Mit der Band E C H O BOOMER scheint Beate Wiesinger das Projekt gefunden zu haben, mit dem sie machen kann, was ihr am musikalischen Herzen liegt. Die Jazzwelt dankte es ihr mit der Ehrung von „Timless Warrior“ zum besten Album des Jahres 2024. Dieser Tage erscheint nun das neue Echoboomer Album mit dem Titel „The Shape of Things that never came“, das gewohnte Qualität bietet und doch sehr anders geworden ist als der Vorgänger – wie eine Wundertüte, die man am ersten Schultag in die Hand gedrückt bekommt und zwar nicht genau weiß, was drin ist, aber ahnt, dass es einem schmecken wird. Markus Deisenberger erzählte sie von kleinen Klangkörpern innerhalb großer Klangkörper, wie es geht, gemeinsam in eine Richtung zu schauen ohne sich im Gleichklang verlieren und was das alles mit einem Stück Papier zu tun hat.
Ihr habt nach dem letzten Album sehr rasch nachgelegt. Wieso ging es dieses Mal so schnell?
Beate Wiesinger: Der Vorgänger „Timeless Warrior“ hat in der Fertigstellung wegen Corona ganze dreieinhalb Jahre gedauert. Das hat sich hingezogen. Vom Ansatz her wollte ich dieses Mal einfach etwas Zügigeres machen.
Hat sich diese Zügigkeit denn auf die Art der Entstehung ausgewirkt?
Beate Wiesinger: Bei „Timeless Warriors“ haben wir sicherlich mehr Augenmerk auf Details in der Produktion gelegt. Auf die Feinarbeit. Dieses Mal haben wir einfach die Takes gespielt. Natürlich wurde danach auch noch produziert, aber es hat sich zwischen Spielen und Produzieren mehr die Waage gehalten.
Der Einstieg in die erste Nummer „Traces“ mutet fast schon kammermusikalisch an, dann aber geht die Nummer in eine ganz andere Richtung. War das Absicht, die Hörer:innen ein wenig in die Irre zu führen, indem eine falsche Fährte gelegt wird und dann die Überraschung kommt, wohin die Reise wirklich geht?
Beate Wiesinger: Was die Arbeit mit e c h o boomer so interessant macht, ist aus meiner Sicht, welchen kleinen Klangkörper man innerhalb des großen Klangkörpers hervorheben kann. Es lassen sich ganz eigene Klangfarben betonen. Ob beabsichtigt oder nicht, ist eine schwierige Frage. Es macht mir so einfach Spaß.
Hat sich der Zugang vom letzten Album zu diesem verändert?
Beate Wiesinger: Was sich verändert hat, ist, in diesem großen Klangkörper eine Spielstrategie zu finden, bei der einerseits klar ist, welche Aufgabe jede einzelne Musikerin bzw. jeder einzelne Musiker hat, man sich andererseits aber von dieser Aufgabe nicht zu stark beeinflussen lässt. Es gibt ja verschiedene Zugänge, wie man gemeinsam improvisiert. Je mehr Personen miteinander improvisieren, desto schwieriger wird es. Teilweise wollte ich Stücke schreiben, bei denen klar ist, wer welche Aufgabe hat, dass jeder/jede innerhalb dieser Limitation aber frei spielen kann.
Welche Limitierungen waren das?
Beate Wiesinger: Dass zum Beispiel ganz klar ist, an welchem Spot jemand spielt oder auch klar definiert ist, welche Art und Weise des Ausdrucks jemand spielt. Dass man sich in nur einer von vielen Möglichkeiten auszudrücken versucht und danach strebt, darin seine Sprache zu finden.
Begrenzt so ein Limit eher oder macht es frei?
