Nach ihrer erfolgreichen gemeinsamen Album-Produktion „Klezmer Explosion“ (2021) beschlossen der steirische Klarinettist MORITZ WEISS und der aus Mazedonien stammende Akkordeonist IVAN TRENEV ihre Idee der Verbindung von Klezmer und Balkanmusik auf eine nächsthöhere musikalische Ebene zu heben. Nach dem Motto „aus klein wird groß“ verwandelten die beiden ihre Band in das STYRIAN KLEZMORE ORCHESTRA, welches sich in variabler Besetzung mit dem Thema Klezmer mit der Schwerpunktsetzung Ost- und Südosteuropa auseinandersetzen soll. In welch musikalisch vielfältiger Art und Weise das passiert, zeigt das Mitte November erscheinende Debütalbum des STYRIAN KLEZMORE ORCHESTRA. Im Interview mit Michael Ternai erzählten IVAN TRENEV und MORITZ WEISS über die Entstehung ihres Projekts, das Besondere an der Verbindung von Klezmer und Balkanmusik und ihr ungewöhnliches Marketingkonzept.
Ihr beide habt das Styrian Klezmore Orchestra gegründet. Woraus geht es hervor? Kann man sagen, dass das Orchester eine Art Weiterführung des Moritz Weiß Klezmer Trios ist? Oder handelt es sich hierbei um etwas komplett Neues?
Moritz Weiß: Jein. Natürlich entsteht ein Projekt immer aus einem anderen. Zumindest zieht sich diese Linie bei den Sachen, die wir machen, stark durch. So ist das Styrian Klezmore Orchestra natürlich stark geprägt von dem, was ich mit dem Trio bzw. auch mit dem Duo gemeinsam mit Ivan mache. Ivan seinerseits bringt wiederum seine eigenen Sachen mit in das Projekt ein. So gesehen entwickeln sich die Dinge Schritt für Schritt.
Und ergibt ein schönes rundes Bild. Ich habe zuerst mit dem Trio gespielt, dann folgte das Duo mit Ivan, und schließlich realisierten wir die Produktion „Klezmer Explosion“, an der schon mehr Leute beteiligt waren. Diese Produktion war es auch, die uns darüber nachdenken ließ, den Verein Styrian Klezmore zu gründen, der als Plattform für Musiker:innen fungieren soll, die bei uns in der einen oder anderen Form andocken und mitmachen wollen.
Musikalisch war aufgrund von Ivan und mir klar, dass das Orchester sehr breit aufgestellt sein wird. Ich selber komme ja stark aus dem Klezmer-Bereich. Ivan wiederum bringt als Mazedonier stark eine Balkanfacette mit ein. Das sind im Grunde auch die zwei Wege, die in unserem Orchester zusammenfinden und gemeinsam die Richtung zu etwas Neuem einschlagen. So wie ein Fluss, der sich seinen Lauf durch die verschiedensten Regionen bahnt und von unterschiedlichen Quellen gespeist wird.
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Es geht also darum, die Tradition des Klezmers und die der Balkanmusik in all ihren Facetten auszuleben.
Ivan Trenev: Obwohl wir Klezmer und Balkan thematisch trennen, haben die beiden Musikrichtungen viele Berührungspunkte. Musikrichtungen sind über die Zeit ja nie am selben Ort verharrt. Sie sind herumgewandert und haben so auch immer wieder anderen Musikkulturen beeinflusst, wodurch sich die Tradition und Kultur auch weiterentwickelt haben. Und so verhält es sich auch bei unserem Orchester. In unserer Musik verbinden sich die verschiedenen Musikrichtungen des Balkans mit dem Klezmer, wodurch es auch schwer ist, sie konkret dem einen oder dem anderen zuzuordnen. Ich denke, bei uns entsteht etwas Neues, eine Mischung, die nicht eindeutig kategorisierbar ist. Wobei wir schon immer versuchen, etwas fundierter darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem einen Stück um Klezmer handelt und bei einem anderem um Balkanmusik.
