Musikleben mit Kindern – wie geht es Musiker*innen im Berufsalltag? Teil 3: Lukas Kranzelbinder

In der Serie „Musikleben mit Kindern“ geht mica – music austria der Frage nach, wie es professionellen Musiker*innen geht, wenn sie Kinder haben. Lukas Kranzelbinder (SHAKE STEW, MARIO ROM’S INTERZONE) gibt uns im dritten Teil der Serie Einblick in seinen Berufsalltag mit Kind: Warum macht die eigene Familienstruktur einen riesigen Unterschied in Hinblick auf Kinderbetreuung? Wo fehlt es innerhalb der Musikszene noch an Bewusstsein dafür, dass Musiker*innen auch Kinder haben? Und könnte Elternschaft bei Hearings auf Musikuniversitäten nicht auch ein Vorteil sein?

Was hat sich für dich verändert seitdem du Vater bist? 

Lukas Kranzelbinder: Ich bin bereits früh, mit 24 Jahren, Vater geworden, und kenne das Dasein als professioneller Musiker vorwiegend mit Kindern und Familie. Verändert? Alles, vor allem was die Prioritäten betrifft. Die größte Veränderung für mich war es, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wieviel Zeit man sich für bestimmte Dinge nehmen muss, damit sie überhaupt stattfinden – das gilt vor allem in Bezug auf das Musikmachen. Organisatorische Arbeiten und Proben sind planbar und lassen sich auch gut in familiäre Kontexte einteilen. Kreative Prozesse entstehen aber sehr oft dann, wenn man nichts vorhat und man sich treiben lässt. Inspirationsphasen zu durchleben und länger an Kompositionen arbeiten zu können, das ist als Vater und Musiker eine Herausforderung.  

„Inspirationsphasen zu durchleben und länger an Kompositionen arbeiten zu können, das ist als Vater und Musiker eine Herausforderung.“

Hast du für dich einen Weg gefunden? 

Lukas Kranzelbinder: Der Grundsatz „All Life is chaos“ gilt immer und überall. Je mehr man akzeptiert, dass sich alles im Wandel befindet und nichts planbar ist und man damit zurechtkommt, desto besser geht es einem. Mit Kindern ist das ganz massiv so. Das ist auch okay. Man muss nur lernen, damit umzugehen und die schönen Momente genießen, auch wenn sie anders geplant waren. Das Um und Auf für mich ist meiner Meinung nach die Partnerschaft. Meine Frau hat mich von Anfang an extrem unterstützt. Ich war derjenige, der daran gezweifelt hat, dass ein Leben als professioneller Musiker mit Kindern weiterhin möglich ist. Sie hat hingegen immer gesagt, dass wir einen Weg finden – und das stimmt heute auch! Meine Frau Jana ist und war, besonders in den letzten Jahren, ein extrem stützender Teil meiner Karriere. Dazu muss ich sagen, dass wir auch eine sehr gute Familienstruktur haben, da meine Mutter ebenfalls in Wien wohnt und sich viel um die Kinder kümmert. Kolleg*innen, deren Eltern weiter weg leben, haben es viel schwerer.  

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Werden Mütter in der Musikszene anders behandelt als Väter? 

Lukas Kranzelbinder: Ja, aber nicht nur in der Musikszene, da ist generell ein riesen Spalt, der durch die Gesellschaft geht. Ich habe allgemein das Gefühl, dass Mütter anders behandelt werden als Väter, weil die gesellschaftlichen Rollen anders zugeschrieben werden. Es gibt unzählige Memes auf Instagram, die das bezeichnen: Wenn ein Musiker auf der Bühne steht, der Vater ist, wird gejubelt. Wenn die Mutter auf der Bühne steht, heißt es, sie vernachlässige ihre Kinder und denke nur an sich selbst. Man muss hier aktiv ein Bewusstsein schaffen, damit sich das ändert.  

Abends im Konzert? Auf Tour mit (kleinen) Kindern? Auf welche Netzwerke greifen Musiker*innen zurück? 

