mica-Interview Alois Fischer (Jazzatelier Ulrichsberg)

2013 feiert das Jazzatelier Ulrichsberg seinen 40. Geburtstag. Mehr als nur ein guter Grund, diesem Phänomen anspruchsvoller Kulturangebote im obersten Eck des Mühlviertels auf den Grund zu gehen. Alois Fischer spricht im folgenden Interview mit Stefan Parnreiter-Mathys vom Jazzatelier als kulturellem Nahversorger in Ulrichsberg. Soziokulturell klar eine wichtige Aufgabe, die aber bei weitem nicht die ganze Relevanz des Jazzateliers darstellt – ist dieses doch ein national wie auch international bekannter und exzellent reputierter Ort für Freejazz, Improvisierte und Neue Musik und wirkt nach außen ebenso wie nach innen.

Seit 1986, dem Jahr in dem das Haus, in dem das Jazzatelier noch heute angesiedelt ist, gekauft wurde, fand das erste der mittlerweile legendären Kaleidophon Festivals statt. Seit 1991 gibt es ca. alle drei Jahre das themen- oder personenspezifische Festival Phonomanie, zuletzt dem Schlagzeuger Paul Lovens gewidmet. Die Liste der bisher präsentierten Künstler ist ein Who-Is-Who des Freejazz, der Improvisierten und Neuen Musik. Aber das wohl eindrücklichste Dokument der künstlerischen Relevanz ist die lange Liste von auf Tonträger veröffentlichten Konzertmitschnitten aus dem Jazzatelier, darunter vom Sun Ra Arkestra, Anthony Braxton oder Walter Malli.

Das Jazzatelier wurde 1973 gegründet, feiert somit heuer seinen 40. Geburtstag. Was sind die wichtigsten Entwicklungen über diese lange Zeit, kannst du mir eine kurze Zusammenfassung der Geschichte geben?
Die ersten Jahre, Anfang der 70er, waren neben dem massiven Interesse an Blues- und Jazzmusik sicher auch dem damaligen Zeitgeist entsprechend sehr stark von Motiven wie „autonom“, „selbstbestimmt“, „alternativ“ geprägt. Das Jazzatelier verstand sich zu dieser Zeit sicherlich als ein „selbstverwaltetes Jugendprojekt“, ein Raum in dem man sich als Jugendlicher von den Eltern und der Gesellschaft ungestört bewegen konnte. Ab Anfang der 1980er-Jahre ging es mehr in Richtung veranstalten, also erstellen eines kulturellen Angebotes, das es ansonsten in dieser ländlichen Region eben nicht gab. 1986 war dann insofern ein markanter Punkt, als wir ab da dann über ein selbst angekauftes, eigenes Haus verfügt haben. Die darauf folgende Phase war sehr stark von der Adaptierung dieses Hauses geprägt: sanieren, umbauen, einrichten – für Ausstellungen, Filme und Konzerte. Erst seit Anfang der Nullerjahre kann man diesen Abschnitt als einigermaßen abgeschlossen betrachten – von da an wurde mehr Energie frei für inhaltliche Arbeit. Kulminierend im Jahr 2009 mit einigen für uns ansonsten nicht finanzierbaren Projekten, die wir mit Linz09 gemacht haben: Peter Ablingers Landschaftsoper, das Paul Lovens Phonomanie-Festival, das Wandelweiser Festival und mehr.

Was ist Deine denkwürdigste, schönste Erinnerung?
Cecil Taylor war ja mehrfach bei uns zu Gast, aber bei einem besonderen Gastspiel ist er schon eine Woche vorher angereist, was mir die Möglichkeit gab, ihm intensiv bei der Vorbereitung dieses Konzertes über die Schulter zu schauen. Daneben war wohl Peter Ablingers „Landschaftsoper“ das interessanteste Projekt, an dem ich beteiligt sein durfte. Die Landschaftsoper thematisierte umfassend den Ort Ulrichsberg und seine Bewohner. Eine Oper für und über Ulrichsberg, und vor allem auch mit den Ulrichsbergern und Ulrichsbergerinnen,  mit einem abschließendem Konzert mit über 120 MusikerInnen auf der Bühne.

Worin siehst Du den Auftrag, die Mission, des Jazzateliers?
In der Musik ist unser Anliegen, Dinge zu ermöglichen, die im regulären Konzertbetrieb zu kurz kommen. Es gab Zeiten, da war das Angebot an Freejazz und Improvisierter Musik praktisch nicht vorhanden. Das haben dann wir gemacht. Später hat sich die Lage für diese Musik etwas gebessert, weshalb wir dann nach und nach auch mehr Neue Musik ins Programm genommen haben, weil wir das Gefühl hatten, dass das auch was ist, was ständig zu kurz kommt. Die ganze Musikveranstalterei sehen wir insofern also ganz gerne immer ein wenig als Korrektiv zum „Markt“.
Ein anderes Anliegen, vor allem im Bereich Kino und Galerie, ist natürlich in unserer Gegend auch die „Nahversorgung“. Es gibt kaum Galerien und Kinos hier, insofern versuchen wir zumindest ein Minimalangebot in diesen Bereichen anzubieten.

Wie sieht das aktuelle Team aus?

