Das Format „CLOSE UP“ im MuTh soll Besucherinnen und Besucher auf neuartige Weise mit Neuer Musik vertraut machen. Direktorin Elke Hesse und Moderatorin Irene Suchy sprechen im Interview mit Theresa Steininger über die Frage, wie dies gelingen kann – und darüber, inwiefern Wien mehr Raum für Neue Musik braucht.
Sie haben im MuTh mit „CLOSE UP – Musik nah und neu“ ein Vermittlungsformat eingeführt, das Besucherinnen und Besuchern bei Konzerten Neuer Musik auch den Dialog mit den Künstlerinnen und Künstlern und das gemeinsame Aktivwerden anbietet. Dabei richten Sie sich einerseits an Schülerinnen und Schüler, andererseits auch an erwachsenes Publikum. Was denken Sie als „CLOSE UP“-Moderatorin und als MuTh-Leiterin: Wie kann man all diese Menschen für Neue Musik noch empfänglicher machen?
Irene Suchy: Wir wollen durch verschiedene Parameter ein Näherkommen an die Musik ermöglichen. Einerseits geht es uns hier um Relevanz: Wir wählen Themen wie Klimawandel oder Humor, aber auch Zirkus und Märchen und bauen so die Brücke zu den Menschen. Verbundenheit mit dem, was auf der Bühne passiert, hat eine große Anziehungskraft. Wichtig ist mir außerdem die Fasslichkeit: Die Stücke, die gespielt werden, sind nie länger als acht Minuten und es gibt einen Wechsel zwischen kürzeren und längeren. Und – und das finde ich ganz bedeutend – wir wollen Heiterkeit. Diese fehlt mir oft, wenn es um Neue Musik geht. Zu beachten ist: Wenn wir hier Schulklassen haben, können wir davon ausgehen, dass sie zu der Musik, die sie hören, keine vorgefertigte Meinung haben. Sie müssen die Neue Musik nicht anders hören, sondern überhaupt hören. Wichtig ist, dass die Stücke nicht nur nicht zu lang sind, sondern auch die Abfolge gut überlegt ist – denn wenn man sich hier etwas traut, öffnet das eine Werk möglicherweise wieder die Ohren für ein anderes. Essentiell ist auch, dass die Musikerinnen und Musiker sich nicht ablenken lassen, wenn jemand im Publikum mal aufgekratzt ist. Vor allem ist ganz wichtig, dass die Qualität stimmt, denn Neue Musik braucht eine ganz besonders hochwertige Ausführung. Gerade Kinder und Jugendliche erkennen Virtuosität. Und sie nehmen auch noch mehr als Erwachsene wahr, was an Geräuschen um sie herum zu hören ist. Sie haben noch nicht die anerzogene Hierarchie des Hörens, die sagt, was angeblich „wichtig“ ist. Es gibt in der Musik nichts Unwesentliches, alles trägt zum Gesamterlebnis bei. Kinder und Jugendliche rezipieren auch viel mehr, dass es knarzt und knackt – was für das Wahrnehmen von Neuer Musik sehr gut ist.
Und Sie lassen zusätzlich zu den Musikerinnen und Musikern auch die Zuschauerinnen und Zuschauer mitmachen.
Irene Suchy: Ja, ich möchte, dass wir alle gemeinsam mit den Musikerinnen und Musikern aktiv werden. Ob nun eine Sitzpolka gestampft oder Fußballrhythmen geklatscht werden, ob die Kinder nach dem Konzert auf die Bühne kommen und das Schlagzeug ausprobieren: Im letzten Drittel werden alle etwas zu tun kriegen. Auch Fragen dürfen gestellt werden, man kommt mit den Musikerinnen und Musikern in sehr unmittelbaren, direkten Kontakt.
Machen dabei in den Abendkonzerten auch die Erwachsenen gerne mit?
Elke Hesse: Ja, absolut. Die Aufmerksamkeit ist sowohl bei den Jüngeren als auch bei den Älteren enorm. Wer zu uns ins MuTh kommt, weiß, dass bei uns der Aspekt des Vermittelns immer schon wichtig war. Bei uns ist es nie der Fall, dass ein Konzert gespielt wird und danach heißt es „Danke, das war’s“. Unser Publikum weiß, dass es immer danach noch Austausch mit den Musikerinnen und Musikern haben kann, ob nun in Form eines eigenen Formats oder einfach im Anschluss in der Bar. Das schätzen die MuTh-Besucherinnen und -Besucher sehr. Wir möchten auch mit Neuer Musik Räume zum Erleben und Erspüren bieten. Das MuTh ist schon immer ein Ort der Vielfalt und Offenheit. Als vor einiger Zeit ein großer Block an Förderungen wegfiel, war das ein ordentlicher Dämpfer. Gleichzeitig ist so eine Zäsur, so schmerzhaft sie ist, immer ein Punkt, an dem man darüber nachdenkt: Wo stehen wir, wo wollen wir hin? Wir sind zwar der Konzertsaal der Wiener Sängerknaben, stehen aber auch für zahlreiche Uraufführungen und Auftritte von Ensembles wie beispielsweise PHACE und Studio Dan. Als wir nun im Ministerium ein Projekt für Vermittlung für Schülerinnen und Schüler anboten, bekamen wir schnell Unterstützung. Mir ist dabei wichtig, dass dieses Format nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern eben abends auch für Erwachsene angeboten wird. Wir wollen, dass alle Zuschauerinnen und Zuschauer von der Moderatorin wirklich proaktiv hineingeschoben werden in die Musik. Und dafür möchten wir im MuTh den Platz bieten. Zusätzlich liefern wir einiges an vorbereitendem Material – und gestreamt werden die Konzerte nach Vorbild unserer sehr erfolgreichen Streamings zu Corona-Zeiten auch.
