Kunst aus der Zeit wird politischer und zeigt Modelle des „Recyclings“ auf – Ein internationaler Reigen mit Musik-, Tanz- und Sprechtheater sowie Konzerten – Laura Berman im Interview

„Schöpfung“ lautet das diesjährige Motto der Bregenzer Festspiele. Dazu setzte Laura Berman, künstlerische Leiterin der Schiene „Kunst aus der Zeit“ (KAZ), den Untertitel „Nothing is new“. Ein internationales Spektrum neuer Arbeiten aus dem Bereich Musik-, Tanz- und Sprechtheater sowie Konzerte stellte sie zusammen und vergab auch Aufträge für neue Werke. Beispielsweise verfasst der französische Komponist Francois Sarhan das surrealistische Musiktheater „Home Work“, Bernhard Lang komponiert ein neues Werk anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von Günter Rhomberg als Festspielpräsident. Insgesamt hat die diesjährige Ausgabe des KAZ-Festivals ein markantes politisches Profil. Hinter den Leitgedanken „Modelle – Wandlungen – What happens next?“ stehen auch gesellschaftspolitische Fragestellungen und Solidaritätskundgebungen, beispielsweise mit dem chinesischen Künstler Ai Weiwei. Im Gespräch mit Silvia Thurner erzählt Laura Berman von zugrundeliegenden Gedanken der Programmkonzeption.

„In der zeitgenössischen Kunst und da vor allem in der Welt der Musik durchleben wir  im Moment eine Art Rückbesinnung auf unsere Vergangenheit. Das Konzept des „Recycling“ erscheint in unserer Beurteilung der ästhetischen Wertigkeit eines Werks nicht mehr als negatives oder unkreatives Element“, ist im Vorwort des Programmprospektes zu lesen. Muss dies noch thematisiert werden und ist diese Diskussion nicht bereits durchgestanden?
In Künstler- und Fachkreisen wurde diese Diskussion geführt, ich wende mich jedoch an das interessierte Festspielpublikum. Für Festivals wie „Kunst aus der Zeit“ bittet man KünstlerInnen etwas zu kreieren. In unserer Gesellschaft werden immer mehr Sachen in die Welt gesetzt, ohne die Verantwortung dafür zu übernehmen. Das möchte ich im diesjährigen Programm unter anderem zu Bedenken geben.

Solidarität in der Kunst

Das diesjährige KAZ Programm beinhaltet auch explizit politische Inhalte, beispielsweise das Konzert „What happens next?“ und die Zusammenarbeit mit dem KUB, wo eine Aktion in der Ausstellung von Ai Weiwei stattfindet. Welche Überlegungen haben dich geleitet?
Hinter den Konzertiteln steckt eine übergeordnete Idee. Programmmusik kann ein Statement abgeben, sie ist dem Theater und der Bildenden Kunst nahe. Aber auch die absolute Musik bietet Modelle, die politische Aussagen transportieren. Es war meine Absicht, das Programm insgesamt politischer zu gestalten. Allerdings versuche ich das Alltägliche der Zeitungsmeldungen zu vermeiden zugunsten von eher philosophischen Themen. Das Festspielpublikum will vom Alltag abschalten und tiefergehende Fragen reflektieren.

Beschwerden künstlerisch zum Ausdruck bringen

Den Auftakt des KAZ Festivals setzt „Der Beschwerdechor Bregenz“, eine musikalische Aktion mit Bürgern aus Bregenz und Umgebung. Beschwerdechöre gab es bereits in mehreren Städten. Warum soll nun in Bregenz ein Beschwerdechor ins Leben gerufen werden?
Dieses Projekt war in meinem Konzept, als ich mich in Bregenz beworben habe. Ich habe aber ein paar Jahre gewartet, weil ich die kulturellen Protagonisten dieser Gegend kennen lernen wollte. Die Idee ist alt, aber sie ist gut, genau aus dem Grund, den du genannt hast. In unserer Gesellschaft überlegen wir neu, was uns Demokratie bedeutet. Es geht auch die Angst um, dass die Leute nicht mehr zu Wort kommen können. Andererseits gibt es auch ein starkes Bedürfnis nach einem Gemeinschaftsgefühl und zwar live und jetzt.

