SCHLUSSERKLÄRUNG Klausurtagung UNESCO

Nach den von der Österreichischen UNESCO-Kommission organisierten ExpertInnen-Klausuren 2008 und 2009 traten am 17. Mai 2011 VertreterInnen des österreichischen Kunst- und Kulturlebens zusammen, um die Fortschritte in der Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu analysieren. Das Übereinkommen, das seit März 2007 für Österreich bindend ist, zielt auf die Schaffung eines förderlichen Umfeldes für die Entfaltung einer Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ab. Dabei kommt der Zivilgesellschaft eine grundlegende Rolle zu. Um diese wahrnehmen zu können, bedarf es jedoch einer aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft an Formulierung, Implementierung und Monitoring kulturpolitischer Maßnahmen, wie das Übereinkommen feststellt. In diesem Sinne legt die in Wien versammelte ExpertInnengruppe folgende Schlusserklärung vor:

Die ExpertInnen begrüßen die Fortschritte, die in der Koordinierung der Querschnittsmateri „kulturelle Vielfalt“ erzielt wurden: So wurden die in Artikel 28 des Übereinkommens vorgeschriebene Nationale Kontaktstelle bei der Österreichischen UNESCO-Kommission etabliert und Gremien der interministeriellen Zusammenarbeit (z.B. Fachbeirat Kulturelle Vielfalt, Interministerielle Arbeitsgruppe zur Verbesserung der sozialen Lage der KünstlerInnen) ins Leben gerufen. Trotz dieser verbesserten Ausgangsbedingungen für Zusammenarbeit und Dialog mit der Zivilgesellschaft bleiben die Fortschritte in der Umsetzung des Übereinkommens auf einzelne Bereiche und punktuelle Maßnahmen begrenzt (z.B. Schaffung der Bundesförderung für nichtkommerzielle Medien, Absicherung der Buchpreisbindung, Novellierung des Schauspielergesetzes).

Die ExpertInnen appellieren daher an die EntscheidungsträgerInnen, Maßnahmen zu Schutz und Förderung der kulturellen Vielfalt in einem partizipativen Prozess mit der Zivilgesellschaft zu setzen. Ein derartiger Prozess darf nicht auf die Anhörung der Belange des österreichischen Kunst- und Kultursektors beschränkt sein, sondern muss sich in konkreten Maßnahmen, die umgesetzt und evaluiert werden, ausdrücken. In folgenden Bereichen stellt die ExpertInnengruppe hinsichtlich der Umsetzung des UNESCOÜbereinkommens Handlungsnotwendigkeiten fest:

MEDIENVIELFALT ERNST NEHMEN!
Das UNESCO-Übereinkommen erkennt klar die entscheidende Rolle der Medien für Schutz und Förderung kultureller Vielfalt an. Die ExpertInnen rufen daher in Erinnerung, dass eine Vielzahl an Medien keineswegs mit einer Vielfalt an Medieninhalten, die die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft in all ihren Facetten widerspiegelt, gleichzusetzen ist.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
Die ExpertInnen appellieren daher an den ORF, dem als öffentlich-rechtlicher Rundfunk gemäß dem gesetzlichen Auftrag zentrale Verantwortung bei der Vielfaltssicherung zukommt, ein klares Bekenntnis zu kultureller Vielfalt abzugeben. Dies bedeutet, die kulturelle Vielfalt der österreichischen Gesellschaft als selbstverständliches Faktum zu behandeln, das sich in der Programmierung und Programmgestaltung, im journalistischen aber auch im fiktionalen Bereich, widerspiegelt. Die derzeitigen Nischenprogramme wie z.B. „Heimat, fremde Heimat“ oder die jeweils sechsmal im Jahr gesendeten 25-minütigen Magazine in der jeweiligen Volksgruppensprache, die nicht österreichweit gesendet werden, spiegeln die in Österreich gelebte Realität nur unzureichend wider. Ein klares Bekenntnis zu kultureller Vielfalt bedeutet auch, den größtmöglichen Zugang zum kulturellen Angebot zu gewährleisten. Die ExpertInnen fordern daher die Verantwortlichen dazu auf, dem geplanten Informations- und Kulturkanal ORF III die Frequenz von TW1 zuzuteilen.

Gemeinnützige, kommunalen Medien
Gemeinnützige Medien wie die Freien Radios Österreichs leisten einen beachtlichen Beitrag zur Medien- und Meinungsvielfalt. Sie zeichnen sich unter anderem durch zielgruppenspezifische Programme für die lokale Bevölkerung aus, die im offenen Zugang unter aktiver Beteiligung der Menschen vor Ort entstehen, insbesondere von medial marginalisierten Gruppen. Auf diese Weise leisten die Freien Radios neben ihrem medialen Komplementärauftrag auch einen Beitrag zur Entwicklung von Medienkompetenz. Die ExpertInnen rufen die Länder dazu auf, es dem Bund gleich zu tun und entsprechende gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen, etwa durch (Einführung und) Zweckwidmung der Landesmedienabgabe zu Gunsten der gemeinnützigen Medien.

