„Ich hatte die Möglichkeit, ganz zu mir zu kommen” – YORGOS NOUSIS im mica-Interview

Eigentlich wollte YORGOS NOUSIS gar kein Album mehr aufnehmen. Wozu auch? Er ist als Solist, mit seinem Trio und im Quartett unterwegs, er komponiert, arrangiert. Kurzum: Er hat genug zu tun und ist erfolgreich. Dann hat er es allerdings doch getan, er hat ein neues Album aufgenommen, das erste seit zehn Jahren, und “Guitaltruism” unterscheidet sich wohltuend von den meisten anderen Produktionen virtuoser Gitarristen, denn es geht auf dem Album nicht um das Ausstellen von Können, es geht um Emotion, so pur und so reduziert wie möglich. „Einfach und ruhig” nennt es Nousis selbst bescheiden. Tatsächlich sind es meist einfache Melodien, die sich dafür umso hartnäckiger in den Gehörgängen festsetzen. Markus Deisenberger traf YORGOS NOUSIS, um mit ihm über die Entstehung des Albums und darüber zu plaudern, was es mit dem Titel “Guitaltruism” auf sich hat.

Dein letztes Album “My Guitar” erschien vor beinahe zehn Jahren. Was ist seither passiert?

Yorgos Nousis: Musikalisch habe ich viele Sachen gemacht. Aber es war nie das Ziel, eine neue CD zu machen. Ich habe schon aufgenommen, aber nur Singles, andere Projekte. Eine CD machte für mich keinen Sinn.

Warum dann doch ein Album?

Yorgos Nousis: Es hat einerseits mit der SKE-Förderung zu tun. Ich hatte viele Kompositionen, schrieb eine Bewerbung und bekam eine Zusage.

Was waren das für Kompositionen?

Yorgos Nousis: Musik, die einfach zu hören ist. Keine langen oder besonders komplizierten Kompositionen. Ein paar der kurzen Stücke habe ich für Kinder geschrieben, für Gitarrenwettbewerbe. Musik, die einfach und ruhig ist.

Das heißt, es geht mehr um Emotionen als um Können?

Yorgos Nousis: Genau. So könnte man das beschreiben. Da sind meine Emotionen drin. Auf dem Album ist auch viel Filmmusik. Ich habe Musik für zwei Filme komponiert. Allerdings für andere Instrumente.

Ohne das zu wissen hatte ich beim Hören unweigerlich die Assoziation, dass manche Stücke für Film komponiert wurden. Welche Filme waren das?

Yorgos Nousis: Zwei Dokumentarfilme, darunter eine Doku über eine serbische Autobahn, die einfach nicht fertig wird. „Sans Espoir“ soll bedeuten, dass es keine Hoffnung gibt, dass sie jemals fertig wird. Und für einen griechischen Film habe ich „Trappe Fatale“ komponiert. Die Originale sind für Klavier und für Klarinette. Ich habe sie dann um-arrangiert für Gitarre bzw. für zwei Gitarren.

Die SKE-Förderung allein kann es nicht gewesen sein. Was hat dich noch inspiriert, nach so langer Zeit doch ein Album zu machen?

Yorgos Nousis: Der Gitarrist Martin Krajčo, mit dem ich gemeinsam im Bratislava Guitar Quartett spiele, hat ein kleines Studio in der Slowakei, Polimelos, welches etwa eine halbe Stunde von Bratislava entfernt in einem kleinen Dorf liegt. Es hat eine tolle Atmosphäre dort, und um eine CD zu machen, brauchst du eine gute Atmosphäre. Es muss auch gut für dich sein, du musst dich wohlfühlen. Ich bekam den Schlüssel, war allein dort. Ich hatte die Möglichkeit, dort ganz zu mir zu kommen und in Ruhe zu arbeiten. In einem anderen Studio, wo ich für jede Stunde bezahlen hätte müssen, wäre das zu viel Stress gewesen. Da hätte ich Zeitdruck gehabt, in ein, zwei Tagen alles einzuspielen. So war ich zwei Mal dort und habe drei Tage insgesamt aufgenommen. Ganz entspannt. Ich habe dort auch geschlafen.

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War das nicht eigenartig? An einem fremden Ort, ganz allein?

Yorgos Nousis: Nein, das ist kein Problem. Ich arbeite gut allein.

Ist das immer so, dass du, wenn du komponierst, alles andere wegschieben musst?

Yorgos Nousis: Ja, aber die Kompositionen waren ja schon fertig. Ich habe nur an der einen oder anderen Komposition noch ein wenig arbeiten müssen, aber grundsätzlich war alles schon fertig. Aber es waren natürlich auch andere Musiker beteiligt. Es gibt ein Stück, „Balada Oriental”, da hatten wir die Aufnahme schon vor zwei Jahren gemacht, zwei Freunde von mir an Gitarre und Oud. Auf einer anderen Nummer sind zwei Gitarren.

