„MAN KÖNNTE ‚INHALE // EXHALE’ AUCH ALS AUTOBIOGRAPHISCHES CORONA-ALBUM BEZEICHNEN“ – MEL MAYR IM MICA-INTERVIEW

Mit Veröffentlichungen wie „Changing“ (2008), „Escape The Cold“ (2010) und „Go Or Run“ (2014) hat die Salzburger Singer/Songwriterin MEL MAYR beinahe im Alleingang eine ganz eigene Version von (Neo-)Folk zwischen Post-Sixties-Westcoast-Melancholia und gleichzeitigem Aufbruch zu jeweils neuen Ufern vorgelegt. Nach längerer Pause präsentiert sie nun auf „Inhale // Exhale“ erneut intime Einsichten in ebenso ozeanisch weite wie durchaus post-apokalyptisch zu deutende Seelenlandschaften. Für mica hat sich Didi Neidhart mit Mel Mayr zum Interview getroffen.

Deine letzte Veröffentlichung „Go Or Run“ kam 2014 heraus. Wieso diese lange Pause?

Mel Mayr: Seit 2008 gab es von mir im Zwei-Jahrestakt jeweils eine neue Veröffentlichung. Das heißt, bei mir gilt eher das Prinzip „Ganz oder gar nicht“, was nicht immer ein Vorteil ist, weil die Gefahr durchaus besteht, die Leichtigkeit irgendwo am Weg zu verlieren. Nach der Veröffentlichung von „Go Or Run“ 2014 war ich noch zwei Jahre Live aktiv. In dieser Zeit habe ich jedoch immer mehr gespürt, dass für diesen Moment eigentlich alles „gesagt ist“ und es an der Zeit war für etwas Abstand. Ich ließ mir bewusst offen, ob der Abstand ein Ende oder eine Pause bedeutet und hab mich anderen schönen Dingen, die das Leben noch so zu bieten hat, gewidmet.

Wenn ich mich recht erinnere, gab es ja auch auf Facebook einige kryptische Postings mit der Frage „Wo ist Mel?“. Und dann gabs plötzlich doch ein Lebenszeichen und zwar als Bassistin der Helmut Bergers. Wie ist es dazu gekommen?

Mel Mayr: Ich hab bei den Helmut Bergers vor einigen Jahren bei einem Festival-Gig als Bassistin ausgeholfen. Dieser Auftritt war für mich sehr bereichernd, weil es ein Riesen-Kontrastprogramm zu meinen damaligen Solo-Auftritten als Singer-/Songwriterin war. Mit fünf-köpfiger Band und treibenden Indierock-Songs in Black Rebel Motorcycle Club-Manier auf der Bühne zu stehen und ein tanzendes, abfeierndes Publikum vor sich zu haben, das macht schon wirklich viel Spaß. Ich hab Paul, dem Mastermind der Band, zu verstehen gegeben, dass ich als Bassistin für die Helmut Bergers jederzeit zur Verfügung stehe. Es dauerte zwar noch einige Zeit, aber als es 2018 zu einer Veränderung in der Band kam, stieg ich mit ein.

Du sagst selber, dass die Songs 2020 während des Lockdowns entstanden sind, „nachdem die Welt ja stillstand“. Was hat dieser „Stillstand“ für dich bedeutet und würdest du „Inhale // Exhale“ dann auch als Corona-Album bezeichnen?

Mel Mayr: Wir alle wurden ja plötzlich mit einer total ungewissen Situation konfrontiert und das bereitete auch mir anfangs Sorgen und Ängste. Ich hab trotzdem versucht, das Beste daraus zu machen und hab diese ruhige Zeit genutzt, um „durchzuatmen“ und ein bisschen das Seelenleben „abzustauben“. Der Griff zur Gitarre kam ganz schnell und es entstanden einige Songs, die ich dann wie bei meinen Anfängen zuhause im Schlafzimmer als Demos aufnahm. Der Wunsch, eine Auswahl davon zu veröffentlichen, wurde mit der Zeit dann zum konkreten Ziel und zum Herzensprojekt. Man könnte „Inhale // Exhale“ auch als autobiographisches Corona-Album bezeichnen.

„Diese so neue Erfahrung von Freiheitsverlust und Kontrollverlust war herausfordernd.“

Wie kam es zum Titel „Inhale // Exhale“?

Mel Mayr: In den Songs werden Themen behandelt, die viele während der letzten zwei Jahre beschäftigt und ins Wanken gebracht hat. Es geht um die Bedeutung von Freiheit und was es braucht, um glücklich sein zu können. Diese so neue Erfahrung von Freiheitsverlust und Kontrollverlust war herausfordernd und ich stellte mir während des Schreibprozesses oft die Frage, wie das Leben weitergehen wird, wenn man bestimmte Dinge aufgeben muss und loslassen soll – eine Gegebenheit, mit der man aber auch abseits einer Pandemie in bestimmten Lebensabschnitten konfrontiert wird.

