Wie ein lautloses Schlagzeug

Matthias Schulz, kaufmännischer Geschäftsführer und künstlerischer Leiter der Stiftung Mozarteum, über das Experimentierfeld der „Dialoge“, den riskanten Mozart und die einfachen Dinge, die oft die größte Wirkung erzielen. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Zuerst die Dialoge, dann die Mozartwoche: Die Vielfalt der von der Stiftung Mozarteum auf die Bühne gebrachten Veranstaltungen lässt vermuten, Sie müssten sich in tausend Teile teilen, um den Anforderungen gerecht zu werden.

Matthias Schulz: Das müsste man tatsächlich, geht aber natürlich nicht. Zuallererst muss man in diesem Job Spaß dran haben, mit vielen Bällen in der Luft zu jonglieren. Die Vielfalt ist enorm und den Besonderheiten dieses Kulturbetriebs geschuldet: Einerseits ist die Stiftung Bürgergesellschaft, andererseits professioneller Betrieb. Jedenfalls ist sie aber einer der heterogensten Kulturbetriebe Europas: Wissenschaftsbetrieb, Museen, Festivals (Dialoge,  Mozartwoche), ein eigenes Jugendprogramm, internationale Projekte…

Die heurigen Dialoge haben das Thema „Licht“. Wieso?

Matthias Schulz: Georg Friedrich Haas sagt, dass eine Veränderung der Farben für eine Veränderung der Klänge sorgt. Licht hat in seinen Werken immer wieder eine Rolle gespielt. Er hat u.a. ein Werk für Licht und Orchester geschrieben. Er hat auch ein Werk mit dem Titel „Ins Licht“ geschrieben. Einige seiner Werke sind in absoluter Dunkelheit zu spielen, was letztendlich auch mit Licht und dessen Wahrnehmung zu tun hat. Das war der Ausgangspunkt. Dann nahmen wir Charles Yves dazu. Besonders ein Werk von Yves, nämlich die „Quarter Tone Pieces“, waren für die Entwicklung von Haas als Komponisten bahnbrechend. Das Werk wird auch zu hören sein.
Haas hat genau dieses Komponieren mit Teiltoneffekten, mit Mikrotonalität, ganz wesentlich fortentwickelt.
Yves schrieb auch ein Werk mit dem Titel „Central Park in the Dark“, wo ganz deutlich wird, dass auch bei ihm besondere Lichtverhältnisse ihren Niederschlag in das kompositorische Werk fanden. Bei Mozart wiederum spielte Licht eher im übertragenen Sinne eine Rolle, wenn man etwa an die „Aufklärung“ denkt.
Bei den Dialogen geht es auch darum, den synästhetischen Ansatz herauszuarbeiten: Uns liegt daran, über das reine Hören hinaus Neues zu entdecken, Musik in erweiterter Weise erfahrbar zu machen.

Was verstehen Sie unter dem „Prisma” zwischen Haas, Yves und Mozart, von dem im Programm die Rede ist?

Matthias Schulz: Damit haben wir schon letztes Jahr begonnen. Es geht darum, zwischen Mozart, einem zeitgenössischen und einem Komponisten des 20. Jahrhunderts ein Dreieck zu bilden. Ein Spannungsfeld soll entstehen. Es geht aber nicht darum, nur Gemeinsamkeiten aufzudecken. Im Gegenteil: Da können sich auch Abstoßungen auftun. Die Dialoge sind unser Experimentierfeld, wo wir viel Zeitgenössisches zu Wort kommen lassen, wo wir aber auch mit Formaten experimentieren.
Wir versuchen u.a., das Haus anders sichtbar zu machen. Wenn man reinkommt, wird vieles anders sein als sonst – auch, was die Lichtgebung anbelangt. Da arbeiten wir dieses Mal mit der tollen Lichtkünstlerin Brigitte Kowanz zusammen, von der auch einige Werke ausgestellt sein werden. Auch Elektronik und Video-Kunst werden eine maßgebliche Rolle spielen. Die Musiker werden anders platziert sein, man wird sie nicht nur von vorne erleben…

Georg Friedrich Hass verfolgt mitunter auch einen politischen Ansatz – ich denke an sein bei den Salzburger Festspielen vor zwei Jahren aufgeführtes Stück „In Vain“, bei dem es um die Grausamkeit der Wiederkehr geht – er gilt aber auch sonst als ein im äußerst positiven Sinne Unangepasster, der unangenehme Fragen stellt und nach Antworten darauf sucht. Ist er deshalb so aktuell? Oder anders gefragt: Muss ich viel wissen, um seine Musik zu verstehen?

