„Für uns war das eine lustvolle Angelegenheit, ein Riesenspaß […]“ – ANATOL BOGENDORFER (VALINA) im mica-Interview

VALINA, einer der besten und prägendsten Bands des Landes, ist Geschichte. Das letzte Konzert ist gespielt. Markus Deisenberger sprach mit ANATOL BOGENDORFER über den Ausstieg aus dem Leben „on the road“ und die neue Suche, die jetzt beginnt.

Warum haben Sie sich dazu entschlossen, Valina an den Nagel zu hängen? Wie schwer ist Ihnen diese Entscheidung gefallen?

Anatol Bogendorfer: Für unseren Bassisten wäre die Zeit einfach immer knapper bzw. zu wenig geworden, um die Band so zu betreiben, wie wir das wollten. Er hat uns das letzten Sommer nach einem Konzert in Slowenien gesagt. Tja, und dann war‘s eigentlich gar nicht mehr schwer, sich den Schluss vorzustellen. Wir haben darüber geredet, haben uns gegenseitig bestätigt, dass wir lieber einen prägnanten Schluss als einen langsamen „Fade-out“ wollen. Mit den drei Abschiedskonzerten und der Veröffentlichung unseres letzten Tonträgers war‘s das dann. Valina ist Geschichte.

“Wir wollten ausloten, wie wir mit den eingeschränkten musikalischen Mitteln, die wir als Werkzeuge nun mal gewählt haben, trotzdem progressiv bleiben können.”

Ein bisschen Wehmut ist auch dabei, wenn man den „Band gewordenen“ Bubentraum, der mit sechszehn Jahren begann, ad acta legt, oder?

Anatol Bogendorfer: Nicht wirklich, denn dieser Traum war ja quasi schon seit langer Zeit irgendwie erfüllt, spätestens seit wir mit unserer zweiten Platte auch international von einem bestimmten Szenekreis wahrgenommen wurden und begonnen haben, viele Konzerte im Ausland zu spielen. Damit endete der eigentliche Teenagertraum. Danach ging etwas anderes los. Wir wollten schauen, wohin wir uns als Band entwickeln können, wollten musikalisch besser werden, wahrscheinlich auch unverwechselbarer. Jedenfalls wollten wir ausloten, wie wir mit den eingeschränkten musikalischen Mitteln, die wir als Werkzeuge nun mal gewählt haben, trotzdem progressiv bleiben können. Das ist ja bekanntlich die Herausforderung für jeden kreativen Menschen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Entwicklung immer auch vom jeweiligen persönlichen Standpunkt abhängt und es darauf ankommt, wo du altersmäßig, geografisch und kulturell in der Timeline der Musikgeschichte gelandet bist oder gerade stehst. Das gilt natürlich auch für Menschen wie uns, die im weitesten Sinne das Idiom von Rockmusik bedient haben, eines von jenen Genres, das in der äußeren Wahrnehmung oft per se als nicht fortschrittlich gilt. Das ist natürlich Unsinn. Das Neue in der Musik kannst du zunächst ja immer nur für dich selbst suchen und entdecken, und nicht stellvertretend für die Chronistinnen und Chronisten der Popgeschichte. Es herrscht bei mir auch keine Wehmut, weil nach Valina einfach eine neue Suche beginnt, auf die ich mich freue.

Im Statement auf Ihrer Website heißt es: „Zu schön war auch die Vorstellung, dass wir manch Naturgesetzen trotzen könnten und noch lange als Band zusammenbleiben könnten.” Welche Naturgesetze sind damit gemeint? Das Älterwerden, Kinderkriegen und Mehr-aufs-Geld-schauen-Müssen? Oder geht es um andere Dinge?