Wie kamst du zu deinen Mitstreitern?

Yorgos Nousis: Ein Gitarrist ist ein Freund und veranstaltet das Gitarrenfestival in Kalamata. Ich habe ja fast alle der Nummern für das Gitarrenfestival in Kalamata geschrieben. Für die Kinder. Ein anderer Freund und Gitarrist spielt nebenbei auch Oud. Beide sind unglaublich gut, und ich wollte immer schon ein Lied für die beiden schreiben. Das Lied habe ich dann meinen beiden Freunden zum Geschenk gemacht, habe es zuerst publiziert. Und jetzt haben wir es gemeinsam eingespielt.

Oud ist ungewöhnlich.

Yorgos Nousis: Ja und nein. Oud ist ein arabisches Instrument, das man aber auch viel in der griechischen Musik spielt. Das lernt man nicht am Konservatorium, aber in den Musikschulen kannst du das in Griechenland überall lernen. Die Kombination klingt gut. Es war interessant für mich, so etwas zu machen. Ich liebe dieses Lied. Die beiden waren hier in der Slowakei, und wir haben gemeinsam Spaß gehabt.

Was bedeutet der Titel “Guitaltruism”?

Yorgos Nousis: Ich wollte das Album ein bisschen als Geschenk ans Publikum verstanden wissen und weit weg von Egoismus und anderen Dingen, die nicht wichtig für die Kunst und das Leben sind.

Es hat gedauert, bis ich zu dem Titel kam. “Altruismus” war mir wichtig. Die beiden Wörter Altruismus und Gitarre zu kombinieren, fand ich interessant.

Wie würdest du das Album im Vergleich zum letzten Album „My Guitar” beschreiben?

Yorgos Nousis: „My Guitar” hatte viele Dinge drin, die sehr kompliziert sind. Das war auch eine Zeit, in der ich viele Solo-Konzerte spielte und zeigen wollte, was ich kann. Ich wollte schwierige Sachen spielen. Damals habe ich auch mit vielen anderen Gitarristen gespielt. Da musst du immer wieder überprüfen, ob du gut bist.

Vor allem auch, wenn man fremde Sachen spielt, oder?

Yorgos Nousis: Das mache ich nicht mehr oft. Vor fünfzehn, sechzehn Jahren habe ich das schon noch gemacht. Und im Quartett spielen wir fremde Kompositionen. Aber solo spiele ich hauptsächlich meine Kompositionen.

Wirst du die CD live präsentieren?

Yorgos Nousis: Ich möchte eine Präsentation machen, ja. Damals für „My Guitar” habe ich im ORF Radiocafé gespielt. Das hat gut gepasst. Vielleicht etwas ähnliches, aber konkret ist derzeit noch nichts geplant.

Am Balkan ist man sehr interessiert an Gitarrenmusik. Du bist viel in dieser Region unterwegs, oder?

Yorgos Nousis: Ja, es ist eine Mischung. Griechenland, das ganze Ex-Jugoslawien, die Türkei. Es gibt dort viele unterschiedliche Rhythmen und Takte.

Wie ist Österreich als Pflaster für das Gitarrenspiel? Du spielst immer wieder in Bratislava und Passau. Aber wie wird deine Musik in Wien rezipiert?

Yorgos Nousis: Gute Frage. Vielleicht wird das, was ich mache, nicht so angenommen, wie es angenommen werden könnte, würde ich konservativer agieren. Die Gitarre ist ein Instrument, auf dem man alles spielen kann: Von Volksmusik über Jazz und Flamenco bis hin zu Pop, Rock und Heavy, echt alles. Aber die Gitarre wird auf der Uni eher klassisch gelehrt. Und Gitarre hat so viele neue gute Musik, es gibt so viele Komponist:innen, die jetzt komponieren. Deshalb finde ich es schade, wenn man zu sehr in die klassische Richtung geht. Es gibt Musik aus dem 18. Jahrhundert, die gar nicht so gut ist. Wie haben eine gute Romantik, guten Barock. Aber es gibt eine Phase in der klassischen Periode, die nicht wirklich gut ist. Aber es gibt hervorragende zeitgenössischen Komponist:innen. Wir sollten als Gitarrist:innen daher mehr in die zeitgenössische Musik gehen.

Du bist viel mit dem Bratislava Gitarren-Quartett unterwegs…

Yorgos Nousis: … ja, und hier in Wien habe ich ein Trio. Da spielen wir mit zwei Gitarren und Geige schöne Bearbeitungen. Folk, Rock und Tango.

Auf Youtube findet man auch Solo-Bearbeitungen von dir, eine wunderschöne „Fly me to the moon”-Version etwa.

