AUSTRIAN MUSIC THEATRE DAY: Eine Willkommenskultur fürs Musiktheater

Sind Uraufführungen ein Fetisch, wo ist das Publikum, wie lässt sich fair bezahlen, wie gleichberechtigen? Der erste AUSTRIAN MUSIC THEATRE DAY in Wien suchte nach Antworten.

Nicht alle müssen Neue Musik lieben. Eifrig wurde genickt, als ein Herr im mittleren Alter berichtete, was zuvor an einem Thementisch erarbeitet wurde. Draußen vor dem WUK schien die Sonne und drinnen im WUK steckten rund sechzig Enthusiasten die Köpfe zusammen. Auch wenn nicht alle Neue Musik lieben müssen, so müssten die Menschen dennoch Erfahrungen mit dieser Musik sammeln können. Es wurde eifrig genickt. Nur wie zeitgenössisches Musiktheater zugänglicher werden kann, darüber schien es weniger Einigkeit zu geben. Die Meinungen waren vielfältig. Das Publikum würde bei sehr experimentellen Stoffen ausbleiben, manche Themen wären zu depressiv, zu weit weg von der Gesellschaft, die Haltung zu paternalistisch. Werbung und Kommunikation, bessere Memes und bessere Kontakte, damit könnte man die Menschen doch erreichen. Andere wiederum wollten in den öffentlichen Raum hinausgehen und auch die Werkbeschreibungen in den Programmen müssten besser werden. So könnte Musiktheater begeistern. So kann Willkommenskultur.

Kooperation

Austrian Music Theatre Day / Ulrike Kuner (c) Joe Albrecht

Der Austrian Music Theatre Day 2019 wurde früh mit einer Keynote von Ulrike Kuner vom Kulturrat eröffnet. Damals in den frühen Neunzigern, erzählte sie, sollte an der Wiener Staatsoper das zeitgenössische Stück “Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann aufgeführt werden. Der Dirigent hätte in einer Probe das Orchester angefahren: „Ihr seid die Philharmoniker, ihr müsst das spielen können.“ In der Echokammer der Oper hätte sich in den letzten Jahrzehnten viel verändert. All die Gespräche hätten sich gelohnt, meinte Kuner, heute gäbe es ein funktionierendes Netzwerk und Vertrauen von Entscheidungsträgern, Pläne können sofort in Angriff genommen werden. Gemeinsam hinterlässt man so Impact.

Hinterher wurde an Tischen diskutiert, wie Musiktheater der Gegenwart funktioniert, wie Produktionsrealitäten aussehen, wie sich die Rolle des Künstlers verändert oder wie es um die Gleichstellung der Geschlechter steht. Frauen, so wurde berichtet, gäbe es an den großen Häusern gerade in Führungspositionen kaum, während mittlere Positionen überwiegend in weiblicher Hand seien. Im Norden Europas wäre die Situation besser als im Süden, für junge Frauen gäbe es heute ein besseres Umfeld. Nach Lösungen wurde ebenfalls gesucht. Es brauche Diskussionen über Besetzungen, Diskussionen darüber, nach welchen Kriterien wer entscheidet, und diese müssten auf relevanten Ebenen geführt werden, in großen Medien und mit den politischen Entscheidungsträgern. Für ein Repertoire, das auch Frauen wichtige Rollen bietet, könne der Bechdel-Test aus der Filmindustrie adaptiert werden. Werke werden dabei nach einem Mindestmaß von Repräsentation von Frauen gescannt. Verpflichtende Transparenz bei den Gehältern in Führungspositionen kann außerdem Klarheit geben, wie gut oder schlecht es um den Gender Pay Gap bestellt ist.

Sängerinnen und Sänger gleichermaßen wären mittlerweile ganz unten angekommen, wurde an einem anderen Thementisch geklagt, wenn es um Honorare geht. Gibt es wenig Geld, wird bei Musikerinnen und Musiker gespart. Tontechniker wären manchmal nicht gut, Tänzer verdienen noch weniger als Schauspieler, für Komponistinnen gibt es nicht genug Aufträge. Und generell würden Kreative zu oft wie Wirtschaftstreibende behandelt werden. Dass es in der Ukraine lange Zeit gar kein Geld außerhalb der etablierten Häuser gab, sondern nur blanken Enthusiasmus für eine Sache, war für die Anwesenden eher kein Trost.