Beate Wiesinger: Das muss jede/jeder für sich selbst herausfinden. Ich persönlich finde, es macht frei. Oder es bietet zumindest die Möglichkeit, eine andere Perspektive einzunehmen. Es ist vielleicht wie bei einer Etüde: Man kann verschiedene Aspekte herausarbeiten und macht sich damit bewusst, was man tut. Es gibt aber nichts, was in Stein gemeißelt ist und es gibt bei solchen Ansätzen ja auch keine Wahrheit. Warum ein Klangkörper improvisierend miteinander funktioniert, kann sehr unterschiedlich sein und ist glaube ich auch nicht ganz herauszufinden, weil ja Menschen am Werk sind. Mich interessiert, wie man sich einem großen Klangkörper nicht verliert, sondern gemeinsam in eine Richtung schaut.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.
Bei jedem Projekt, das man in Angriff nimmt, gibt es ja so einen Anstoßmoment. Gab es einen solchen auch bei „The Shape of Things…“?
Beate Wiesinger: Auf einer persönlichen Ebene hat mich das Thema „Erwartung“ und „Erleben der eigenen Realität“ viel beschäftigt. Man sieht die Welt durch seine eigene Brille, gefärbt durch die eigenen Erfahrungen, hat Erwartungen, Wünsche an gewisse Situationen oder Personen und auf der anderen Seite „passiert einem das Leben“ oftmals, – ohne gefühlte Erwartung. Manche Wünsche können ins Leben kommen, andere leben in uns drinnen, sie sind auch Form unserer Realität, formen uns von innen heraus. Ich habe sehr viele Gedanken während dieser Zeit verschriftlicht und Clemens Sainitzer, der Cellist von e c h o boomer hat dann aufgrund dieser Gedanken einen kurzen Text geschrieben, der auch am Cover ist.
Auf einer musikalischen Ebene habe ich viel nachgedacht, wann für mich beim Improvisieren spannende Momente stattfinden. Bei „Traces“ (dem ersten Stück, Anm.) wollte ich eine Live-DJ-Session akustisch sinnieren. Dass es harte Cuts gibt oder jemand sehr lyrisch improvisiert, und darunter gibt es ein percussives Solo und drüber gibt es etwas Noisiges. Dass man sich also nicht dazu verleiten lässt, in den Gleichklang mit den anderen zu gehen. Es ist wie bei einem Blatt Papier, das man gemeinsam unter Spannung hält, weil jeder seine Spannung dazu gibt.
Spannung erzeugt eure Musik auch durch das Aufeinandertreffen elektronischer und analoger Instrumente.
Beate Wiesinger: Ja. Mal wird man von einer akustischen in eine elektronische Welt entführt bzw. werden akustische Instrumente in ein elektronisches Setting eingebettet und umgekehrt.
Welche Inspirationsquellen gab es?
Beate Wiesinger: Ich höre ganz viel verschiedene Musik und sehr unterschiedliche Bands. Das ist da alles drin. Wenn man genau hinhört, kann man meine Affinität zu einer bestimmten Art von Musik, zu bestimmten Sounds in den verschiedenen Stücken sicherlich erkennen. Das ist das Schöne an e c h o boomer: Dass ich genau das machen kann, was mich gerade fasziniert. Natürlich könnte ich jetzt unzählige Bands aufzählen, aber irgendwie will ich das nicht.
Verstehe ich. Dann kommt immer gleich der „Ach, jetzt wird mir klar, warum die Musik klingt wie…“-Reflex. Aber ihr habt einen sehr eigenständigen Sound. Würde ich die Musik beschreiben wollen, fiele mir das auch schwer. Am ehesten würde ich es als eine Fusion aus unterschiedlichen Dingen bezeichnen ohne damit den Begriff „Fusion“ zu meinen, wie ihn die Jazzhistorie geprägt hat, sondern einfach als eine Verbindung von sehr unterschiedlichen Einflüssen. Wie würdest du es bezeichnen?
Beate Wiesinger: „Fusion“ würde ich es nicht nennen, weil das halt schon eine etablierte Stilistik ist. Aber mit dem Begriff, so wie du ihn verwendest, kann ich schon leben. Es fällt mir generell eher schwer, die eigene Musik zu beschreiben, zu benennen und in eine eigene Kategorie zu stecken. Was würdest du sagen, wenn du den Stil des Albums auf ein Thema reduzieren müsstest?
