Diese Woche lud DOMINIQUE MEYER die Presse in die STAATSOPER, um nach der vorjährigen Bekanntgabe der Fixierung eines Opernauftrags an OLGA NEUWIRTH (das Stück „Orlando“ soll im Dezember 2019 uraufgeführt werden) nunmehr ein zweites „großes“ Auftragswerk zu präsentieren, das bereits ein Jahr früher, nämlich im Dezember 2018, herauskommen soll. Der Komponist des abendfüllenden Werkes ist JOHANNES MARIA STAUD, sein Librettist ist – wie schon bei den Vorgängeropern „Berenice“ (2004) und „Die Antilope“ (2014 für Luzern) – wieder der deutsche Lyriker, Essayist und Übersetzer DURS GRÜNBEIN. Das Werk hat bereits einen Titel: „Die Weiden“. Bei einem Pressefrühstück erläuterten die eng zusammenarbeitenden Autoren ihr Konzept.
Zuvor oblag es aber natürlich Dominique Meyer, die Journalistinnen und Journalisten zu begrüßen und nicht ohne Stolz darauf hinzuweisen – schließlich hatte die ihm unterstellte Vernachlässigung neuer Musiktheaterwerke zu einiger nicht unberechtigter Kritik geführt – dass „Die Weiden“ das bereits zweite von insgesamt drei fixierten „großen“ Auftragswerken für die kommenden vier Staatsopernsaisonen ist. Der dritte Auftrag, der nicht von einer österreichischen Komponistin bzw. einem österreichischen Komponisten stammen werde, werde in Kürze bekannt gegeben. Hinzu kommt, dass daneben noch nach Elisabeth Naskes „Das Städtchen Drumherum“ (Uraufführung im Oktober 2013 im Kinderopernzelt) und Johanna Doderers „Fatima, oder von den mutigen Kindern“ (Uraufführung im Dezember 2015 in der Staatsoper) drei weitere Kinderopernuraufführungen fixiert worden sind. Und immerhin wird heuer bis einschließlich Juni eine weitere Oper eines lebenden Komponisten für Kinder und Jugendliche in der Studiobühne Walfischgasse gezeigt: „Pünktchen und Anton“ (nach Erich Kästner) von Ivan Eröd. Man muss also einräumen, dass die Wiener Staatsoper ihrem Verfassungsauftrag, zeitgenössische Musiktheaterwerke aufzuführen, endlich nachkommt.
Konzept und Fakten zur Oper „Die Weiden“
Literarisch bezieht der Titel sich auf Algernon Blackwoods Kurzgeschichte „The Willows“ („Die Weiden“) von 1907, aber auch auf die berühmte Erzählung „Heart of Darkness“ von Joseph Conrad und, wie man erfuhr, auf H. P. Lovecrafts „The Shadow over Innsmouth“ von 1936. Das Projekt solle, so Johannes Maria Staud, eine „Expedition ins Herz Europa“ darstellen, „an einem großen Strom in Mitteleuropa, den man, wenn man so will, unzweifelhaft als die Donau identifizieren“ könne. „Das Geschehen schwankt zwischen einer Reisegeschichte zweier sich entzweiender Liebender und einem surreal verzerrten Beobachten der bedrohlichen Entwicklungen heute. Stichworte: der Wutbürger, die Bürgerwehr, das zunehmende Abschotten von außen und die Verrohung der gesellschaftlichen Mitte – und dies trotz unserer schwer belasteten Geschichte“. Auch Durs Grünbein subsumierte die Oper als „eine Expedition in das Herz Europas, eines neuerdings wieder zerrissenen Kontinents“.
Bereits konzipiert sind die vier Hauptpartien: eine junge Philosophin und Peter, ein junger Künstler, als ihr Freund, ein Schulfreund von Peter und dessen Geliebte. „Die Weiden“ ist als rund zweieinhalbstündige Oper (plus Pause) mit sieben Bildern, drei Passagen, einem Prolog, einem Vorspiel, einem Zwischenspiel und einem Epilog für Solistinnen und Solisten, mit einem großen gemischten Chor, mit großem Orchester, kleinem Bühnenorchester und Elektronik geplant.