Lukas Kranzelbinder: Die eigenen Familienstruktur macht einen riesigen Unterschied, das kann man nicht genug betonen. Davon hängen die eigene Flexibilität und die Möglichkeit, zu arbeiten und kreativ zu bleiben, massiv ab. Trotzdem muss gesagt werden, dass die Art unseres Berufes prinzipiell sehr schwierig mit dem Tagesablauf und dem Wesen eines Kindes vereinbar ist. Für Büroarbeit, die ich auch zu erledigen habe, funktioniert die Struktur eines Kindergartens hervorragend. Sobald es um Zeiten ab 17, 18 Uhr geht, wird es wahnsinnig schwierig. Die meisten Konzerten sind abends, wenn die Kinder schlafen sollten. Selbst Dinge, die tagsüber passieren, wie Soundchecks oder zu Reisen, sind sehr langwierig. Wenn man keine familiäre Unterstützung hat, ist man mehr oder weniger aufgeschmissen.

Auf Tour mit kleinen Kindern war ich selbst nie. Ich mache mir in letzter Zeit aber viele Gedanken dazu und wünschte, es gebe so etwas wie den Beruf der Tourbegleiter*in, eine tourende Nanny, die sich als Teil des Tourteams um die Kinder kümmert. Was man meiner Meinung nach schon sieht, ist, dass es bei vielen Musiker*innen einen Schnitt gibt, wenn sie Kinder bekommen und sich in ihren 30ern aus dem Tourleben und dem Konzertbetrieb zurückziehen. Es ist sicher auch so, dass manche Kolleg*innen den Wunsch zu Touren nicht mehr so stark verspüren, was völlig in Ordnung ist… Der überwiegende Teil aber fügt sich, weil es nicht anders geht. Es fehlen nicht nur die Strukturen, es mangelt auch am Bewusstsein dem Thema Musikleben mit Kindern gegenüber. Ein Bewusstsein zu schaffen, ist der erste Schritt, um über unterstützende Strukturen nachzudenken.

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Gibt es etwas, das du dir von Veranstalter*innen wüschen würdest? 

Lukas Kranzelbinder: Das kann ich so allgemein nicht beantworten. Es stellt sich natürlich die Frage, in wessen Verantwortung was liegt. Geht es darum, vor Ort Strukturen für Kinderbetreuung zu schaffen? Oder sollte vielleicht eine neue Förderschiene geschaffen werden, um Begleitpersonen, die sich um die Kinder kümmern, finanzieren zu können? Ich fühle ich mich nicht in der Situation zu sagen, was in der Verantwortung der Veranstalter*innen liegt. Es liegt an uns allen, hier gemeinsam Wege zu suchen, wie sich die Situation für Musiker*innen mit Kindern verbessern lässt. Ich glaube zudem, dass es letztendlich immer einer individuellen Lösung für die einzelnen Personen bedarf.  

Braucht es allgemein mehr Sensibilität in der Szene? Wir auf Special Needs eingegangen? 

Lukas Kranzelbinder: Allgemein, auf jeden Fall! Aber anstelle fehlender Sensibilität konstatiere ich eher ein mangelndes Bewusstsein. Ich glaube auch, dass das ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, denn solange man selbst keine Kinder hat, blendet man dieses Thema einfach aus und hat überhaupt keine Ahnung, welche Schwierigkeiten hier für berufstätige Eltern entstehen können. Es muss einfach Thema werden, es muss darüber geredet werden.  

„… es ist doch erstaunlich, wie wenig die Tatsache, dass Musiker*innen auch Kinder haben, in unserer Szene eine Rolle spielt. Hier gehört massiv Bewusstsein geschaffen!“ 

Die Zeiten haben sich geändert. Social Media bespielt sowohl das Private als auch das Berufliche. Wie gehst du mit deiner Doppelrolle als Vater und professioneller Musiker um? 

