„Jasmine ist eine Art Meditation, es geht um die Unvorhersehbarkeit, Unsicherheit und Unbeständigkeit des Lebens und darum, die Schönheit darin zu sehen.“ – DON’T GO im mica-Interview

NINA JUKIĆ (Gesang, Piano, Synthesizer) und ALEXANDER FORSTNER (Schlagzeug, Gitarre) haben mit ihrem Duo DON’T GO zwar schon viele Konzerte gespielt, haben aber erst im Mai 2021 ihr Debütalbum „Jasmine“ (Seayou Records) veröffentlicht. Das Warten hat sich auf jeden Fall gelohnt, denn „Jasmine“ verbindet experimentelle Elektro-Pop-Klänge, den atmosphärischen Gesang von Nina und deren tiefgründige Texte, die sich um die großen Fragen der Menschheit drehen. Itta Francesca Ivellio-Vellin hat das Gespräch mit dem Duo geführt.

Euer letztes Interview mit mica war vor mehr oder weniger einem Jahr. Was ist seitdem passiert, was hat sich geändert?

Nina Jukić: Ja, wenn ich mich richtig erinnere, war es in der Woche vor dem ersten Lockdown. Unsere Tochter wurde im Dezember 2019 geboren und kurz nach der Geburt schläft man naturgemäß sehr wenig und ist viel zu Hause. Im März haben wir uns langsam bereit gemacht, wieder aus unserer Höhle zu kommen. Wir sollten ein Konzert besuchen, ich hatte einige Konzerte mit meiner Swing-Band geplant, aber dann lief nichts so, wie wir es uns vorgestellt hatten. In diesem Sinne war das Jahr seltsam und intensiv. Wir haben viel Zeit zu Hause verbracht, nur wir drei, was natürlich sehr schön, aber auch sehr anstrengend ist. Es ist einfacher, wenn Großeltern mit einem Baby helfen, aber Alexanders Eltern sind in der Steiermark, meine in Kroatien.

Natürlich, und da man auch nicht viel Kontakt zu Freunden und Freundinnen haben darf, wird es mit einem Baby sicherlich noch schwieriger.

Nina Jukić: Genau. Einerseits haben wir diese Routine mit unserer Tochter, und jeder Tag fühlt sich irgendwie gleich an und nichts ändert sich, aber gleichzeitig ändert sie sich so sehr! Sie geht und redet jetzt, was verrückt ist. Unsere Zeitwahrnehmung ist verschwommen.

Aber ihr habt es trotzdem geschafft, ein Album zu produzieren!

Nina Jukić: Ja, das ist ein Wunder! Es ist eine ziemlich tolle Leistung und wir sind stolz darauf.

Wo habt ihr das Album aufgenommen?

Nina Jukić: Sophie [Lindinger; Anm.] und Marco [Kleebauer; Anm.] haben ein eigenes Studio im 15. Bezirk, in dem wir die meisten Sachen aufgenommen haben. Wir haben dort viel Zeit mit Sophie verbracht, was fantastisch war.

Wer hat sich während der Aufnahmen um eure Tochter gekümmert?

Alexander Forstner: Wenn einer von uns aufnehmen musste, hat sich der andere im Grunde genommen um sie gekümmert. Wenn dann die Person, die sich um sie gekümmert hat, zurück ins Studio gekommen ist, haben wir uns gemeinsam die Aufnahmen angehört, um zu prüfen, ob sie in Ordnung waren, und zu diesem Zeitpunkt haben wir uns immer Sorgen gemacht, weil sie sich dann schon gelangweilt hat oder hungrig geworden ist [lacht]. Wir hatten keine Zeit zu Verlieren. Wir wussten, wir haben jetzt drei Stunden Zeit und müssen uns während dieser drei Stunden wirklich konzentrieren.

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Zeitmanagement war also wirklich wichtig für euch! Nina, du hast deine Swing-Band vorher erwähnt.