Yorgos Nousis: Gitarre kann fast alles. Ich versuche immer, Bearbeitungen für meine Schüler:innen zu machen, die ich dann gratis online poste. Einen Klassiker wie „Fly me to the moon” oder einen Bossa Nova oder Beatles-Bearbeitungen. Ich habe Material für hunderte solcher Bearbeitungen.

„Wie macht man Musik, die sich von anderer unterscheidet, die einzigartig ist?” habe ich dich einmal gefragt. Deine Antwort lautete damals: „Indem man einfach Musik macht, die dich wiedergibt und nichts probiert, und das ist gar nicht so leicht.” Dafür, dass es nicht so leicht ist, hast du es mit dem aktuellen Album sehr gut hingekriegt. Bist du dir treu geblieben mit deiner Musik?

Yorgos Nousis: Ich glaube schon, ja.

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Bevor du die Gitarre wirklich beherrscht hast, hast du schon improvisiert, einfach weil dich der Klang des Instruments so fasziniert hast, hast du mir einmal erzählt. Dann hast du aber studiert – in Athen, am Salzburger Mozarteum. Ist dein Zugang zur Improvisation heute als “Gelehrter” ein anderer?

Yorgos Nousis: Nach dem Studium habe ich mir Zeit genommen, um Sachen wieder zu vergessen. Viel zu lernen war gut und wichtig, aber der Kontakt zum Instrument ist etwas total anderes. Ich sehe die Gitarre als Volksinstrument, das man nimmt, um es zu spielen, weil dir der Klang so gefällt, und nicht, um unbedingt ein Lied zu spielen. Die Gitarre klingt einfach schön. Ob es eine Melodie ist oder nicht, ist nachrangig. Wie ein Kind etwas nimmt und spielen will. Du weißt nicht, was es ist, aber es macht Spaß. Diesen Kontakt, den kindlichen Zugang musst du dir erhalten.

D.h. es wird zu verkopft, je länger man sich mit Technik und dergleichen beschäftigt?

Yorgos Nousis: Ja. Du solltest dir die Freiheit erhalten. Wenn man studiert, erliegt man oft dem Irrglauben, das machen zu müssen, was alle anderen machen. Es ist wie in der Schule. Du lernst lesen und schreiben, aber du hast trotzdem deine eigenen Gedanken, deine eigene Kreativität im Kopf. Die Kreativität haben wir alle und müssen sie entwickeln: Mir dem Schreiben, mit dem Reden, mit Installationen, mit Musik.

Du wolltest irgendwann nach Griechenland zurück? Ist das immer noch der Plan?

Yorgos Nousis: Ich liebe Wien, und ich liebe Österreich. Hier ist alles einfach. Du hast freie Zeit, nicht allzu viel Stress.

Ich warte auf das Aber.

Yorgos Nousis: Kein Aber. Es ist auch für die Kinder einfach. Schule, Kontakte. Viel Grün, viel Freizeitangebot. Es passt. Ich bin ein bisschen “lazy”, und habe nie eine Bewerbung nach Griechenland abgeschickt, weil ich mich hier so wohlfühle. Aber irgendwann möchte ich schon zurück.

Du hast bei Costas Cotsiolis studiert. Hast du noch Kontakt?

Yorgos Nousis: Ja, natürlich. Kostas macht jetzt das Athener Gitarrenfestival. Und ich bin auch dabei. Ich arbeite von Wien aus für das Festival, mache Projektmanagement. Das ist wichtig für mich. Er war mein Lehrer, mittlerweile aber ist er auch ein guter Freund.

Letztes Jahr haben wir mit dem Quartett beim Festival gespielt, ich habe auch schon Solo-Konzerte dort gespielt. Jetzt gerade relaunchen wir die Website. Es gibt viele gute Künstler:innen, die heuer dort spielen: Das Duo Assad (Sergio und Odair Assad) ist unglaublich gut. Grisha Goryachev spielt Flamenco auf herausragendem Niveau. Es ist ein super Festival. Schon als Kind habe ich dort viel gelernt. Es fand damals in Volos, einer Stadt in Nordgriechenland statt, und man hatte die Möglichkeit, dort Workshops zu besuchen. Das war enorm inspirierend. Ich habe Konzerte gesehen und gleichzeitig auch Unterricht gehabt.

Bei der Nummer „Brushing Theeth” habe ich übrigens kurz geglaubt, meine Boxen sind defekt, bis ich kapiert habe, dass es das Putzgeräusch einer Zahnbürste ist.

Yorgos Nousis: In der Partitur heißt es, man soll mit der rechten Hand so tun, als klinge es wie das Kratzgeräusch einer Zahnbürste. Im Studio aber haben wir und dazu entschlossen, eine echte Zahnbürste zu verwenden. Ich bin froh, dass du es gehört hast. Es ist ein guter Test, ob jemand wirklich die CD gehört hat.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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