Wie bauen Sie, Frau Suchy, außerdem Ihre eigene Moderation und Ihre Art der Vermittlung auf? Letztere ist ja in einem ständigen Wandel begriffen …
Irene Suchy: Ich habe mit dem Wort Vermittlung ein bisschen Probleme, denn es degradiert Musik zu etwas, das man vermitteln muss und das nicht gleich direkt wirken kann. Aber ich weiß kein Besseres, außer vielleicht das englische „Music appreciation“. Wir wollen keinesfalls den Eindruck erwecken, dass einer vorne sitzt, der alles besser weiß. Ich will nicht dozieren, sondern Erleben bieten. Mir ist wichtig, dass in unserem Format nichts an Vorwissen erwartet wird. Das mache ich auch bei meinen Radiosendungen immer schon so. Es soll etwas dabei sein für die, die nichts wissen, und etwas für die, die viel wissen. Etwas vorauszusetzen, ist tödlich. Ich will stets einen Bezug zum realen Leben herstellen. Ich glaube übrigens, dass das, was wir heute als Konzertdramaturgie für Kinder und Jugendliche ansehen, wegweisend sein wird für Konzertdramaturgie generell.
„Ich möchte zeigen, wie Hindernisse überwunden wurden – und dadurch empowern.“
Kommen auch weiterhin Erzählungen zu Komponistenbiografien und Hinweise dazu, auf welchen Takt man besonders achten soll, gut an?
Irene Suchy: Ja, das finde ich schon. Ich erzähle darüber, was der Komponist oder die Komponistin wollte, was vielleicht schwierig war im Entstehungsprozess. Mir geht es gerade bei jungen Menschen darum, Role-models zu zeigen, indem ich beispielsweise davon spreche, wie Olga Neuwirth Komponistin wurde. Ich möchte zeigen, wie Hindernisse überwunden wurden – und dadurch empowern.
Inwiefern spüren Sie schon, dass man so mehr Zuschauerinnen und Zuschauer für Neue Musik begeistern kann?
Elke Hesse: Mehr Leute in die Konzerte zu bringen, wäre natürlich das Ziel, aber das ist nicht einfach.
„Was in Wien fehlt, sind Räume, wo etwas entstehen darf.“
Sie zeigen im MuTh viel Offenheit für Konzerte Neuer Musik. Braucht es in Wien einen eigenen Konzertsaal für diese, wozu es zuletzt auch eine Untersuchung von EDUCULT im Auftrag von mica – music austria gab?
Irene Suchy: Ich finde diese Diskussion sehr interessant. Man muss sich überlegen: Was kann ein Raum für Neue Musik sein, in dem man auch nah an diese drankommt? Meiner Ansicht nach sind Kellersäle in etablierten Häusern nicht das Ideale, selbst, wenn man auf diese auch nicht verzichten kann. Wir brauchen sowohl Orte wie den echoraum und die Sargfabrik als auch die Neuen Säle im Musikverein und den Berio Saal im Wiener Konzerthaus. Nichts davon soll verdrängt werden. Aber es ist auch wichtig, neue Orte für Neue Musik zu entdecken. Beispielsweise haben meiner Ansicht nach Museen ein großes Potenzial, Gastgeber für Neue Musik zu sein.
Elke Hesse: Einerseits ist es wichtig, Räume mit Neuer Musik zu erobern. Gleichzeitig sage ich schon oft, dass wir im MuTh sehr offen dafür sind, ein Haus für Neue Musik zu sein. Das Problem ist halt, dass Neue Musik finanziert werden muss, was nicht einfach ist. Da wir das Budget alleine nicht haben, suche ich Koproduktionspartner. Wenn Stadt und Bund sich aber dazu bekennen, hier Neue Musik zu fördern, dann sollen sie das auch finanziell spürbar machen. Gerade in unserem direkten Umfeld gibt es weitere Möglichkeiten der Ausweitung – mit dem Filmarchiv, dem ehemaligen TBA21 und weiterem mehr. Man könnte hier ein Quartier für Neue Musik aufbauen. „Was in Wien fehlt, sind Räume, wo etwas entstehen darf.“
Irene Suchy: Ja, auch die Proberäume sind ein riesiges, ungelöstes Problem. Einer der Vorteile hier im MuTh ist auch, dass man nach dem Konzert in den Garten geht und die Musikerinnen und Musiker trifft und sich mit ihnen austauschen kann. Ich denke, das MuTh ist gut geeignet für Neue Musik, weil man ihr hier wirklich nahekommen kann. Ganz, wie wir es in „CLOSE UP – Musik nah und neu“ wollen.
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Termine CLOSE UP:
Montag, 21. Oktober 2024
Humorforschung
Montag, 18. November 2024
Instrumentales Theater und visuelle Musik
Montag, 16. Dezember 2024
Im Zirkus
Dienstag, 28. Jänner 2025
1000 und eine Wahrheit
Dienstag, 8. April 2025
Singende Zahnbürsten, klingende Zippverschlüsse
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Link:
MuTh-Abo: CLOSE UP
Das MuTh präsentiert CLOSE UP. Musik nah und fern
You better listen! Studio Dan im MuTh