Es gibt das ganze Jahr über eine handvoll Leute, die Mitentscheiden und Mitarbeiten. Darüber hinaus braucht es aber nach wie vor an die 70 ehrenamtliche Helfer um das Kaleidophon über die Bühne zu bringen. D.h. beim Festival werden Jahr für Jahr alle Personalreserven aktiviert und motiviert – ansonsten wäre das gar nicht machbar.

Wie leicht oder schwer fällt es Euch, jungen Menschen zu begeistern und in das Team einzubinden, Nachwuchs aufzubauen?
Junge Leute für Hilfstätigkeiten zu finden ist nach wie vor nicht allzu schwer. Inhaltlich kompetente und wirklich interessierte, tragende Kräfte zu finden, das ist schon schwieriger – aber nicht unmöglich.

Erfolgt die Arbeit ehrenamtlich? Wer bekommt wie viel bezahlt? Und wie erfolgt die Finanzierung des laufenden Betriebes?
Meine „Geschäftsleitertätigkeit“, die von der Putzfrau über Hausreparaturen bis zu Programmüberlegungen und Webdesign relativ umfassend ist, wird entlohnt. Alles andere ist pures Ehrenamt! Die Finanzierung des gesamten Projektes erfolgt über Eintritte, Mitgliedsbeiträge, Spenden, Sponsoring und Subventionen von Bund, Land und Gemeinde.

Wie würde der Betrieb ohne Förderungen aussehen?

Mit den Mitgliedsbeiträgen könnten wir gerade die Hausbetriebskosten decken. Wenn wir dann sehr wenig und sehr risikolos veranstalten würden, könnten wir immerhin noch ein Minimalangebot schaffen. Wobei sich für mich allerdings dann die Sinnfrage stellt, mich würde das dann eher nicht interessieren.
Meine Anstellung allerdings, die wäre dann auf jeden Fall nicht finanzierbar.

Was ist Euer Zielpublikum? Bzw. gibt es ein Publikum, das Du gerne ansprechen würdest, aber nicht erreichst?
Zielpublikum sind alle Kulturinteressierten in der Region und darüber hinaus…
Ein großes Problem bei uns ist die Tatsache, dass wir öffentlich nicht gerade einfach erreichbar sind: Es gibt nach wie vor Leute aus Linz oder Passau, die für einzelne Veranstaltungen extra nach Ulrichsberg reisen.  Eine unkompliziertere Erreichbarkeit mit Öffis würde aber sicher unsere Position insgesamt erheblich verbessern.

Wie entwickelt sich das Publikum altersabhängig? Wächst es mit dem Jazzatelier oder kommen auch laufend junge Menschen nach?
Beides. Es gibt ein mit uns alterndes Stammpublikum – es gibt aber immer wieder auch Neuzugänge. Vor allem junge Leute anzusprechen ist allerdings hier nicht allzu leicht: Viele Menschen im Erwerbsalter sind mehr oder weniger sowieso gezwungen in eine Stadt abzuwandern, um den Lebensunterhalt verdienen zu können. Es gibt ja nicht soo viele Jobs hier vor Ort, …

Was leitet Dich beim Programmieren? Persönliche Vorlieben und Leidenschaften oder gibt es auch externe Faktoren, die die Programmgestaltung beeinflussen?
Es wäre mit unserem „Kontakt-Telefonbuch“ leicht, nur Bewährtes anzubieten. Das war aber nie unser Ziel: Es ist unabdingbar, ständig nach frischen Sachen Ausschau zu halten. Wir sind ja nicht nur dazu da, ein Publikum zu befriedigen. Mindestens genauso wichtig war und ist für uns ja die Arbeit an der Sache: Also Entwicklungen zu ermöglichen, voranzubringen, weiter zu treiben. Das geht nur mit immer wieder frischem Input. Heimisch, regional, national, international – das sind dabei eher unwichtige Kategorien – obwohl wir natürlich schon auch darauf achten, dass es hier nicht allzu einseitig zugeht.

Sind der Szene um das Jazzatelier auch selbst aktive Musiker entsprungen?
Ja. Es gibt einige inzwischen relativ bekannte und anerkannte MusikerInnen im Bereich der improvisierten Musik, die aus unserem Umfeld kommen, zum Beispiel Tanja Feichtmair, Uli Winter oder Fredi Pröll. Aber auch jüngere Projekte wie Ambient Art Lab oder HellSkell  rund um Florian Gruber und Thomas Frattner sind hier entstanden.

Was heißt für Dich Erfolg und wie misst du diesen?

Erfolg ist für mich, wenn ich einem Musiker/einer Musikerin ein Setting bieten kann, in dem die Sache an der er/sie arbeitet, wachsen kann. Oder, wenn wir einen Film spielen – ich sehe das Kino ganz gern als unser „Ideologie-Ressort“ – nach dem die Leute raus gehen und sich sagen: Na ja, das muss man wohl wirklich bedenken. Oder einfach nach einer Veranstaltung nur zu spüren: Da war jetzt grad was, das hab ich so noch nicht gehört, gesehen, gewusst. Hm.

Abschließend: Wenn du einen Wunsch frei hättest, was wäre dieser?

Ein Bahnhof am Ortsrand von Ulrichsberg!

Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch und wünsche Dir und dem Jazzatelier Ulrichsberg viele weitere erfolgreiche Jahrzehnte!

Alois Fischer 1: Caroline Forbes
Alois Fischer 2: Phil Smith
Foto Jazzatelier Ulrichsberg: Francois Lagarde
Foto Kaleido: Francois Lagarde