Lukas Kranzelbinder: Einerseits habe ich das Gefühl, den besten Beruf er Welt zu haben, um daneben auch ein guter Vater zu sein – auch weil ich in der glücklichen Situation bin, dass ich den Großteil meiner Konzerte selbst ausmache und bestimmen kann, wieviel ich zu Hause bin. Das ist ein großer Vorteil. Eine dreiwöchige Tour o. ä. würde ich mir selbst aber nie organisieren, weil ich nicht so lange weg sein möchte. Andererseits finde ich mich in einer absurden Situation: Wenn man Kinder hat, schupft man das so, wie man eben glaubt. Aber es ist doch erstaunlich, wie wenig die Tatsache, dass Musiker*innen auch Kinder haben, in unserer Szene eine Rolle spielt. Hier gehört massiv Bewusstsein geschaffen! 

Was Social Media betrifft, muss ich allerdings gleichzeitig sagen, dass ich sowohl Facebook als auch Instagram fast ausschließlich für berufliche Zwecke – also in Bezug auf meine Person als Musiker – nutze und meine Kinder komplett raushalte. Ich glaube ich habe wirklich fast noch nie ein Posting gemacht, wo die beiden vorkommen. Das ist mir sehr wichtig und ich denke, dass das Bewusstsein in sozialen Netzwerken durch andere Kanäle geschaffen werden sollte. Zum Beispiel so wie hier mit diesem Interview! Diskussionen zu einem Papamonat oder Väterkarenz, Erfahrungsberichte von Musiker*innen als Eltern oder ähnliche Themen sehe ich derzeit noch viel zu selten.

„Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass der Faktor „Mutter“ oder „Vater“ ein ganz großer Pluspunkt in solchen Ausschreibungen sein könnte – auch weil man möglicherweise vermitteln kann, wie diese beiden Welten zu vereinbaren wären.“

Ein weiterer Gedanke zum Thema Bewusstsein ist mir vor kurzem ebenfalls untergekommen: Nachdem es in letzter Zeit viele Hearings auf diversen Musikuniversitäten gegeben hat, habe ich mir die Frage gestellt, ob Kinder bei der Bewerbung eine positive Rolle oder eher eine negative spielen. In den Ausschreibungen habe ich bisher nichts davon gelesen (bitte um Aufklärung, falls dem nicht so ist), dass Elternschaft in irgendeiner Weise ein positiver Faktor ist. Wenn, dann eher als negativer Aspekt, weil überall das künstlerische Profil und das internationale Renommee an erster Stelle genannt werden. Dass man jedoch vor allem in den frühen Phasen des Eltern-Seins nicht so stark präsent sein kann und dadurch vielleicht für eine gewisse Zeit weniger stark wahrgenommen wird, ist doch völlig klar und sollte eher unterstützt werden, als dass es letztendlich als „weniger Präsenz“ ausgelegt wird. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass der Faktor „Mutter“ oder „Vater“ ein ganz großer und unter Umständen auch (ge)wichtiger Pluspunkt in solchen Ausschreibungen sein könnte – auch weil man möglicherweise vermitteln kann, wie diese beiden Welten zu vereinbaren wären. Wie kann man seinen Beruf als Musiker*in ausüben und der Elternrolle gerecht werden? Wie kann man beides unter einen Hut bringen? Die Zeiten haben sich zwar geändert, aber anscheinend sind Kinder nach wie vor kein Faktor, der innerhalb der Musikwelt als Bereicherung gesehen wird. 

Gibt es sonst noch etwas, das du uns mitteilen möchtest? 

Lukas Kranzelbinder: Ich sage immer, außer den Kindern ist alles Schall und Rauch. Ich liebe die Musik und ich lebe für die Musik. Ich kann alle nur dazu ermutigen Kinder zu bekommen, wenn sie das Gefühl haben, das zu wollen. In meinem Fall war das relativ früh – meine Tochter ist heute neun Jahre, mein Sohn ist sechs Jahre alt – und ich bin dankbar dafür, dass es so gelaufen ist, wie es ist. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

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