„FÜR MICH HAT DIE MUSIK IMMER ETWAS VERBINDENDES“ – NIKOLAJ EFENDI IM MICA-INTERVIEW

Heuer hat NIKOLAJ EFENDI sein Album „Dovolj“ veröffentlicht. Jürgen Plank hat mit dem umtriebigen Musiker über seine Tätigkeit im Theater-Bereich genauso gesprochen wie über das Spannungsfeld Kapitalismus und Musikmachen. Außerdem erzählt EFENDI von Diskriminierung, die er als kärntnerisch-slowenischer Musiker im Teenager-Alter erfahren musste und warum es ihm wichtig ist, auch in Slowenien Konzerte zu geben. Zum neuen Album gibt es übrigens ein zweisprachiges Textbuch, das auf Efendis Homepage erhältlich ist.

Ich habe dein Album „Vulgo“ aus dem Jahr 2019 mit dem aktuellen Album „Dovolj“ quergehört. Ein markanter Unterschied ist, dass „Dovolj“ ausschließlich in slowenischer Sprache gehalten ist. Warum hast du dich dafür entschieden?

Nikolaj Efendi: Das liegt daran, dass ich das Material für „Dovolj“ während der Pandemie geschrieben habe. Die Pandemie hat ein paar Monate nachdem mein Album „Vulgo“ erschienen ist, eingeschlagen. Alle Konzerte waren abgesagt und ich bin wie wahrscheinlich viele Künstler:innen durch eine Zeit gegangen, in der es nicht klar war, wann und ob man wieder auf einer Bühne spielen kann. Live zu spielen ist aber auch ein Motor für das Schreiben. So war ich also zu Hause und ich bin gerade Vater geworden und habe gemerkt: da meine ökonomische Situation gefährdet ist, müsste ich eigentlich in eine total dunkle Phase fallen. Aber so war es nicht. Ich war glücklich in der Entschleunigung und in der Karenzzeit.

Warum war es dir also wichtig, auf Slowenisch zu singen?

Nikolaj Efendi: Ich habe gemerkt, dass ich mich bei Konzerten mehr darauf freue, die slowenisch-sprachigen Lieder zu spielen. Ich das Gefühl habe, dass ich dabei auf ein authentischeres Ich zugreifen kann. Andererseits war da auch die Idee, ein Repertoire an slowenischen Liedern zu schaffen, die einerseits über Umwege in zwanzig Jahren bei meinem Kind landen, andererseits aber auch bei der kärntnerisch-slowenischen Volksgruppe. Ich wollte neues Repertoire schaffen, damit es eine musikalische Weiterentwicklung in der Volksgruppe gibt. Weil es die Pandemie gab, habe ich die Lieder einfach geschrieben, ohne zu kalkulieren, ob das jetzt ein rentables Album werden wird und ob ich damit überhaupt auftreten kann. Dadurch habe ich kein ambitioniertes, sondern einfach ein persönliches Album geschrieben.

Musikalisch ist mir aufgefallen, dass die Gitarren und die Synthesizer auf „Vulgo“ eine unglaubliche Wucht und Kraft entfalten. Das neue Album ist im Vergleich dazu verspielter, elektronischer. Wie kam diese Entwicklung?

Nikolaj Efendi: Bei „Vulgo“ habe ich das Album mit meinen Mitmusikern ausgearbeitet und das Album live eingespielt. Bei „Dovolj“ bin ich tatsächlich in meinem Home-Studio gesessen und habe in der Nacht geschrieben, während das Baby geschlafen hat. Man will dann auch nicht die Nachbar:innen stören und somit ist das Album mit Kopfhören am Computer entstanden. Ich mochte es beim Produzieren und beim Einsingen der Demos, dass ich die Stimmung lowhalte. Alle Instrumente habe ich an diese fragile Stimmung angepasst. Es war eher der verspielte Gedanke da, mal zu schauen, wie ein elektronisches Album neben sanften Erzählungen klingen kann. Es war eine Suche nach Neuem. Nicht um mich von „Vulgo“ zu entfernen, aber: meine Gefühlswelt hat sich verändert, ich wollte etwas Sanfteres machen. Dazu habe ich dann noch großartige Musiker eingeladen – nämlich Lan Sticker, Bernhard Scheiblauer, Thomas Liesinger und Bernhard Hadriga –, die sich wundervoll eingebracht haben. Und Alex Tomann, der das Album gemischt hat.

