„Expat Blues“ heißt das neue Album von METALYCEE. Nik Hummer (Trautonium, Synths) über das Heimatgefühl in einer synthetischen Klangwelt und die alternative Denkwelt, die einem eine Band verschaffen kann. Das Interview führte Markus Deisenberger.
Auf dem neuen Album von Metalycee spielen Sie Trautonium, einen Vorläufer des Synthesizers. Wie sind Sie dazu gekommen?
Nik Hummer: Über den Synthi-Bauer, mit dem ich über Jahre zu tun gehabt habe und über den ich alle meine Synthesizer bezogen habe. Der hat für das technische Museum ein Trautonium restauriert. Mit meiner damaligen Band habe ich immer wieder Prototypen von Synthesizern für ihn getestet. Er hat das Trautonium restauriert und eine kommerzielle Variante davon gebaut. Die galt es zu testen. Und die hat mir auch von Anfang an irrsinnig getaugt. Die Geschichte dieses Instruments allein ist ja schon faszinierend: Woher es kommt, was es kann und nicht kann. Das Trautonium ist ja quasi der Urgroßvater aller elektronischen bzw. elektrischen Musikinstrumente, mit einem im Vergleich zum Theremin ungleich komplexeren Klang. Seine Klangfarbe hat viel mit der Musikgeschichte des 20. Jahrhundert zu tun und hat sich zeitgleich zu Schönberg und der Zwölftonmusik entwickelt. Es ging stark darum, neue Klänge für Kompositionen zu finden. Für mich setzt hier die Entwicklung der ganzen zeitgenössischen und auch der Unterhaltungsmusik ein. Heutzutage gibt es ja nur noch Klangfarbenmusik.
Würden Sie denn Ihre Musik als Stimmungsmusik bzw. Klangfarbenmusik bezeichnen?
Nik Hummer: Nein. Ich sehe das Tratonium einfach als ein weiteres Instrument. Das ist einfach das Instrument, das ich spiele. Metalycee ist keine Stimmungsmusik im eigentlichen Sinne.
(lacht) Aber grundsätzlich ist das eine gute Frage. Das Trautonium einzusetzen ist wohl so etwas wie der experimentelle Versuch, andere Farben in das klassische Unterhaltungsmusikspektrum rein zu bekommen. Nicht nur ästhetische, sondern auch inhaltliche. Über den Text und über die Zusammensetzung mit unserer Sängerin bzw. ihrem sehr speziellen Organ. Vom Durchschnittmenschen wird ihre Stimme meist als ungewohnt bis furchteinflößend wahrgenommen. Das haben wir schon oft gehört. Ich persönlich kenne keine vergleichbare Stimme. Es gibt ganz wenige Frauen, die solch eine Art und Weise zu sprechen und zu singen haben.
Stammen Ihre Texte von ihr?
Nik Hummer: Die Texte stammen teilweise von ihr, ja – teilweise selbst geschrieben und teilweise gesampelt. Es gibt Sylvia Plath-Samples, William Blake-Samples und verschiedenstes Ausgangsmaterial, das dann teilweise einfach neu zusammengesetzt wird. Es gibt aber auch Texte, die ausschließlich von ihr stammen.
Wie gehen Sie ans Werk? Wie ist die Reihenfolge? Entsteht zuerst der Text und dann die Musik oder umgekehrt? Und wieviele Leute sind an der Entstehung beteiligt?
Nik Hummer: Die Kernmannschaft steht sich sehr nahe, sowohl formalästhetisch als auch vom Zugang zum Kunsthandwerk und der Musikarbeit her. Es gibt zwischen uns einfach eine extrem enge zwischenmenschliche Beziehung und Verbindung. Es herrscht Verständnis. Beim Textmaterial geht es natürlich schon um Dystopien usw. Aber es ist auch romantisch. Wir haben alle einen ähnlichen Musikgeschmack und einen ähnlichen Blickwinkel auf die Musikhistorie, somit ist die Kommunikationsbasis gegeben. Die letzte Platte ist so entstanden, dass Melitta ein Mikro hingestellt bekommen hat und einfach anfing, dann setzen wir ein. Die Rohstruktur entsteht so in einer bis zwei Stunden. Meistens.
„Für unsere Musik ist der ideale Humus in Österreich leider nicht vorhanden.“
Trotzdem dauert es lange, bis letztlich ein ganzes Album dabei rauskommt. Wieso?