Nina Jukić: Ja, sie heißt The Juke Swing Band. Das letzte Mal, dass wir zusammen aufgetreten sind, war jedoch im Sommer 2019. Wir haben auch eine EP mit Sophie im Dezember 2019 aufgenommen, zwei Wochen vor der Geburt unserer Tochter [lacht]. Wir haben einen Auftritt im Juli in Vöcklabruck geplant – mal sehen, wie es läuft!

Habt ihr noch andere Musikprojekte?

Alexander Forstner: Ja, ich spiele Schlagzeug für MELA bei Live-Auftritten. Don’t Go ist jedoch unser Hauptprojekt.

Nina, du bist ursprünglich aus Kroatien und Alexander, du bist aus der Steiermark – warum habt ihr euch entschieden, euch in Wien niederzulassen?

Alexander Forstner: Bis vor 9 Jahren waren wir in einer Fernbeziehung und kamen zu einem Punkt, an dem wir uns entscheiden mussten, entweder noch einen Schritt weiterzugehen – oder nicht. Wir haben uns ursprünglich in Graz getroffen, also standen Wien oder Graz zur Entscheidung und wir haben uns für Wien entschieden. Ich habe es keinen Tag bereut. Es ist mit Abstand die beste Stadt der Welt.

Nina Jukić: Ja, wir leben in Meidling – shout out to Meidling! Wir lieben es hier!

Ihr beide hattet Auftritte sowohl in Kroatien als auch in Österreich – welche Unterschiede seht ihr in der Musikindustrie in beiden Ländern?

Nina Jukić: Interessante Frage! Wir reden eigentlich ziemlich oft darüber. Als ich noch in Zagreb war, hatte ich mit einer Freundin ein minimalistisches Low-Fi-Pop-Projekt namens ChocoJazz. Als wir angefangen haben, gab es nicht sehr viele Indie-Acts und es gab nicht wirklich eine Infrastruktur, die diese Musiker und Musikerinnen unterstützen konnte. Nachdem ich gegangen bin, habe ich gemerkt, dass es immer mehr – insbesondere weibliche – Acts gab, zuerst mehr Singer/Songwriter, dann aber auch mehr elektronische Musiker und Musikerinnen. Es begann aufzublühen. Österreich ist in dieser Hinsicht weit voraus; Die Musikszene ist vielfältiger. Die Standards sind auch beim Aufnehmen und Produzieren höher, was bedeutet, dass auch mehr Geld involviert ist. Indie-Musiker und -Musikerinnen haben hier viel Unterstützung. Es gibt Medien, natürlich mica! [lacht]. Aber was ich so über Social Media beobachten kann, ändert sich die Situation in Kroatien zum Besseren. Allerdings ist ein Vergleich schwer, da ich schon lange nicht mehr dort lebe.

Bild Don’t Go
Don’t Go (c) Hanna Fasching

Alexander Forstner: Ich mache schon sehr lange Musik – nicht nur, weil ich jung angefangen habe, sondern auch, weil ich sehr alt bin [lacht] – und der Punkt, an dem ich eine große Veränderung gesehen habe, war, als Bilderbuch und Wanda explodierten. Dann wurde alles größer. Jetzt haben wir diese riesige Auswahl an Bands und Projekten, die unfassbar gut sind und das Niveau dessen, was man als Band auf den Tisch bringen sollte, wirklich erhöhen. Die Messlatte wird immer höher.

Da muss ich zustimmen – ich finde, die Qualität der Musik hat sich immens verbessert. Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut und talentiert Musiker und Musikerinnen in Österreich sind.

Alexander Forstner: Und auch sehr professionell! Nicht nur auf der musikalischen Ebene, sondern auch, wenn es um die Promotion ihrer Musik geht. Manchmal stolpere ich auf Instagram über Bands aus Österreich, von denen ich noch nie gehört habe, und ihr Auftritt ist einfach super brillant.