KULTURELLE VIELFALT IM SCHULWESEN VERANKERN!
Der Zugang zum kulturellen Angebot hängt nicht nur von materiellem Wohlstand, sondern auch von entsprechenden Bildungsangeboten ab. Hierzu bedarf es der Bewusstseinsbildung für Kunst und Kultur sowie der Entwicklung kreativer Kompetenzen und Fertigkeiten, wie auch das UNESCO-Übereinkommen feststellt. Ein für kulturelle Vielfalt sensibles Bildungssystem lässt sich folglich nicht auf standardisierte, in allen Bereichen vergleichbare Leistungskataloge und Beurteilungsschemata reduzieren. Die ExpertInnen erwarten, dass Reformen des österreichischen Bildungssystems (z.B. Einführung der Zentralmatura, Ausbau der ganztägigen Schulformen) die weitreichende Bedeutung von kultureller Vielfalt, Kunst und Kultur widerspiegeln.

LEBENS- UND ARBEITSBEDINGUNGEN IM KUNST- UND KULTURSEKTOR VERBESSERN!
Mit Beitritt zum UNESCO-Übereinkommen hat sich Österreich zur Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen für das Kunst- und Kulturleben verpflichtet. Tatsache ist jedoch, dass die Lebensund Arbeitsbedingungen von Kunst- und Kulturschaffenden durch nicht ausreichende soziale Absicherung, Prekarität sowie Mobilitätsbarrieren gekennzeichnet sind. Trotz etlicher Bemühungen (Stichwort: Studie zur sozialen Lage der KünstlerInnen, IMAG Prozess) ist hier noch keine substantielle Verbesserung der Lage in Sicht. Für die überwiegende Mehrzahl der KünstlerInnen scheint perspektivisch eine Altersarmut unabwendbar bzw. ist bereits heute Realität. Die ExpertInnen appellieren daher dringend an die verantwortlichen Stellen, Maßnahmen zu setzen, die im Sinne des Übereinkommens tatsächlich förderliche Bedingungen für ein vielfältiges künstlerisch-kulturelles Schaffen in Österreich herstellen.

Soziale Absicherung
Die Vereinfachung und Senkung der Zutrittsschwellen zu Sicherungssystemen sowie eine bessere Vereinbarkeit verschiedener Versicherungssysteme sind dringend geboten. Dies bedeutet unter anderem, die Berufsspezifika künstlerischer Tätigkeiten gebührend zu berücksichtigen – etwa durch Streichung der Einkommensuntergrenze und der Pensionsklausel beim Künstler- Sozialversicherungsfonds oder Anpassung der Bestimmungen der Vorsorgeversicherung an die tatsächliche Lebens- und Einkommenssituation von KünstlerInnen im Alter. Ebenso ist die Definition der Berufsausübung von KünstlerInnen, die einzelnen Versicherungsleistungen zu Grunde liegt, zu erweitern: Sowohl der in Österreich eng definierte Kunstbegriff an sich ist signifikant zu erweitern als auch die Bereiche Lehre und Vermittlung mit einzubeziehen. Darüber hinaus ist die Aufnahme weiterer Bereiche wünschenswert, etwa publizistische Tätigkeit, wie es beispielsweise in Deutschland Praxis ist.

Urheberrecht
Kulturelle Güter und Dienstleistungen produzieren eine beträchtliche Wertschöpfung, die wesentlich durch die Vermarktung von professionellen VermittlerInnen und Kulturunternehmen wie Verlagen, Theatern, Konzertveranstaltern, Rundfunkanstalten, Film-, Tonträger- und MultimediaproduzentInnen erzielt wird. Trotzdem ist es häufig der Fall, dass Kulturschaffende und KünstlerInnen davon nur wenig profitieren, weil sie in Vertragsverhandlungen oft wirtschaftlich mächtigen VertragspartnerInnen in einer schwächeren Position gegenüberstehen. Die grundsätzlich geltende Vertragsfreiheit verhindert fairere Vertragsbedingungen zu Gunsten der UrheberInnen. Zum Schutz der Kreativen und UrheberInnen ist daher ein Urhebervertragsrecht einzuführen. Da nicht davon auszugehen ist, dass alle Vertragsparteien dies befürworten werden, appellieren die ExpertInnen an den Gesetzgeber, pro-aktiv Schritte zur Etablierung vertraglicher Mindeststandards zu setzen.