Die Stationen der Oper heißen „Der Rastplatz“, „Das Grillfest am Strom“, „Die verlassene Waldschänke“, „Eine Villa auf dem Hügel überm Fluss“, „Die verschlossene Stadt“ und „Die Weideninsel“. Librettist Grünbein erklärte: „Dort, in einer Gegend aus Auenwäldern und Inseln mit dichtem Weidenbestand, im Volksmund ‚das Land der Verlassenheit‘ genannt, kommt es zu einem tragischen Ende in einer Hochwasserflut und bei schwerem Sturm. Was genau in diesen letzten dramatischen Stunden mit den vier jungen Menschen geschah, wird nie ganz geklärt werden können.“
In seiner mündlichen Erläuterung betonte Johannes Maria Staud, dass die schon jahrelange Zusammenarbeit mit dem Librettisten, den er seinen „Kompagnon“ nennt, darin besteht, dass sie beide gemeinsam die Stoßrichtung und die thematische Ausrichtung des Stoffes festlegen und jederzeit flexibel bis zum Ende des Arbeitsprozesses aufeinander reagieren können. Die diesmalige Themenstellung habe sich daraus ergeben, dass sie als heutige Künstler nicht so tun könnten, als interessiere sie die derzeitige Situation in Europa nicht. Eskapismus sei nicht angesagt: „Wir sind politisch und gesellschaftlich in einer Zeit des Umbruchs, Europas Zivilgesellschaft ist durch Extremismus vor allem von der rechten Seite sehr unter Druck geraten.“ Wie wäre es, Joseph Conrads „Reise in die Finsternis“ auf einem Boot in einem Strom Mitteleuropas zu unternehmen? Welchen Absonderlichkeiten würde man da an den Ufern dieses Stroms begegnen? „Beim Konzipieren und Komponieren eint uns eigentlich eine produktive Unruhe. Als Komponist kann ich nicht einfach ein fertiges Textbuch vertonen, es muss immer wieder etwas geändert, gestrichen oder ergänzt werden. Ich wollte mich auch nicht strukturell auf eine vier- oder fünfaktige Oper alten Stils einlassen, wichtig wurde daher die ‚Passage’.“
Auch Durs Grünbein erscheint der Strom wie ein Protagonist der Handlung. „Begonnen hat die Arbeit bei einem Treffen in Hainburg an der Donau. Dann ging es los mit dem Schreiben.“ Staud fügte hinzu: „Weil der Strom ein Hauptmotiv ist, gibt es eben sechs oder sieben Bilder, aber auch einen Prolog, ein Vor- und ein Zwischenspiel und einen Epilog, dazu noch drei Passagen – also eine kleinteiligere Anlage, die den Vorteil besitzt, dass wir Stationen der Reise abbilden können. Da kann ich eher auf den Punkt kommen. Ich bin ein Ordnungsfanatiker. In der Geschichte der Oper gibt es welche, die sehr genau gearbeitet sind, das Ideal ist natürlich Alban Bergs ‚Wozzeck‘. Das Orchester ist groß, aber nicht übergroß, es gibt ein kleines Orchester auf der Bühne, hier im Haus gibt es eine Orgel, auf die ich mich stürzen werde, es wird auch ein bisschen Elektronik geben.“
Ob die Geschichte gut, optimistisch oder schlecht ausgehen wird, wissen die Autoren selbst noch nicht, das werde sich in den kommenden Monaten der Arbeit entscheiden. „Man kann nicht nur realistisch auf die Dinge schauen. Ob es auch ein bisschen visionär werden soll, weiß ich noch nicht“, so Staud. „Es endet in einer Zweisamkeit, ob die jetzt optimistisch grundiert ist, oder nicht. Wir müssen auch aufpassen, dass uns die Geschichte nicht überholt.“ Grünbein ergänzend: „Es gibt auch Metamorphosen, Verwandlungen, Phantastisches – alles Dinge, die Johannes immer schon interessierten …“. Laut Staud soll das Werk universell sein, nicht nur eine Opernhandlung, die in Österreich oder Deutschland und Mitteleuropa spielt. Es gehe um zentrale Parameter wie Heimat und Fremde, abschotten und von außen eindringen …“
Auf die Frage, ob es eine Wunschbesetzung gebe, antwortete Johannes Maria Staud: „Es gibt die Stimmlagen der Hauptpartien, aber mehr nicht. Natürlich freue ich mich, in der Probenphase ins Haus kommen zu können, die Sängerinnen und Sänger hören zu können, auf sie eingehen zu können, vielleicht etwas zu verändern.“
Heinz Rögl
Links:
Johannes Maria Staud (Universal Edition)
Johannes Maria Staud (mica-Musikdatenbankeintrag)
Wiener Staatsoper