mica focus 2018: Ein raues Umfeld, Risikobereitschaft und ihre Chancen für die Neue Musik

Im Rahmen von Wien Modern 2018 organisierten Austrian Music Export und mica – music austria den mica focus „Concert Promotion and Risk-taking“ in Englischer Sprache. Mit einem Netzwerkempfang im Anschluss hatte der mica focus 2018 zudem die internationale Vernetzung im Blick. Passend zu Wien Moderns Motto „Sicherheit“, diskutierte ein international besetztes Panel das Thema Risikobereitschaft in Hinblick auf Konzertveranstaltungen und das Programmieren neuer Werke. Es moderierte der künstlerischen Leiter von Wien Modern Bernhard Günther, Tristan Bath hielt die Diskussion fest.

Die Rolle des Konzertveranstalters zeitgenössischer Musik wird an ihren Randzonen von einem Schlüsselfaktor dominiert: dem Risiko. Die unzähligen Risiken, die damit einhergehen, herausfordernde Neue Musik zu programmieren, und diese mit ihren Chancen in ein Gleichgewicht zu bringen, sind letztlich eine Kunstform für sich. Nicht zuletzt, da Werke Neuer Musik oft von noch unbekannten NachwuchskomponistInnen geschrieben werden. Was das alles für Konzertveranstalter im Umfeld zeitgenössischer Musik bedeutet, ist Gegenstand der Diskussion dieses mica focus. Gemeint ist auch ein Umfeld, in dem zwei gegenläufige Tendenzen vorherrschen. Einerseits lechzt ein Teil des Publikums nach kuratierten Programmen, anderseits gibt es ein Publikum, das selbst immer weniger Risikobereitschaft zeigt.

mica focus 2018: Diskutantinnen und Diskutanten

  • Christos Carras (Direktor, Onassis Cultural Centre Athen)
  • Ruth Goubran (Head of Community Affairs & Sponsoring, Erste Bank)
  • Patricia Kopatchinskaja (Violonistin, Musikalische Leitung Ojai Festival 2018)
  • Moritz Lobeck (Programmleitung Musik und Medien, Hellerau Dresden)
  • Jochem Valkenburg (Programmleitung Musik und Musiktheater, Holland Festival Amsterdam)
  • Eleanor Ward (Geschäftsführende Direktorin, Nonclassical London)
  • Moderation: Bernhard Günther (Künstlerischer Leiter Wien Modern)

Als die Gäste auf dem Podium  ihre Erfahrungen austauschen, wird klar, dass die Diskutantinnen und Diskutanten quer durch die Bank auf ähnliche Schwierigkeiten gestoßen sind. Christos Carras vom Athener Onassis Kulturzentrum spricht über die praktischen Probleme, die sich ergeben, wenn neue Werke in alten Veranstaltungsorten mit geringer Ausstattung aufgeführt werden. Sowohl Eleanor Ward von nonclassical aus London als auch Moritz Lobeck vom Europäischen Zentrum der Künste Hellerau in Dresden beschreiben die messerscharf zugeschnittenen Budgets. Hier wird alleine das Erreichen einer Nullsumme zur ständigen Herausforderung, wenn es an ausreichender staatlicher Finanzierung fehlt. Jochem Valkenburg, künstlerischer Leiter des Holland Festivals, erwähnt das Desinteresse, das das Publikum klassischer Musik den neueren Strömungen entgegenbringt. Wie kann man in einem so unwirtlichen Umfeld weiterhin Risiken für progressive, zukunftsweisende Aufführungen eingehen und letztendlich Spitzenleistungen hervorzubringen?