„In meinem Solo-Schaffen bekämpfe ich meine inneren Dämonen“

Das ist jedenfalls gelungen. „Dovolj“ heißt übersetzt „Genug“, was kannst du zum Titel des Albums sagen? Dabei denke ich sofort an Konstantin Wecker und sein Lied „Genug ist nicht genug“.

Nikolaj Efendi: Ich bin ja noch immer sehr verbunden mit meiner Kernband Roy de Roy. Mit der würden wir „Genug“ als etwas Kämpferisches sehen und auf die Pauke hauen. In meinem Solo-Schaffen bekämpfe ich meine inneren Dämonen. Diese Dämonen zähme ich auf „Dovolj“, da ich in der Pandemie erkannt habe, dass ich genug bin, dass ich ausreiche und mich nicht zerreißen muss, dass ich genug besitze, dass ich genug arbeite. Ich habe gemerkt, dass ich schon so stark mit einem kapitalistischen System verwoben bin, dass ich mein Schaffen zu oft auf dessen Rentabilität überprüfe. Und das will ich nicht. Ich will Sachen schaffen. Und wenn sie in slowenischer Sprache sind, weil ich auf Slowenisch singe, und wenn sie persönlich sind, weil ich persönlich spreche, dann ist das genug. Dann reicht das aus. Mir war wichtig, Druck heraus zu nehmen und das Album echt sein zu lassen.

Ist dein Lied „Lahko“ – das bedeutet so viel wie „Du kannst“ – als Empowerment für deinen Nachwuchs zu deuten?

Nikolaj Efendi: Das ist eine sehr gute Frage. Es geht auf jeden Fall um Empowerment. Das Lied ist auch meinem Freundeskreis gewidmet, nicht nur meinem Sohn. In einer Zeit, in der es allen schlecht geht, brauchen wir Mut und Zuversicht. Das gilt auch für mich, wenn ich’s mir im Leben schwer mache. Wie mein Opa immer gesagt hat: „Nikolaj, du bist ein Slawe und ein Slawe ist nur dann glücklich, wenn er auch ein bisschen traurig ist.“ Ich sehe viel Schwere in der Welt und versuche, mich davon nicht anstecken zu lassen und Dinge auch mit Leichtigkeit zu sehen. Bei „Lahko“ spiele ich mit der Annahme, ob ich in der Vorstellung mehr leide, als in der Realität.

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Du bist auch im Theater-Bereich als Musiker tätig, im Herbst etwa beim Stück „Der Trafikant“ des österreichischen Autors Robert Seethaler. Wie hat sich diese Schiene entwickelt?

Nikolaj Efendi: Ich bin sehr glücklich, dass sich das so entwickelt hat, weil ich schon immer ein Theater-Fan war. In Kärnten war es für mich als Kind immer ein Highlight, wenn ich mit meinen Eltern ins Theater gegangen bin. Da hatten wir Zugang zu Gastspielen aus Ljubljana, die in dörflichen Kulturhäusern stattgefunden haben. Da hat dann immer wieder eine Super-Theatertruppe gespielt. Irgendwann bin ich plötzlich über die slowenische Star-Regisseurin Mateja Koležnik im Theater-Zirkus gelandet. Ohne es zu planen, wurde ich als Komponist auf große Bühnen gebucht und habe niemandem gesagt, dass ich nicht weiß, was ich da tue. Ich bin dann aber schnell ich in diesen Beruf hineingewachsen. Jetzt arbeite ich mit verschiedenen Regisseur:innen wie Christina Gegenbauer oder Mira Stadler zusammen und liebe es einfach, ein kleiner Teil eines größeren Projektes zu sein. Egal ob Bühnenbild, Regie oder ich als Musiker: alle schauen auf einen Text, kommen zusammen und machen daraus etwas Großes. Ich genieße es sehr, mich für ein paar Monate in die neue Atmosphäre eines Textes, eines Stücks fallen zu lassen und eine Stunde Material zu schreiben. Als würde ich ein Album schreiben. Aber da bin nicht ich im Zentrum, sondern die Kunst. Das finde ich einfach großartig.

Bild Nikolaj Efendi
Nikolaj Efendi (c) Karin Hackl

Es gibt auch Bücher von dir, eines heißt „Im Keller unter uns“, ist das ein dystopischer Plot, der etwas mit der Pandemie zu tun hat?

