Vor dem Zerbrechen hilft oft nur noch ein Bruch mit dem Geradlinigen. Als rettender Anker kommt uns dabei das neue Album „Harbour of the Brokenhearted” (VÖ: 6.6.2025) gerade recht. PHILIPP HANICH aka Bruch wirft darin keine Leinen aus, sondern lässt seine Loops treiben – zwischen Melancholie und Minimalismus zwingt er uns Weltverlorene dabei durch seine Delay-Schleife um eine Weile über dem Ambivalenten zu treiben: Ein Hafen für alle, die zwischen den Gefühlsfronten manövrieren – nicht immer sicher, aber ehrlich. Im Gespräch mit Ania Gleich spricht HANICH über das Schlingern als Lebensform, Liebeserklärungen ohne Kitsch und die Kunst, im Ungefähren nicht unterzugehen.
Über Musik oder ihren Entstehungsprozess zu sprechen, wenn das Album schon fertig ist, finde ich immer schwierig. Man kann ja nicht einfach in den Moment zurückspringen, in dem man sie gemacht hat, oder?
Philipp Hanich: Wenn man das könnte, würde sich das ja von selbst schreiben, denke ich. Aber so ist es eben nicht. Man muss einen Weg finden, etwas auszudrücken, das andere verstehen können. Wenn ich einfach sage: „Das war ich mal, aber anders“, ist das schwer greifbar.
Mir fällt es immer noch schwer, über Kunst zu sprechen – obwohl ich Philosophie studiert habe und mich viel mit Gedanken beschäftigt habe.
Philipp Hanich: Ich glaube, philosophische Herangehensweisen können aber dabei helfen, gerade wenn man darüber spricht. In der Philosophie ist man ja geübt im Denken und im Diskutieren.
Naja. In der Philosophie lernt man zwar, über Gedanken zu sprechen, aber auch teilweise, sie in der Diskussion zu verkomplizieren. Das mochte ich noch nie.
Philipp Hanich: Versteh ich. Allerdings muss ich sagen: Mein Bruder hat auch Philosophie gemacht, und ich fand es immer spannend, dass man dort davon ausgeht, dass das Gegenüber prinzipiell im Gespräch nichts Böses meint – dass man erstmal nur zuhört. Das gefällt mir. Ich selbst bin da nicht so: Ich fahre manchmal zu schnell rein. Aber ich würde das gern lernen, diese Art von Gespräch.
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Wenn es um das Übersetzen von Gedanken und Gefühlen geht: Wie gehst du das in deiner Musik an? Gibt es da eine Struktur für dich?
Philipp Hanich: Ich glaube, es geht bei mir viel um Stimmung. Ich will eine Atmosphäre aufbauen. Manche Themen kommen dazu, aber die Sprache – also Englisch – habe ich vor allem deshalb gewählt, weil es eben die Sprache des Pop ist, vor allem hier in Mitteleuropa. Und es schafft auch eine gewisse Distanz: Ich kann Englisch nicht perfekt, also weiß ich manchmal gar nicht so genau, was ich da sage, im Vergleich zu Deutsch. Meine Texte bestehen oft aus Versatzstücken, aus Formeln, die zur Stimmung passen und das ungefähr ausdrücken, was ich sagen will, aber auf eine sehr einfache Weise. Und das Ganze kombiniert sich dann mit der Musik, die sich ständig wiederholt: diese Loops. So baut sich das auf. Aber geplant ist das nicht wirklich, das hat sich einfach ergeben. Ich bin ja auch kein Musiker im klassischen Sinn. Ich muss mir das alles irgendwie zusammenstückeln. Andere machen und ich mach halt auch: passt schon.
Was meinst du, wenn du sagst, du seist kein Musiker?
Philipp Hanich: Ich bin kein gelernter Musiker.
Viele, die Musik machen, kommen nicht aus einer klassischen Ausbildung. Manchmal ist man dadurch sogar freier im Kopf.
Philipp Hanich: Ja, das stimmt. Wer eine klassische Ausbildung hat, muss sich vielleicht eher zurückschrauben und ich muss mich halt raufschrauben.