Nina Jukić: Ja, ich denke, Social Media macht alles gleichzeitig einfacher und schwieriger.

Wie sehen eure Konzerte normalerweise aus? Tanzen die Leute zu eurer Musik?

Nina Jukić: Nun, einige bewegen sich [lacht] – andere nicht. Es gibt einen Groove, es gibt einen Beat, es gibt Loops und Wiederholungen, sodass man sich dazu bewegen kann, aber es funktioniert auch, wenn man einfach nur dasitzt und in sich hinein geht.

Während ich mir das Album angehört habe, habe ich versucht, es mir bei einem Live-Konzert vorzustellen. Für mich ist eure Musik jedoch die Musik, die ich gerne um 6 Uhr morgens hören würde, wenn ich nach einer Nacht im Club nach Hause gehe. Die Sonne geht auf und es ist so ruhig und es gibt diese ganz besondere Atmosphäre, die nur um 6 Uhr morgens herrscht. Wenn man nach dem Ausgehen runterkommen muss, ist eure Musik der perfekte Soundtrack dafür.

Alexander Forstner: Schade, dass wir unsere Pressetexte bereits fertiggestellt haben – das ist eine ziemlich gute Beschreibung! [lacht] Ich habe vor kurzem über etwas Ähnliches nachgedacht. Als es noch Clubs gab, hatte ich ein paar Alben, die ich sehr gerne gehört habe, nachdem ich vom Club nach Hause gekommen bin und auf dem Sofa Wasser getrunken habe.

Nina Jukić: Wir sollten um 6 Uhr morgens ein Konzert für Leute organisieren, die gerade aus dem Club kommen!

Alexander Forstner: Apropos Tanzen, es gibt ja dieses Lied „Dancing With Tears in My Eyes“, das sollten meiner Meinung nach die Leute während unserer Konzerte tun [lacht].

Habt ihr jetzt, nach Fertigstellung des Albums, immer noch dieselbe Verbindung zu den Songs?

Bild Don’t Go
Don’t Go (c) Hanna Fasching

Nina Jukić: Die meisten Songs sind vor einiger Zeit entstanden, besonders die Texte. Wenn es um die Themen geht, gibt es eine gewisse Melancholie, eine gewisse Dunkelheit, da sind ein paar Dinge, die ich damals durchgemacht habe. Gleichzeitig haben wir so lange an diesen Songs gearbeitet und jedes Detail besprochen. Jetzt, mit ein wenig Distanz, und obwohl mein Leben jetzt anders ist, kann ich definitiv sagen, dass ich mich immer noch mit der Musik verbunden fühle. Ich höre dieses Album gerne.

Was würdet ihr sagen, sind die zentralen Themen auf dem Album? Wie sind die einzelnen Songs miteinander verbunden?

Nina Jukić: Woran ich viel denke, ist Zeit und das Vergehen der Zeit. Dieser Fakt des Lebens, dass wir alle gleichzeitig auf diesem Planeten sind und im Weltraum herumschweben – um uns herum ist dieses riesige Universum, von dem wir nichts wissen. Das ist so verrückt! Manchmal frage ich mich, warum wir nicht jeden Tag darüber reden, weil es so verrückt ist. Ich habe versucht, damit umzugehen und Antworten zu finden, die über die Religion hinausgehen. Wie man mit der Tatsache umgeht, dass das Leben irgendwann enden wird und trotzdem nicht depressiv wird, wie man nicht sorglos damit umgeht, wie man das Beste daraus macht. Ich habe ein bisschen über die buddhistische Philosophie recherchiert, die sich sehr mit diesen Themen befasst, und auch über wissenschaftliche Grundlagen zur Achtsamkeit und Meditation. All das, zusammen mit regelmäßigem Yoga, hilft mir mit diesen großen Themen umzugehen.

Die Balance in allem.

