„ICH WÜNSCHE MIR DEN CHILDISH-GAMBINO-WEG” – NENDA IM MICA-INTERVIEW

Eigentlich saß die Tiroler Schauspielerin und Musikerin NENDA NEURURER gerade den Lockdown in London ab, als sie mit ihrer ersten Single „Mixed Feelings” auf Platz eins der FM4-Charts kraxelte. In ihrem eingängigen Track rechnet sie als „bilingual multi-linguist with a silver tongue” in britischem Englisch und Ötztaler Dialekt mit Alltagsrassismus und den dummen Fragen ab, die sich POC oft anhören müssen. NENDA erzählt uns im Interview wie es war, in einem Tiroler Nest aufzuwachsen, wie man mit aufdringlichen Leuten und professionellen Druck umgeht, wie man wach bleibt, nett zu sich selbst ist und was auf keiner guten Dankbarkeitsliste fehlen sollte.

Deine Single Mixed Feelings” ist mittlerweile seit Wochen auf Platz eins der FM4-Charts und zugleich dein erster veröffentlichter Track.  

Nenda: Es ist alles ein bisschen surreal, weil ich mir gar nicht vorstellen kann, dass es auf Platz eins ist. Wenn ich meinen Track im Radio höre, denke ich, dass ich ihn selbst aufgelegt habe.

Setzt dich das unter Druck? 

Nenda: Ich versuche, mich nicht beeinflussen zu lassen, und hoffe, dass mir dieser Druck nicht zu nahe tritt. Ich habe bereits ein paar halbe Songs geschrieben.

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Wie viel Material lag vor Mixed Feelings” auf deinem Computer rum?  

Nenda: Es gibt unglaubliche viele halbe Sachen auf meinem Laptop, meinem Handy oder in Notizbüchern. Da sind Fetzen von Texten, Beats und Chords, die ich mal gespielt habe. Ich weiß nicht, ob ich das Alte noch verwenden soll, weil das für mich abgelaufen ist.

Wann hast du angefangen, selbst Beats zu machen?  

Nenda: Als Abschlussarbeit an der Schauspielschule habe ich einen Kurzfilm gedreht, der auf einem Liederzyklus basiert. Dabei ging es um Rotkäppchen, das in den Wald geht und vom Pfad abkommt – um die Pubertät, wo man zum ersten Mal vom Pfad des Lebens abkommt. Dazu habe ich sechs oder sieben elektronische Lieder geschrieben und mir dabei das Produzieren beigebracht. Vorher habe ich nur Gitarre gespielt. 

„WIR SOLLTEN ALLE UNSERE BLOCKFLÖTEN WIEDER RAUSHOLEN.”

Du kommst also aus der instrumentalisch-analogen Ecke?  

Nenda: Ich spiele seit ich klein bin Gitarre. Ich habe mit der Blockflöte begonnen, wie viele von uns. Wir sollten alle unsere Blockflöten wieder rausholen.

Bild Nenda
Nenda (c) Yuki Gaderer

Wie Lizzo mit ihrer Querflöte.  

Nenda: Ich wollte als Kind eigentlich Harfe spielen. Dann hat die Mama gesagt: Nein, eine Harfe kostet 2.000 Euro, du kannst meine alte Gitarre haben.” Bis ich 18 war nahm ich neben dem Gitarrenunterricht auch noch Schlagzeugstunden. Meine Schauspielschule hatte eine musikalische Ausbildung. Singen tue ich auch, aber im Moment rappe ich lieber.

Du lebst seit sieben Jahren in London und bist dort Schauspielerin. Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Song über Rassismus und Identität im Zusammenhang mit deiner Heimat Tirol zu schreiben? 

Nenda: Mir sind nach und nach diese Fragen eingefallen, die man gestellt bekommt. Wo bist du wirklich her? Wieso kannst du so gut Deutsch? Es gibt eine unglaublich lange Liste an Fragen. Das hat sich dann in diesem Song manifestiert. Zuerst war es alles auf Englisch, dann auch auf Tirolerisch.

Sogar der Tiroler Landeshauptmann hat David Alaba einmal auf Englisch angesprochen. 

Nenda: Das ist eine seltsame Idee, die Leute in ihrem Kopf drin haben – dass jemand nur, weil er oder sie vielleicht “anders” ausschaut, kein Deutsch spricht. 