Nik Hummer: Das dauerte so lange, weil die soziale und gesellschaftliche Realität einfach gewisse Umstände produziert. So ist ein sehr wichtiger Teil der Band, Armin Steiner, ausgestiegen. Er hat komplett aufgehört Musik zu machen. Das war natürlich unschön, auch weil wir sehr gut befreundet waren. Er wollte einfach sein Leben ändern. Wenn man 15 Jahre hindurch fast täglich miteinander Musik macht, fällt einem so eine Trennung schwer. Es ist also nicht so leicht, eine Gruppe beieinander zu halten. Schließlich müssen auch Idee, ästhetische Ausformulierung und Detailarbeit stimmen. Dazu kommt noch, dass ich definitiv ein Perfektionist bin, was man auch von Bernhard Breuer, Matija Schellander und Melitta Jurisic behaupten kann. Das heißt: Wir arbeiten sehr lange und intensiv, bis alles sitzt. Dazu kommt noch, dass Melitta oft mehrere Monate im Ausland ist. Und wir alle leben nicht ausschließlich von der Musik. Das würde ich persönlich für mich auch nicht wollen. Ich muss also auch noch andere Sachen machen. Genauso Melitta, die schauspielert. Und ich kenne ehrlich gesagt gar keinen Musiker, der nur von einer Band oder einer Sache lebt. Jeder hat immer viel um die Ohren. Bei allen meinen Projekten und insbesondere bei Metalycee werden kollektive Entscheidungen getroffen. Wenn es also lang dauert, bis sich alle einigen, dann dauert es halt so lange. Es gibt keine Alleingänge, auch nicht beim Text. So entstehen Dinge, die alle mittragen und die speziell sind.
Was macht das Projekt besonders, worin liegt der Erfolg?
Nik Hummer: Sicher auch daran, dass wir nicht versuchen, die Musik auf jemanden zuzuschneidern. Wir wollen niemanden bedienen. Man könnte das Format von sieben auf vier Minuten kürzen. Es gäbe schon Möglichkeiten.
Wie reagiert der Markt auf Sie?
Nik Hummer: Der österreichische Markt ist für eine Band wie uns nicht einfach. In England würden wir uns vermutlich viel leichter tun. Aber wenn man wirklich konzentriert arbeiten will, braucht man eine gute Homebase, eine stabile Arbeitssituation. Mit fünf Leuten könnte man sich das auch gar nicht leisten, ständig nach London zu fliegen etc. Da müsste man für österreichische Verhältnisse schon ein großer Act sein, um sich das leisten zu können, und auch Veranstalter zu akquirieren. Für unsere Musik ist der ideale Humus in Österreich leider nicht vorhanden. Das soll aber kein Jammern sein.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich Touren und dergleichen einfach nicht mehr antun…
Nik Hummer: Genau. Vor zehn Jahren habe ich bewusst aufgehört auf Tour zu gehen. Das Musikerleben ist mit Familie und Kind nicht gut zu vereinbaren. Und unter einem gewissen Level ist es einfach unseriös, diese Musik live zu spielen, weil wir schon eine sehr aufwändige Umsetzung haben. Es wird auf der Bühne alles live gedubt. Wir mischen live, mit einem komplexen System, das nicht einfach auf die Bühne zu bringen ist. Man braucht Probezeit usw. Wenn du aber live kaum nicht existierst, hast du heutzutage Schwierigkeiten.
Wie oft und wo kann man Sie live erleben?
Nik Hummer: Im Moment gar nicht. Das ist schade, aber ist nun mal so. Bei Metalycee geht es auch darum, einen Wertbegriff, den ich sehr ernst nehme, zu wahren. Wenn wir also unser Werk nicht so umsetzen dürfen, wie wir es wollen, dann machen wir es auch nicht. Und wir müssen es auch nicht machen. Jeder hat seine Nebenprojekte. Ich kann sicher sagen, dass ich von Metalycee nie im Leben werde leben können. Da braucht man sich nichts vorzumachen. Insofern legt jeder seinen Fokus auf das, wovon er leben kann. Was Metalycee anbelangt, ist für mich das Wichtigste, dass es veröffentlich wird, die Distribution stimmt, damit es sich die Leute auch anhören können. Der künstlerische Entstehungsprozess zählt.
Nachdem ich alle drei Platten hintereinander gehört habe, kommt es mir so vor, als gebe es auf „Expat Blues“ auch völlig neue Einflüsse.
Nik Hummer: Ja, wir haben eine völlig neue Arbeitsmethode entwickelt. Während des Jammens, wenn sich die Musik entwickelt, haben wir gleichzeitig versucht, uns selber zu bearbeiten und zu manipulieren. Dadurch ist es klanglich eine viel elektronischere Platte geworden. Durch den Ausfall von Arnim musste ich die Basslinien mit Synthi oder Trautonium spielen, was es noch einmal synthetischer und live anspruchsvoller macht. Du hast ja einen Synthesizer, auf dem du nichts speichern kannst. Das ist eine harte Aufgabe, aber machbar. Bei diesem Album gibt es aber auch einen Gospel- und Blueseinschlag.
