf, um ihr Missfallen darüber lautstark kund zu tun. Dass man sich aber gesellschaftlichen Konventionen und Obrigkeiten aller Art jedoch nicht einfach unterwerfen soll, ist die Grundaussage der in Zusammenarbeit mit H. C. Artmann entstandenen Oper „der herr nordwind“ (UA 2005). Die auf einem italienischen Märchen basierende Handlung über den armen Bauern Geppone, dem durch das stürmische Treiben des herrn nordwind jedes Jahr aufs Neue die Ernte zerstört wird, kulminiert in einem Kampf gegen kirchliche wie weltliche Autoritäten.

Doch trotz der kritischen Haltung, die Gruber stets einnimmt, sind auch Witz und Humor oft nicht weit. Denn, so der Komponist, „… die Kunst muss doch keinen Heiligenschein haben, man muss im Konzert nicht ständig gekrümmt und mit Wellblechstirn sitzen, und fordern, dass das der einzige richtige Weg wäre, Kunst zu begegnen.“ Dass es auch anders geht, hat der Gruber inzwischen nicht zuletzt mit dem Einsatz von Spielzeuginstrumenten und szenischen Einlagen der Musiker in „Frankenstein!!“ bewiesen.
Doris Weberberger

Foto © Christian Heindl