Neue Art eines surreales Musiktheaters

Was ist vom Musiktheater „Home Work“ des französischen Komponisten Francois Sarhan zu erwarten?
Das Stück ist eine Art Peepshow, die Musiker verkörpern assoziativ drei Figuren. Die Dramaturgie des Stückes ist einfach, es sind drei Personen, deren Gedanken und Fantasien sich austauschen. Das Publikum wandert während der Vorstellung, ist Voyeur und auch Zuhörer.

Achttägiges Klavierkonzert

Marino Formenti bietet eine achttägige Klavierperformance, in der er Musik und Leben miteinander verbindet und öffentlich zugänglich macht. „Big Brother“ und Voyeurismus fallen mir dazu ein. Wie siehst du das?
Die Performance findet in einem Kunstraum statt, den der Pianist auch gestaltet. Für ihn ist es eine Reflektion über die Position des Künstlers gegenüber der Kunst. Er lädt die Menschen ein, in einem ungezwungenen Rahmen dabei zu sein. Wir werden den livestream über ein Schaufenster übertragen, man kann Marino Formenti auch übers Internet beobachten. Kunst ist auch eine Abbildung oder Darstellung unseres Alltages, jetzt nehmen wir den Alltag unter die Lupe. „Rimini Protokoll“ macht mit dem Theater „Black Tie“ etwas Ähnliches.

Außergewöhnliche Stimmungen

Welches Instrumentarium wir das Ictus Ensemble zum Harry Partch Konzert „The Wayward“ mitbringen?
Partch hat in jungen Jahren die Theorien von Hermann von Helmholtz studiert eigene Tonsysteme entwickelt. Sein Ziel war es, die menschliche Stimme nachzuahmen und näher an die Urvölker der Welt zu kommen. Er hat die westeuropäische Musik abgelehnt, er wollte das Primitive in der Musik finden. Das Ensemble wird veränderte Instrumente mitbringen mit ganz eigenen Stimmungen.

Selbstverständnis

Jahrelang wurden im Rahmen der Hausopern Opernraritäten präsentiert und sehr erfolgreich aufgeführt. Eine logische Weiterführung dieser Idee ist, nicht weiter nach vergessenen Stücken zu suchen, sondern neue Werke in Auftrag zu geben. Der Intendant David Pountney setzte dies nun in die Tat um und hat einen Kompositionsauftrag an die britische Komponistin Judith Weir vergeben. Die Uraufführung der Oper „Achterbahn“ steht kurz bevor. Welche Rolle nimmt das KAZ Programm in Zukunft ein, wenn im Rahmen der traditionellen Schiene Opernuraufführungen stattfinden?
In diesem Jahr ist das Programm in gewissem Sinne radikaler geworden. Darüber hinaus benützen wir die Werkstattbühne anders. In diesem Sommer gibt es dort keine Tribüne. Beim ersten Stück wird das Publikum im Raum wandern können.

Um die Vertragsverlängerung von David Pountney gab es eine ungute mediale Diskussion. In zwei Jahren wird er die Intendanz abgeben, Roland Geyer folgt ihm 2015 nach. Ist deine Tätigkeit bei den Bregenzer Festspielen stark mit dem Wirken von David Pountney verknüpft?
Ja, das ist stark miteinander verbunden. Ich identifiziere mich sehr mit dem Programm von David Pountney und er hat bewusst bei mir angefragt, ob ich hier arbeiten möchte.

Internationalität

Lediglich in der ersten Performance wirken Menschen aus der Region mit, ansonsten werden im Rahmen des KAZ-Programmes keine Vorarlberger Komponisten berücksichtigt. Warum?
Die KAZ Reihe ist in der Zwischenzeit international bekannt geworden. Damit verbunden stellt sich die Möglichkeit ein, Kooperationspartner zu finden. Die Programme sind sehr thematisch zusammen gestellt. Es ist Teil des Grundkonzeptes, dass das erste Projekt auf die Region Bezug nimmt. Aber ich sehe es nicht als Aufgabe, die Komponisten nach der Region auszusuchen.

Danke für das Gespräch.

Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Juli-August 2011 erschienen.

Bregenzer Festspiele, 20. Juli bis 21. August 2011