Schwer zu sagen. Am ehesten mit musikalischer Freiheit und Zusammengehörigkeit innerhalb dieser Freiheit. Eine Art Beweisführung, wonach Dinge, die vermeintlich nicht zusammenpassen, eben doch zusammenpassen.
Beate Wiesinger: Cool. Beweisführung finde ich in dem Zusammenhang ein sehr interessantes Wort.
Im letzten mica-Interview hast du von deinem Interesse, unterschiedliche Elemente miteinander zu verbinden. Hat sich das entwickelt?
Beate Wiesinger: Jedes Stück hat einen eigenen Sound, von dem ich ausging. Einen Spielweg, von dem ich losging. Das kann man so sagen, ja. Dieses Mal habe ich versucht, bei der Idee zu bleiben, ihr so treu wie möglich zu bleiben und keine zu harten Brüche zu machen. Ein wenig so, als ob man die andere Seite ein und desselben Buches aufschlägt, die in sich eine abgeschlossene Einheit ist und ein eigens Soundthema behandelt.
Geht es dir bei e c h o boomer auch darum, eine Spielwiese zu schaffen, auf der ihr euch frei ausprobieren könnt?
Beate Wiesinger: Was mich bis jetzt brennend interessiert, ist der Klangkörper, der aus diesen sieben Instrumenten besteht. Das kann sich in der Zukunft auch wieder anders entwickeln, aber bis jetzt interessiert er mich immer noch, deshalb gibt es das Projekt. Ich bin noch nicht satt.

Wie ist es, wenn ihr live spielt? Wird live mehr improvisiert? Und werden da im Vorhinein Slots festgelegt?
Beate Wiesinger: Unterschiedlich. Es ist nicht alles vordefiniert, wenn wir auf die Bühne gehen. Aber wenn es in einem so großen Ensemble zu viele Möglichkeiten gibt, kann es auch schwierig werden. Es braucht schon eine Strategie, um das, was jeder macht, konkret werden zu lassen.
Probt ihr fleißig?
Beate Wiesinger: Unterschiedlich. Die Personen in dieser Band sind sehr aktiv und auch in anderen Gruppen unterwegs. Insofern ist es immer wieder eine Challenge, alle regelmäßig zu Proben zusammenzubringen.
Es gibt Bassist:innen, die nur Kontrabass spielen, und andere, die nur E-Bass sielen. Du wechselst hin und her. Auf dem Stück „Phlox“ etwa nimmst du einen E-Bass. Warum? Weil du gerade diesen, nach vorne treibenden Groove nur mit einem E-Bass spielen konntest?
Beate Wiesinger: Ja, und weil mir dieser angezerrte Sound so getaugt hat. Tatsächlich ist es auch oft so, dass ich, wenn wir proben, über einen längeren Zeitraum hinweg nicht weiß, ob ich eine Line mit dem Kontrabass oder dem E-Bass spielen soll, weil es geschmacklich immer gleich in so verschiedene Richtungen geht, ich aber beide Richtungen in mir vereine. Ich komme ursprünglich vom E-Bass, habe dann aber relativ schnell zum Kontrabass gegriffen, und ab da war immer beides gleichzeitig da. Gerade in dieser Band ist es manchmal so, dass ich mir denke, den ersten Teil eines Songs mit dem Kontrabass und den zweiten mit einem E-Bass spielen zu wollen, oder umgekehrt.
Ich kenne das aus dem Radsport: Beim Bergzeitfahren einer großen Rundfahrt absolvieren die Profis den ersten, flachen Part oft auf einem klassischen Zeitfahrrad mit Aerolenker, um dann, kurz vor der ersten Steigung, vom Betreuerteam das leichtere und bergtauglichere Rennrad gereicht zu bekommen, auf dem sie dann den restlichen, steilen Part bestreiten.
Beate Wiesinger: Sehr spannend. Das muss ich mir mal anschauen. Vielleicht sollte ich das auch so machen.
Da bräuchtest dafür allerdings einen guten Roadie, der dir mitten unter der Nummer den E-Bass umhängt.