„Die aus heutiger Zeit einzig wirklich relevante Neuerung seit dreißig Jahren in der Musik ist doch der Hip Hop.“
Blues? Tatsächlich?
Nik Hummer: Ja. Das Schöne an Metalycee ist ja, dass wir versuchen, mit einem nicht digitalem Instrumentarium, mit analoger Filterung und mit analogen Effekten und analoger Mikrofonierung, im Klang Modernität zu erzeugen, gleichzeitig aber das Alte beizubehalten. Diese holzigen Töne des Tratnonium etwa, das immer eine leichte Patina in der Soundästhetik hat. Was uns fern liegt, ist irgendeinem Style oder irgendeiner Mode wie etwa DubStep zu folgen. Der einzige wirkliche Einfluss ist Blues und afrikanische Musik bzw. auch Groove.
War Kraftwerk ein Einfluss für Ihre Soundästhetik?
Nik Hummer: Ich finde Kraftwerk zwar interessant, aber ich lasse mich und auch die anderen nicht davon beeinflussen. Für mich ist dieses Mensch-Maschine-Ding in der elektronischen Musik ein großes Missverständnis. Es gibt einfach andere Kategorien, die ich wesentlich spannender finde, z.B. das soziale Setup, die persönliche Lebensumwelt eines Musikers und wie sich die in der Musik niederschlägt. Die aus heutiger Zeit einzig wirklich relevante Neuerung seit dreißig Jahren in der Musik ist doch der HIPHOP. Das war revolutionär. Die tonale Musik ist abgefrühstückt. Die existiert eigentlich gar nicht mehr. Ich schätze, in zehn bis zwanzig Jahren ist die tonale Musik in der Unterhaltung nicht mehr vorhanden. Es geht nur noch um Sampling, Klangfarben und Proportionen, aber nicht mehr um perfekte Intonierung.
Und wie verhält sich Metalycee zu diesem Trend?
Nik Hummer: Ich denke, es gibt eine Art Heimatgefühl in einer synthetischen Klangwelt und eine alternative Denkwelt. Das ist auch das, was Metalycee probiert: Nämlich ästhetisch bei sich zu bleiben und nicht denselben Effekt zu verwenden, wie auf dreißig anderen Platten. Man muss seinen eigenen Sound finden und diesem treu bleiben.
Und wie würden Sie diesen Ihren eigenen Sound beschreiben?
Nik Hummer: (lacht) Warm und sexy. Keinesfalls kalt. Dass ich unsere Musik wahrnehme, ist eine Art persönlicher Fetisch von mir. Die großen Pausen, die große Leere und dieses Kahle – das alles ist Metalycee überhaupt nicht. Wir versuchen voll zu sein. Es gibt nur ein Stück, das ein bisschen kahler ist, eine Rocksteady-Coverversion von einer der wunderschön-kitschigsten Rocksteady-Nummern: „The right track“. Das ist sehr speziell. Ich wollte mit Metalycee immer schon eine Coverversion machen. Und dieses Mal hat es endlich gepasst.
Sie haben gesagt, Sie spielen nicht live. Wird es den sonst eine Promotion für das neue Album geben?
Nik Hummer: Nein. Plattenpromotion passiert nicht. Ich fühle mich zu alt dafür, quasi betteln zu gehen und um Reviews zu bitten. Vor zehn Jahren hatte ich diese Energie noch, heute nicht mehr. Die jetzige Band ist nicht vom Erfolg oder Geld getrieben. Wir müssen nicht wahnsinnig erfolgreich sein. Wir sind abgesichert. Mir ist es lieber, nicht super erfolgreich zu sein, als eine Platte an eine Zeitung wie den Standard zu schicken, um dann draufzukommen, dass das die Leute dort nicht einmal periphär interessiert.
Sie haben schon mit Sunn O))) und Mike Patton zusammen gearbeitet, sind Sie ein Kenner der New Yorker Musikszene. Was ist der Unterschied?
Nik Hummer: Der Unterschied zwischen der New Yorker Musikszene und der Wiener ist, dass in NY alles offener und kooperativer ist. Es gibt keinerlei Standesdünkel. In Wien geht es oft nicht um die Qualität die du machst, sondern darum, wer du bist und wie man dich einschätzt. In den USA zählt nur die Leistung. Die geben dir auch sofort eine Chance. Du kannst dadurch, vorausgesetzt natürlich, du kannst etwas und beweist dich, auch sehr schnell mit echten Größen zusammenzuarbeiten und lernst so viele Leute kennen.
Vielen Dank für das Gespräch.