„BEI MIR WURDE VIEL ÖFTER GEFRAGT UND NACHGEHAKT ALS BEI ANDEREN KINDERN.”

Wie war für dich das Aufwachsen im Ötztal, einem besonders rustikalen Teil von Tirol?

Nenda: Ich habe nichts anderes gekannt. Es war sehr schön, aber auch schwierig. Andere Kinder können gemein und ausgrenzend sein, aber tatsächlich waren es oft die Erwachsenen, die fragten: „Zu wem gehörst du?”. Bei mir wurde viel öfter gefragt und nachgehakt als bei anderen Kindern. Das war mir peinlich und unangenehm.

Oft sagen Kinder Dinge, die nur von Erwachsenen kommen können.  

Nenda: Kinder sind neugierig, warum meine Haare anders ausschauen. Die sagen das ohne einen feindseligen Gedanken. Solche kommen nur von den Erwachsenen. Meine Mama ist weiß und wurde oft gefragt, woher sie mich und meine Schwester hat. Schwierig wird es, wenn Leute meinen, dass sie mir ein Kompliment machen. Sie wollen nett sein und verstehen dann nicht, warum das eine falsche Frage war. Ich bin niemandem Böse, der wirklich interessiert ist. Wenn ich allerdings Leute kennenlerne und die mich nur fragen, wo ich denn wirklich her komme, dann habe ich keine Geduld.

Denkst du, dass du mit Mixed Feelings” bereits etwas bewegt hast? Dass Leute vielleicht weniger Fragen stellen?  

Bild Nenda
Nenda (c) Yuki Gaderer

Nenda: Eine Mutter hat mir geschrieben, dass ihr Kind wegen meines Songs zum ersten Mal mit offenen Haaren in den Kindergarten gegangen ist. Das fand ich unglaublich schön. Kleine Kinder, die sich nicht so sicher fühlen in ihrer Haut, sollen sehen, dass es in Tirol auch andere Menschen gibt, die nicht so ausschauen, wie manche das erwarten.

War der Umzug nach London auch eine Art Flucht? Checkst du, Tirol, dass ich das Land verlassen hab, wiel mich zu viele Leute fragen ob ich Deutsch sprechen kann”, heißt es dazu in Mixed Feelings”.

Nenda: Ich habe mir gedacht, wenn ich auf Englisch schauspielern kann, dann werde ich es auch auf Deutsch können. Als Kind wollte ich eigentlich nach Amerika. Als Erwachsene habe ich festgestellt, dass Los Angeles so ziemlich auf der anderen Seite der Welt ist. Ich hatte dann eine Freundin aus Tirol, die auch in London auf die Schauspielschule gehen wollte.

Im Video zur Single sieht man dich unter anderem im Dirndl. Wie politisch ist es, ein Dirndl zu tragen?  

Nenda: Wann immer ich ein Dirndl angezogen habe, und das ist selten, dann habe ich mich ein bisschen schräg gefühlt. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht dazugehöre und dass ich das gar nicht tragen darf. Deshalb habe ich mir im Video gedacht: Ich darf das anziehen und meine Freundinnen auch. Es ist politischer als ich dachte.

„VIELE LEUTE MEINEN, DASS NUR DAS BESCHIMPFEN AUF DER STRAßE RASSISMUS SEI.”

Du hast im Interview mit dem Standard davon gesprochen, dass du nervös wirst, wenn du beim Skilift nach einem Einheimischen-Rabatt fragst.

Nenda: Das ist dieses verinnerlichte Privileg, das weiße Leute haben und zugleich nicht verstehen. Viele Menschen meinen, dass nur das Beschimpfen auf der Straße das Rassismus sei. Dass ich das Gefühl habe, dass ich kein Dirndl anziehen darf oder nicht nach einem Einheimischen-Pass fragen darf, ist auch Rassismus.

Bist du eine musikalische Schauspielerin oder eine Musikerin mit Schauspiel-Talent?

Nenda: Ich glaube, ich bin eine Schauspielerin mit Musik-Talent. Schauspielen war immer schon mein Traum seit ich klein bin. Deswegen habe ich mich mit der Musik vielleicht so leicht getan – weil es mir nicht so am Herzen liegt, wie das Schauspielen. Wenn man nicht versucht, etwas krampfhaft gut zu machen, dann ist es oft leichter.