Anatol Bogendorfer: Stimmt schon, damit sind in erster Linie Umstände gemeint, die mit einem bürgerlichen Leben beziehungsweise mit einem als „normal“ betrachteten Lebenslauf einhergehen. Was auch immer das dann im Detail ist. Und wie verschieden diese Umstände auch für die jeweiligen Menschen ausschauen. Es sind keine verwerflichen Dinge per se, und Kunst und Musik hätten ja traditionell auch im Bürgertum ihren Platz. Aber es ist halt schwer mit dem Musikmachen als Punk-Rock-Band zu vereinbaren, wo beispielsweise Geld nur dahingehend eine Rolle spielt, als dass am Ende hoffentlich eine Null steht, und keine Schulden. Wenn du also daneben nicht noch andere Musik- oder Kunstprojekte am Start hast oder wie im Fall meiner Bandkollegen einem Job nachgehst, schaffst du das nicht mit der monatlichen Miete.
Und ich weiß nicht, bei wie vielen Bands, Kolleginnen und Kollegen ich im Laufe der Zeit beobachten konnte, wie schnell dieses Naturgesetz dann zuschlägt. Leute werden dreißig, bekommen Kinder und naturgemäß meistens eine Lebenspartnerschaft dazu. Zusätzlich steigt der gesellschaftliche Druck, das Leben auf eine bestimmte Art meistern zu müssen. Wenn dann die Entscheidung zwischen dem Vagabundendasein und dem Sicherheitsangebot, das einem die westliche Berufswelt glücklicherweise manchmal noch machen kann, im Raum steht, habe ich volles Verständnis für den Ausstieg aus dem Leben on the road. Das betrifft dann immer eine bestimmte Schicht von Musik- und Kunstschaffenden, die den Lebensunterhalt mit ihren Sachen bis zu diesem Zeitpunkt nicht bestreiten konnten. Und das ist auch schon das Einzige, das mir dann immer wieder mal leidtut: Leute gehen zu sehen, deren kreativer Output in ihrer aktiven Zeit oftmals nicht weniger spannend war als jener der Professionistinnen und Professionisten.

„Eine Band mit eingeschränktem Aktionsradius wollten wir nie sein”, heißt es in diesem Abschiedsstatement auch. Das ist einerseits sehr konsequent. Andererseits: Trotz 700 Konzerten hatten Sie alle doch auch immer andere – „bürgerliche“ – Berufe. Das heißt, Sie hatten immer auch ein anderes Standbein. Insofern war der Aktionsradius ja doch von vornherein ein wenig eingeschränkt. Aber anders – also „fulltime“ – wäre es wohl undenkbar gewesen, oder?

Anatol Bogendorfer: Na ja, so ein richtiges Standbein neben der Band hatte lange Zeit keiner von uns. Die diversen Teilzeitjobs haben sich zeitweise fast nach der Band gerichtet. Irgendwann in den letzten zehn Jahren hat es sich dann aber gezeigt, wo bei jedem Einzelnen die Reise hingeht. Florian Husbert Huber wollte Soziologe werden und hatte außer der Band keine weiteren Künstlerambitionen. Als Ko-Organisator von Valina hat er sich aber trotz Diplom- und später dann Doktoratsstudium wahnsinnig viel Zeit für die Band freigeschaufelt.

Bandfoto Valina
Valina (c) VIOVIO

Anselm [Dürrschmid; Anm.] hat sich als freischaffender Lichttechniker auch einfach die Zeit genommen. Ich hatte bis 2005 das Glück, mit meinem Engagement in der Kapu [Kulturinstitut in Linz; Anm.] zumindest so viel Geld nebenbei zu verdienen, um die Miete und das Nötigste abzudecken. Danach habe ich studiert, ein Stipendium erhalten und mich noch während des Studiums als Künstler selbstständig gemacht. Valina war dabei in vielen Belangen ein Katalysator für andere Sachen. Umgekehrt, trotz der Projekte, die ich abseits der Band seither gemacht habe, hatte ich immer genug Zeit, um mich auch Valina voll zu widmen. Tage können lang sein, wenn man keine Kinder hat.
Die Frage ist letztlich aber auch, was „fulltime“ überhaupt für die Praxis einer Band bedeutet. Davon leben können? Dann fallen wir da raus. Wir wollten nie von der Band leben und hätten es auch nicht gekonnt. Aber ich glaube sagen zu dürfen, dass wir dennoch exorbitant viel Zeit investiert haben, um genau den Aktionsradius zu schaffen, von dem die Rede ist. Das geht dann oft nur, wenn du dich in intensiven Phasen und abseits der kreativen Arbeit auch nochmals von sechs Uhr abends bis Mitternacht an den Computer sitzt, um etwa Konzertanfragen zu beantworten, Tourneen zu organisieren, Clubs und Veranstalterinnen und Veranstalter zu recherchieren, der Grafikerin eine E-Mail zu schreiben, das Label am Laufenden zu halten und am Schluss noch Interviewfragen zu beantworten.