Das UNESCO-Übereinkommen verankert klar das Prinzip der Technologieneutralität für kulturelle Güter und Dienstleistungen. Dennoch hinkt die Rechtsentwicklung den technologischen Entwicklungen hinterher. So sehen sich RechteinhaberInnen im Bereich Reprographie- und Leerkassettenvergütung mit einer bizarren Situation konfrontiert: Während für analoge Kopien z.B. auf Papier eine Urheberrechtsabgabe zur Vergütung privater Kopien urheberrechtlich geschützten Materials vorgesehen ist, werden für digitale Kopien urheberrechtlich geschützter Werke, z.B. aus dem Internet oder von diversen Speichermedien auf Festplatte, keine Urheberrechtsabgaben eingehoben. Mit dem dramatischen Einbruch der Mittel, die Verwertungsgesellschaften aus der Leerkassettenabgabe lukrieren, und die gemäß dem gesetzlichen Auftrag zur Hälfte für soziale und kulturelle Einrichtungen (SKE-Fonds) verwendet werden müssen, entfällt ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung bei sozialen Notlagen von KünstlerInnen und zur Sicherung diverser Einrichtungen wie Festivals oder Archive. Die ExpertInnen fordern den Gesetzgeber daher auf, im Sinne der im Übereinkommen verankerten Technologieneutralität die notwendigen Anpassungen der Vergütungsregelungen vorzunehmen (Festplattenabgabe bzw. Abgabe auf sämtliche Speichermedien). Es gilt die gesetzlichen Regelungen auf das Faktum der Vervielfältigung abzustellen und nicht auf die jeweiligen, dem beschleunigten technischen Wandel unterworfenen aktuellen Vervielfältigungsmedien.

Auch in weiteren Bereichen ist der Gesetzgeber gefordert, aktiv Schritte zur Anpassung der Rechtsvorschriften an die neuen Technologien zu setzen, etwa im Bereich Digitalisierung und Online-Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke durch Bibliotheken und Archive: Um die Online-Nutzung von Werken, deren RechteinhaberInnen (bzw. deren RechtsnachfolgerInnen) nicht identifiziert oder ausfindig gemacht werden können – sogenannte „verwaiste Werke“ – auf einer soliden Rechtsbasis zu ermöglichen, sollte ein Lizenzierungsmodell über Verwertungsgesellschaften etabliert werden.

Mobilität von KünstlerInnen
Mit Beitritt zum UNESCO-Übereinkommen hat sich Österreich dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Erleichterung der Mobilität von KünstlerInnen und Kulturschaffenden aus Drittstaaten, insbesondere Entwicklungsländern, zu ergreifen. Demgegenüber steht der faktische Stillstand – sowohl im Hinblick auf Visabestimmungen und -abwicklung für kurzfristige künstlerische Aufenthalte in Österreich von Nicht-EU-BürgerInnen, als auch im Hinblick auf die Chancen desselben Personenkreises, längerfristig bzw. dauerhaft eine künstlerische Tätigkeit in Österreich ausüben zu dürfen. Insbesondere für letzteres haben sich die Bedingungen mit den Fremdenrechtsnovellen 2006 und 2011 de facto gravierend verschlechtert. Obwohl konkrete Verbesserungsvorschläge erarbeitet und ausgiebig diskutiert wurden (z.B. Forderungskatalog des Kulturrats Österreich), steht die tatsächliche Rechtsentwicklung dem vorangegangenen Diskussionsprozess zur Erleichterung der Mobilität ebenso diametral entgegen wie den entsprechenden Vorkehrungen des UNESCO-Übereinkommens.

Strukturförderung
Zivilgesellschaftliches Engagement – auch im Kulturbereich – ist ohne die entsprechende infrastrukturelle Basis nur schwer möglich. Professionelle Arbeit kann nur auf Grundlage entsprechender Infrastruktur geleistet werden. Die gängige Praxis, nur mehr Projekte und keine Strukturen mehr zu fördern, führt dazu, dass jene Institutionen, die noch Strukturen haben, diese zur Verfügung stellen und Netzwerkknotenpunkte bilden. Die Diversität bleibt bei dieser Verdichtung auf einige wenige Institutionen auf der Strecke und widerspricht den legitimen Interessen der künstlerischen Berufsverbände und ähnlicher kulturpolitischer Initiativen, die sich den Herausforderungen einer immer komplexeren (Arbeits-)Welt stellen müssen. Die ExpertInnen weisen in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass die in der Zivilgesellschaft entwickelten Expertisen ein unschätzbares Potential für den Gesetzgeber bei der Entwicklung, der Implementierung und dem Monitoring kulturpolitischer Maßnahmen darstellt, dieses Wissen aber nur auf der Basis von Strukturen – und nicht projekthaft – erarbeitet und weitergetragen werden kann.

Unterzeichnet von
Gabriele Eschig, GS Österreichische UNESCO-Kommission

TeilnehmerInnen der Klausur:
Michaela Adelberger – Verband Freier Radios Österreich
Zuzana Brejcha – Dachverband der Filmschaffenden und Kulturrat Österreich
Gabriele Gerbasits – IG Kultur Österreich
Harald Huber – Österreichischer Musikrat
Sabine Kock – IG Freie Theaterarbeit und Kulturrat Österreich
Maria Anna Kollmann – Dachverband der Filmschaffenden
Gerhard Ruiss, Ludwig Laher – IG Autorinnen Autoren
Franz Patay – IMZ – International Music + Media Centre
Paul Zajacz – EU XXL film. Forum for European Film

 

https://www.unesco.at/kultur/vielfalt-kultureller-ausdrucksformen/