In der Musik wird heutzutage vieles komplexer, aber gleichzeitig spürt man auch eine Gegenbewegung. Bist du Teil davon?
Philipp Hanich: Vieles ist vom elektronischen Pop geprägt, soll gut über Handys und kleine Boxen klingen mit fetten Bässen. Das mag ich gar nicht so. Ich schraube das oft zurück. Und ich gehe auch zu nah ans Mikro – so singe ich halt. Ich könnte natürlich „richtig“ singen, mit Abstand und Haltung, aber das bin ich nicht.
Es schafft Intimität. So ähnlich wie du es über das Englische gesagt hast. Diese Distanz zur Sprache bringt gleichzeitig auch Nähe.
Philipp Hanich: Genau. Wenn ich auf Deutsch singen würde, fehlt mir diese Distanz. Die kommt durchs Englische, aber auch durch Hall oder Delay, wie bei alten Rock’n’Roll-Platten. Ich liebe diese Ambivalenz. Ich öffne mich, aber mit Abstand. So funktioniert das für mich. Auf Englisch geht das. Würde ich singen: „Servus, grüß euch, ich bin wieder da“ – das wäre viel zu direkt.
„WENN ALLES ZU GLATT IST, WIRD ES LANGWEILIG”
Versteh ich gut. Ich habe mal eine Zeit lang auf Englisch geschrieben, und da war es ähnlich: Ich konnte den Klang von Worten genießen, ohne sofort alle Bedeutungen mitzuliefern. Im Deutschen geht das schwerer.
Philipp Hanich: Ja, das ist es. Natürlich kenne ich nicht jedes deutsche Wort, aber beim Englischen nutze ich bewusst diese Unschärfe. Mein Album dreht sich um Geborgenheit, trotzdem nicht um Sicherheit. Wenn alles zu glatt ist, wird es langweilig. Es muss auch ein bisschen wild sein, zerbrochen. Das hält es lebendig.
Gerade in extremen Gefühlsmomenten – Liebeskummer, Umbrüche – sind Menschen oft besonders empfänglich für solche Zwischentöne. Vielleicht versteht man Lyrik erst dann richtig.
Philipp Hanich: Total. Ich liebe an Lyrik dieses Ambivalente, dieses Dazwischen, das man nicht ganz greifen kann. Deshalb fand ich den Albumtitel auch so passend: er liegt genau zwischen Geborgenheit und Unsicherheit.
Wie kam es, dass dein Album genau in diese Richtung gegangen ist?
Philipp Hanich: Die Idee begleitet mich schon länger. Mit Bruch will ich nicht nur Musik machen, sondern auch Kunst im weiteren Sinn anbieten. Ich frage mich oft: Was kann das bedeuten, was ich da tue? Ich mag, was aus Poesie entstehen kann und ich finde, Musik oder Malerei können poetisch sein. Das ist vielleicht das, was ich anbiete. Man kann es annehmen oder nicht. Es passiert in diesen Zwischenräumen. Man muss nicht leiden, muss nicht sicher sein, aber vielleicht ist man beides gleichzeitig. Irgendwo dazwischen.
Ambiguitätstoleranz: Das Wort ist überstrapaziert, aber der Gedanke bleibt wichtig. Wenn mehr Menschen Uneindeutigkeit aushalten könnten, gäbe es ein tieferes Verstehen. Doch viele suchen Sicherheit im Eindeutigen.
Philipp Hanich: Ja, sonst herrscht ja auch Chaos. Diese Angst ist nachvollziehbar. Manche Dinge müssen klar sein. Wenn alles schwankt, wird es anstrengend. Aber eine Offenheit für dieses Schwingen: das wäre viel wert. Nur fehlt oft die Zeit. Oder sie scheint zu fehlen, weil dauernd etwas „getan“ werden muss. Das macht es sehr schwierig.
Und es hängt ja auch davon ab, wie man aufgewachsen ist, welche Privilegien man hatte, ob man überhaupt in den Zustand kommt, diese Offenheit zuzulassen. Das Mindeste, was jede:r tun kann, ist, anderen vorurteilsfrei zu begegnen und wirklich zuzuhören.