„Wir waren jedenfalls nie zermürbt, weil wir geglaubt hätten, uns gebühre mehr Aufmerksamkeit oder mehr Geld oder mehr Bedeutung.“

Ein weiteres Zitat: „Dass unsere Musik keine Massen angezogen hat, sondern mancherorts höchstens Mengen, liegt in der Natur der Sache. Die Haltung, die wir an den Tag und an die Songs gelegt haben, hat uns letztlich aber dorthin gebracht, wo wir uns irgendwann mal hingeträumt haben. Dabei mussten wir uns relativ wenig darum scheren, wie das alles beim Rest der Welt ankommt. Und dennoch hat uns dieser Rest der Welt stets interessiert und mitbeeinflusst.” Für mich bringt die Passage das Dilemma, in dem sich Künstlerinnen und Künstler abseits des Mainstreams unweigerlich wiederfinden, sehr gut auf den Punkt. Ist es auch dieses Dilemma, das einen am Ende – ohne dass man es je für möglich gehalten hätte – irgendwann einmal zermürbt?

Anatol Bogendorfer: Na ja, da geht’s auch ein bisschen darum, dass wir uns selbst nie so als elitär und abgehoben von der restlichen Popkultur betrachtet haben. Mit einem Teil dieser Popkultur wollten wir einerseits nichts zu tun haben, weil vieles davon ein langweiliges Gedöns ist und die Strukturen oftmals so furchtbar rückschrittlich sind, und andererseits, weil ich mich auch heute noch nicht im Keller verstecke, wenn ich mal Lust habe, mir die neue Beyonce-Single anzuhören.
Soweit ich mich erinnere, waren wir jedenfalls nie zermürbt, weil wir geglaubt hätten, uns gebühre mehr Aufmerksamkeit oder mehr Geld oder mehr Bedeutung. Wir haben uns den Wirkungsraum schon selbst ausgesucht, und auch selbst ein wenig eingeschränkt. Wir haben ja gewusst, dass es, um größer und bekannter zu werden, mehr als reine Musik, sondern das gesamte Image- und Medienpaket braucht. Heute mehr denn je. Wir hatten aber – um ein Beispiel zu nennen – vor der YouTube-Ära, keine Lust, Videos zu fabrizieren, die dann maximal auf solchen TV-Sendern gespielt hätten werden können, die wir scheiße gefunden hätten und die auch umgekehrt sicher uns für schlecht befunden hätten. Fair enough. Später hätte ich strukturell mit YouTube und den freien TV-Stationen Sinn darin gesehen, sich auch da künstlerisch auszuleben. Einfach weil da mehr Freiheiten herrschen und Künstlerinnen und Künstler nicht von den Entscheidungen und Formatvorgaben eines Sendergremiums abhängig sind. Allerdings war ich da gerade selbst dabei, Film studieren, wollte andere Sachen machen und fand es spannender, zu beobachten, wohin sich Valina im Status einer quasi monomedialen Band bewegen kann. Wir haben solche Sachen meistens innerhalb der Band kurz abgewogen und mit den Konsequenzen solcher Entscheidungen dann aber auch glücklich gelebt. Von Zermürbung – das darf ich, glaube ich, im Namen aller sagen – war bei uns weit und breit keine Spur.

Sie haben sich den Idealismus über zwanzig Jahre erhalten. Am besten kann man das aus meiner Sicht an Ihren ausgedehnten Auslandserfahrungen ablesen. Kaum eine Band hat so viele Strapazen auf sich genommen, nur um zu spielen und gleichzeitig fremde Kulturen kennenzulernen. Ist das der beste Weg, um als Band und als Mensch zu wachsen?