Der Titel „Inhale // Exhale“ schien mir passend, denn der Atem hat nicht nur die elementare Funktion von Leben an sich, er kann auch Halt geben und beruhigen. Das Bewusstsein darüber, dass wir mit jeder Einatmung Neues, Frisches, Unverbrauchtes aufnehmen und mit jeder Ausatmung Altes gehen lassen, kann die Tatsache erleichtern, dass Leben Veränderung bedeutet und man bestenfalls nicht an Dingen festhalten soll, die sich von Zeit zu Zeit wandeln können oder sich durch uns nicht kontrollieren lassen.

Mel (c) Magdalena Lepka

Trotz der extremen Intimität deiner Songs hast du dir auch diesmal wieder Verstärkung mit ins Studio und für das Aufnehmen und Abmischen geholt. Wie wichtig ist dir der Austausch mit anderen?

Mel Mayr: Die schönsten Momente waren eigentlich immer die, wo tolle Menschen an meinen musikalischen Vorhaben beteiligt waren. Zum einen ist es natürlich ein schönes Gefühl, nach einer (arbeits)intensiven Zeit das fertige Werk in den Händen zu halten, aber noch unbezahlbarer ist das Gefühl, wenn gute Leute an dich glauben und dir helfen, dein Vorhaben umzusetzen und alle gemeinsam an einem Strang ziehen.

Ich wollte bei „Inhale // Exhale“ auch soundmäßig das Beste rausholen und wollte unbedingt mit jemanden mit Feinsinn und Verständnis für meine intimen Akustiksongs zusammenarbeiten. Die Wahl fiel hier auf Frank Wendtner-Andraschko (Osta Musiklabor; Anm.), den ich schon lange persönlich und durch seine Aufnahmen u.a. mit The Makemakes und The More Or The Less, wo er auch als Pianist mitwirkt, kenne und schätze.

Mit David Binderberger (E-Gitarre), den wir u.a. von Clara Louise oder Parametrix her kennen, sowie Lukas Pamminger (Bass), der ebenfalls bei Clara Louise, Parametrix aber auch bei den bei Steaming Satellites sowie Scheibsta und die Buben tätig ist und Stefan Haberl (Percussion) von The Helmut Bergers hast du dir ja durchaus sehr professionelle Mitmusiker ausgesucht. Was waren da die Kriterien und wie hast du es dann geschafft, dass die alle sehr dezent und minimal im Dienste deiner Songs gespielt haben?   

Mel Mayr: Die Intimität der Demos sollte beibehalten werden, also ging die Richtung zurück zu meinen Anfängen mit spärlich instrumentierten Akustiksongs und meiner Stimme im Vordergrund. Geplant war zuerst, die Instrumente alle selbst einzuspielen, aber während der Aufnahmen wurde klar, dass auch hier Unterstützung für die Umsetzung meiner konkreten Vorstellungen von Vorteil ist. Mit David Binderberger, Lukas Pamminger und Stefan Haberl hatten wir genau die richtigen Musiker, die sofort ein Gespür entwickelten, was die Songs brauchen, um sie in ihrem Wesen nicht zu zerstören. Dazu benötigte es auch keine großen Erklärungen, wir waren ziemlich schnell im Flow.

„Die schönsten Momente waren eigentlich immer die, wo tolle Menschen an meinen musikalischen Vorhaben beteiligt waren.“

Ich frag das auch, weil mir deine aktuellen Songs deutlich reduzierter und spärlicher instrumentiert als die früheren vorkommen. Hat sich das so ergeben, oder steckt da schon auch eine Art Konzept dahinter?

Mel Mayr: Für mich war diesmal zentral, dass ich etwas zu sagen habe und für mich war auch klar, dass dies in reduzierter Form, so wie 2008 bei meiner EP „Changing“, sehr gut auszudrücken ist. Die Songs und die Demos zu „Inhale // Exhale“ sind zuhause in meinem Schlafzimmer entstanden und ich wollte diese Stimmung zumindest soweit beibehalten, dass der Fokus auf meiner Stimme und meiner Akustikgitarre liegt.

Du sagst selber, dass es thematisch in den Songs um Themen wie Freiheitsverluste aber auch Kontrollverluste geht und wie sich solche Begriffe quasi gleichzeitig ins Wanken bringen. Erinnert das nicht auch an diese melancholischen Post-Sixties-Westcoast-Befindlichkeiten von denen deine Songs eigentlich schon immer geprägt waren?

Bild Mel
Mel (c) Magdalena Lepka

Mel Mayr: Man kann hier wirklich gewisse Parallelen erkennen, gerade wenn man meine Vorliebe zu der musikalischen Ära kennt. Wenn ich aber meine EP mit „On The Beach“, einem meiner Lieblingsalben von Neil Young aus der Zeit vergleiche, dann würde ich sagen „Inhale // Exhale“ ist nicht auf den Freiheits- und Kontrollverlust fokussiert, sondern auf den positiven Umgang damit und auf die Befreiung davon.