Matthias Schulz: Wenn man Haas fragen würde, ob er ein politischer Komponist, würde er das wahrscheinlich verneinen. Da geht es, denke ich, eher um eine übergeordnete Vision, die er vermitteln will. Er ist jemand, dessen Musik man ganz intuitiv wahrnehmen kann. Deshalb würde ich Ihre letzte Frage ganz klar verneinen. Wenn man glaubt, das wäre eine verkopfte, intellektuelle Musik, bekommt man das hier in den Dialogen ganz klar widerlegt.
Das ist mir aber auch allgemein sehr wichtig: Bei den Dialogen braucht man keinen großen Rucksack an intellektuellem Wissen, um die Musik zu erfahren. Jemand, der noch nie bei uns war und keinen feinen Anzug hat, soll bitte auch unbedingt kommen. Der Preis ist auch kein Hinderungsgrund.

Weil niedrig eingestuft?

Matthias Schulz: Absolut. Wir wollen ermöglichen. Was aber nicht heißt, dass das Dargebotene nicht auf allerhöchstem Niveau stattfinden würde.

Georg Friedrich Haas geht in seiner Begeisterung für Licht so weit, Licht als eigenes Instrument zu begreifen. Wie sehen Sie das?

Matthias Schulz: Haas hat beispielsweise gesagt, zeitlich strukturiertes Licht wirke wie ein lautloses Schlagzeug. Er meint damit, dass das Licht als Dirigentenersatz wirken kann.

Als Taktgeber?

Matthias Schulz: Ja, vielleicht kann man das so sagen. Dass die Lichtatmosphäre einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung von Musik hat, kann ich nur unterstreichen. Ab der Hälfte des Auftragswerks, das wir an ihn vergeben haben, wird im Dunkel gespielt. Das muss man erlebt haben, weil es tatsächlich eine völlig andere Wahrnehmung des Gespielten bewirkt.

Kann man den Effekt psychoakustisch beschreiben?

Matthias Schulz: Das Entscheidende ist, dass sich die Fokussierung ändert. Man ist durch das Sehen oft abgelenkt. Das kann helfen, indem man sich die Stimme aus einem großen Orchester optisch herholen kann. Wenn man ein Werk orchestral gesehen hat, wird ja auch die CD desselben Stückes zuhause abgehört anders wahrgenommen.
Das Zerstören des Hörerwartungen aber ist etwas, das Haas sehr beschäftigt und auch an Mozart enorm reizt. Bei Mozart ist es doch so: Das klingt ja alles einfach. Aber er war der Meister im Zerstören von Erwartungen. Und das ist auch mit die größte Qualität, die sich laut Haas bei Mozart entdecken lässt. Er wird bei uns übrigens eine Lecture zu diesem Thema halten.
In Haas´ sechstem Streichquartett wird es besonders deutlich: Gerade diese radikale Verunsicherung des Hörens, eine konsequente Zerstörung von tonalen Fixpunkten herzustellen, ist enorm reizvoll und ein großer Antreiber in Haas Werk.

Auch das Klangforum Wien wird heuer vertreten sein.

Matthias Schulz: Ja, es freut uns ganz besonders, dass dieser tolle Klangkörper nach einigen Jahren wieder dabei sein wird. Es spielt die Uraufführung von „Wohin bist du gegangen“, in die auch der Bachchor eingebunden sein wird.
Es gibt übrigens noch ein zweites Auftragswerk an Haas, in dem er sich mit einem Fragment Mozarts beschäftigt. Davon gibt es einige, die der Wiederbelebung harren. Auch das wird enorm spannend.

Bleiben wir bei Mozart. Bei der Mozartwoche am Beginn des kommenden Jahres gehe es darum, sagen Sie, die künstlerische Vielfalt Mozarts erlebbar zu machen – einerseits im Programm, andererseits in der Interpretationsansätzen. Wie genau geht das?

Matthias Schulz: Es geht uns um die Bandbreite. Entscheidend ist, dass bei Mozart immer das „Sowohl als auch“ möglich ist: Zum einen der Klang der Wiener Philharmoniker mit modernen Konzertinstrumenten. Genauso aber gibt es viele Werke, die man im Originalklang gehört haben sollte, wie ihn etwa das Ensemble Les Musiciens du Louvre Grenoble unter der Leitung unsere künstlerischen Leiters Marc Minkowski praktiziert. Wir wollen zeigen, dass nicht nur beides möglich, sondern auch notwendig ist.

Wieso ist Ihnen persönlich der Originalklang so wichtig?

Matthias Schulz: Es ist dieser quer gebürstete Mozart, der so spannend ist. Dieses vibratolose Spiel, das von der Farbgebung und der Phrasierung sehr akzentuiert. Teilweise sind das radikale Interpretationsansätze, bei denen auch nicht immer alles funktionieren muss. Aber vor allem beim frühen Repertoire Mozarts hat es zu neuen, erweiterten Erfahrungen des Musikhörens gesorgt. Gerade in den letzten zehn Jahren hat sich da sehr viel getan und es gibt mittlerweile unheimlich tolle Ensembles in diesem Bereich. Das hat nichts mit Verstaubtheit zu tun. Im Gegenteil: Die Spielart kann extrem risikoreich sein und auf ihre Weise sehr modern wirken.