Die Schriftstellerin Fran Lebowitz sagt in der Doku Pretend It’s a City”, dass ihr das Schreiben ab dem Moment nicht mehr Spaß gemacht hat, als sie damit Geld verdient hat.

Nenda: Es ist schon schön, wenn man mit seiner Kunst Geld verdienen kann.

Ist das immer noch so, wenn man davon leben muss?

Nenda: Das ist beim Schauspielern ja auch so. Ich lebe davon. Bei Vorsprechen merken es die Leute auf der anderen Seite, wenn man nach Verzweiflung riecht. Man muss sich einreden, dass es einem komplett egal ist. Diese Einstellung beizubehalten, wenn man von einem künstlerischen Beruf lebt – daran sollte man arbeiten.

Wie gut kannst du mit Kritik umgehen?  

Nenda: Es kommt darauf an, woher sie kommt. Negative Kritik ist okay, solange sie konstruktiv ist.

Durch deinen Erfolg im österreichischen Radio warst du gerade ein Weilchen in Wien. Kannst du dich mit der hiesigen Szene anfreunden?  

Bild Nenda
Nenda (c) Yuki Gaderer, Paul Jochum, Eleonora Golubkowa

Nenda: Ich hatte Musik aus Österreich lange Zeit gar nicht auf dem Radar, weil ich schon so lange in London wohne. Vor Kurzem habe ich Kerosin 95 entdeckt und höre sie* jeden Tag. Heimkommen heißt für mich, auch mindestens einmal im Proberaum in Innsbruck zu jammen.

Vor Kurzem erschien Arlo Parks Album Collapsed in Sunbeams”. Du bist im Musikvideo zur Single Black Dog” zu sehen. Wie ist es dazu gekommen?

Nenda: Das war ein ganz normaler Schauspieljob. Ich kannte ihre Musik gar nicht und ich habe den Song zum ersten Mal am Set gehört. Ich finde interessant, dass ihre Musik auch in Österreich so gut ankommt.

In Black Dog” geht es um Depressionen und psychische Gesundheit. Was machst du, um mental gesund zu bleiben?  

Nenda: Ich bin sehr spirituell und meditiere gerne. Jeden Tag meditiere ich zehn bis fünfzehn Minuten und dann schreibe ich eine Liste von Sachen, für die ich dankbar bin. Das sind meine täglichen Rituale. Wenn etwas passiert, mit dem es mir nicht gut geht, dann versuche ich es gleich zu verarbeiten.

„DANKE FÜR SCHITT’S CREEK, DANKE FÜR DIE SONNE, DANKE FÜR MEINE FREUNDE, DANKE FÜR FM4, DANKE FÜR MEINE HÄNDE UND MEINE FINGER.”

Was steht auf deiner Dankbarkeits-Liste?  

Nenda: Eigentlich oft so banale Sachen wie: danke für Schitt’s Creek [Anm.: eine kanadische Sitcom], danke für die Sonne, danke für meine Freunde, danke für FM4, danke für meine Hände und Finger, dass sie so gut arbeiten können. Ganz einfach alles, was mir einfällt.

An welchen Tagen ist die Liste besonders lang, wann ist sie besonders kurz?  

Nenda: Die ist immer gleich lang, immer genau eine Seite. Manchmal fällt es mir schwer, diese Seite zu füllen. Das ist meistens dann, wenn ich abgelenkt bin, wenn ich mich nicht in die Zone setzen kann. An Tagen, wo die Sonne scheint, wo ich gut aufgewacht bin, da läuft’s einfach.

Wie ist dein Alltag gerade? Bist du strukturiert?  

Nenda: Ich wär’s gerne. Ich habe mir schon immer schwer getan mit dem Aufwachen. Einmal bin ich sogar auf Narkolepsie getestet worden, weil ich überall eingeschlafen bin. An manchen Tagen akzeptiere ich es einfach, wenn ich einmal erst zu Mittag aufwache und an manchen Tagen tue ich mir schwer.

Was wünschst du dir für die Zukunft? Mehr Musik, mehr Schauspiel oder den Lady-Gaga-Weg mit beidem?

Nenda: Nicht den Lady-Gaga-Weg, sondern den Childish-Gambino-Weg. Es schreibt als Donald Glover selber Serien. Genau das will ich auch machen. Wenn ich meinen eigenen Film im Kino sehe, dann hab ich’s geschafft. Ich will eine Allround-Künstlerin sein.

Danke für das Gespräch!

Benjamin Stolz

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