Kooperation, Kooperation

Aus vier sehr unterschiedlichen Perspektiven wurden dann nachmittags diskutiert, wie Produktionen und Kooperationen funktionieren. Unter den Panelisten steuert Hermann Schneider als Intendant des Landestheater Linz den größten Dampfer. 800 Angestellte zählt man dort, 40 neue Produktionen und insgesamt 900 Performances pro Saison auf fünf Bühnen. Musicals wie „Sister Act“ und “Les Miserables” stehen auf dem Spielplan, um Geld zu machen. Das schafft die finanzielle Sicherheit, sodass beispielsweise Heiner Müllers Inszenierung von „Tristan und Isolde“ aufwändig rekonstruiert werden kann. Die Nutzungsrechte liegen in Bayreuth, alleine deshalb war hier eine Koproduktion nötig. Eine andere Produktion wird heuer noch durch die EU gefördert. Außer Linz sind noch Modena und das serbische Novi Sad beteiligt, die Teile parallel produzieren. Und “Medea” sparte als Koproduktion mit der Opera de Nice deutlich Kosten für Kostüme und Bühnenbild.

Austrian Music Theatre Day / Publikum (c) Joe-Albrecht

Auf diesem Marktplatz werde gedealt, angboten und nachgefragt, so Hermann Schneider. Und während bei großen Institutionen oder der Europäischen Union teils viel Geld läge, sei es dennoch unglaublich kompliziert, an dieses zu kommen. In Linz können dafür Personen angestellt werden, kleine Häuser können das kaum. Und das wäre nicht fair. Deshalb sollte Wissen über Förderungen und Netzwerke an den Universitäten, im Kultur- und im Musikmanagement unterrichtet werden. Koproduktion in Linz müssten eine Lücke im eigenen Angebot schließen und selbstverständlich Plätze füllen. Denn Hermann Schneider muss schlappe 10 Millionen Euro jährlich einspielen.

Austrian Music Theatre Day/Panel (c) Joe Albrecht

Der Ansatz von Airan Berg vom Festival der Regionen ist da anders. Er steckt dieselbe Energie in jede Produktion, ganz gleich ob sie drei oder dreihundert Mal gespielt wird. Vielfach braucht es dafür Partner, aber die richtigen, nämlich solche, die zum Inhalt passen und die Vision verstehen. Mit den Jahren kommt Erfahrung hinzu, man würde ein Gefühl bekommen und letzten Endes mit dem Bauch entscheiden. Residencies helfen dem Festival dabei, dass es vor Ort besser verankert ist. Laura Artoni (proscena Milan) wiederum arbeitet ganz alleine, sie braucht Netzwerke und Kooperationen. Wenn ein Projekt dann auf Tour geht, bedeutet das erst, dass es lebt.

Kooperation, Kooperation, Kooperation

Guy Coolen aus Rotterdam brachte die Perspektive eines mittleren Hauses ein. Viele Produktionen würden außerhalb der Niederlande erst gar nicht funktionieren, meinte er, als Produzent muss er zuerst an Künstler glauben, in zweiter Linie an das Projekt. Wenn diese international arbeiten möchten, zeigt er ihnen, wie das klappen kann. Er begreift sich als Link zu größeren Häusern. Auf Premieren verzichtet er gerne und nimmt Stücke dankend, wenn sie fixfertig zu ihm kommen. Ein Problem wäre allerdings, dass vielfach Exklusivität gefordert wird, meistens für ein ganzes Land für ein ganzes Jahr. Airan Berg hakte da ein. Ihm wäre schon passiert, dass große Festivals Gruppen nicht mehr einladen, selbst wenn sie mit einem anderen Stück in Österreich gastieren. Er glaubt, dem Publikum sind solche Eitelkeiten völlig egal, stattdessen will es doch einfach nur gutes Theater sehen.

Am Ende mischte Hermann Schneider dann noch eine Prise Fatalismus bei. Menschen sterben. Opernhäuser werden verschwinden. Wir würden heute immerhin fast nur noch tote Komponisten aufführen, es gibt kaum lebendige, die mehr als einmal aufgeführt werden, und von den anderen wird man nie wieder hören. Weinen will er deshalb nicht. Und vielleicht kommt er sogar nächstes Jahr wieder.

Stefan Niederwieser

Link:
Musiktheatertage Wien