Porträt: Gustav

Sich dem Phänomen Gustav anzunähern gestaltet sich nicht ganz einfach. Von welcher gattungstheoretischen Himmelsrichtung man auch darauf zusteuert, es läuft niemals rund. Da wird zunächst einmal die ganz allgemeine Vorstellung unterlaufen, ein musikalisches Erfolgsprojekt hätte per se Top-Priorität.

Stattdessen sollte aus Gustav eine künstlerisch integre Geschichte werden, die sich nicht nur der raschen Vermarktung inklusive antizipierter Verheizung entzog, sondern auch auf erratischen Output angelegt war: Zu hören sollte es geben, wenn es etwas zu sagen gab. Dann wäre da die Tradition des Protestsongs, der sich Mastermindesse Eva Jantschitsch vermutlich nicht unbedingt verpflichtet fühlt, deren Spurenelemente sich jedoch im Gros der Songs nachweisen lassen: Schwarz-Blau, 9/11, Wirtschaftskrise, Resignation und Agitation werden nicht nur subtextuell verhandelt. Was Jantschitschs Liedgut wohltuend abhebt ist die relative Komplexität von Komposition und Arrangement. Denn während der handelsübliche Protestsong sich hier zumeist simpler Schemata und Strukturen bedient, um politisch-gesellschaftliche Missstände mit ungebotener Leichtigkeit anzuprangern, schlägt die propagierte Verweigerungshaltung bei Gustav auch im Musikalischen nieder. Aus dem Blickwinkel des Pop lässt sich daher zunächst eine entsprechende Sperrigkeit konstatieren. Das unvorhersehbar mäandernde Songwriting würgt dem Karaokepotential die Luft ab und die enorme Textlastigkeit schreit eher nach kontemplativer Auseinandersetzung denn Wohlfühlextase. Der Begriff Indie schließlich ist durch den inflationären Gebrauch mittlerweile dermaßen schwammig geworden, dass er kaum noch zu brauchbaren Unterscheidungen taugt. Der DIY-Gedanke scheint für Jantschitsch zweifellos ein Thema, die eigenhändig gehaltenen Zügel und die selbstbewusst eingeschlagenen Grenzpflöcke, welche der Vereinnahmung den Zutritt untersagen, machen klar, dass Indie hier allenfalls noch eine Geisteshaltung meint. Woher also die Breitenwirksamkeit, die Gustav mit dem Debütalbum „Rettet die Wale“ 2004 erzielt und – trotz nur eines einzigen Nachfolgealbums – offenbar gepachtet hat?

Die gebürtige Grazerin Eva Jantschitsch kam schon in Kindertagen in die Tretmühle regelmäßigen Geigenunterrichts. Viele Jahre später ging sie nach Wien, um an der Angewandten „Visuelle Mediengestaltung“ und „Digitale Kunst“ zu studieren. Hier kam sie wohl auch mit feministischen, soziologischen und politischen Diskursen intensiv in Kontakt, wovon die anfänglichen musikalischen Schritte zeugen, die sie ab 2002 im Rahmen des Frauenbandenfestes unternahm. Zwei Jahre später erscheint das Erfolgsalbum „Rettet die Wale“ (Mosz/Cargo Records), das ihr scheinbar alle Türen aufstößt: Amadeus-Award, Auftragsarbeit für die Wiener Festwochen und unzählige Konzert- und Großmanagement-Angebote. Doch Jantschitsch rudert zurück, wiegelt ab und hält viele jener empfohlenen Schritte nicht ein, welche die Betriebsanleitung zur Bilderbuch-Popkarriere anführt. Das integre Projekt Gustav sollte keinesfalls in die Verwertungsmechanismen des Musikbusiness geraten und so ihre künstlerische Haltung desavouieren. Folglich dauerte es einige Bühnenjahre, bis sich genügend Material für ein neues Album angesammelt hatte. 2008 erschien dieses unter dem Namen „Verlass die Stadt“ (Chicks on Speed Records) und wurde von Feuilletons und Publikum erneut frenetisch bejubelt. Neben dieser Arbeit im klassischen Bandgefüge beschäftigt sich Jantschitsch auch mit musikalischen Beiträgen zur Film- und Bühnenwelt. Sie kapriziert sie sich also nicht auf einen Arbeitsbereich, sondern pendelt biographisch zwischen Musik und Lyrik, digitaler Visualisierung und analogem Performance-Theater.

Für die anspruchsvolle, denkende Pop-Hörerin ist Gustav natürlich ein echter Glücksfall. Die prononcierte Lyrik und das ungewöhnliche Soundgewand verlangen nach eingehender Beschäftigung, entziehen sich anfangs mehr als auf uns zuzugehen. Nichtsdestoweniger bedarf es anscheinend keines geoffenbarten Innenlebens und personellen Überschwangs, um auch ein breites Publikum zu überzeugen. Darf man auf die sanfte Ironie hinweisen, dass ausgerechnet eine „großkopferte“, kunstgeschulte Akademikerin als moderne, authentische Popheroin wahrgenommen wird? Zwar ist gemeinhin das Werk die eine Sache, dessen Rezeption oftmals eine andere, doch gerade in dieser Brechung tut sich eine bemerkenswerte Facette des Projekts auf.

An der Kehrseite des bodenständig-alternativen Mitgröl-Rocks hat sich Jantschitsch bislang jedenfalls Ideale des Indie bewahrt, ohne notwendigerweise dessen Regelwerk einzuhalten: Integrität durch Verweigerung, DIY, intellektuelle Mündigkeit und null Toleranz gegenüber Vereinnahmung. Auch ihre souveräne Haltung im Künstlerinnenleben wirkt merklich auf ihre Arbeit zurück, macht diese trotz aller Massenuntauglichkeit glaubwürdig und somit breitenwirksam. Das Künstliche an ihrer Kunst wird im aufrichtigen Ausdruck und in der Transzendierung des popmusikalischen Formenrepertoires wieder zum Echten und Relevanten. Auch ihre luzide Art, das Zeitgeschehen zu reflektieren, trifft offenbar den Nerv des Publikums. Jantschitsch steuert den oftmals moralinsauren Faden politischer Bewusstwerdung mit viel Geschick durch das alte Nadelöhr des Protestsongs ohne die Lust am Hören zu vergällen. Alles andere wäre fatal: Schließlich ist ein aktueller gesellschaftspolitischer Anlass immer ein Grund, einen Gustav-Song zu schreiben.

David Weidinger

Fotos Gustav:  hörmanseder

 

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