Nikolaj Efendi: Das sind Theaterstücke, die ich geschrieben habe, „Im Keller unter uns“ war schon vor der Pandemie. Für mein Album „Temper“ wollte ich die Charaktere ausbauen und habe für diese ein Szenario geschrieben. Das wurde immer größer und ich habe mir gedacht, dass ich daraus ein Theaterstück machen könnte. Aus Leidenschaft, nicht aus Kalkül. „Im Keller unter uns“ ist ein Kammerstück, das in einem Raum spielt. Da kombiniere ich die Leidenschaft zum Theater und zum Texten. Ich schreibe ja sehr viel, habe viel Output und suche mir dafür unterschiedliche Kanäle: so kommt mal ein Theaterstück, mal ein Lied und nächstes Jahr möchte ich einen Lyrik-Band herausbringen, vielleicht zweisprachig. Ich bringe das gerne heraus, damit es fertig ist und ich mich neuen Dingen widmen kann.

Wie ist dein künstlerisches Tun, welches du eben beschrieben hast, durch deinen Hintergrund – die slowenische Sprache und die damit verknüpfte Kultur – geprägt?

Nikolaj Efendi: Das ist total dadurch geprägt, absolut. Wenn ich mit Roy de Roy oder meinen eigenen frühen Alben beginne: da geht es oft um Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Oft geht es um das interessante Spannungsfeld Identität, in dem ich mich bewege: ich interessiere mich für Politik, und identitätsstiftende Themen, aber als Anti-Faschist stößt es mir total auf, wenn ich über nationalistische Gedanken rede. Ich merke, dass ich in einem Spannungsfeld bin, in dem ich aufgrund meiner Muttersprache diskriminiert wurde und die Muttersprache gleichzeitig aber auch das verbindende Glied meiner Volksgruppe ist. All das hat einen großen Einfluss darauf wie ich schreibe und warum ich schreibe. Ich merke auch, dass es mich immer in gesellschaftspolitische Themen hineinzieht. Auf manchen Alben passiert das stärker: auf „Vulgo“ etwa habe ich Tagebuch-Einträge von Partisan:innen vertont und versucht, diese in die moderne Zeit zu übersetzen, damit sich Menschen da hineinversetzen können. Andere Alben wie „Dovolj“ sind persönlicher, aber es interessiert mich einfach, das Politische im Privaten und das Private im Politischen zu sehen.

„Zum Glück fand ich im Musikmachen Kraft und eine Möglichkeit mich auszudrücken“

Wie hast du Diskriminierung erfahren? Hast du als Künstler, als Musiker auch diskriminierende Vorgehensweisen bzw. Haltungen dir gegenüber bemerkt?

Nikolaj Efendi: Am Anfang, als ich als Teenager noch in Kärnten gewohnt habe, war es schon so, dass du in slowenischer Sprache nicht auf allen Bühnen singen konntest. Wenn du in den falschen Raum geraten bist, hattest du auf jeden Fall ein Problem. Wenn ein 15-Jährigervon der Bühne gebuht wird, weil er in slowenischer Sprache singt, macht das schon etwas mit einem. Zum Glück fand ich im Musikmachen Kraft und eine Möglichkeit mich auszudrücken.

Du bist wirklich ausgebuht worden?

Nikolaj Efendi: Ja. Gleichzeitig gab es in meiner Teenager-Zeit in Kärnten eine sehr gute Punk- und Hardcore-Szene, die nicht slowenisch-sprachig war. Das waren meine ersten Kontakte mit deutschsprachigen Kärntnerinnen und Kärntnern. Für mich hat die Musik immer etwas Verbindendes.

Du spielst auch regelmäßig in Slowenien. Wie wichtig ist es dir, diese Verbindung zu haben und zu halten?

Nikolaj Efendi: Sehr. Es ist sehr spannend, weil ich das Glück habe, dass mich slowenische Radios immer kontaktieren, wenn ich etwas in slowenischer Sprache veröffentliche. Es gibt dort nicht so viele Radios, aber ich finde es spannend, dass sie mich kontaktieren, weil meine Musik offenbar auch für sie interessant ist. Für sie ist es spannend, dass slowenischsprachige Musik im Ausland geschrieben wird, die völlig anders als die slowenische Musiklandschaft klingt. Ich finde es schön, dass es da eine Verbindung gibt, auch zu slowenischen Musiker:innen. Da besteht großes gegenseitiges Interesse. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich dort spiele, ich muss im Gegensatz zu den deutschsprachigen Ländern, in denen ich auftrete, ja viel textsicherer sein, damit ich nicht scheitere. Auch mit Roy de Roy konnten wir in Slowenien tolle Konzerte spielen, in Dimensionen, die wir wahrscheinlich in Österreich nicht erleben werden.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Nikolaj Efendi live
03.8.2023: Kultursommer, Wien, Bühne Wasserturm, 18:30h

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