Während der Pandemie hast du eine 14-tägige Alpenquerung unternommen wovon auch der Song „Mountain Lovers“ handelt. Was hat sich dadurch für dich, aber auch für deine Art Songs zu schreiben und Musik zu machen verändert?

Mel Mayr: Ich konnte meinen Freiheitsdrang trotz der Pandemie sehr gut ausleben, denn Freiheit und Glück empfinde ich, wenn ich in den Bergen bin. Nach diesem Trip über die Alpen mit leichtem Gepäck und den Nächten im Freien, kam die Erkenntnis, dass ich eher „wenig“ als „mehr“ brauche, um glücklich und frei zu sein. Dieses Gefühl spiegelt sich definitiv auch in den Songs und ihrer Reduziertheit wider.

Stellt „Deep Dive“ dann eigentlich das Gegenstück zu „Mountain Lovers“ dar? Das grenzenlos Ozeanische zwischen Freiheit & Melancholie, Rückblick & Neuanfang im Gegensatz (oder wohl besser gesagt: Austausch) mit dem Gebirge, wo dieses Grenzenlose ja eigentlich nur durch den Himmel symbolisiert wird.

Mel Mayr: Im englischen gibt es die Bezeichnung „Deep dive“, was bedeutet, in die Tiefe zu gehen und die Details zu erforschen. Der Song „Dive Deep“ beschreibt definitiv das „Eintauchen & Rückblicken um dann im grenzenlosen Ozean loszulassen und sich wiederfinden“. Und ja, das Gegenstück bzw. der Austausch dazu ist ganz klar „Mountain Lovers“, das ein Hochgefühl, bei dem man „dem Himmel nah“ und vogelfrei ist, widerspiegeln soll.

Schlagen sich solche Erfahrungen in und mit unterschiedlichen Geografien auch in deiner Musik nieder? Ich glaube ja bei „Dive Deep“ etwas mehr Hall und bei „Mountain Lovers“ einige Echo-Effekte vernommen zu haben.

Mel Mayr: Diese Erfahrungen schlagen sich zum einen im Songwriting und in weiterer Folge dann auch in der Produktion nieder. Wobei der Hall bei „Dive Deep“ und das Echo bei „Mountain Lovers“ dem Feinsinn von Frank zu verdanken ist, der die Inhalte der Songs im Mix wirklich gut umgesetzt hat.

„Ich hab beim Songwriting eigentlich nie an Genres gedacht, sondern eher immer sehr intuitiv gehandelt.“

Auch wenn deine Songs grob gesagt ins Folk- bzw. Singer/Songwriter-Fach gepackt werden können, sind sie dennoch mitunter schwer zu verorten. „Rainbow Colours“ passt zwar auch gut an einen Strand mit Lagerfeuer, aber hat dann aber doch auch etwas zu Urbanes. Fühlst du dich in so (imaginären) Zwischenräumen wohler als an konkreten Orten?

Mel Mayr: Ich hab beim Songwriting eigentlich nie an Genres gedacht, sondern eher immer sehr intuitiv gehandelt und gerne ein wenig experimentiert. Demnach fühle ich mich auf alle Fälle wohler, wenn ich keiner Schublade „entsprechen muss“, ja.

Du beschließt das Album mit dem schönen, aber auch sehr melancholischen Song „Love Is All Around You“. Angesichts der aktuellen Weltlage musste ich dabei jedoch eher an eine Art Durchhaltesong bzw. an etwas, woran man gerne (noch) glauben möchte, es aber nicht mehr so ganz hinkriegt, denken. Anders gefragt: Würde das nicht auch einen tollen Schlusssong zu einem dystopischen Film abgeben, wo sich nach der Katastrophe die Überlebenden um Lagerfeuer sammeln und in eine ungewissen, aber vielleicht auch bessere Zukunft blicken?

Mel Mayr: Der Song könnte wirklich den Soundtrack dazu liefern. Ich würde dazu mit „Love Is All Around You“ sagen, die Zukunft wird immer ungewiss bleiben, auch wenn es zuvor schön war, man weiß einfach nicht, was kommen wird – und es mag zwar eine Katastrophe gewesen sein, aber man sitzt immerhin mit weiteren Überlebenden und nicht ganz alleine am Lagerfeuer.

Stichwort Corona: Gibt es Pläne für Live-Konzerte?

Mel Mayr: Vorerst ist eine kleine Support-Tour durch Österreich für/mit einen amerikanischen Singer-/Songwriter geplant. Die Details dazu gibt es im Mai.

Danke für das Interview!

Didi Neidhart

Die EP „Inhale // Exhale“ sowie die Single und das Video zu „Mountain Lovers“ erscheinen Anfang Mai in digitaler Form auf Rebeat. Vorab gibt es die Single „Dive Deep“ Anfang März.

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Mel Mayr