Inwiefern risikoreich?

Matthias Schulz: Mozart selbst hat viel improvisiert: Ort, Saal, die zur Verfügung stehenden Instrumente – das alles spielte eine Rolle, wurde aufgegriffen. Heute wenn wir ins Konzert gehen, ist das oft konfektioniert. Da ist das Orchester, das nach ganz bestimmten Spielregeln auftritt etc. Bei der Originalklang-Bewegung versucht man immer wieder diesen improvisierten Charakter herauszuarbeiten. Das ist sehr unakademisch und riskant.

Das Programm darf nicht in falsch verstandener Schönheit erstarren, sagen Sie auch. Heißt das, dass man Mozart nicht isoliert darbieten sollte, sondern in vielfältige Beziehung auch zu anderen Komponisten anderer Epochen setzen sollte?

Matthias Schulz: Ich verstehe es in beide Richtungen gedacht: einmal in die Richtung der eben erwähnten Interpretationsansätze, wo es gilt auch mal Risiken einzugehen. Und dann geht es, wie Sie richtig sagen, Beziehung zu andern Komponisten und auch zum Zeitgenössischen herauszuarbeiten, um so Mozart innerhalb eines Konzertes neu hör- und erlebbar zu machen.

Heuer wird der 300. Geburtstag Glucks begangen. Ich nehme an, das ist nicht der einzige Grund, weshalb ihm ein Schwerpunkt gewidmet wird.

Matthias Schulz: Natürlich ist der Geburtstag ein Anlass, aber Gluck hat das Musiktheaterschaffen Mozarts auch enorm beeinflusst. Es gibt Reiseberichte, die davon berichten, wie der Besuch von Gluck-Opern tiefen Eindruck bei Mozart hinterließ. Dazu kommt auch noch, dass Mark Minkowski einer der Gluck-Dirigenten überhaupt ist.

Gluck hat Mozart also nicht nur in szenisch-theatralischer Hinsicht, sondern auch in musikalischer Hinsicht beeinflusst?

Matthias Schulz: Gerade in musikalischer Hinsicht. Die Opern, die er gehört hat, beeinflussten ihn besonders. Man kann nachvollziehen, dass gerade Orfeo eine tiefe Rolle für Mozart spielte, was die Herangehensweise an Stoffe anbelangt.

Ein weiterer, vielleicht schwerer nachzuvollziehender Schwerpunk ist Arvo Pärt gewidmet.

Matthias Schulz: Er ist ein großer Klang-Experimentierer, bei dem die größten Momente durch die größte Einfachheit zu Tage treten. Und genau darin liegt die Parallele zu Mozart, bei dem gerade die am einfachsten strukturierten Dinge die größte emotionale Wirkung erzielen. Es ist ein Wunder, wie das passiert, dem es nachzuspüren gilt.

Pärt hat auch ein Auftragswerk für die Mozartwoche komponiert.

Matthias Schulz: Darauf sind wir besonders stolz, denn er hat fünf Jahre lang keinen Auftrag angenommen.

Und wie haben Sie ihn umgestimmt?

Matthias Schulz: Was in entscheidend dazu motivierte war, dass er den Streicherklang der Wiener Philharmonikern zur Verfügung hat. Wenn man weiß, wie wichtig ihm der Klang an sich ist, kann man das nachvollziehen.

Mit Carl Philip Emanuel Bach wird einem weiteren Zeitgenossen Mozarts ein Schwerpunkt gewidmet.

Matthias Schulz: Viele seiner Werke weisen einen großen Bezug zu Mozart auf. Das Hauptwerk, das wir zeigen ist die Auferstehung Jesu Christi, ein Oratorium, das Mozart einst handschriftlich abschrieb und dabei leicht editierte. Und genau diese Fassung, die im Wiener Musikverein liegt und uns zur Verfügung steht, wird erklingen.

Wie auch schon in den Vorjahren spielen auch heuer wieder Zyklen eine wichtige Rolle. Lassen Sie uns vielleicht einen herausgreifen: „Mozart 1784“. Was hat es damit auf sich?

Matthias Schulz: Ganz einfach: Es werden alle Werke gespielt, die in diesem Jahr entstanden. Für Andras Schiff und die Cappella Andrea Braca, einem eigens für die Mozartwoche gegründeten Orchester, ist es ein gutes Jahr, denn es entstanden ganze sechs Klavierkonzerte. Und ein Kammermusikwerk, das sich auf ein Thema Glucks bezieht. Durch die Zyklen an sich, das ist mir wichtig, werden Teilbereiche des Werks von Mozart als Ganzes erfahrbar macht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto MatthiasSchulz: Wolfgang Lienbacher

 

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