Moritz Weiß: Mir gefällt diesbezüglich die vorher verwendete Metapher mit einem Fluss ganz gut. Wir schauen uns an, wie sieht zum Beispiel die Donau aus, bevor sie an der Küste in Rumänien als breiter Fluss ins Schwarze Meer mündet. Und da ist schon alles dabei. Der Klezmer, die Balkanmusik, die ganze Yiddish Theater Tradition und viele andere Dinge. Das ist ein wirklich breiter Strom und wir sehen uns an, woher die einzelnen Quellen stammen, um sie später wieder als Ganzes zu sehen.
Was wir in dieser Produktion jetzt manchen, ist, dass wir uns den Fluss anschauen und einfach einmal ein paar hundert Kilometer stromaufwärts reisen, um zu sehen, welche Abzweigung wir zum Beispiel in Regensburg vorfinden. Oder in Linz. Wir haben in unserem Programm ja auch ein Kreisler-Lied. Natürlich fragt man sich da im ersten Moment, wie sich das ausgeht. Reist man aber die Donau wieder ein paar hundert Kilometer hinunter nach Wien, sieht man, dass er aus dem dortigen jüdischen Milieu stammt, das wiederum von Osteuropa beeinflusst wurde. Da kann man viele spannende Verbindungslinien ziehen.
Wir sind zwei junge Musiker, die sagen, wir machen Balkanmusik und Klezmer. Und unser Konzept für das Orchester ist, einen möglichst breiten musikalischen Kosmos abzustecken. Gerade bei dieser Produktion war die Idee, zu schauen, was es alles gibt, und was alles bei uns hineinpasst. Darum geht es von Kreisler und den Barry Sisters über rumänische und mazedonische Stücke bis hin zu Bearbeitungen von einer Komposition von David Orlowsky, der der aus der deutschen Klezmer-Szene stammt, die wiederum eine ganz eigene Geschichte mit sich bringt.
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Das heißt, ihr versucht eine historische Landkarte des Klezmers und der Balkanmusik zu zeichnen.
Moritz Weiß: Das ist irgendwie die Idee dahinter, ja.
Klezmer und Balkan sind, wie du jetzt beschrieben hast, stilistisch sehr vielfältige Musikformen. Zudem unterscheiden sie sich doch hörbar voneinander. Was ist aber das Element, das beide Welten zueinanderfinden lässt?
Ivan Trenev: Eine ähnliche Frage stellten wir uns auch bei unserem Duo-Album „KlezTango And Beyond“. Was haben Klezmer und Tango gemeinsam? Warum passen diese beiden Stile so gut zueinander? Diese Fragen lassen sich auch auf unser Orchester-Album übertragen. Ich denke, es sind das Feuer und das Temperament, das man spürt, und wie die Leute die Musik eigentlich erleben. Wir haben vor kurzem bei einer jüdischen Hochzeit gespielt. Mit dem Konzert begonnen haben wir um fünf am Nachmittag. Und schon von der ersten Sekunde an haben alle getanzt. Es war eine riesige Party. Wie ich das gesehen habe, musste ich sofort an die Hochzeiten in Mazedonien denken. Ich dachte mir, die Leute hier erleben die Musik genauso wie meine Freunde und Verwandten in Mazedonien. Ich glaube, dass es genau diese Eigenheit ist, die hier eine Brücke zwischen den Musikrichtungen schlägt und diese verbindet.
Auf der anderen Seite versuchen wir nicht nur das Traditionelle vorzustellen, sondern wollen herausfinden, was da noch alles geht. Daher finden sich im Styrian Klezmore Orchestra auch Leute mit unterschiedlichstem musikalischem Background zusammen. Da kommen Leute aus der Klassik, aus dem Jazz oder aus ganz anderen Ecken. Und jede und jeder bringt etwas anderes in das Orchester mit ein. Was wir alle gemeinsam haben, ist diese Offenheit im Umgang mit der Musik. Wir bringen alle etwas mit und versuchen, diese Traditionen, diese Kultur, diese Musik zu bereichern auf eine gewisse Art und Weise.