Beate Wiesinger: Ja, oder ich befolge einfach meinen eigenen Rat nach Limitation und versuche mich, durch die Beschränkung kreativ zu entfalten.
Wie bist du eigentlich vom E-Bass zum Kontrabass gekommen?
Beate Wiesinger: Weil ich während des E-Bass-Spielens gemerkt habe, dass mich so viele andere Musik interessiert. Abgesehen von der groovigeren E-Bass-Musik von der ich gekommen bin, habe ich viel Musik mit Kontrabass gehört, hauptsächlich Jazz und improvisierte Musik. Dazu kam dann noch, dass ich ein Auslandsjahr in Schweden absolvieren durfte und in Göteborg bei Anders Jormin studiert habe.
Wie war das?
Beate Wiesinger: Sehr toll. Sicher eines der inspirierendsten Studienjahre, die ich hatte.
Du kommst vom Groove, sagst du. So richtig verlassen hast du ihn aber auch nicht. e c h o boomer grooven selbst dann, wenn es avanciert wird.
Beate Wiesinger: Stimmt. Es gibt halt sehr unterschiedliche Auslegungen davon, was Groove ist.
Magst du eine aus Kontrabass und Schlagzeug bestehenden Groove genauso wie einen elektronischen Beat oder rangieren sie in deiner Beliebtheitsskala an unterschiedlichen Orten?
Beate Wiesinger: Da gibt es keine Unterschiede. Was mich berührt, berührt mich. Die Art und Weise, Puls zu spüren oder mit einem Metrum umzugehen, ist ganz ähnlich. Was wechselt, ist nur die Perspektive. Die freiere Art zu spielen folgt eigenen Groove-Regeln und bezieht sich ebenfalls auf einen Puls – genauso wie bei vielleicht offensichtlich präziser durchgetakteter elektronischer Musik. Es gibt ja viel elektronische Musik, die weitaus subtiler ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Es wird ständig so viel Neues erfunden und weiterentwickelt. Wenn man sich allein die Musik anhört, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden ist…
Hat eine Band für dich auch eine soziale Funktion?
Beate Wiesinger: Ja, auf jeden Fall, und Bands, die viel miteinander spielen, lernen einander menschlich besser kennen und sind einfach besser. Das ist eine Entscheidung, die man für sich treffen muss. Es macht einen Unterschied, ob du dich allein mit einer Sache intensiv beschäftigst oder ob du Gleichgesinnte findest, die gemeinsam mit dir an einem Projekt arbeiten und dir dabei helfen, dass sich etwas in die gewünschte Richtung bewegt. So sehe ich das, und das ist alles andere als einfach. Es gibt ja auch ökonomischen Druck, verschiedene Auslegungen von Zusammenarbeit, generell unterschiedliche Musiker:innenleben.
Du meinst: Jeder hat viele Projekte am Laufen, weil eines nicht ausreicht, um finanziell das Auslangen zu finden?
Beate Wiesinger: Du jonglierst und versuchst, dich dabei nicht zu verlieren. Jede Person hat ja auch eine andere Lebenssituation, andere Prioritäten im Leben, und diese verändern sich ja auch während der Zeit und selbst verändert man sich auch. Für mich hat aber dieses Nebeneinander von mehreren Dingen auch ein Limit, weil man, wenn es zu viel wird, nicht mehr in die Tiefe gehen kann. Ich glaube, da ist jeder Mensch anders. Je länger man das macht, desto mehr findet man heraus, welche Art von Musiker:in man ist und wie man das ein Leben lang machen kann. Das Wichtigste für mich aber ist zu wissen, wie man arbeiten möchte und was funktioniert und was nicht. Dem möchte ich treu bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger
++++
e c h o boomer live
16.06.25 Wiener Konzerthaus, Wien
20.06.25 Stiftskonzerte, Wilhering
27.07.25 Jazzwoche Zeillern, Zeilern
++++
Links:
Beate Wiesinger
e c h o boomer
e c h o boomer (Instagram)
e c h o boomer (Facebook)
Jazzwerkstatt Records
