Im music austria Notenshop: Julian Gamisch

Unkonventionell, freiheitsliebend und politisch startet der gebürtige Klagenfurter Julian Gamisch in die Neue-Musik-Szene und zeigt uns mit seinen jugendlichen 23 Jahren, was die kommende Generation von österreichischen KomponistInnen für die Konzertsäle bereithält. In seinem Lebenslauf kann er schon mit Superlativen punkten: Nachdem er zunächst beim Wettbewerb des Festivals phonoFemme als Gewinner hervortrat, hat er im vergangenen Jahr beim Gustav Mahler-Kompositionswettbewerb, veranstaltet von der Stadt Klagenfurt in Zusammenarbeit mit dem Musikforum Viktring, den dritten Platz erreichen können. Insgesamt 14 Kompositionen des Kompositionsstudenten sind zu bescheidenen Preisen im music austria-Notenshop zu erstehen.

Hat die Musikszene in den letzten Jahrzehnten gesellschaftliche und politische Themen weitestgehend ausgeklammert, ist für Gamisch die Kunst im Adorno’schen Sinne als Abbild gesellschaftlicher Verhältnisse untrennbar vom Zeitgeschehen. In „Skulptur #1“ für Perkussion und Stimme legt Gamisch die Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft durch die Verwendung von Vulgärsprache besonders drastisch dar. Dem monotonen und tranceartigen Solo auf der Trommel folgen gesprochene Worte wie: „Wix zu deiner Seifenblase, die du Glück nennst“. Das Novum, sprachliche Obszönitäten nicht nur im Theater, sondern auch in der modernen Musik gelten zu lassen, führt Gamisch kühn und selbstbewusst in die Konzertsäle ein.

Nicht nur das wortstarke „Skulptur #1“, sondern vor allem die Komposition „Towards the sea“ verdeutlicht den Hang von Gamisch, das Musikalische mit dem Theatralischen zu verbinden. Schon als Jugendlicher hat er sich mit Hörspielen beschäftigt und mit einer eigenen Produktion mit 17 Jahren bei einem Wettbewerb gewonnen. Im ebenfalls preisgekrönten Werk „Towards the sea“ greift er diese frühen Erfahrungen auf und stellt durch die elektronisch realisierte Einbeziehung des Raumes und von Geräuschen eine theatralische Ebene her. Zusätzlich wird mit dem Sopransaxophon, der Violine, dem Kontrabass, der Perkussion und dem Synthesizer für die spezifische Atmosphäre der Komposition gesorgt. Hauptperson der Performance ist jedoch die expressiv flüsternde, schreiende und singende Sopranistin, die den aus dem Song „female“ entlehnten Text interpretiert. Dieser Popsong von Patti Smith galt allen TeilnehmerInnen des Gustav Mahler-Kompositionswettbewerbes als Grundlage. Eine weitere Prämisse des Wettbewerbs bestand in der künstlerischen Umsetzung des Spagats zwischen Improvisieren und Komponieren. Für Gamisch, der unter anderem afrikanische Musik studiert, war diese Herausforderung eine zu meisternde Aufgabe.

Auch in „Ohne Titel #7“ ist der Interpret als Improvisator gefragt. Nur wenige Akkorde dieses Werks für Vokalensemble sind fixiert. Die fünf bis acht SängerInnen sind dazu angehalten, eigene Stimmverläufe zu entwerfen, bei der sich „keine fixe Version“ durch „zu viele Tutti-Proben“ einstellt. Die Ausführenden sollen den Notentext wie ein gemaltes Bild betrachten, wobei die gesungenen Worte ‚yellow‘, ‚magenta‘, ‚aubergin‘ oder ‚apricot‘ nicht nur dem Interpreten, sondern auch dem Zuhörer helfen, die Musik synästhetisch wahrzunehmen.

Schon die Partituren stellen bei Gamisch, der auf einem Gymnasium mit einem Schwerpunkt auf bildender Kunst sein Abitur gemacht hat, eigene Kunstwerke dar. Handschriftlich und in komplexen Systemen versucht er seine Klangvorstellungen abzubilden, ohne dabei der Kunst das Zufällige zu nehmen. In „Ohne Titel #3“ gibt es für das elektronische Solo zu Beginn Anweisungen in Form einer Grafik mit Ornamenten, Strichen und Balken, die eine Inspiration, keineswegs aber eine ausformulierte Diktion für den Ausführenden darstellt. Die Elektronik sorgt im weiteren Verlauf für die räumliche Dimension der Musik und erzeugt unter anderem den Spannungsaufbau, der in einem Schlagzeugsolo kulminiert. Dieses Crescendo wiederholt sich in abgeschwächter Form und nur ein Duett der Flöte und Klarinette beendet „Ohne Titel #3“.

„Lenas bunte Klaviergedichte“ präsentiert in kurzen Sätzen acht motivische Gedanken, die kompositorisch und klangfarblich ausgestaltet werden. Eine gleichbleibende Tonhöhe bildet den Hauptgedanken im ersten, tranceartigen Satz. Dabei werden, wie im ganzen Zyklus, nicht nur die Tasten, sondern das ganze Klavier mitsamt seinen Saiten bei der Klangbearbeitung miteinbezogen. Neben der schon Ausbildung am Klavier, die schon früh begann, studiert Gamisch auch Schlagzeug am Konservatorium und so ist es nicht verwunderlich, dass zum Beispiel „Polymerisation“ für dieses Instrument geschrieben ist. Die Herstellung eines Trancezustandes durch Reduzierung des Materials taucht nicht nur in „Lenas bunte Klaviergedichte“ und „Skulptur #1“ auf, sondern leitet auch „shamans dance“ ein, dessen Name den Bezug zu Afrika offenbart. Die Offenheit nicht nur für fremde Kulturen, sondern auch für philosophische Fragen spiegeln Kompositionen wie „vor/in/hinter der Fläche“ wider.

Neben den unzähligen Studienabbrechern und -wechslern seiner Generation hat Gamisch seine Profession anscheinend schon früh gefunden. Der Student scheut sich nicht vor Provokationen und wagt sich auch in jungen Jahren an komplizierte Spannungsfelder innerhalb der Musik. Er lotet das Verhältnis zwischen Komposition und Improvisation, Musik und Theater, Kunst und Gesellschaft gekonnt aus und präsentiert durchdachte Konzepte. Wenn der 23-jährige nicht gerade in fremden Ländern im Zelt schlafend Inspirationen sammelt, wird er sicherlich noch an vielen Orten seine Uraufführungen zum Besten geben.

Margarete Buch

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