Moritz Weiß: Wir werfen, glaube ich, einfach den Anker irgendwo hin und schauen, wie weit wir uns treiben lassen können und wie lang das Seil zum Anker wird. Wobei man schon sagen muss, dass der Kosmos eigentlich recht klar mit Ost- und Südost-Europa definiert ist. Und da spielt die spezielle Tonalität wie auch das Temperament eine große Rolle. Es ist hauptsächlich Musik, die ursprünglich zum Tanzen und Feiern da ist, in den letzten Jahrzehnten aber auch im Konzertwesen eine ganz neue Bedeutung bekommen hat. Siehe David Orlowsky oder Giora Feidman. Uns ist es ganz wichtig, in unserer Arbeit auch diese Entwicklungen abzubilden.
Ein Projekt, das, glaube ich, ganz gut zeigt, wie weit wir uns treiben lassen können, ist jenes mit Maiden UniteD. Das ist eine niederländische Folkband, die sich auf das Covern von Iron Maiden-Songs spezialisiert hat und die immer wieder Bands aus anderen Folkrichtungen dazu einlädt, gemeinsam Songs dieser legendären Heavy-Metal-Band zu bearbeiten. Wir wurden gefragt, ob wir nicht vielleicht Lust hätten, ein paar Nummern der Band ins Jiddische zu übersetzten. Was wir dann auch im Rahmen der internationalen Musikdialoge des BMEIA getan haben. Und ich denke, dass uns das auf eine sehr schöne Art gelungen ist. Auf jeden Fall zeigt diese Kooperation, was alles möglich ist.
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Wie ihr schon erwähnt habt, ist das Orchester ein bunt zusammengemischtes. Gibt es für euch ein bestimmtes Kriterium in der Auswahl der Musiker:innen für euer Orchester? Und welche Funktion erfüllt überhaut der von euch gegründete Verein diesbezüglich.
Ivan Trenev: Wir verstehen das Styrian Klezmore Orchestra als eine Plattform für professionelle Musiker:innen. Demgegenüber steht der Verein Styrian Klezmore, der gemeinnützig ist und allen offensteht, die Interesse an dem haben, was wir machen. Zur Auswahl lässt sich sagen, dass es uns schon darum geht, dass sich die Leute wohlfühlen. Und das, glaube ich, ist dann gewährleistet, wenn sie mit der Materie etwas anfangen können. Dann können sie auch mit der ganzen Seele dabei sein. Das brauchen wir und das braucht das Projekt. Und ich denke, man merkt eh schnell, wenn es einmal nicht passt.
Moritz Weiß: Es sollten schon Musiker:innen dabei sein, mit denen unsere ganze Geschichte auch funktioniert. Ein weiteres Motiv für uns, das Orchester gerade so aufzustellen, ist auch, dass wir auch versuchen, Orchesterarbeit einmal anders zu denken, ein wenig in Richtung kollektivistische Arbeit. Wie kann man den Rahmen eben flexibler und spontaner machen als bei herkömmliche Orchesterkonzepten. In gewisser Weise kann man sagen, dass das Orchester als Herzstück in den Verein eingebettet ist. Styrian Klezmore macht Veranstaltungen und organisiert Workshops, zu denen alle willkommen sind, die Interesse an dem haben, was wir tun.
Ist es ausschließlich fremdes Material, dass ihr bearbeitet, oder finden sich im Programm auch eigene Kompositionen?
Moritz Weiß: Es ist schon so, dass wir Kompositionen anderer oder traditionelle Stücke hernehmen und neu bearbeiten. Aber es findet sich auch eine Komposition von Ivan auf dem Album. Es geht vor allem ums Arrangieren, das aber schon im Kollektiv passiert. Ich würde sagen, dass wir zwei einen gewissen Rahmen vorgeben. Der Rest passiert via Work in Progress. Dazu braucht man natürlich eine gewisse Offenheit und Flexibilität von Seiten der Musiker:innen. Es ist schon auch vorgekommen, dass sich der eine oder andere nach der ersten Probe auch wieder verabschiedet hat, vielleicht weil ihm das Ganze dann doch etwas zu offen ist. Mittlerweile hat sich aber dennoch eine Art Fixbesetzung herauskristallisiert.