Philipp Hanich: Genau das meinte ich am Anfang mit dem philosophischen Gespräch: Wenn das die Voraussetzung im Alltag wäre, wäre das großartig. Ich vergess es trotzdem ständig. Aber ich glaube, genau hier setzt Kunst an. Sie kann diesen Raum öffnen. Das ist für mich auch das Politische daran. Nicht, dass Kunst politische Botschaften tragen muss, sondern weil ihre Haltung etwas bewirken kann.
„IM CHAOS ZU LEBEN, WIRD IMMER ANSTRENGENDER”
Ja, Kunst kann auf eine andere Weise berühren als das Intellektuelle. Vor allem Musik. Sie erreicht Menschen quer durch alle Schichten. Nachdem du dich auch mit Malerei ausdrückst: Hast du das Gefühl, bei der bildenden Kunst funktioniert das anders?
Philipp Hanich: Für Musik funktioniert das super, aber bei der bildenden Kunst fehlt oft die Sprache. Alles ist so aufgeladen, da sagt man schnell das Falsche. Ich gehe kaum mehr zu Eröffnungen, weil ich oft das Gefühl habe, ich versteh nichts. Bei Musik hat jede:r irgendeine Ahnung – das kann auch stressen, aber es ist offener.
Ist das deine Haltung – dass du dich bewusst fernhältst?
Philipp Hanich: Ja, bei mir selbst. Aber ich kenne auch extremere Fälle. Ich würde mir wünschen, es wäre offener. Bilder und Kunst: Das ist ja wunderbar. Man könnte das genauso nahbar machen.
Gerade in unserer bildfixierten Welt. Eigentlich wäre es der perfekte Moment für eine neue, offene Malereikultur, aber das passiert nicht.
Philipp Hanich: Es ist kompliziert. Originale, Einzelstücke – Malerei wird sofort zum Marktobjekt.
Und genau da liegt die Distanz: zwischen den Menschen, die Kunst machen, und denjenigen, die sie konsumieren. In der Malerei ist dieser Abstand riesig.
Philipp Hanich: Und es gibt auch genug Schnösel, die selbst malen!
In der Musik ist das alles viel niederschwelliger.
Philipp Hanich: Ja, Musik packt schneller. Sofort.
Vielleicht auch, weil wir damit aufwachsen. Malerei erleben die wenigsten von klein auf.
Philipp Hanich: Das war vor ein paar Jahrhunderten sicher anders. Aber es war immer ein Ding der Wohlhabenden, die Kunst sammeln oder ausstellen konnten. Wer zeigt was? Wir hatten mal einen kleinen Off-Space im Neunten. Das ist sicher 15 Jahre her. Das hat mir gut gefallen. Rough, klein, ohne Schwellen. Solche Orte gibt es schon noch. Aber viele trauen sich nicht hin.
Die Wahrnehmung bildender Künstler:innen ist oft seltsam. Manchmal sieht man bei langjährigen Kunstschaffenden, dass sie sich mit der Zeit konservativen Idealen annähern – scheinbar im Widerspruch zu den Werten der “Kunst”.
Philipp Hanich: Ja, das passiert irgendwann. Die Kräfte lassen nach. Im Chaos zu leben wird immer anstrengender.
Den jugendlichen Sturm-und-Drang-Modus kann man nicht ewig tragen. Aber Künstler:innen wird oft genau das abverlangt.
Philipp Hanich: Genau. Siehst du bei Altpunks: früher wild, heute sind manche Banker. Sie sind keine Punks mehr. Das geht nicht ewig.
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Es kostet Kraft, immer dagegen zu sein.
Philipp Hanich: Ja, das ist einfach mühsam.
Deshalb finde ich es schön, dass dein Album für genau diese Doppelbödigkeit Raum lässt. Dein letztes Album ist vier Jahre her, oder?
Philipp Hanich: Ja, dazwischen habe ich nur einzelne Sachen auf Soundcloud herausgebracht.
Was hat sich für dich in diesen vier Jahren verändert – wenn du nur die zwei Alben vergleichst?
