Oskar Aichinger: Einfach raffiniert

Ein gepflegter Witz und eine undogmatische Herangehensweise an (scheinbar)  verschiedenartigste Musikstile können als Markenzeichen des Pianisten Oskar „Ossi“ Aichinger namhaft gemacht werden. Aichinger, Jg. 1956, ist im Modern Jazz genauso bewandert wie in der Neuen Musik, und auch als Improvisator leistet er regelmäßig Hervorragendes.

Dabei hatte der im oö. Attnang-Puchheim aufgewachsene Klavierspieler, bevor er sich am Salzburger Mozarteum der Musik zuwandte, Montanistik in Leoben studiert. Für den Bergbau brachte der, nahe des einst blühenden oberösterreichischen Kohlereviers groß gewordene Oskar Aichinger bald weniger Inspiration auf als für seine Liebe zu den Klängen. So begann er nach dem Studium und einem Interludium als Ballettkorrepetitor an der Wiener Staatsoper als Pianist aufzutreten, zu komponieren, zu interpretieren – und vor allem zu improvisieren. Aichingers Selbstbezeichnung als „performing composer“ trifft den Nagel auf den Kopf.

Das Klangforum Wien, das Ensemble XX. Jahrhundert, das Koehne-Quartett u.a.m. bedachten ihn mit Auftragsarbeiten, seit bald zehn Jahren begleitet er am Klavier den Trompeter und Flügelhornisten Franz Koglmann, er spielte mit keinem Geringeren als dem Impro-Solitär Derek Bailey. Das Wienerlied-Festival Wean hean bestellt immer wieder bei ihm Kompositionen, seine Kammeroper Der entwendete Taler wurde 2009 uraufgeführt, und sogar fürs Tanztheater von Maja Slattery und die Compagnie Smafu schreibt Aichinger die passende Partitur.

Besonders intensiv gestaltet sich Oskar Aichingers Leidenschaft für den polnischen Komponisten Witold Lutoslawski, dokumentiert auf der vor vier Jahren auf dem Label turning sounds veröffentlichten, inzwischen mehrfach preisgekrönten CD „Cosmos Lutoslawski“: Aichinger: „Das Werk des großen  Witold Lutosławski beschäftigt mich schon seit vielen Jahren. Vor allem seine erstmals in “Jeux vénitiens/venezianische Spiele” (1961) angewandte Technik der von ihm so genannten “begrenzten Aleatorik” war und ist für mich eine wichtige Wegmarke in meinem eigenen kompositorischen und improvisatorischen Handeln. Dieses Prinzip des limitierten Zufalls bedeutet eine partielle Entmachtung des Komponisten und damit eine Aufwertung der MusikerInnen als mitkomponierende Individuen. Dabei kommt es aber nie zu einem Kontrollverlust auf Seite des Komponisten: Zeit- und Materialvorgaben regeln den Fluss der Komposition und determinieren so die vom Komponisten intendierte Dramaturgie.“

Aus den vielen fixen Ensembles, in denen Aichinger mitwirkt, ragt etwa das Trio mit dem Klarinettisten Michael Moore und dem Kontrabassisten John Edwards heraus, das sich der Musik von Paul und Carla Bley verschreibt. Aber auch die Elements of Poetry mit Achim Tang (b) und Paul Skrepek (dr), erweitert um Stefan Nèmeth (synth) zur Band Synapsis, und die große Gruppierung ms franz seien genannt. In letzterer interagiert der Pianist im kreativen Graubereich zwischen komponierter und improvisierter Musik mit der Violaspielerin Petra Ackermann, dem Fagottisten Chrstof Dienz, dem Trompeter Richard Klammer, dem Saxofonisten Martin Zrost, Vincenz Wizlsperger an Bass, Tuba, E-Gitarre und Gesang sowie Paul Skrepek an den Drums, der Kontragitarre und ebenfalls an den Stimmbändern.

Mit Burkhard Stangl, Susanna Heilmayr und Achim Tang spielte der Pianist, der hier auch singt, das beachtliche Album „ekg: a word to the sufficient“ (cracked anegg / Handsemmel) ein, auf „schee is wos aundas“ kooperiert er mit dem zum Klangkombinat expandierten Kollegium Kalksburg. Das Selbstverständnis Oskar Aichingers, seine Musizierhaltung und seinen Zugang zur Improvisation illustriert sein Statement, das er für seine Platte „To Touch A Distant Soul“ (eingespielt mit Lorenz Raab,
Max Nagl,
Martin Siewert,
Achim Tang und
Paul Skrepek; erschienen auf between the lines) getroffen hat: „Ich gehe einmal davon aus, dass das Berührende im Jazz die Improvisation, also die (Ent-)Äußerung des Subjekts ist (zumindest ist es mir als Rezipient immer so ergangen). Diese sollte durch die Komposition möglichst wenig gestört werden, sodass komponierte Elemente und formale Struktur sozusagen nur als Zündkerzen in jenem explosiven Gemisch aus Subjekten fungieren, das letzlich den Motor für die Musik in Bewegung setzt. Das Improvisieren über Standards bedeutet letzlich nichts Anderes, ist aber für mich aus historischen, persönlichen (Ich bin kein New Yorker) und formalen Gründen obsolet. Ich träume von einer Musik, die ganz der Kunst und ihrem komplexen Mysterium verpflichtet, aber dennoch begreifbar ist, einfach und zugleich raffiniert, vergleichbar einem guten Witz“.
Andreas Fellinger

Foto: Regine Hendrich

http://www.oskaraichinger.at