Das größte Risiko unserer Zeit ist, kein Risiko einzugehen

„Das größte Risiko unserer Zeit ist, kein Risiko einzugehen“, sagt Patricia Kopatchinskaja. Abgesehen von den genannten wirtschaftlichen oder auf die Aufführungspraxis bezogenen Faktoren existiert im sogenannten Nachkriegseuropa die Philosophie, dass Musik – und insbesondere breitenwirksame Musik – rein dem Vergnügen dient, für Wohlbehagen sorgt. Das Panel scheint sich einig, dass dies ganz sicher „nicht wahr“ ist. Eine geliebte Symphonie von Beethoven zu genießen oder für eine Nacht einen Konzertsaal mit Musik aus „Star Wars“ zu füllen sei für Publikum und Veranstalter das glatte Gegenteil von Herausforderung.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu einer allmählichen Verschiebung der Neuen Musik, aus den Konzertsälen und Theaterhäusern heraus und hin zu den Randzonen der Kultur und in die Peripherie. In einem von Kunst übersättigten Umfeld, das sich auch durch „eine grenzenlose Vielfalt zeitgenössischer Kunst“ auszeichnet, wie Kopatchinskaja es ausdrückt, werden Aufführungsräume rar. Die Veranstaltungskalender werden immer dichter. Es bleibt wenig bis gar kein Platz für Veranstaltungen, bei denen es fraglich ist, ob sie überhaupt Gewinn abwerfen. Wie kann unter diesen Voraussetzungen die Rolle der Kuratorin bzw. des Kurators anders verstanden werden als das Publikum einfach immer nur mit den gleichen Werken der gängigen Komponisten zu füttern?

Kontext ist alles

Eleanor Ward glaubt, dass ein Ortswechsel angebracht ist. Ihre Organisation nonclassical, die als Veranstalter und Label zugleich fungiert, bezeichnete Veranstaltungen mit Neuer Musik gezielt als „Gigs“ und nicht als „Konzerte“ und brachte sie in Pubs und Orte in ganz England, die mit zeitgenössischer klassischer Musik weniger vertraut waren. „Kontext ist alles“, sagt sie. In ihren Augen sei der Konzertsaal als Veranstaltungsort nicht mehr zeitgemäß, wenig einladend oder auch einfach nicht im Einklang mit der musikalischen Erfahrung, die ein Publikum heute sucht. Potenzielles Klirren von Biergläsern, Gemurmel und Tratsch muss Musikgenuss nicht per se ausschließen. Außerdem macht Ward deutlich, dass das Publikum von nonclassical im Laufe der Jahre immer empfänglicher geworden ist und ihre Veranstaltungen inzwischen regelmäßig ausverkauft sind.

mica focus 2018 (c) Susanne Reiterer
mica focus 2018 (c) Susanne Reiterer

Vielleicht ist dieser Wechsel eine Art Antwort auf die Probleme, mit denen Veranstalterinnen und Veranstalter konfrontiert sind, die Publikum für Aufführungen neuer und anspruchsvoller Werke gewinnen wollen? Das Londoner Museum Tate Modern stellt in dieser Hinsicht eine Art Erfolgsmodell dar. Das Museum präsentiert neben den wichtigen historischen Kunstwerken zugleich brandneue Auftragsarbeiten in einer renovierten und umfunktionierten Kraftwerksanalage. Auch wenn die dort stattfindenden Konzerte oder Auftritte zweifellos eher Zugeständnisse an das Publikum sind, zeigt dieses Modell Lektionen auf, von denen man nur lernen kann. Es versteht sich von selbst, dass die Erschließung von mehr staatlicher Finanzierung immer hilfreich ist. Aber die Aufgabe eines Veranstalters besteht jedoch in erster Linie darin, für das Publikum zu kuratieren und den KünstlerInnen Zeit und Raum zu geben. Wahrgenommene Hürden zu durchbrechen, die Musik aus ihren abgestandenen Veranstaltungsorten herauszubringen, die Arbeit an der Reduzierung oder Abschaffung der Preise für Konzertkarten, die Konfrontation mit der Auffassung, dass man Musikwissenschaft studiert haben muss, um Schönberg zu verstehen, Behagen und Unbehagen in einem Programm zu verbinden – es gibt nicht den einen richtigen Weg, um die Säle zu füllen.  Zu denken wie die Künstlerinnen und Künstler und kühnere Risiken einzugehen, ist unerlässlicher denn je. Was auch immer passiert, einen Plan für die Zukunft der neuen Musik zu schmieden, bedeutet sowohl für die KünstlerInnen und das Publikum wie auch für die Veranstalter das Gleiche: Die Angst vor dem Unbekannten muss abgelegt werden.

Tristan Bath – übersetzt aus dem englischen Artikel “mica focus 2018: The challenge of risk-taking”

Links:
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Depot – Kunst und Diskussion
Austrian Music Export