Ihr seid ein relativ großes Orchester. Ist es da heutzutage nicht schwer, regelmäßig live zu spielen?
Ivan Trenev: Wir sehen das ganz pragmatisch. Wir haben verschiedene Programme, die wir in unterschiedlichen Konstellationen spielen können. In kleinen wie auch größeren Besetzungen, je nachdem, was gerade in diesem Moment Sinn macht. Wir sind diesbezüglich also sehr flexibel, was es uns auch ermöglichen sollte, mehrere Gigs aufzustellen, auch wenn es am größeren Budget fehlt.
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Moritz Weiß: Es geht auch darum, dass die Leute spielen. Es reicht nicht, wenn wir nur ein Konzert im Jahr machen. Gerade mit der kleineren Street-Besetzung hat sich in dem Jahr 2022 schon einiges ergeben. Um ein wenig auszuholen. Wir haben ja eine Street-Tour in Österreich und Deutschland gespielt. Quasi als PR-Kick-Off-Event für das Orchester. Wir wollten zeigen, dass wir nicht bloß ein Programm haben, sondern, dass wir uns in vielen Facetten präsentieren können. Und eine dieser Facetten ist eben diese Brass-Besetzung, unser Street-Schwerpunkt. Sie ist laut, sie macht Stimmung, sie gast einfach an. Durch solche unterschiedlichen Programme versuchen wir uns langsam vorzutasten, bis wir dann eben auch als großes Orchester wahrgenommen werden.
Ivan Trenev: Wir haben auch noch unsere Chamber-Besetzung. Und die passt perfekt in Konzertsäle. Ich denke, dass wir mit der Street-Besetzung auf der einen Seite und der Chamber-Besetzung auf der anderen zwei Formate haben, die uns einige gute Möglichkeiten eröffnen. Und dann gibt es noch den Vocal-Schwerpunkt, wo es um die Zusammenarbeit mi Sänger:innen geht.
Ihr denkt ja nicht nur euer Orchester anders, sondern auch die Art eurer Veröffentlichung, bei der das Thema Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt.
Moritz Weiß: Wir haben das ganze Projekt insgesamt etwas weiter gefasst. Unter dem Titel „The Bigger Picture“. Darunter fallen alle unsere verschiedenen Orchester-Schwerpunkte – Street, Chamber und Vocal – die Videos und eben auch die Album-Produktion, die auch nicht ganz gewöhnlich ist. Die Idee ist, den Menschen schon etwas mitzugeben, auch wenn das Album nur digital vorhanden ist, etwas Haptisches bzw. Praktisches, das sie vielleicht für etwas anders verwenden können. Meine Freundin stellt unter dem Namen „Magda’s Soap Opera“ Bio-Seife her und wir dachten uns, dass wir diesen Umstand in unser Konzept miteinbeziehen könnten. Es war irgendwie naheliegend. So erscheinen vom Album nun 250 Packages eben mit dieser Seife inkl. Downloadkarte am Etikett als Limited Edition.
Wir versuchen schon auch Themen wie Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein und Ressourcenschonung mitzudenken und in die Arbeit des Orchesters miteinzubeziehen. Wir verwenden für die Hüllen der Packages VHS-Kassettenhüllen, die wir vor der Entsorgung gerettet haben. Einen klassischen Tonträger wird es nicht geben. In den Packages ebenso zu finden sind noch Postkarten, die von der Künstlerin Anna Abl gezeichnet und von der Grafikkünstlerin Madeleine Haiderin das Booklet grafisch eingearbeitet worden sind. Das Ganze ist unter anderem auch als PR-Package gedacht, das wir auch Veranstaltern im In- und Ausland zukommen lassen wollen. Wir hoffen natürlich, dass uns diese Aktion dabei hilft, uns auf dem Livemarkt zu etablieren.
Herzlichen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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Styrian Klezmore Orchestra live
12. November 2022 im Theater Akzent Wien
13. November 2022 im Orpheum Graz (Großer Saal)
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