Nina Jukić: Ja. Ich denke, darum geht es in dem Song „Jasmine“, es ist eine Art Meditation und es geht um die Unvorhersehbarkeit, Unsicherheit und Unbeständigkeit des Lebens und darum, die Schönheit darin zu sehen. Deshalb haben wir es auch zum Albumtitel gemacht. „Think Less“, „Future Present Past“ und „Maybe We’re Just Getting Younger“ beschäftigen sich alle mit diesem Thema. Und weil du gerade Balance erwähnt hast: das ganze Album pendelt hin und her zwischen Melancholie und Hoffnung, Ängsten und Selbstermächtigung – die Songs enthalten oft beide Elemente. Ein Song, der heraussticht und den wir erst vor einige Monaten geschrieben haben, ist ein kurzes Interlude. Eine Ode an Unterbrechungen und Ablenkungen: “Interruptions / Little fragments of time / Like pearls on a string / One at a time”. Alle jungen Eltern werden wissen, worum es hier geht…

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Ein Lied, das mich sehr anspricht, ist „Flow“. Es enthält die Zeile „Like the sea, never standing still, yet not going anywhere“, die ich als schöne Metapher für das Leben empfinde. Im Leben gibt es diese ständige Bewegung nach vorne, wie Wasser, das immer fließt, aber manchmal scheint es, als ob es still steht – obwohl es niemals so ist.

Nina Jukić: Das ist eine schöne Art, es auszudrücken! Ja, es ist genauso, wie du es vorher erwähnt hast – es geht um das Gleichgewicht. Darum, die Stille und Beständigkeit zu finden und gleichzeitig loszulassen, man muss man sich vom Wasser tragen lassen.

Alexander Forstner: Ich denke, „Flow“ ist ein Lied, das viel Sinn macht. Wenn wir es spielen oder wenn ich es höre, habe ich immer das Gefühl, dass das gesamte Paket einfach Sinn macht. Wie sich das Lied anfühlt, worum es geht und wie es sich anhört – es ist einfach sehr gut abgerundet.

Nina Jukić: Mit diesem Song hatten wir eigentlich nicht viel zu tun – so spielen wir es seit Jahren live und wir haben es einfach so aufgenommen, wir haben nicht wirklich viel verändert. Freut mich, dass dir der Song gut gefällt. Ich dachte, das wird ein Song für den Zuhörer und -innen keine Geduld aufbringen werden und gleich zum nächsten überspringen werden.

Ich finde, dass eure Musik gehört werden muss, wenn man wirklich die Zeit hat, sie zu genießen. Andernfalls kann man sie nicht wertschätzen.

Nina Jukić: Danke, dass du das gesagt hast! Unsere Musik ist keine wirklich gute Hintergrundmusik [lacht]. Ein guter Zeitpunkt zum Hören könnte sein, wenn man irgendwo hinreist und in einem Bus oder Zug sitzt und die Zeit hat und wirklich in die Musik eintauchen kann.

Was ist mit den Instrumenten auf dem Album? Habt ihr sie alle selbst aufgenommen?

Alexander Forstner: Ein Freund von uns, Navid Djawadi, spielt Bass bei „Think Less“, weil wir eine Bass Gitarre dafür wollten und es funky sein musste.

Nina Jukić: Und Mathias Mayrbäurl hat diese virtuose Jazz-Saxophon- und Flöten-Soli am Ende von „Think Less“ gespielt. Und tatsächlich ist Alma, unsere Tochter, auch Gastmusikerin. Es gibt eine Akustikgitarre im Prelude des Albums – das war das erste Mal, dass sie Gitarre gespielt hat – sie war damals vier Monate alt. Ich habe eine Sprachnotiz am Handy gemacht und es klingt nach coolem Avantgarde-Kram, aber es ist nur unser Baby, das Gitarre spielt [lacht]. Alles andere, Klavier, Gitarre, Schlagzeug, haben wir selbst gespielt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Itta Francesca Ivellio-Vellin

 

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