Anatol Bogendorfer: Ich vermute mal, dass das so ist, ja. Eine verschwendete Jugend war‘s sicher nicht. Als Privatreisende wären wir sicher nicht so viel herumgekommen und hätten einen Teil der Welt sicher auch nicht so kennenlernen dürfen, wie wir das nun mal als tourende Band gemacht haben. Allerdings muss ich zwei Dinge anmerken. Es wird uns da manchmal zu viel Idealismus zugeschrieben. Und man kann aus unserer Sicht nicht von Strapazen sprechen, die wir auf uns nehmen mussten. Für uns war das eine lustvolle Angelegenheit, ein Riesenspaß, selbst wenn die Rechnung so aussieht, dass wir öfter im Schlafsack als in weichen Hotelbetten schlummerten. Aber da sehe ich uns trotzdem weder in einer bemitleidenswerten noch in einer heroisierten Rolle. Wir haben einfach den Mehrwert so eines Lebens erfahren, haben ihn auch ausgeschöpft und das Tourleben in vollen Zügen genossen. Dazu kommt, dass das Livespielen ein wesentlicher Grund für uns war, überhaupt Musik zu machen. Es gibt Musik, die ausschließlich im Studio oder zu Hause produziert wird, und zwar für andere Zwecke: nur für sich, nur für einen Tonträger, für einen Film, als Sounddesign für ein Kunstwerk, für Computerspiele, für was auch immer. Für mich hat so eine Art des Musikmachens denselben Wert und ist in keiner Weise minderwertig oder langweiliger. Ich mache das ja selbst auch. Aber es wird eben auch immer Musik geben, deren Energie und Sinn sich erst im Livemoment und im sozialen Kontext zur Gänze entwickelt – egal ob im Technoclub, bei der Rockshow oder beim Jazzfestival. Und wir waren zu 100 Prozent so eine „Liveband“.

Wenn Sie zurückblicken, würden Sie etwas anders machen?

Foto Valina live
Valina (c) Martin Baumann

Anatol Bogendorfer: Schwierige Frage. Im Detail wahrscheinlich ja, im Großen nicht. Aber das ist eine Frage, die man sich als Band ja nicht erst am tatsächlich letzten Tag stellt, sondern meistens immer wieder mal zwischendurch, meist am Ende einer Etappe, etwa nach einem neuen Tonträger, nach einer Tournee, nach einem Interview. Will man dann im Nachhinein nicht immer irgendwas anders machen? Ich schätze schon. Musikalisch, organisatorisch – überall gäbe es Dinge, die man vielleicht hätte anders oder besser machen können. Aber was soll´s. Ohne den Fehler oder das Scheitern an einem Punkt hätte sich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt das eine oder andere Positive nicht ergeben. Und auch auf die Gefahr hin, dass es platt klingt: Ich hoffe einfach, dass die Fehler, die ich in meiner persönlichen Rückschau bereits entdeckt habe, mir für zukünftige Musikprojekte eine Lehre sein können. Für Valina ist das dann nicht mehr hilfreich. Allerdings wirkt Valina sicher noch länger hilfreich auf uns drei, denn bei allen Fragen an uns selbst, was wir besser hätten machen können, wissen wir auch, dass wir vieles richtig gemacht haben.

Gehen wir zu „In Position“, dem neuen Album: Was macht es aus Ihrer Sicht zu etwas Besonderem? Inwiefern unterscheidet es sich von „Container“, dem vorherigen Album?

Anatol Bogendorfer: Musikalisch gehören „Container“ und „In Position“ quasi zusammen. Alle Songs sind ja auch im selben Zeitraum zwischen 2008 und 2013 entstanden. In dieser Zeit haben wir viel ausprobiert, waren in mehrerlei Hinsicht aus unserem Zentrum raus und wussten oft selbst nicht genau, wohin es uns im Spannungsfeld zwischen Popsong und Experiment zieht. Dann hatten wir aber wiederum schon genug Erfahrung, um das Ganze am Schluss auch wieder zusammenzuführen und in eine Form zu gießen. Thematisch ist „In Position“ wahrscheinlich selbstreferenzieller als die anderen Platten und gleichzeitig politisch etwas direkter beziehungsweise näher dran an Aktualitäten.

Während Sie sich sonst immer einige Jahre zwischen den einzelnen Alben Zeit gelassen hatten, gab es zuletzt zwei in relativ kurzem Abstand. Wieso dieser Tatendrang gerade gegen Ende?

Anatol Bogendorfer: Das Ende war vor einem dreiviertel Jahr noch nicht wirklich absehbar. Eigentlich wollten wir die EP sogar noch zu einem Longplayer vervollständigen. Das hat also nichts damit zu tun. Der Tatendrang hängt eindeutig mit den sechs Jahren davor zusammen, wo wir zwar nichts veröffentlicht, aber abseits der Tourneen permanent an neuer Musik gearbeitet haben. Tja, und irgendwann 2013 sind wir draufgekommen, dass die Zeit erstens vergangen ist und wir zweitens eigentlich genug Material für ein Quadrupel-Album zusammenhaben.

Gibt es andere musikalische Projekte, an denen der eine oder andere von Ihnen künftig beteiligt sein wird?

Anatol Bogendorfer: Ja.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger
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