Philipp Hanich: Eigentlich nicht so viel. Aber was sich verändert hat, ist die Klarheit. Die alten Sachen waren noch mehr im Postpunk, mit mehr Wucht, mehr Dampf. Das neue Album ist zurückgezogener. Aber genau darin liegt für mich die Kraft. In der Distanz, in der Nähe, im Hin und Her. Ich liebe Postpunk und das Härtere, aber ich weiß inzwischen, dass es sich für mich so entwickeln muss und das klarer, fokussierter. Ich will mich nicht neu erfinden. Ich will mich konzentrieren. Das ist, was ich mache. Und es ist auch das, was ich von mir selbst hören will. Es klappt nicht immer so, wie ich es mir wünsche, aber zumindest so, dass ich es rausbringen kann.
Was erwartest du eigentlich von dir selbst?
Philipp Hanich: Ich bin sehr selbstkritisch. Das schwankt total. Mal denke ich, ich bin der Beste, mal zweifel ich komplett. Was ich konkret erwarte? Vor allem: Arbeit. Ich kann nicht lange nachdenken und dann passiert was. Ich muss tun, dann kommt die Idee. Nicht andersrum.
„LIEBE IST NIE FALSCH, WENN SIE EHRLICH IST”
Und was sollte man über dein Album unbedingt wissen? Gibt es etwas, das dir besonders wichtig ist?
Philipp Hanich: Das steckt schon alles im Album. Ich weiß, das klingt wie eine Umgehung der Frage, aber so ist es. Ich meine, am Ende heißt es: To love as long as you can and be true as long as you can. Das ist vielleicht kitschig, aber auch nicht. Ich finde: Liebe ist nie falsch, wenn sie ehrlich ist.
Ich habe heute einen Podcast gehört, in dem es um Liebe ging. Die These war, dass viele Menschen durch Digitalisierung verlernen, Beziehungen aufzubauen. Und das wirkt sich direkt auf Gesundheit und Lebensqualität aus.
Philipp Hanich: Dabei kann die Digitalisierung dabei aber auch eine Hilfe sein – gerade für Menschen, die schüchtern oder sehr introvertiert sind. So etwas wie ChatGPT kann ein Übungsfeld sein, um überhaupt mal soziale Interaktion zu versuchen.
Gerade für neurodivergente Menschen kann das ein wertvolles Tool sein. Aber gleichzeitig merke ich: Je mehr ich nur noch digital unterwegs bin, desto schwieriger wird es, echte Begegnungen zu haben. Manchmal fällt es mir dann schwer, selbst banale Sachen zu fragen – wie den Busfahrer nach dem Weg.
Philipp Hanich: Der Busfahrer ist aber auch hart – vor allem in Wien.
Jedes Mal, wenn ich raus aus Wien bin, fällt mir auf, wie unfreundlich hier alle sind. Hier erwarte ich prinzipiell, gleich angegrantelt zu werden.
Philipp Hanich: Wenn meine Familie zu Besuch ist, sagen sie immer: „Die Wiener:innen sind ja so freundlich!“ Ich denke mir dann immer: Ihr müsstet auch mal die Grantigen treffen!
Vielleicht granteln sich die Wiener:innen einfach nur gegenseitig an und sind nur zu Fremden nett.
Philipp Hanich: Kann gut sein. Nachdem ich ursprünglich aus München komme, muss ich aber sagen: Die Münchner sind aber auch grantig – nur anders.
Findest du? Als Kind ist mir immer aufgefallen: In Wien steigst du in die U6, alles laut. In München: Stille. Niemand spricht.
Philipp Hanich: Da hingen früher ja auch diese legendären Schilder: „Aus dem Walkman tönt es grell – dem Nachbarn juck’ts im Trommelfell.“ Mit Zeichnungen von Leuten mit riesigen Lautsprechern. Wahrscheinlich haben deshalb immer alle geflüstert!
Das könnte sein! In diesem Sinne: Ich hoffe, du hast dich gut interviewt gefühlt!
Philipp Hanich: Sehr sogar. Bin gespannt, was du draus machst.
Danke dir!
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Ania Gleich
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